25 – Skirnismál

(Das Skirnirlied)

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Anmerkungen der Übersetzerin

Freyr, die Gottheit, deren Verkörperung sich in der viele Wohnungen enthaltenen Erde befindet, saß auf Hlidskjalf, von wo er das Riesenmädchen Gerd in ihres Vaters Hof erspähte. Er wurde von Liebe zu ihr verzehrt und wünschte, sie als seine Braut zu gewinnen. Das göttliche Wesen kann jedoch nicht direkt in die materiellen Welten eintreten, und daher schickte Freyr seinen Diener Skirnir, der die Maid in seinem Namen gewinnen sollte. Skirnir führte sich selbst bei Gerd ein als „ich bin keiner der Elfen, noch der Ásen-Söhne, noch der weisen Wanen“ (18). Was also ist er?

Skirnir bedeutet Strahlung, ein Strahl der Gottheit, ein Avatāra, der in eine niedrigere Welt absteigt, um eine Rasse der Menschheit – ein Riesenmädchen – zu erleuchten. Ausgerüstet mit dem Roß und dem Schwert des Gottes, reitet Skirnir zu der Riesenwelt und erreicht ein Gespräch mit Gerd. Aber sie wehrt alle seine Annäherungsversuche ab. Die Äpfel der Unsterblichkeit verführten sie nicht, noch „der Ring, der mit Odins Sohn (Balder) verbrannt wurde,“ und dem acht gleiche jede neunte Nacht entträufeln – ihr Vater, sagt sie, besitzt selbst Gold in Hülle und Fülle. Nicht wird sie durch Drohungen fortdauernder Übel in der Riesenwelt und mit Schlimmerem in der Zukunft bewegt. Jedoch, als ihre Zukunft vor ihr enthüllt wurde – Vernichtung in „Machtlosigkeit, Schwachsinn und Wollust“ – willigt sie schließlich ein, dem Gott in dem unantastbaren Wäldchen Barri zu begegnen, „wo man in Frieden wandert“ (39).

Skirnirs Lied kann leicht als phantastischer Unsinn abgetan werden, gäbe es nicht eine gewisse suggestive Qualität, die anderen Erzählungen gleicht, in denen die Inkarnation einer Gottheit in unserer Welt erwähnt wird: einen avatārischen Abstieg. Dieses ist, gleich den „Geiseln“, die von den Wanir zu den Aesir geschickt werden, das Eindringen eines göttlichen Strahles aus einer höheren Sphäre in eine niedrigere Welt und seiner Einkörperung daselbst. Das dient dem Zweck, einen veredelnden Einfluß auf die Gedankenatmosphäre jener Welt auszuüben. Zu gewissen Krisenzeiten hat die Erde solche Ereignisse erfahren, als ein göttlicher Lehrer Menschengestalt annahm, um die Menschheit zu lehren und zu inspirieren. Krischna, Lao-tse, Śankarāchārya, dann der eine, den die Tradition den Christus genannt hat, und andere sind Beispiele solcher Avatāras. Sie kommen zu gewissen zyklischen Perioden; mit den Worten Krischnas: „Ich bringe mich unter den Kreaturen, oh Sohn des Bhārata, selbst hervor, wann immer es einen Rückgang der Tugend und ein Überhandnehmen der Untugend und der Ungerechtigkeit in der Welt gibt. Und so inkarniere ich mich von Zeitalter zu Zeitalter für die Bewahrung der Gerechten, die Vernichtung der Bösen und die Schaffung von Gerechtigkeit.“ Zu jeder Zeit verkörpert sich ein solcher Avatāra unter den Menschen. Er schlägt erneut die Schlüsselnote der Wahrheit an, die für eine längere oder kürzere Epoche, abhängig von dem jeweiligen Zeitalter, widerhallt. Gegebenenfalls beginnt ein neuer Zyklus, der eine erneute Ausbreitung der ewigen Botschaft bringt.

In Anbetracht dessen, erscheint Skirnirs Mission als ein solches periodisches Ereignis. Eines, das in einer prähistorischen Zeit stattfand, an die man sich nur schwach erinnert – eine göttliche Inkarnation zur Erleuchtung von Gerd, Tochterrasse einer stark materialistischen Riesenrasse, ihres Vaters.

Vor dem Abstieg jedoch müssen gewisse Hindernisse überwunden werden. Der strahlende Bote muß mit dem Roß ausgerüstet werden, das die „reinigenden Feuer“ durchqueren kann, die das Reich der Götter umgeben. Er muß mit Freyrs Schwert bewaffnet sein, das sich im Kampf gegen die Riesen selbst führt, „wenn der Träger einfallsreich ist“ (9). In den Geschichten, in denen über Freyr erzählt wird, ist sein Schwert relativ kurz: etwa einen Meter lang. Derjenige, der das Schwert führt, muß sowohl mutig als auch einfallsreich sein, um sich dem Feind zu nähern und dieses auch unverletzt überstehen: der Träger der Waffe des spirituellen Willens ist furchtlos und auch weise.

Gerd ist offensichtlich ein Zeitalter fast genauso wie unser eigenes, eines der materiellen Geschicklichkeit und des materiellen Strebens: Sie ist zufrieden mit den Reichtümern der Riesenwelt, die ihr eigen sind und kümmert sich überhaupt nicht um jene, die von dem Boten der Götter angeboten werden. Nur, als die Erkenntnis der endlosen Leiden, die am Festklammern an die Materie zu erwarten sind, ihr nahegebracht werden, entscheidet sie sich schließlich dazu, mit ihrem göttlichen Begleiter in dem heiligen Wäldchen des Friedens zusammenzukommen.

Ein interessanter Punkt, der sich bei diesem Gedicht erhebt, dreht sich um die Stiefmutter, Skadi, deren Name „Schaden“ bedeutet. Sie ist die reizende junge Frau von Njörd, dem alterlosen Saturngott der Zeit. Wir haben gesehen, daß sie diejenige war, die die giftige Schlange über Lokis Gesicht hing, um sein Leiden in den niederen Welten zu verschlimmern. Sie ist auch die Anstifterin von Skirnirs Botengang, sich bei Freyr zu erkundigen, was ihn beunruhigt. Das ist kein leicht zu lösendes Problem, aber es ist eines, das Respekt verdient. Es ist möglich, daß Skadi das altnordische Äquivalent für den hoch mysteriösen Nārada der östlichen Philosophie ist – die Macht, die unmittelbares Leiden bringt, aber deren weitreichende Wirkungen dazu bestimmt sind, den Weg für ein produktives zukünftiges Wachstum zu reinigen? Ob beabsichtigt ist, daß sie einen solchen Agenten der natürlichen Katastrophe darstellt, der die Evolution von Wesenheiten fördert, muß noch erörtert werden.

Skirnismál

Freyr, der Sohn Njörds, saß eines Tages auf dem Schelf des Mitgefühls und schaute über alle Welten. Er blickte in das Reich der Riesen und erspähte eine schöne Maid, die aus ihres Vaters Haus in das Frauenhaus ging. Da überkam ihn großes Herzeleid. Skirnir war Freyrs Diener. Njörds Frau Skadi schickte ihn zu Freyr, um ihn zum Reden zu bringen.

1. SKADI: Steh auf, Skirnir,
Geh und suche unseren Sohn zum Reden zu bringen.
Frag, was den Weisen
Unglücklich macht.

2. SKIRNIR: Mit zornigen Worten muß ich rechnen,
Wenn ich deinen Sohn frage,
Wen er zu ehelichen wünscht.

3. Sag mir, Freyr, Prinz unter den Göttern:
Warum sitzt du allein
In deiner unendlichen Halle,
Tag für Tag, mein Herr?

4. FREYR: Wie kann ich dir enthüllen,
Freund meiner Jugend,
Meines Herzens großen Gram?
Obwohl die Sonne scheint,
Segensreich jeden Tag,
Sie scheint nicht zu meinem Verlangen.

5. SKIRNIR: Sicherlich wird dein Wunsch nicht so mächtig sein,
Daß du ihn mir nicht sagen könntest;
Wir waren jung zusammen in alten Tagen;
Wir zwei sollten einander vertrauen!

6. FREYR: In Gymirs Höfen sah ich gehen
Eine Maid, die mir gefällt;
Ihre Arme glänzten, so daß sie Himmel
Und Meere widerspiegelten;

7. Die Maid ist mir lieber
Als meiner Kindheit Freund;
Von den Aesir und Elfen
Niemand will es, daß wir beisammen sind.

8. SKIRNIR: Bring mir das Roß, das mich bei Einbruch der Dunkelheit durch die
Schützenden reinigenden Feuer trägt;
Das Schwert auch, das sich von selbst
Schwingt im Kampf gegen die Riesen.

9. FREYR: Ich gebe dir das Roß, das dich bei Einbruch der Dunkelheit durch
Die schützenden reinigenden Feuer trägt;
Auch das Schwert, das sich von selbst schwingt,
wenn dessen Träger einfallsreich ist.

10. SKIRNIR ZUM ROSS: Es ist dunkel draußen; unser Ziel ist es,
Über feuchte Berge zu reisen, in der Thursen Reich;
Wir werden beide sicher sein oder wir
Werden von den gierigen Riesen gefangen.

Skirnir ritt in die Riesenwelt zu Gymirs Höfen. Da waren wütige Hunde an die Pforte des Gartens gebunden, der Gerds Halle umgab. Er ritt zu einem Viehhirten, der auf einem Hügel saß.

11. SKIRNIR: Sage mir, Hirt, der du auf dem Hügel sitzt
Und alle Wege bewachst,
Wie kann ich sprechen mit der Maid
Vor Gymirs wütigen Hunden?

12. HIRTE: Bist du zum Tode verurteilt oder tot bereits,
Du so hoch auf deinem Roß?
Es wird für dich schwer sein, mit
Gymirs Maid, der tugendhaften, zu sprechen.

13. SKIRNIR: Es gibt bessere Dinge zu tun als zu feilschen,
Wenn man voran zu kommen wünscht.
Nur einen Tag hat mein Alter jetzt zugenommen
Und all mein Los lag offen zutage.

14. GERD ZU IHRER DIENERIN: Welch tosenden Lärm hör ich?
Die Erde bebt
Und Gymirs Höfe erzittern.

15. DIENERIN: Hier ist ein Mann abgestiegen
Und läßt sein Roß im Gras weiden.

16. GERD: Bitte ihn einzutreten in unsere Halle
Und den trefflichen Met zu trinken!
Doch ich ahne, daß draußen
Meines Bruders Töter steht.

17. Bist du einer der Elfen oder der Ásen-Söhne
Oder der weisen Wanen?
Warum kamst du allein durch
Eichenfeuer, unsere Halle zu schauen?

18. SKIRNIR: Ich bin keiner der Elfen, noch der Ásen-Söhne,
Noch der weisen Wanen;
Doch kam ich allein durch Eichenfeuer,
Deine Halle zu schauen.

19. Elf goldene Äpfel habe ich , die ich
Dir, Gerd, geben will,
Deinen Frieden zu kaufen und daß du
Freyr gegenüber nicht gleichgültig bist.

20. GERD: Elf Äpfel will ich nicht nehmen,
Um einen Mann zu haben;
Freyr und ich können unsere
Leben nicht gemeinsam aufbauen.

21. SKIRNIR: Dann biete ich dir den Ring an,
Der mit Odins jungem Sohn verbrannt wurde;
Acht gleiche entträufeln ihm in
Jeder neunten Nacht.

22. GERD: Den Ring verlang ich nicht,
Obwohl er mit Odins jungem Sohn verbrannt wurde;
An Gold mangelt es mir nicht
In Gymirs Höfen.

23. SKIRNIR: Siehst du dieses Schwert,
Das geschmeidige, geschmückt mit Runen,
Das ich in meiner Hand halte?
Ich werde dein Haupt von deinem Hals abschlagen,
Wenn du dich verweigerst.

24. GERD: Zwang wird mich niemals veranlassen,
Einen Mann zu nehmen;
Aber ich weiß, daß, wenn du und Gymir miteinander kämpft,
Es ein tapferer Kampf sein wird.

25. SKIRNIR: Siehst du das Schwert,
Das geschmeidige, geschmückt mit Runen,
Es wird den alten Riesen fällen.
Dein Vater ist dem Tode geweiht.

26. Ich schlage dich mit einem Zauberstab,
Denn ich muß dich meinem Willen unterwerfen;
Du sollst dahin kommen,
Wo die Kinder der Menschen dich nicht mehr sehen sollen.

27. Du sollst auf des Adlers Hügel sitzen
Mit deinem Antlitz weg von der Welt gewandt,
Stieren nach der Hel Haus;
Speise sei dir widriger
Als den Menschen die glänzende Schlange.

28. Du sollst ein Scheusal auf der Straße sein;
Hrimnir soll dich anstarren;
Dein Anblick wird alle verwirren;
Besser sollst du bekannt werden
Als der Wächter der Götter,
Da du gierig das Gatter anglotzt.

29. Einsamkeit, Klagen, Zwang und Ungeduld,
Deine Tränen sollen in Qual hervorbrechen;
Sitze nieder, während ich über dich einen Schwall von bitteren Flüchen,
Doppelter Gier und Ekel beschwöre.

30. Du sollst dich vom Morgen bis zum Abend grämen
In den Höfen der Riesen;
Zu der Halle der Frostriesen sollst du täglich wandern
Schutzlos und lahm,
Weinen statt Freude soll dir zuteil werden,
Und du sollst Leiden mit Tränen ertragen.

31. Mit einem dreiköpfigen Thursen sollst du wandern
Oder ohne Mann und Geselle;
Begierde soll dich verbrennen, Sehnsucht dich zerreißen,
Du sollst sein wie die Distel, die unter dem Dachvorsprung wächst.

32. Ich ging zum Wald,
Zum feuchten Weidenholzdickicht,
Die Zauberrute zu finden.
Ich fand die Zauberrute.

33. Gram ist dir Odin,
Gram ist dir Bragi,
Freyr haßt dich ganz und gar;
Unwillige Maid,
Du hast den Zorn der Götter
Von großer Tragweite herausgefordert.

34. Hört ihr Titanen,
Hört ihr Frostriesen,
Söhne Suttungs,1
Und auch ihr, Aesir:
Hört, wie ich verfluche, wie ich banne
Mannesliebe der Maid.

35. Hrimgrimnir heißt der Riese, der dich
Haben soll hinter den Toren des Todes;
Wo Sklaven auf Baumwurzeln
Dir sauren Geißenharn geben sollen;
Ein edlerer Trank sei dir immer versagt, Maid,
Nach deinem Verlangen, nach
Deinem eigenen Entscheid.

36. „Riesin“, ich schneide dir drei Runen-Stäbe:
Machtlosigkeit, Schwachsinn und Wollust.
Dann schneid ich es ab, wie ich es ritzte ein,
Wenn es dessen bedarf.

37. GERD: Heil sei dir nun, Jüngling,
Empfange den festlichen Becher, gefüllt mit altem Met!
Nie hätte ich geträumt, daß ich einmal
Dem Wanen-Sohn gewogen sei.

38. SKIRNIR: Ich möchte alles wissen
Bevor ich reite:
Wann wirst du beim Ting
Dem Sohne Njörds die Ehe versprechen?

39. GERD: Barri heißt das Wäldchen, wo man in Frieden wandelt,
Wie wir beide wissen.
Nach neun Nächten wird dort Gerd ihre
Ehe dem Sohne Njörds versprechen.

Skirnir ritt heim, Freyr stand draußen, grüßte ihn und fragte nach Neuigkeiten.

40. FREYR: Sage mir, Skirnir, ehe du das Roß
Absattelst und einen Schritt tust:
Was hast du erreicht in der Riesen Welt?
Nach deinem oder meinem Wunsch?

41. SKIRNIR: Barri heißt das Wäldchen, wo man in Frieden wandelt,
Wie wir beide wissen.
Nach neun Nächten wird dort Gerd ihre
Ehe dem Sohne Njörds versprechen.

42. FREYR: Lang ist eine Nacht;
Länger zwei;
Wie soll dich dreie überdauern?
Oft scheint ein Monat weniger lang für mich.

Fußnote

Fußnoten

1. Feuer. [back]