Helena Petrovna Blavatsky 

Die Geheimlehre

Die Synthese von Wissenschaft, Religion und Philosophie

Band 1: Kosmogenesis (760 Seiten)
Band 2: Anthropogenesis (922 Seiten)

1.682 Seiten, 23 x 15,8 cm

Leineneinband mit Goldprägung, je 2 Lesebändchen
Band 1: Kosmogenesis (760 Seiten)

Band 2: Anthropogenesis (922 Seiten)

ISBN 978-3-940866-26-4                                  64,80 €

Einleitung

Über 130 Jahre sind seit dem Erscheinen des Werkes The Secret Doctrine im Jahr 1888 vergangen. Die erste deutsche Ausgabe in der Übersetzung von Hartmann/Froebe kam 1899 auf den Markt, 11 Jahre später. Als Vorlage für die Übersetzung wurde die drei Bände plus Index umfassende Ausgabe der Secret Doctrine verwendet, wobei Band 3 und der Indexband nach Blavatskys Tod erschienen waren und somit nicht zur Originalausgabe gehören. Die Hartmann/Froebe-Übersetzung wurde in den nachfolgenden Jahren mehrere Male korrigiert, verändert und nachgedruckt. Nach ca. 1925 H. P. Blavatsky, 1889 erschienene deutsche Fassungen enthalten lediglich Auszüge der Geheimlehre oder stellen Faksimile-Drucke der älteren Übersetzungen dar. Insbesondere Letztere wurden qualitativ mit jeder erneuten Reproduktionsstufe immer schlechter lesbar.

H. P. Blavatsky, 1889

Heute ist Die Geheimlehre das umfassendste Quellenbuch der Esoterischen Tradition, sie umreißt die fundamentalen „Geheimlehren der archaischen Zeitalter”. Herausfordernd und prophetisch zugleich, adressiert sie direkt die Fragen wer wir sind, wo wir herkamen und wohin wir gehen, und auch die Frage nach dem Warum.

Auf der Grundlage der alten Stanzen des Dzyan (mit unterstützenden Zeugnissen aus hunderten von Quellen) entfalten die beiden Bände das Drama der kosmischen und menschlichen Evolution – vom Wiedererwachen der Götter am Ende der „Nacht des Universums” bis zur endgültigen Wiedervereinigung des Kosmos mit seinem göttlichen Ursprung.

Innentitel der Originalausgabe 1888

Ergänzende Kapitel diskutieren sowohl wissenschaftliche Gesichtspunkte als auch die Mysteriensprache der Mythen, Innentitel der Originalausgabe 1888Symbole und Allegorien und unterstützen die LeserInnen dabei, die oftmals abstruse Bildsprache der heiligen Literatur der Welt zu entschlüsseln.

Die hier vorliegende vollständige Neuübersetzung von The Secret Doctrine basiert auf der am 1. November 1888 in London und New York erschienenen englischen Originalausgabe in zwei Bänden. Letztere erschien zuletzt 2014 bei der Theosophical University Press in Pasadena in einem komplett neu gesetzten, mit dem Original zeichengenau übereinstimmenden Druck.

Der Herausgeber ist sich der Tatsache bewusst, dass jede Übersetzung eine Interpretation darstellt und somit nicht umfassend dem Original entsprechen kann, zumal der Originaltext am Ende des 19. Jahrhunderts verfasst wurde und sich die Sprache seither deutlich verändert hat. Auch weist er ausdrücklich darauf hin, dass Blavatsky selbst die europäischen Sprachen für unzureichend hielt, um „gewisse Ideen“ der Geheimlehre zum Ausdruck zu bringen.

Ziel der neuen Übersetzung ist es, die Schönheit und Einheit des Originals so weit wie möglich zu erhalten und es dem Leser so unverändert wie möglich zu präsentieren.

Die Seitenzahlen der amerikanischen Originalausgabe von 1888 sind dem Werk als Marginale beigefügt. Das eröffnet interessierten LeserInnen die Möglichkeit, die online und teilweise auch gedruckt verfügbaren Referenzen bei ihrem Studium zu nutzen. Der Index der Ausgabe aus dem Jahr 1925 wurde aktualisiert und ergänzt.


Auszug aus dem Vorwort der Geheimlehre, Band 1, Seiten 14-24

Es ist unerlässlich, dass der Leser mit den wenigen fundamentalen Vorstellungen vertraut gemacht wird, welche dem gesamten Gedankensystem, zu dessen Beachtung er eingeladen ist, zugrunde liegen und es durchdringen, bevor er mit der Betrachtung der die Basis des vorliegenden Werkes bildenden Stanzen des Buchs Dzyan fortfährt. Es handelt sich nur um eine kleine Anzahl grundlegender Vorstellungen, doch das Verständnis alles Folgenden hängt davon ab, dass sie klar erfasst werden; aus diesem Grund muss die an den Leser gerichtete Bitte, sich zunächst selbst mit ihnen vertraut zu machen, bevor er das eigentliche Werk eingehend prüft, nicht entschuldigt werden.

[am. 14]

Die Geheimlehre stellt drei fundamentale Lehrsätze auf:

(a) Ein allgegenwärtiges, ewiges, grenzenloses und unveränderliches Prinzip, das über jegliche Spekulation erhaben ist, da es die Kraft menschlicher Vorstellung übersteigt und durch jegliche menschliche Ausdrucksweise oder jeden beliebigen menschlichen Vergleich nur verringert werden könnte. Es ist jenseits des Bereichs und der Reichweite des Gedankens – mit den Worten des Mandukya „undenkbar und unaussprechlich“.

Um dem gewöhnlichen Leser diese Ideen klarer zu machen, kann er von dem Postulat ausgehen, dass eine, allem manifestierten, bedingten Sein vorangehende absolute Wirklichkeit existiert. Diese unendliche und ewige Ursache – in der gegenwärtigen europäischen Philosophie andeutungsweise als das „Unbewusste“ und „Unerkennbare“ formuliert – ist die Wurzellose Wurzel von „allem, was war, ist und jemals sein wird“. Sie besitzt natürlich keinerlei Eigenschaften und ist in ihrem Wesen ohne jegliche Beziehung zum manifestierten, endlichen Sein. Sie ist „Sein-heit“ vielmehr als Sein (Sat in Sanskrit) und steht über allem Denken und Spekulieren.

Diese „Sein-heit“ wird in der Geheimlehre unter zwei Aspekten symbolisiert. Auf der einen Seite als absoluter, abstrakter Raum, reine Subjektivität darstellend – die eine Sache, welche das menschliche Gemüt weder aus irgendeiner beliebigen Vorstellung ausschließen noch sich selbst ausdenken kann. Auf der anderen Seite als absolute abstrakte Bewegung, unbedingtes Bewusstsein darstellend. Selbst unsere westlichen Denker haben gezeigt, dass Bewusstsein für uns ohne Veränderung nicht vorstellbar ist, und dass Bewegung am besten mit der Veränderung – ihrem wesentlichen Merkmal – symbolisiert wird. Dieser letztere Aspekt der einen Realität wird auch durch den Ausdruck „der Große Atem“ symbolisiert, ein ausreichend anschauliches Symbol, das keiner weiteren Erläuterung bedarf. So ist denn das erste Axiom der Geheimlehre dieses metaphysische Eine Absolute – Sein-heit –, von endlicher Intelligenz als die theologische Dreieinigkeit symbolisiert.

Es mag für den Schüler dennoch hilfreich sein, wenn hier einige weitere Erklärungen gegeben werden.

Herbert Spencer hat in letzter Zeit seinen Agnostizismus insofern modifiziert als dass er behauptet, dass die Natur der „ersten Ursache“,1 welche der Okkultist mit größerer Logik von der „ursachlosen Ursache“, dem „Ewigen“ und dem „Unerkennbaren“

[am. 15]

ableitet, essenziell der Natur des in uns aufsteigenden Bewusstseins entsprechen könnte: kurz, dass die den Kosmos durchdringende unpersönliche Wirklichkeit das Noumenon des Gedankens ist. Dieser Fortschritt seinerseits bringt ihn sehr nahe heran an die esoterische und vedantische Lehre.2

Parabrahman (die eine Wirklichkeit, das Absolute) ist das Feld absoluten Bewusstseins, jene Essenz also, die außerhalb jeglicher Beziehung zu bedingter Existenz steht und deren bedingtes Symbol die bewusste Existenz ist. Aber sobald wir in Gedanken von dieser (für uns) absoluten Negation fortschreiten, kommt durch den Kontrast von Geist (oder Bewusstsein) und Materie, von Subjekt und Objekt, die Dualität hinzu.

Geist (oder Bewusstsein) und Materie sind jedoch nicht als unabhängige Wirklichkeiten zu betrachten, sondern als die zwei Facetten oder Aspekte des Absoluten (Parabrahman), welche die Grundlage des bedingten Seins bilden, ob subjektiv oder objektiv.

Wenn wir diese metaphysische Triade als die Wurzel betrachten, aus welcher alle Manifestation entspringt, so nimmt der Große Atem den Charakter präkosmischer Ideenbildung an. Er ist der fons et origo der Kraft und allen individuellen Bewusstseins, und sein Beitrag zum gewaltigen Vorhaben der kosmischen Evolution ist die leitende Intelligenz. Andererseits ist präkosmische Wurzelsubstanz (Mulaprakriti) der Aspekt des Absoluten, welcher allen objektiven Ebenen der Natur zugrunde liegt.

Gerade so wie die präkosmische Ideenbildung die Wurzel allen individuellen Bewusstseins ist, stellt die präkosmische Substanz die Grundlage der Materie in den verschiedenen Graden ihrer Differenzierung dar.

Daher ist es offensichtlich, dass der Gegensatz dieser zwei Aspekte des Absoluten für die Existenz des „manifestierten Universums“ essenziell ist. Von der kosmischen Substanz getrennt könnte sich die kosmische Ideenbildung nicht als individuelles Bewusstsein manifestieren, da sich dieses Bewusstsein lediglich mittels eines materiellen Vehikels3 als „Ich bin ich“ manifestieren kann. Eine physische Basis ist notwendig, um einen Strahl des Universalgemüts in einem bestimmten Komplexitätsstadium zu konzentrieren. Nochmals: Von der kosmischen Ideenbildung getrennte kosmische Substanz müsste eine leere Abstraktion bleiben, und das Bewusstsein könnte nicht erscheinen.

[am. 16]

Das „manifestierte Universum“ ist daher von Dualität durchdrungen, die sozusagen die wahre Essenz seiner ex-istenz als „Manifestation“ ist. Aber gerade so wie die einander gegenüberstehenden Pole Subjekt und Objekt, Geist und Materie, nichts anderes als Aspekte der einen Einheit darstellen, in welcher sie zur Synthese gebracht sind, ist es im manifestierten Universum „Jenes“, das Geist mit Materie, Subjekt mit Objekt, verbindet.

Dieses Etwas, der westlichen Spekulation gegenwärtig unbekannt, wird von den Okkultisten Fohat genannt. Es ist die „Brücke“, mittels derer die im „Göttlichen Gedanken“ existierenden „Ideen“ der kosmischen Substanz als die „Naturgesetze“ eingeprägt werden. Fohat ist somit die dynamische Energie der kosmischen Ideenbildung; oder, von der anderen Seite aus betrachtet, ist es das intelligente Medium, die leitende Kraft aller Manifestation, der durch die Dhyan Chohans4 – die Architekten der sichtbaren Welt – übertragene und manifestierte „Göttliche Gedanke“. So entspringt unser Bewusstsein dem Geist oder der kosmischen Ideenbildung; aus der kosmischen Substanz entstehen die verschiedenen Vehikel, in welchen dieses Bewusstsein individualisiert wird und Selbst- oder reflexives Bewusstsein erlangt; und Fohat ist in seinen verschiedenen Manifestationen das geheimnisvolle Band zwischen Gedanke und Materie, das alle Atome zum Leben elektrisierende, beseelende Prinzip.

Die folgende Zusammenfassung wird dem Leser eine klarere Vorstellung erlauben.

(1) Das Absolute; das Parabrahman der Vedantisten oder die eine Wirklichkeit, Sat, die – wie Hegel sagt – zugleich absolutes Sein und Nichtsein ist.

(2) Die erste Manifestation, der unpersönliche und in der Philosophie unmanifestierte Logos, der Vorläufer des „manifestierten“. Dieser ist die „erste Ursache“, das „Unbewusste“ der europäischen Pantheisten.

(3) Geist-Materie, Leben; der „Geist des Universums“, der Purusha und die Prakriti oder der zweite Logos.

(4) Kosmische Ideenbildung, Mahat oder Intelligenz, die universale Weltseele, das kosmische Noumenon der Materie, die Grundlage der intelligenten Wirkungen in und seitens der Natur, auch Maha-Buddhi genannt.

Die eine Wirklichkeit; ihre dualen Aspekte in dem bedingten Universum.

Ferner behauptet die Geheimlehre:
(b) Die Ewigkeit des Universums in toto als eine grenzenlose Ebene, welche periodisch „die Bühne von zahllosen, sich unaufhörlich manifestierenden und wieder verschwindenden Universen“ ist, die „manifestierten Sterne“ und die „Funken der Ewigkeit“ genannt. „Die Ewigkeit des Pilgers“5 ist wie ein Augenzwinkern der Selbst-Existenz (Buch Dzyan).

[am. 17]

„Das Erscheinen und Verschwinden von Welten gleicht den regelmäßigen Gezeiten von Ebbe und Flut.“ (Siehe Teil II, „Tage und Nächte Brahmâs“)

Diese zweite Behauptung der Geheimlehre ist die absolute Universalität des Gesetzes der Periodizität, Fluss und Rückfluss, Ebbe und Flut, von der Naturwissenschaft auf allen Gebieten der Natur beobachtet und registriert. Wechselfolgen wie Tag und Nacht, Leben und Tod, Schlafen und Wachen, stellen eine so allgemeine, so vollkommen universale und ausnahmslose Tatsache dar, dass es leicht nachvollziehbar ist, warum wir in diesem Gesetz eines der absolut fundamentalen Gesetze des Universums erkennen.

Außerdem lehrt die Geheimlehre:

(c) Die fundamentale Identität aller Seelen mit der universalen Oberseele, welche wiederum selbst ein Aspekt der unbekannten Wurzel ist; und die für alle Seelen – jede ein Funke der Letzteren – zwingend erforderliche Pilgerschaft durch den Inkarnationszyklus (oder „Notwendigkeit“) in Übereinstimmung mit dem zyklischen und karmischen Gesetz während der gesamten Zeit. Mit anderen Worten kann keine rein spirituelle Buddhi (Göttliche Seele) eine unabhängige (bewusste) Existenz besitzen, bevor der aus der reinen Essenz des universalen sechsten Prinzips – oder der Oberseele – entsprungene Funke (a) alle elementalen Formen der phänomenalen Welt jenes Manvantaras durchlaufen und (b) Individualität erlangt hat – zuerst durch natürlichen Antrieb und dann durch selbstbewirkte und selbsterdachte Anstrengungen (dabei von seinem Karma geprüft) und so durch sämtliche Intelligenzgrade vom niedersten bis zum höchsten Manas, von Mineral und Pflanze bis zum heiligsten Erzengel (Dhyani-Buddha) emporgestiegen ist. Die zentrale Lehre der Esoterischen Philosophie gesteht dem Menschen keinerlei Privilegien oder besondere Gaben zu, mit Ausnahme jener, die er mittels seines eigenen Egos durch persönliche Anstrengung und Verdienst während einer langen Reihe von Metempsychosen und Reinkarnationen gewonnen hat. Aus diesem Grunde sagen die Hindus, dass das Universum Brahman und Brahmâ ist, denn Brahman ist in jedem Atom des Universums. Sämtliche sechs Prinzipien in der Natur sind das Ergebnis – die unterschiedlich differenzierten Aspekte – des siebten und class=“small-cap“>einen, der einzigen Wirklichkeit im Universum, ob kosmisch oder mikrokosmisch; auf der Ebene der Manifestation und Form werden deshalb auch die Veränderungen (psychisch, spirituell und physisch) des sechsten Prinzips (Brahmâs, des Vehikels von Brahman) in metaphysischer

[am. 18]

Antiphrase als illusorisch und mayavisch betrachtet. Denn obwohl die Wurzel eines jeden Atoms individuell und von jeder Form kollektiv dieses siebte Prinzip oder die eine Realität ist, so ist dies doch in seiner manifestierten phänomenalen und vorübergehenden Erscheinung nichts Besseres als eine flüchtige Illusion unserer Sinne (eine klarere Definition findet sich im Anhang „Götter, Monaden und Atome“ und auch in „Theophania“, „Bodhisattvas und Reinkarnation“ etc. etc.).

In seiner Absolutheit ist das Eine Prinzip in seinen beiden Aspekten (als Parabrahman und Mulaprakriti) geschlechtslos, unbedingt und ewig. Ferner ist seine periodische (manvantarische) Emanation – oder ursprüngliche Ausstrahlung – eins, androgyn und phänomenal endlich. Wenn die Aus­strahlung ihrerseits strahlt, so sind alle ihre Ausstrahlungen ebenfalls androgyn, um in ihren niederen Aspekten zu männlichen und weiblichen Prinzipien zu werden. Nach dem Pralaya – sei es ein größeres oder kleineres (das Letztere belässt die Welten im Satus quo,6 ist es das plastische Akasha, Vater-Mutter, der Geist und die Seele des Ethers oder die Ebene auf der Oberfläche des Kreises, was als Erstes wieder zum aktiven Leben erwacht. Raum wird vor seiner kosmischen Aktivität die „Mutter“ und auf der ersten Stufe des Wiedererwachens Vater-Mutter genannt (siehe Kommentare zur zweiten Stanze). In der Kabbala ist er auch Vater-Mutter-Sohn. Während diese in der östlichen Lehre das siebte Prinzip des manifestierten Universums darstellen oder sein „Atman-Buddhi-Manas“ (Geist, Seele, Intelligenz) – die sich verzweigende und in die sieben kosmischen und sieben menschlichen Prinzipien teilende Triade –, stehen sie in der westlichen Kabbala der christlichen Mystiker für die Triade oder Dreieinigkeit und bei ihren Okkultisten für den männlich-weiblichen Jehovah, Ja-Havah. Darin liegt der ganze Unterschied zwischen der esoterischen und der christlichen Dreieinigkeit. Die Mystiker und die Philosophen, die östlichen und westlichen Pantheisten, synthetisieren ihre prägenetische Dreiheit in der rein göttlichen Abstraktion. Die Orthodoxen vermenschlichen sie. HiranyagarbhaHari und Shankara – die drei Hypostasen des sich manifestierenden „Geistes des höchsten Geistes“ (mit diesem Titel begrüßt Prithivi – die Erde – Vishnu in Gestalt seines ersten Avataras) – sind die rein metaphysischen, abstrakten Qualitäten der Erschaffung, Erhaltung und Zerstörung. Sie sind auch die drei göttlichen Avasthas

[am. 19]

(lit. Hypostasen) dessen, was „mit den erschaffenen Dingen nicht vergeht“ (oder Achyuta, ein Name Vishnus); während der orthodoxe Christ seine persönliche, schöpferische Gottheit in die drei Personen der Dreieinigkeit trennt und keine höhere Gottheit zulässt. Die Letztere ist im Okkultismus das abstrakte Dreieck; bei den Orthodoxen der vollkommene Würfel. Der schöpferische Gott oder die Gesamtheit der Götter werden von östlichen Philosophen als Bhrantidarsanatah betrachtet – „falsches Verständnis“, etwas, was man sich „infolge trügerischer Erscheinungen als eine materielle Form vorstellt“, und es wird so erklärt, dass es in der illusorischen Vorstellung der selbstgefälligen, persönlichen und menschlichen Seele (niederes fünftes Prinzip) entsteht. Das wird in einer neuen Übersetzung des „Vishnu-Purana“ wunderschön ausgedrückt. „Jener Brahmâ besitzt in seiner Gesamtheit essenziell den Aspekt der Prakriti, sowohl evolviert als auch nicht evolviert (Mulaprakriti), und auch den Aspekt des Geistes und den der Zeit. Geist, oh Zweimalgeborener, ist der leitende Aspekt des höchsten Brahman.7 Der nächste Aspekt ist zweifältig – Prakriti, sowohl evolviert als auch nicht evolviert – und ist die Dauer.“ Kronos wird in der orphischen Theogonie auch als ein erschaffener Gott oder Agent dargestellt.

Der heilige Symbolismus stellt das Universum auf dieser Stufe des Wiedererwachens als einen vollkommenen Kreis mit dem (Wurzel-) Punkt in der Mitte dar. Dieses Zeichen war universal, daher finden wir es auch in der Kabbala. Die westliche Kabbala jedoch – jetzt in den Händen christlicher Mystiker – ignoriert es vollständig, obwohl es im „Zohar“ klar gezeigt wird. Diese Sektierer fangen von hinten an, zeigen das Zeichen  als das Symbol des prägenetischen Kosmos und nennen es „die Vereinigung von Rose und Kreuz“, das große Geheimnis der okkulten Erschaffung, daher der Name – Rosenkreuzer !

Wie jedoch anhand eines der wichtigsten und wohlbekanntesten Rosenkreuzersymbole beurteilt werden kann, existiert ein Symbol, das bis jetzt nicht einmal von den modernen Mystikern verstanden wurde. Es ist das des „Pelikans“, der seine Brust aufreißt,

[am. 20]

um seine sieben Jungen zu nähren – der wahre Glaube der Brüder vom Rosenkreuz und direkt aus der östlichen Geheimlehre entstanden. Brahman (Neutrum) wird Kalahansa genannt, was laut den westlichen Orientalisten den ewigen Schwan oder die Gans symbolisiert (siehe dritte Stanze, Kommentar 8); und so nennt man auch Brahmâ, den Schöpfer. Ein großer Irrtum macht sich da bemerkbar; es ist Brahman (Neutrum), auf das als Hansa-Vahana (Er, der den Schwan als sein Vehikel benützt) Bezug genommen werden sollte, und nicht Brahmâ, der Schöpfer, welcher der wirkliche Kalahansa ist, während Brahman (Neutrum) Hamsa und „A-hamsa“ ist, wie im Kommentar erklärt werden wird. Es sollte verstanden werden, dass die Begriffe Brahmâ und Parabrahman hier nicht deshalb verwendet werden, weil sie unserer esoterischen Nomenklatur angehören, sondern lediglich deshalb, weil sie den westlichen Schülern vertrauter sind. Beide sind die perfekten Äquivalente für unsere ein-, drei- und sieben-vokalischen Bezeichnungen, die für das Eine Alles und das Eine „Alles in allem“ stehen.

Das sind die Grundvorstellungen, auf welchen die Geheimlehre beruht.

Es wäre hier fehl am Platz, in irgendeine Verteidigung oder Beweisführung ihrer innewohnenden Plausibilität einzutreten; auch kann ich mich nicht damit aufhalten zu zeigen, wie sie – obwohl allzu oft in irreführendem Gewand – tatsächlich in jedem Denk- oder Philosophiesystem enthalten sind, das den Namen verdient.

Sobald der Leser ein klares Verständnis von ihnen gewonnen und das Licht erkannt hat, das sie auf jedes Problem des Lebens werfen, werden sie in seinen Augen keiner weiteren Rechtfertigung bedürfen, weil ihre Wahrheit ihm so offensichtlich sein wird wie die Sonne am Himmel. Ich gehe daher zum Inhalt der in diesem Band gegebenen Stanzen über und füge einen skizzenhaften Überblick derselben hinzu – in der Hoffnung, dem Schüler die Aufgabe dadurch zu erleichtern, dass ich ihm in wenigen Worten die in den Stanzen enthaltene allgemeine Idee umreiße.

Stanze I. Die in den Stanzen aufgezeichnete Geschichte der kosmischen Evolution ist sozusagen die abstrakte algebraische Formel dieser Evolution. Folglich darf der Schüler nicht erwarten, hier eine Aufzählung aller Entwicklungsstufen und Wandlungen zu finden, die zwischen den ersten Anfängen der „universalen“ Evolution und unserem gegenwärtigen Zustand liegen. Eine solche Aufzählung zu geben wäre ebenso unmöglich wie unverständlich für die Menschen, die nicht einmal die Natur der Existenzebene erfassen können, die sich direkt neben jener Ebene befindet, auf welche ihr Bewusstsein im Augenblick begrenzt ist.

[am. 21]

Die Stanzen geben daher eine abstrakte Formel, die mutatis mutandis auf jegliche Evolution anwendbar ist: auf die unserer winzigen Erde, auf die der Planetenketten, von welchen die Erde eine darstellt, bis zum solaren Universum, zu welchem diese Kette gehört, und so weiter in aufsteigender Reihe, bis der Verstand taumelt und vor Anstrengung erschöpft ist.

Die sieben in diesem Band vorgelegten Stanzen repräsentieren die sieben Glieder dieser abstrakten Formel. Sie beziehen sich auf und beschreiben die sieben großen Abschnitte des Evolutionsprozesses, in den Puranas als die „sieben Schöpfungen“ bezeichnet und in der Bibel als die „Tage“ der Schöpfung.

Die erste Stanze beschreibt den Zustand des einen Alls während des Pralayas, vor dem ersten Aufflackern der wiedererwachenden Manifestation.

Ein kurzes Nachdenken macht klar, dass ein solcher Zustand nur symbolisiert werden kann; ihn zu beschreiben ist unmöglich. Er kann auch nur mithilfe von Negativbegriffen symbolisiert werden, denn da er der Zustand der Absolutheit per se ist, kann er keines jener bestimmten Attribute besitzen, mit deren Hilfe wir Gegenstände mit Positivbegriffen beschreiben. Folglich kann dieser Zustand nur durch die Negativbegriffe aller jener höchst abstrakten Merkmale angedeutet werden, welche die Menschen, eher fühlend als begreifend, an den entferntesten Grenzen ihrer Vorstellungskraft erreichen können.

Das in Stanze II beschriebene Stadium ist für den westlichen Verstand nahezu identisch mit dem in der ersten erwähnten, sodass es eine Abhandlung für sich erfordern würde, eine Vorstellung über den Unterschied zu vermitteln. Daher muss es der Intuition und den höheren Fähigkeiten des Lesers überlassen bleiben, die Bedeutung der verwendeten allegorischen Ausdrücke zu erfassen, so weit es ihm möglich ist. Es muss in der Tat daran erinnert werden, dass alle diese Stanzen vielmehr an die inneren Fähigkeiten appellieren als an das gewöhnliche Verständnis des physischen Gehirns.

Stanze III beschreibt, wie das Universum nach dem Pralaya wieder zum Leben erwacht. Sie vermittelt ein Bild vom Auftauchen der „Monaden“ aus ihrem Zustand der Absorption in dem Einen; das früheste und höchste Stadium in der Entstehung der „Welten“, wobei der Ausdruck Monade gleichermaßen auf das ausgedehnteste Sonnensystem wie auch auf das winzigste Atom angewendet werden kann.

Stanze IV beschreibt die Differenzierung des „Keims“ des Universums in die siebenfache Hierarchie bewusster göttlicher Kräfte, welche die aktiven Manifestationen der einen, höchsten Energie sind. Sie sind die Planer, die Gestalter und schließlich die Schöpfer des gesamten manifestierten Universums, aber ausschließlich in dem Sinn, in welchem der Name „Schöpfer“ verständlich ist; sie prägen und lenken es. Sie sind die intelligenten Wesen, welche die Evolution regulieren und überwachen, indem sie in sich jene Manifestationen des Einen Gesetzes verkörpern, das wir als „die Naturgesetze“ kennen.

Allgemein sind sie als die Dhyan Chohans bekannt, obwohl jede der unterschiedlichen Gruppen in der Geheimlehre ihre eigene Bezeichnung hat.

Die Hindu-Mythologie bezeichnet dieses Evolutionsstadium als die „Erschaffung“ der Götter.

[am. 22]

In Stanze V wird der Vorgang der Weltenbildung beschrieben: erstens diffuse kosmische Materie, dann der feurige „Wirbelwind“, das erste Stadium der Entstehung eines Nebels. Dieser Nebel verdichtet sich und bildet, nachdem er verschiedene Umformungen durchlaufen hat, ein Sonnenuniversum, eine Planetenkette oder einen einzelnen Planeten, wie es der Fall sein mag.

Die darauffolgenden Stadien in der Bildung einer „Welt“ werden in Stanze VI aufgezeigt, welche die Evolution einer solchen Welt bis zu ihrer vierten großen Periode abwärts behandelt, was unserer gegenwärtigen Periode entspricht.

Stanze VII setzt die Geschichte fort, indem sie das Herabsteigen des Lebens bis zum Erscheinen des Menschen beschreibt; und damit schließt der erste Band der Geheimlehre.

Die Entwicklung des „Menschen“ von seinem ersten Erscheinen auf dieser Erde in dieser Runde bis zu unserem gegenwärtigen Status wird das Thema des zweiten Bandes bilden.


  1. Das „Erste“ setzt notwendigerweise etwas voraus, welches das „zuerst Hervorgebrachte“ darstellt, das „Erste in Zeit, Raum und Rang“ – und daher endlich und bedingt ist. Das „Erste“ kann nicht das Absolute sein, denn es ist eine Manifestation. Daher bezeichnet der östliche Okkultismus das abstrakte All als die „ursachlose, eine Ursache“, die „Wurzellose Wurzel“, und beschränkt die „erste Ursache“ auf den Logos in der Bedeutung, die Platon diesem Ausdruck gibt. ↩︎
  2. Siehe T. Subba Rows vier treffliche Vorlesungen über die Bhagavadgita, „Theosophist“, Februar 1886. ↩︎
  3. In Sanskrit „Upadhi“ genannt. ↩︎
  4. Von der christlichen Theologie Erzengel, Seraphim etc. etc. genannt. ↩︎
  5. „Pilger“ ist die Bezeichnung für unsere Monade (die zwei in einem) während ihres Zyklus von Inkarnationen. Sie ist das einzige unsterbliche und ewige Prinzip in uns, weil sie ein unteilbarer Teil des integralen Ganzen ist – des Universalgeistes, aus dem sie hervorgeht und in den sie am Ende des Zyklus absorbiert wird. Wenn gesagt wird, sie emaniere aus dem einen Geist, ist die unbeholfene und inkorrekte Ausdrucksweise auf den Mangel an geeigneten Worten in unserer Sprache zurückzuführen. Die Vedantisten nennen sie Sutratman (Faden-Seele), doch auch ihre Erklärung unterscheidet sich leicht von jener der Okkultisten; die Erläuterung dieses Unterschieds sei jedoch den Vedantisten selbst überlassen. ↩︎
  6. Es sind nicht die physischen Organismen, die während der großen kosmischen oder gar solaren Pralayas im Status quo verbleiben, am allerwenigsten ihre psychischen Prinzipien, sondern lediglich ihre akasischen oder astralen „Fotografien“. Aber während der kleineren Pralayas bleiben die Planeten, einmal von der „Nacht“ ereilt, intakt, obwohl tot, wie ein riesiges Tier – vom Polareis gefangen und darin eingeschlossen – für Zeitalter unverändert. ↩︎
  7. So formuliert Spencer verehrungsvoll das großartige Geheimnis, wobei er dennoch, wie Schopenhauer und von Hartmann, lediglich einen Aspekt der alten esoterischen Philosophen widerspiegelt und daher seine Leser am schwarzen Ufer agnostischer Verzweiflung an Land setzt; „das, was in unveränderlicher Quantität, aber in steter Änderung der Form besteht, unter diesen sinnlichen Erscheinungen, die das Universum uns bietet, ist eine unerkannte und unerkennbare Kraft, die wir im Raum als grenzenlos und in der Zeit als anfang- und endlos anerkennen müssen“. Es ist ausschließlich die kühne Theologie, die das Unendliche zu messen und das Unergründliche und Unerkennbare zu entschleiern versucht, jedoch niemals die Wissenschaft oder die Philosophie. ↩︎