Einmal um die Sonne
Elsa-Brita Titchenell
Die Masken Odins
Elsa-Brita Titchenell
17 – Thrymskvädet
(Der Diebstahl von Thors Hammer)
Hovern Sie über die Hervorgehobenen Begrife um die Glossareinträge zu lesen.
Anmerkungen der Übersetzerin
Vor langer Zeit, bevor die Menschheit Denkvermögen und Verantwortung erlangte, wurde Thors Hammer von dem Riesen Thrym gestohlen. Thors Hammer stellt nicht nur die Zerstörungskraft, sondern auch die Schöpferkraft dar, einschließlich der Zeugungskraft; daher ist Mjölnir das Symbol der Hochzeit. Loki, Agent der Götter und Sprecher für die Riesen, wird von Thor ausgesandt, um den Hammer aufzutreiben. Umgehend borgt Loki Freyjas „Federgestalt“ und macht sich auf den Weg, um das unersetzliche Emblem der Schöpfung ausfindig zu machen. Er kehrt mit der Kunde zurück, daß Thrym tatsächlich Mjölnir gestohlen und tief in der Erde verborgen habe. Als Austausch für seine Rückkehr verlangt der rohe Riese, daß Freyja seine Braut werde. Freyja ist nicht nur der innewohnende Geist der Venus und Freyrs Schwester, die Erdgottheit, sondern stellt auch, wie wir gesehen haben, die höhere Intelligenz unserer Menschheit dar. Sie führt und schützt unsere menschliche Rasse, die ihr Brisinga-Juwel ist.
Als die Göttin Thryms unverschämten Wunsch hörte, schnaubte sie mit einer solchen Vehemenz, daß das wertvolle Schmuckstück zersprang. Tatsächlich, alle Götter, die sich trafen, um sich mit dem Notfall zu befassen, nahmen des Riesen Ultimatum mit Bestürzung auf. Während ihrer Beratung schlug Heimdal vor, daß Thor sich selbst als Freyja in Brautkleidung verkleiden sollte, so daß er selbst sein Eigentum wiedererlangen möge. Seine vergeblichen Proteste wurden von den versammelten Gottheiten zurückgewiesen, und Thor unterwarf sich nur widerwillig der Demütigung, in feine Leinen gekleidet zu werden, und, zwei rundliche Steine auf seiner Brust tragend, reiste er schließlich zu Thryms Halle. Dabei wurde er von Loki, der als eine Brautjungfer gekleidet war, begleitet.
Während der Hochzeitsfeierlichkeiten ist der Riese über den außerordentlichen Appetit und Durst der Braut entsetzt. Nur Lokis Schlagfertigkeit rettet die Situation, als er erklärt, daß Freyja in Erwartung dieses glücklichen Ereignisses lange gefastet habe. Als Thrym sich beugte, um seine Braut zu küssen und dabei ihren Schleier hob, leuchtete der Blitz des Donnergottes grell auf. Thrym taumelte von der Wucht getroffen durch die ganze Halle zurück. Hier intervenierte Loki wieder mit einer Erklärung, die glücklicherweise den Riesen (der offensichtlich ein bißchen einfältig war) befriedigte.
Thrym ordnete an, daß Mjölnir herbeigeholt und auf den Schoß der Braut gelegt werden sollte, um die Hochzeit zu vollziehen. Und so kam es, daß Thors Kraft für den Gott wiederhergestellt wurde, nachdem sie in der materiellen Sphäre durch eine Rasse mißbraucht worden war, die als Menschheit noch nicht zu ihrer Verantwortlichkeit erwacht war. Es mag hier nicht unangebracht sein, anzunehmen, daß unser eigenes hedonistisches Zeitalter anscheinend nicht das erste ist, das schöpferische und zerstörerische Kräfte mißbraucht. Die Kreativität, symbolisiert durch Thors Hammer, kann offensichtlich auf viele Existenzebenen angewandt werden. Sie ist die Kraft, die Leben enthaltende Aktionswirbel in Bewegung setzt, um Formen für Götter, die sie bewohnen können, aufzubauen.
Unsere Erde liefert analoge Beispiele: angefangen von der Vermehrung von Mineralkristallen über die vielen genialen Vorrichtungen, die Pflanzen für die Verbreitung von Sporen und Samen besitzen, über die der Jahreszeit entsprechende Paarung der Tiere bis zur menschlichen Sexualität, erschließt jede Entwicklungsstufe mehr Gelegenheiten als die vorherige für Kreativität. Wir Menschen sind in unserer Kreativität nicht auf die physische Welt begrenzt. Wir erfreuen uns größerer kreativer Freiheit als irgendeine frühere Stufe des Fortschritts: unsere vielseitige Intelligenz und ausschließlich menschliche Intuition sind Tore zu wissenschaftlichen und künstlerischen Welten, zu Bereichen der Inspiration und philosophischen und spirituellen Idealen, die für „die Zwerge in Dwalins Zug“ nicht verfügbar sind. Das verlangt von uns eine hohe Verantwortung für die Herrschaft über unsere Erde und die Naturreiche unterhalb des Menschen, die unserer Führung folgen.
Man sollte erwähnen, daß die theosophische Geschichte aufzeichnet, daß der Planet seit dem Zeitalter, als die kreativen Kräfte von den Räumen der Götter zur Erde kamen, eine sogar dichtere Materialität durchgemacht hat als die vorhergehende, als Thors Hammer gestohlen wurde. Damals war der Planet mit seinem gegenwärtigen Zustand vergleichbar. Wir sind inzwischen sogar weiter abgestiegen und begannen, wieder aufzusteigen. In der Mitte seines Lebens begannen die schwersten Atome der Erde ihre Substanz abzustrahlen, d.h. die Radioaktivität begann. Das geschah vor Millionen von Jahren, obwohl sie erst vor kurzem entdeckt wurde. Der Planet wird fortfahren, seine Materie zu verfeinern (mit Zeitspannen der Konsolidierung, die fortschreitend kürzer werden) bis er schließlich stirbt. Wir befinden uns nach der brahmanischen und theosophischen Chronologie nach dem Nadir oder Wendepunkt, als wir begannen, unsere langsamen Schritte einmal mehr aufwärts in spirituelles Wachstum zu wenden. Die Geschichte von Wölund erzählt, wie es der materiellen Menschheit damals, in des Planeten dunkelster Stunde erging (S. 221–229).
Thrymskvädet
Zornig war Wing-Thor, als er erwachte und seinen Hammer vermißte. Er schüttelte seinen Bart und raufte seine Haare. Sohn-der-Erde tastete um sich, und seine ersten Worte waren:
THOR: Höre, Loki. Was ich zu sagen habe, niemand weiß es, weder auf Erden noch im Himmel: der Hammer ist dem Ásen gestohlen worden. Sie gingen zum Haus der schönen Freyja, und seine ersten Worte waren:
THOR: Leihe mir, Freyja, dein Federhemd, damit ich meinen Hammer finden möge.
FREYJA: Ich würde es dir geben, und wär’ es von Gold. Ich würde es dir geben, und wär’ es aus Silber.
Loki flog, das Federhemd schwirrte: er ließ der Aesir Reich hinter sich, bis er des Riesen Welt erreichte, wo Thrym, der Thursen auf einem hohen Sitz saß und goldene Halsketten für seine Hunde flocht und die Mähnen seiner Rosse strählte.
THRYM: Wie steht’s mit den Aesir? Wie steht’s mit den Elfen? Warum bist du zu der Riesen Welt gekommen?
LOKI: Schlecht steht’s mit den Aesir. Hältst du Hlorridi Hammer verborgen?
THRYM: Ich halte Hlorridis Hammer acht Tagesreisen unter der Erde verborgen; niemand soll ihn zurückholen, er brächte denn Freyja zur Frau mir daher.
Weg flog Loki, das Federhemd schwirrte. Er verließ des Riesen Welt und erreichte der Aesir Reich. Dort traf Thor ihn in der Mitte der Halle, und seine ersten Worte waren:
THOR: Hast du den Auftrag wie auch die Arbeit wohl vollbracht? Laß mich hören die Botschaft aus der Ferne. Sitzend schweift ein Sprecher oft ab; zurückgelehnt mag er leicht lügen.
LOKI: Ich habe die Arbeit und den Auftrag wohl vollbracht: Thrym, der Thursenprinz, hat den Hammer. Niemand soll ihn zurückholen, er brächte denn Freyja ihm zur Frau.
Sie suchten die schöne Freyja auf, und diese Worte sprach er alsbald:
THOR: Schmücke dich, Freyja, mit einem Brautkleid. Wir beide reisen zu der Riesenwelt.
Wild war Freyja. Sie schnaubte vor Wut, so daß die ganze Halle der Götter erbebte. Das Brisingamen [Juwel] wurde zerbrochen.
FREYJA: Ich müßte wahrlich mannstoll sein, wenn ich mit dir zur Riesenwelt gehen würde.
Alle Götter und Göttinnen eilten zur Beratung. Die mächtigen Aesir berieten darüber, wie Hlorridis Hammer zurückgewonnen werden könnte. Da sprach Heimdal, der weiseste der Aesir, der weiser im Vorhersehen war als die Wanir:
HEIMDAL: Laßt uns Thor ein Brautkleid anlegen und ihn das Brisingamen tragen! Laß ihn einen klirrenden Schlüsselbund tragen, ein Frauengewand umwalle seine Knie, auf seiner Brust trage er rundliche Steine und auf seinem Kopf einen bräutlichen Schleier!
THOR: Die Aesir würden mich als unmännlich schelten, legt’ ich das bräutliche Linnen mir an.
LOKI, SOHN DER LÖFÖ1 [LAUFEY]: Schweig Thor! Solche Worte! Bald werden die Riesen sich in Ásgárd niederlassen, wenn du nicht deinen Hammer heimholst.
Sie legten Thor bräutliches Linnen an, dazu das große Brisingamen-Juwel; von seiner Taille baumelten Schlüssel und ein Frauenrock fiel über seine Knie; auf seiner Brust zwei rundliche Steine. Sie umhüllten sein Haupt mit einem teuren Schleier. Da sprach Löfös Sohn:
LOKI: Ich werde als deine Brautjungfer gehen. Wir beide werden zur Riesenwelt reisen.
Sprach der Thursenkönig:
THRYM: Steht auf, ihr Riesen. Bestreut die Bänke. Sie bringen mir Freyja zur Frau, die Tochter Njörds aus Noatun! Bringt mir Kühe mit goldenen Hörnern und rabenschwarze Ochsen zur Freude dieses Riesen; Schätze und Edelsteine habe ich in Hülle und Fülle; Freyja nur fehlt mir noch.
Gegen Abend trafen die Gäste ein; Bier wurde den Riesen gereicht. Sifs Gemahl2 aß allein einen ganzen Ochsen, acht Lachse und alle für die Frauen bestimmten Leckereien; und er trank dazu noch drei Fäßchen Met.
THRYM: Wer sah je eine Frau gieriger schlingen? Nie sah ich eine Braut so gierig schlingen oder ein Mädchen so viel Met trinken.
Zwischen ihnen saß der schlaue Loki, der auf des Riesen Worte erwiderte:
LOKI: Freyja genoß acht Tage lang nichts, so groß war ihr Verlangen nach der Riesenwelt.
Thrym lüftete den Schleier, um die Braut zu küssen, doch er taumelte durch die ganze Halle zurück.
THRYM: Warum sind Freyjas Blicke so grimmig? Ihre Augen brennen wie Feuer.
Zwischen ihnen saß der schlaue Loki, der auf des Riesen Worte erwiderte:
LOKI: Frejya schlief acht Nächte lang nicht mehr, so sehr sehnte sie sich nach der Riesenwelt.
Da trat des Riesen Schwester ein, die sich ein Brautgeschenk erbat.
THRYMS SCHWESTER: Gib mir die rotgoldenen Ringe von deinen Händen, ehe dich verlangt nach meiner Liebe und meiner Gunst.
THRYM: Bringt den Hammer herein, die Braut zu weihen. Legt den Mjölnir in den Schoß der Maid, verbindet unsere Hände mit dem Hochzeitsband.
Da lachte das Herz in Hlorridis Brust, als der Nüchterne den Hammer fühlte. Zuerst schlug er Thrym, den Thursenkönig, dann lähmte er dessen ganze Verwandtschaft. Er schlug auch die alte Schwester des Riesen, die sich ein Brautgeschenk zu erbitten gewagt hatte. Schläge erhielt sie, keine Ringe und Münzen, Hammerschläge statt Schmuck.
So gelangte der Hammer wieder einmal zu Odins Sohn.