Die göttliche Bestimmung des Menschen

Unser Blick in die Vergangenheit macht es etwas leichter, einmal in die Zukunft zu schauen. Wir verstehen, dass unsere Reise ohne Ende ist und daher auch keinen Anfang hat, denn eine Ewigkeit, die nur in eine Richtung reicht, ist undenkbar. Mit dem unvergänglichen Rollen der Zyklen werden wir allmählich zu all dem werden, was die Universen in sich enthalten, unser Bewusstsein wird sich stetig ausweiten, und wir werden immer in Gesellschaft der Götter sein. Sie sind immer in, um und über uns. Da der Schleier, welcher den Glanz verdeckt, aus unserer eigenen Persönlichkeit gewoben ist, können wir die Wolken nur vertreiben, indem wir die Persönlichkeit überwinden. Aber es gibt einen schmalen Pfad, der zum Ziel führt und den alle Religionen mehr oder weniger deutlich beschrieben haben, einen Pfad, den alle Mystiker erkannt haben und der ewig im Licht sein wird.

Manche Menschen glauben, der Pfad, auf dem man das spirituelle Ziel erreicht, sei weit weg hinter den Bergen der Zukunft, fast unerreichbar, während in Wirklichkeit nur eine verhältnismäßig schmale Grenze das gewöhnliche Leben von dem Leben trennt, das der Neophyt oder Chela führt. Der wesentliche Unterschied liegt in der Lebenseinstellung, und nicht im metaphysischen Abstand. Es ist derselbe Unterschied, der zwischen dem Menschen besteht, der der Macht der Versuchung unterliegt und ihr Sklave wird, und jenem Menschen, der der Versuchung erfolgreich widersteht und ihr Meister wird.

Jeder kann den Pfad betreten, wenn sein Wille, seine Hingabe und sein Streben darauf gerichtet sind, für andere eine größere Hilfe zu sein. Das einzige, was ihn daran hindert, diesen so wunderbaren Schritt zu tun, sind seine Überzeugungen, seine psychologischen und mentalen Vorurteile, die ihm ein verzerrtes Bild vermitteln. Wir alle sind Lernende, wir alle haben Illusionen. Selbst die Mahatmas und Adepten haben Illusionen, wenn auch von außerordentlich subtiler und erhabener Art, die sie daran hindern, noch höher zu steigen – und das ist einer der Gründe, warum sie so mitleidsvoll zu jenen sind, die sich bemühen, denselben erhabenen Pfad zu beschreiten, den sie in früheren Zeiten erfolgreich vorangegangen sind.

Der schnellst Weg, diese Illusionen zu überwinden, ist, sie an der Wurzel zu packen; und diese Wurzel ist die Selbstsucht in ihren tausendfachen Formen. Sogar das Verlangen nach Fortschritt, wenn es nur das eigene Ich betrifft, beruht auf Selbstsucht, und diese bringt wiederum ihre eigenen feinen und mächtigen Māyās hervor. Deshalb wird jegliches Erfolgsstreben sich unweigerlich selbst zunichte machen, solange es nicht frei von allem Persönlichen ist, denn der Weg des inneren Wachstums ist Selbstvergessenheit. Er bedeutet, persönlichen Ehrgeiz und Sehnsüchte jeglicher Art aufzugeben, und ein selbstloser und unpersönlicher Diener für alles zu werden, was lebt.

Es muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass der Zweck des echten Okkultismus nicht darin besteht, ‘Schüler zu produzieren’ oder widerspenstiges Menschenmaterial in Individuen umzuwandeln, die nur nach eigenem Fortschritt streben. Unsere unvollkommene menschliche Natur soll vielmehr gebessert werden, damit wir zuerst edle Menschen und schließlich gottgleich werden – im Sinne der überlieferten archaischen Methoden der Unterweisung und der Schulung, wie sie seit Jahrtausenden erkannt und angewandt wurden.

Quelle des Okkultimus, G. DE PURUCKER, I:17-18

Es wäre natürlich töricht, wenn wir uns selbst in die Irre führen würden; die Aufgabe des Menschen – individuell und kollektiv – ist nicht leicht. Aber die mutige Seele erfreut sich an Schwierigkeiten. Diese werden größer, denn sobald die höheren Teile stärker werden, trifft dasselbe auf die niederen zu, da sie alle Teil derselben Natur sind. Wenn wir wachsen wollen, müssen wir Widerstand leisten – bis der ‘Herr des Tempels’ mit starker Hand seine Würde gewinnt und seine Diener in passender Weise gebraucht, anstatt von ihnen gebraucht zu werden. Wenn er das tut und seiner Schar auf dem Weg zu der glorreichen Bestimmung voranschreitet, die uns allen beschieden ist, wird er ein wahrer Titan. Wenn er den siebten Zyklus auf dem Planeten, der seine ‘Mutter’ war, vollendet haben wird, wird die Erde für ihn keine Geheimnisse mehr haben. Sein Geist steht über allen Aufgaben, die sie ihm bot, und sein Mitleid wird die ganze Welt umfassen. Das ist unsere göttliche Bestimmung auf Erden. Aber bedeutet dies das Ende? Es fällt nur der Vorhang, der sich – wenn die Zeit gekommen ist – für die nächste Szene im großartigen Drama, in dem wir die ewigen Schauspieler sind, wieder öffnet.

… Leben ist endlos. Es hat weder Anfang noch Ende; und ein Universum unterscheidet sich im Wesentlichen keineswegs von einem Menschen. Wie könnte es auch, der Mensch stellt doch nur das dar, was das Universum als das Urgesetz verkörpert. Der Mensch ist der Teil, das Universum ist das Ganze.

Schaut hinauf in das violette Gewölbe der Nacht. Betrachtet die Sterne und die Planeten: Jeder von ihnen ist ein Lebensatom im kosmischen Körper, jeder von ihnen ist der organisierte Wohnort einer Vielzahl kleinerer Lebensatome, welche die leuchtenden Körper, die wir sehen, aufbauen. Überdies, jede funkelnde Sonne, die den Himmel schmückt, war zu irgendeiner Zeit ein Mensch oder ein dem Menschen gleichwertiges Wesen, das in gewissem Grade Selbstbewusstsein, intellektuelle Kraft, Bewusstsein, spirituelle Vision und einen Körper besitzt. Die Planeten und die Myriaden von Wesenheiten auf diesen Planeten, die solch einen kosmischen Gott, einen Stern oder eine Sonne umkreisen, sind jetzt die gleichen Wesenheiten, die in längst vergangenen kosmischen Manvantaras die Lebensatome dieser Wesenheit waren. Während sie viele Zeitalter hindurch hinterherzogen, lernten sie alle und schritten voran. Auf dem weiter zurückliegenden Pfade der Evolution waren sie jedoch ihr Führer, ihr Elter, die Quelle ihres Seins.

Durch unsere Handlungen beeinflussen wir ständig das Schicksal der zukünftigen Sonnen und Planeten, denn dann, wenn wir die eingeborenen Kräfte des Gottes im Inneren hervorgebracht haben und zu herrlichen Sonnen geworden sind, die in den kosmischen Tiefen strahlen, werden die Nebel und die Sonnen um uns herum die entwickelten Wesenheiten sein, die jetzt unsere Mitmenschen sind. Infolgedessen werden die karmischen Beziehungen, die wir miteinander auf Erden oder auf anderen Globen unserer Planetenkette oder sonstwo haben, mit Sicherheit ihr Schicksal ebenso beeinflussen wie unser eigenes.

Ja, jeder einzelne von uns wird in weit entfernten Äonen der Zukunft eine Sonne sein, die in den Räumen des Raumes leuchtet. Dies wird dann sein, wenn wir die Gottheit im Innersten unseres Wesens entwickelt haben und wenn diese Gottheit ihrerseits zu noch größeren Höhen fortgeschritten sein wird. Jenseits der Sonne gibt es andere Sonnen, die so hoch stehen, dass sie für uns unsichtbar sind, Sonnen, deren göttlicher Begleiter unsere Sonne ist.

Die Milchstraße, ein vollständiges und in sich abgeschlossenes Universum, ist als Gesamtheit nur eine kosmische Zelle im Körper einer superkosmischen Wesenheit, die ihrerseits wiederum nur eine von anderen unendlichen Größen ihrer Art ist. Das Große enthält das Kleine; das Größere enthält das Große. Alles lebt für und mit allem anderen. Dies ist der Grund, warum Sondersein die ‘große Ketzerei’ genannt wurde. Es ist die große Täuschung, denn es gibt kein Sondersein. Nichts kann für sich allein leben. Jede Wesenheit lebt für alle und das All ist ohne diese eine Wesenheit unvollständig und lebt daher für sie.

Der grenzenlose Raum ist unsere Heimat. Dorthin werden wir gehen, und dort sind wir tatsächlich auch jetzt. Wir sind nicht nur durch unzertrennliche Glieder mit dem wahren Herzen der Unendlichkeit verbunden, sondern wir selbst sind dieses Herz. Dies ist der stille, schmale Pfad, von dem die Philosophen des Altertums lehrten; der Pfad des spirituellen Selbst im Inneren.

– Ebenda, S. 132-133

Schluss

Abschließend müssen wir erwähnen, dass die Lehre von den Zyklen, wie sie in diesem kleinen Buch für Interessenten erklärt wird, keineswegs vollständig abgehandelt ist. Ein weiteres theosophisches Studium, das auf unterschiedlichen Aspekten dieses Themas in den verschiedenen Kapiteln beruht, ist von Interesse, weil die Lehre von den Zyklen die wissenschaftliche, philosophische und religiöse Basis für eine allumfassende Lebensphilosophie bildet. Je tiefer man eindringt, um so deutlicher zeigt sich die mystische und vitale Einheit von Mensch und Natur. In den periodisch wiederkehrenden Verkörperungen wird der Mensch seine inneren Kräfte entwickeln. Schließlich wird er ein Stadium erreichen, das über das menschliche Stadium hinausgeht. Er wird dazu angespornt, weil er Leben um Leben die Folgen seiner früheren Gedanken und Taten erntet, wodurch er seine Kräfte und Möglichkeiten besser anwenden wird.

Jeder Mensch befindet sich als selbstbewusste Einheit an seinem eigenen Platz im allgemeinen Strom der menschlichen Rasse, die sich mit Durchschnittsgeschwindigkeit vorwärts bewegt, um ihr Dasein auf diesem Planeten während der sieben Zeitalter des Erdenlebens zu erfüllen. Aber jeder Mensch hat die Möglichkeit, sich selbst so zu schulen, dass er dem Durchschnittstempo vorauseilt. Das Ergebnis dieser selbstgeleiteten Versuche sehen wir rund um uns, in verschiedenen Abstufungen. Es sind alle diejenigen, die sich über den Durchschnitt erheben, auf welchem Gebiet auch immer – wie Genies, Meister und Heilande. Irgendwann in der Zukunft werden wir in dieser Rasse den ‘Augenblick der Wahl’ erreichen, dessen Ergebnis bestimmen wird, ob wir fortschreiten und die große Planetenrunde auf dem aufsteigenden Bogen vollenden können. Wenn wir ungenügend vorbereitet sind, um mit den Aufwärtssteigenden Schritt halten zu können, werden wir zurückbleiben und auf einer Sandbank der Zeit stranden. Dort müssen wir auf ein nächstes Manvantara warten, um die Evolution mit der langsamen Entfaltung einer neuen Rasse fortzusetzen. Die Sache ist die, dass die göttliche treibende Kraft, die sich überall im Kosmos manifestiert, auf Fortschritt eingestellt ist. Der Mensch als integraler Teil des Universums muss mitgehen, wie lange er auch zögert und sich selbst dadurch Schaden zufügt. Der ‘Zyklus der Notwendigkeit’ ist unvermeidbar. Der Ursprung der Ethik ist also keine von Menschen aufgestellte Regel, sondern eine Wirklichkeit, die mit dem Gewebe des Universums verwoben ist.

Um dem Naturgesetz gerecht zu werden, ist der schließliche ‘Augenblick der Wahl’ nur die Aufrechnung und das Ausgleichen der täglichen Wahl des Menschen zwischen Gut und Böse während seiner vielen Leben, in denen er seinen freien Willen als ein selbstbewusstes Wesen gebraucht hat. Im jetzigen Evolutionsstadium ist der Mensch der Kampfplatz seiner eigenen dualen Natur, die einerseits für selbstsüchtige, persönliche Ambitionen und Wünsche und andererseits für spirituelles Denken und unpersönliches Handeln kämpft. Wir haben alle unsere kleinen Schwächen, die unserer guten Eigenschaften eigentlich unwürdig sind. Der allgemeine Trend unserer dualen Gedanken und Impulse scheint eine automatische Wirkungen auf unser Denken und Empfinden zu haben, weil jeder eine zyklische Wiederholung eigener Art darstellt. Es sind die Elemente unseres selbstgemachten Charakters. Jeder Gedanke und Impuls schöpft aus unserer eigenen Lebenskraft und gewinnt jedesmal an Stärke, wenn er zurückkehrt und ihm freie Hand gewährt wird. Wenn unsere Gedanken und Gefühle kleinmütig und egoistisch sind, wird unsere Reaktion ihre Qualität von Eifersucht, Neid, Wut, Hass, Argwohn, Betrug und so weiter sowohl unsere neuen als auch alten Assoziationen und Zustände färben. Instinktiv bringen wir unseren Charakter zum Ausdruck.

Wenn wir die entgegengesetzten Eigenschaften von Großherzigkeit, Freundlichkeit, Sympathie, Liebe, Vertrauen, Aufrichtigkeit und dergleichen mehr verstärkt haben, kehren auch diese auf ihrer zyklischen Runde zu uns zurück. Unsere dualen Impulse benützen beide den Verstand, um im inneren Streit zwischen dem Gewissen und unseren Wünschen über Gut und Böse zu urteilen. Wenn wir die richtige Entscheidung treffen, verliert unsere niedere Natur an Kraft und die bessere Seite wird gestärkt. Wenn wir diese Möglichkeit erkennen, dass wir – Stufe um Stufe – einen edleren Charakter formen können, ergeben sich auch die Gelegenheiten, die es uns tagtäglich ermöglichen, einen kleinen Schritt vorwärts zu kommen. Diese scheinbar so kleinen Siege vereinen ihre Kraft und bewirken, dass wir den Problemen, die unsere Seele auf eine harte Probe stellen, gewachsen sind. Sogar ein Versagen kann mitunter als Erfolg gelten, denn wenn wir weiterkämpfen, bauen wir an unserer moralischen Kraft und können so zu einer helfenden Kraft werden.

Jeder Tag ist für alle ein Neubeginn, was auch immer in der Vergangenheit geschehen sei. Entfaltung, Fortschritt, ‘Werden’ ist in allem und in jedem ein lebendiger Impuls. Ein äußerlich mühseliges und schwieriges Leben kann ein Zyklus der Gelegenheiten für den inneren Menschen sein, der damit seinen Mut und seine unpersönliche Kraft beweisen kann.

Die Seele kennt nur die Seele; das Netz der Geschehnisse ist die fließende Tracht, in welche sie gekleidet ist.

– Emerson

Der Wert dieser Lehren

Eines der schönsten Dinge im Zusammenhang mit der Theosophie ist die Tatsache, dass ihr Idealismus so konstruktiv und praktisch ist. Auf den ersten Blick könnte es dem Leser schwierig erscheinen, dieses erhabene philosophische System in Verbindung zu unserer gehetzten und kommerzialisierten Gesellschaft zu bringen. Und dennoch gibt es nicht eine einzige theosophische Lehre, nicht einmal die scheinbar am schwersten Verständlichste, die ohne eine innere und praktische Bedeutung für das Denken und Handeln im täglichen Leben der Menschen ist. Wir wollen hier ein Beispiel geben: Könnte es in seiner Auswirkung irgendetwas Praktischeres geben als die Gewissheit, dass wir nach dem Tod weiterleben? Der ethische Einfluss dieser Gewissheit ist offensichtlich enorm, besonders in Zusammenhang mit Reinkarnation und Karma.

Warum fürchten wir den Tod überhaupt? Ist es nicht so, dass wir uns fürchten ‘loszulassen’, unser vertrautes tägliches Bewusstsein aufzugeben? Den Schlaf fürchten wir nicht, denn wir erinnern uns an gestern und wissen, dass der Bewusstseinsverlust nur vorübergehend ist und es morgen wiederhergestellt ist. Aber angesichts des Todes sind wir wie kleine Kinder, die jeden Abend kämpfen, sich wach zu halten und den Augenblick fürchten, in dem sie in unbewussten Schlaf versinken. Erst wenn wir älter werden und mehr Erfahrung haben, wird uns klar, welch gesegneter Freund und Erquicker der tägliche Zyklus des Vergessens im Leben ist.

Derselbe Unterschied in der Entwicklung zwischen dem Kind und dem Erwachsenen in Bezug auf den Schlaf kennzeichnet den Unterschied im Wachstum zwischen unvollkommen entwickelten Menschen, wie wir es sind, und den spirituellen Adepten oder Mahatmas in Bezug auf den Tod. Denn den Tod zu überwinden – also das Bewusstsein ohne Unterbrechung von einem Leben ins andere fortzusetzen – ist einer der größten Erfolge einer wahren okkulten Ausbildung. Und mit einer wahren okkulten Ausbildung meinen wir die wissenschaftliche Anwendung der theosophischen Lehren zur Selbstentfaltung unter der Leitung eines spirituellen Lehrers.

Wir sterben – in dem Sinne, dass wir den Zugriff auf uns selbst verlieren –, denn wir leben jetzt beinahe vollständig in jenem Teil unserer Natur, der sterben muss, im persönlichen und physischen Bewusstsein. Sogar der höchste Gott der inneren spirituellen Welten muss – könnte er einen menschlichen Körper annehmen – früher oder später zum Zeugen von dessen Auflösung werden. Die physische Natur von Jesus, der ein hoher Avatāra war – oder die Manifestation eines Gottes –, musste die Tore physischer Auflösung durchschreiten. „Aber,“ werden Sie sagen, „er ist vom Tode auferstanden.“ Ja, tatsächlich – sowie jeder von uns lernen muss ‘aufzuerstehen’ – „größere Dinge als diese werdet ihr vollbringen“ hat er uns versprochen.

Die ‘Auferstehung’ ist eine Einweihungslehre der alten Mysterienschulen. Diese Schulen existierten im Altertum als ein vitaler Bestandteil aller alten Zivilisationen. Ihr Ziel war, den Menschen über seinen Ursprung, seine Konstitution, die Gesetze und die Bestimmung des Universums zu unterrichten und über seine Beziehungen und Erfahrungen in diesem Universum. In den Tagen von Jesus hatten diese Mysterienschulen schon an Wert verloren, so wie es mit allen Dingen im Laufe der Zeit geschieht. Aber die Wahrheiten, die diese Schulen jahrhundertelang gelehrt hatten, waren so in das mentale und moralische Gewebe der Zivilisationen um das Mittelmeer eingewoben, dass die christlische Kirche sich gezwungen sah, vieles aus der Mysteriensprache und den Zeremonien zu übernehmen, um die Menschen dafür zu interessieren und ihnen die neuen Dogmen begreiflich zu machen. Da man sie jedoch nur teilweise übernahm, wurden sie falsch verstanden, und die Lehren sanken auf ein materielles Niveau ab, wodurch die erhabene Idee der ‘Auferstehung’ des spirituellen Menschen, der seine eigene selbstsüchtige und animalische Natur besiegt, zu der gegenwärtigen, unlogischen Lehre erniedrigt wurde. Die wirkliche Auferstehung nimmt in der Lehre des Okkultismus einen wichtigen Platz ein. Sie bedeutet Einweihung, die letztendliche, glorreiche Vollendung des langen Weges selbstgeleiteter Evolution unter der Führung eines spirituellen Lehrers. Und diese Einweihung ist für jeden bestimmt, der ein solches Leben führen und die Lehre in die Praxis umsetzen möchte. Das Thema Einweihung wird in der theosophischen Literatur ausführlich behandelt. Wir möchten uns hier auf einen Abschnitt beschränken:

Einweihung ist der Weg, durch den der evolutionäre Prozess des Wachstums stark beschleunigt werden kann. Aber ein Mensch muss zunächst die Voraussetzungen dafür erworben haben, er muss gelernt haben und wissen, wie die ‘richtigen Antworten’ zu geben sind. Mit anderen Worten: Er muss für die Einweihung bereit sein, ehe er den Versuch wagen darf, ihre Riten zu durchschreiten. All das umfasst eine sehr ernsthafte Selbstschulung, ein Sehnen, einen ungeheuren Hunger nach Licht und den Besitz eines unbeugsamen Willens vorwärtszugehen, den nichts entmutigen kann. Noch anders ausgedrückt: Es bedeutet das Einswerden eines Menschen mit seiner inneren, höheren Konstitution, mit seinem höheren Teil. Es bedeutet, in diesem und für diesen zu leben und ihn vorherrschen zu lassen – ihn in seinem täglichen Leben aktiv werden zu lassen, statt so, wie es die Massen tun, bloß in Ruhe, in Schläfrigkeit und spirituellem Schlaf zu verharren und sich vom langsamen Strom der Zeit von Mutter Natur gleichgültig auf seiner ruhigen, sich jedoch immer bewegenden Welle dahintreiben zu lassen.

– G. DE PURUCKER, The Esoteric Tradition, S. 1036/37

Es gibt tatsächlich auch eine Art Auferstehung des Körpers:

Wenn die Zeit für die Reinkarnation des Menschen zu physischem Leben wieder anbricht, steigt das sich wiederverkörpernde Ego aus der monadischen Zurückgezogenheit hinab, in der es eine Zeit von unvorstellbarer Ruhe und unvorstellbarem Frieden erlebt hat. Es ‘steigt hinab’ durch dieselben Zwischenebenen oder Welten, durch die es früher, am Ende des vorhergehenden Erdenlebens, emporgestiegen ist; und es nimmt nun möglichst viele der Lebensatome wieder auf, die es während des früheren Aufstiegs zurückgelassen hat und die nun aufgrund von Anziehung … zu dem absteigenden, sich wiederverkörpernden Ego zurückgezogen werden. Diese gradweise Verdichtung oder Materialisierung der inneren Vehikel oder Elemente – von der monadischen oder spirituellen Welt abwärts bis zur physischen Welt – bildet die sieben Teile der Konstitution des Menschen, wie er auf der Erde sein wird. Darum ist also der neue physische Körper des Menschen hier auf dieser unserer physischen, irdischen Ebene aus denselben oder gleichen Lebensatomen zusammengesetzt, in denen das Ego während seiner letzten Inkarnation lebte und durch die es wirkte.

– Ebenda, S. 790

Diese beiden Lehren gehörten zu den Mysterienschulen und wurden in stark abgeänderter und unvollständiger Form von der neuen Religion, dem Christentum, übernommen.

Die Theosophie hat sich das Ziel gesetzt, die alten Mysterienlehren neu zu beleben, die von Kṛishṇa, Lao-tse, Gautama und Jesus auf verschiedene Art gelehrt wurden – verschieden, weil jeder von ihnen zu einem anderen Zeitpunkt und unter einem anderen Volk erschien. Die Theosophie versucht, den alten, mystischen Ruf aus dem Herzen des Universums in den Herzen der Menschen zum Erklingen zu bringen. Es ist der Ruf, der ihn bittet aufzustehen und zum Vater zu gehen, in dessen Tempel des Geistes er jene Kraft und Weisheit finden kann, die ihn über die Illusionen der selbstsüchtigen Persönlichkeit erheben und ihn zum Sieger über den Tod machen wird. Sagte nicht der große Avatāra: „In meines Vaters Haus sind viele Wohnungen“ und „Ich gehe, um einen Platz für dich zu bereiten.“

Diese erhabenen Ideen und Versprechen stehen mit unseren täglichen Erfahrungen in Zusammenhang, weil sie das Ziel der gesamten Menschheit zum Ausdruck bringen. Wir leiden und plagen uns und sterben, weil wir weder uns selbst noch die Elemente verstehen, aus denen wir aufgebaut sind. Wir wissen nicht, warum wir hier sind. Wir verstehen so wenig vom Leben, dass uns unsere eigenen egoistischen Interessen als das Wichtigste erscheinen. Von nahezu allem haben wir falsche Vorstellungen. Wir versuchen jenen Dingen möglichst aus dem Weg zu gehen, die der Ruf der spirituellen Natur im Inneren sind – wie Schmerz, Selbstaufopferung, Leid und Schulung. Wir geben uns stattdessen nur allzu oft der Befriedigung unserer eigenen Wünsche oder der Gleichgültigkeit hin. Und das führt zu mehr Schmerz, mehr Leid und Krankheit und zu all den tieferen Aspekten der persönlichen Sterblichkeit.

Das Ziel des Lebens – wie Katherine Tingley es ausdrückte – liegt darin, „das Sterbliche zum Unsterblichen emporzuheben“. Aber Unsterblichkeit wird uns nicht ohne weiteres zuteil, ebenso wenig wie der Charakter und unser Umfeld. Durch eigene Anstrengung muss man sie verdienen und aufbauen. Das menschliche Selbst muss Unsterblichkeit und sein Recht auf das göttliche Abenteuer erwerben, indem es seine niedere zusammengesetzte Natur in die Einheit und Homogenität des Geistes umwandelt. Dinge, die aus verschiedenen Elementen zusammengesetzt sind – seien sie materieller oder psychologischer Natur – müssen zerfallen, wenn die Energie, die sie zusammenbrachte, erschöpft ist. Aber der Gott im Inneren ist ein reiner Strahl der universalen Einheit und kann sich nicht auflösen oder aufhören zu sein. Wenn der Mensch seine eigene menschliche Natur durch selbstloses Denken und Handeln in die Homogenität des Göttlichen umwandeln kann, wird er sich als unsterblich erkennen, denn so wurde er durch selbstgeleitete Anstrengungen. Er wird ein Meister des Lebens sein.

Involution und Evolution

Wie bereits gesagt IST Evolution in ihrem gewöhnlichen Sinn ein dualer Prozess. Er beinhaltet, dass der Geist oder die Lebenskraft in etwas anderes eintritt, was dadurch wächst. Dieses Wachstum ist Evolution; und der Eintritt dieses Geistes oder dieser Lebenskraft ist die Involution. Die Involution des Geistes in die Materie verursacht somit deren Evolution. Die Involution des Spirituellen in diesem Körper verursacht sein Wachstum. Die Involution des Lebens in einen Organismus verursacht dessen Evolution.

Im normalen Sprachgebrauch wird das Wort ‘Evolution’ also in zwei verschiedenen Bedeutungen angewandt: (1) um den ganzen Prozess zu bezeichnen; (2) um eine Seite des Prozesses zu bezeichnen, dessen andere Seite die Involution ist. Da die doppelte Anwendung des Wortes ‘Evolution’ eine Gewohnheit geworden ist, müssen wir auf der Hut sein. Es ist klar, dass der Geist in die Materie involviert – mit dem Ziel, die Materie allmählich zur Evolution zu bewegen, damit sie mehr und mehr die Eigenschaften des Geistes zum Ausdruck bringt. Die Evolution ist also ein fortschreitender Prozess, der jedoch zyklisch verläuft. Wenn ein Zyklus vollendet ist, beginnt ein neuer auf einer etwas höheren Ebene. Es ist auch klar, dass es auf halbem Wege des Zyklus einen Punkt geben muss, an dem Geist und Materie im Gleichgewicht sind. Der Prozess kann wie ein Kreis dargestellt werden, dessen höchster Punkt als Anfang und Ende betrachtet wird. Der Punkt an der Unterseite – auf halbem Wege, dem Beginn und Ende des Kreises genau gegenüber – steht für ein Evolutionsstadium, in dem die Involution des Geistes in die Materie so weit vorangekommen ist, dass die Eigenschaften von beiden in gleichem Verhältnis zueinander stehen. Bei dieser kreisförmigen Art der Darstellung verläuft die Evolution auf der linken Seite des Kreisbogens abwärts und auf der rechten Seite aufwärts. Die linke Seite des Kreises wird als der absteigende und die rechte Seite als der aufsteigende Bogen bezeichnet. Während des Evolutionsprozesses entlang des absteigenden Bogens erfolgt der Übergang vom Spirituellen zum Materiellen – bis die Grenze der Materialität den niedersten Punkt erreicht hat. Dann beginnt der aufsteigende Bogen – mit dem Übergang vom Materiellen zum Spirituellen. Aber wir müssen im Auge behalten, dass der gesamte Prozess dauernd fortschreitet. Dieselbe Kraft, die verursacht, dass der Geist in die Materie ‘hinabsteigt’, verursacht auch den ‘Aufstieg’ der Materie zum Geist. Das eine Stadium ist eine Fortsetzung des anderen.

In der archaischen Lehre wird die gesamte Manifestationsperiode einer Planetenkette als ein Planeten-Manvantara bezeichnet. Dieses Manvantara wird in sieben Runden unterteilt.1 Auf jedem Globus der Erdkette durchläuft die menschliche Lebenswoge ihre Entwicklung ihrerseits in sieben Wurzelrassen. Wir befinden uns jetzt in der fünften Wurzelrasse der vierten Runde. Da die vierte Runde die mitlere von sieben ist, wird deutlich, dass wir den tiefsten Punkt der Materialisierung ein wenig überschritten haben und uns auf dem aufsteigenden Bogen der Evolution befinden. Wir wenden uns vom Materiellen ab und bewegen uns dem Spirituellen zu. In früheren Wurzelrassen folgte die Menschheit auf dem absteigenden Bogen dem Weg in die Materie; ihr Weg zu Selbstwerdung bestand darin, sich mehr und mehr in der Materie zum Ausdruck zu bringen. Unser jetziger Weg ist jedoch ein anderer, weil wir den Punkt in der Mitte des Kreisumfangs überschritten haben. Wir können also verstehen, dass das, was für die Menschheit in der einen Periode richtig war, in einer anderen Periode verkehrt sein kann. Wenn wir jetzt weiterhin nach dem Materiellen streben, würden wir uns gegen den Lauf der Evolution stellen.

Bis jetzt haben wir über die Involution des Geistes in die Materie und die daraus resultierende Evolution der Materie in spirituellere Formen gesprochen. Diese Aussage diente lediglich der Verdeutlichung. Eine weitere Erklärung ist nötig, denn es könnte scheinen, Geist und Materie wären zwei verschiedene, voneinander unabhängige Dinge; das ist nicht der Fall. Es gibt nur EIN universales Leben, das sich in den beiden Aspekten manifestiert, die wir Geist und Materie nennen. Aber diese beiden Aspekte bestehen nur, weil der eine der Gegenpol des anderen ist. Ein bekanntes Phänomen aus der Physik kann das deutlich machen: Nehmen wir an, dass wir die Eigenschaften einer Flüssigkeit und eines festen Stoffes vergleichen. Wir können die Flüssigkeit ‘Geist’ und den festen Stoff ‘Materie’ nennen. Würden wir ein Gas und eine Flüssigkeit nehmen, so würde das Gas für den ‘Geist’ stehen und im Gegensatz zum Gas die Flüssigkeit die ‘Materie’ repräsentieren. Was also auf der einen Ebene Geist ist, kann auf der darauf folgenden höheren Ebene Materie sein. Geist und Materie sind nicht zwei verschiedene Dinge, sondern nur zwei verschiedene Aspekte ein und derselben Sache. Anstatt zu sagen, dass Geist in die Materie absteigt, ist es deshalb besser zu sagen, dass die eine Essenz allmählich materieller wird und dann später mehr und mehr spirituell – bis der Evolutionszyklus vollendet ist.

Fußnoten

1. Ein Planet besteht nach der theosophischen Tradition aus sieben Globen. Diese Globen werden in sieben Runden jeweils siebenmal von der menschlichen Lebenswoge besucht. D.Ü. [back]

Der praktische Wert von Karma

Die Zukunft ist für viele Menschen unsicher, und man fragt sich, wie man wieder zu normalen Zuständen gelangen kann. Viele sind sich darüber im Klaren, daß sich zuerst die Herzen der Menschen verändern müssen, damit radikale Umgestaltungen von Nutzen sein können.

Die großen Lehrer, von denen zwei die Theosophische Bewegung gründeten, und welche die schwierige Lage voraussahen, sandten ihren Boten, H. P. Blavatsky, damit sie einen Kern universaler Bruderschaft forme. Als notwendige Einleitung hierfür veröffentlichten die Lehrer durch H. P. B. die alten Weisheiten, welche die Grundlage der Ethik sind. Die gängigen Interpretationen der ursprünglichen religiösen Lehren, so wie jede Rasse sie einmal empfing, haben dem Sinn für Gerechtigkeit Gewalt angetan; das tastende Suchen nach der Wahrheit brachte eine große Vielfalt an Sekten hervor, manche gut, andere schlecht, welche die Babylonische Sprachverwirrung übertraf. Nur die alte Weisheitsreligion, die Quelle der großen Religionen und Philosophien aller Zeiten, die Quelle der Künste und Wissenschaften, kann mittels ihrer Universalität und ihres Vermögens, alle Facetten des Denkens zu koordinieren, unserer Welt Harmonie und Gesundheit zurückgeben und die wahre Größe der menschlichen Natur erwecken.

Ein aufrichtiger Glaube an das Gesetz von Karma, bezogen auf das ganze Leben, würde den Charakter unserer Zivilisation schon vollkommen verändern. Diese Aussage mag vielleicht übertrieben klingen, nicht aber für jene, welche die tiefe Bedeutung von Karma verstehen. Es würde eine Erweiterung der gegenwärtigen Lebensanschauung bedeuten, was schon an sich sehr wertvoll wäre. Unsere Vorstellung konzentriert sich auf eine einmalige körperliche Inkarnation, die nicht mehr als ein Augenblick in der Geschichte der Seele ist, und allen Ereignissen in diesem einen Leben wird entweder eine zu große oder eine zu geringe Rolle beigemessen. Der Sinn für Verhältnis und Perspektive ist vollkommen verlorengegangen und kann nur wiedergewonnen werden, wenn der Schleier sich hebt und die unermeßliche Perspektive sichtbar wird. Der gewöhnliche gesunde Menschenverstand würde dann die Fähigkeiten des Urteilens und der Unterscheidung wachrufen, vom Erwachen der spirituellen Natur ganz zu schweigen.

Allmählich würde die Selbstdisziplin wachsen, vielleicht zuerst aus Eigennutz, aber schrittweise würde sie in etwas Größerem aufgehen, bis der Charakter sich radikal verändert hat. Wann immer man zu der Erkenntnis gelangt, daß man Rückschläge sich selbst zuzuschreiben hat, endet das Selbstmitleid und an seine Stelle treten Mut, Willenskraft und Ausdauer. Wenn wir mehr von den Schwierigkeiten und Möglichkeiten der menschlichen Natur verstehen, werden wir uns gegenseitig weniger verurteilen, es wird weniger lieblose Kritik geben und wir werden mehr Freundlichkeit und Geduld für die Versäumnisse anderer aufbringen. Wir alle kennen in unserem Leben das subtile Gift, das uns dazu veranlaßt, andere zu kritisieren, unfreundlich zu beurteilen, ihnen minderwertige Motive zuzuschreiben und so weiter. Und wir wissen auch, wie dadurch viel Freude und Glück im Leben verleidet wird und wie schön hingegen die Atmosphäre ist, wenn statt dessen gesunde Sympathie vorherrscht.

Das Bewußtsein, daß wir die Meister unseres eigenen Schicksals sind, nimmt uns die Furcht davor, daß wir eines Tages durch zufällige Umstände vom Schicksal getroffen werden könnten. Alles, was uns widerfährt gehört zu uns, ist die Folge unseres eigenen Denkens und Handelns in der Vergangenheit. Es ist genau das, was wir brauchen, um über die Mängel und Fehler hinauszuwachsen, welche diese Folgen im Leben hervorriefen. Den Gedanken an eine Strafe, die uns von etwas oder durch jemanden auferlegt wird, müssen wir völlig verbannen. Das bedeutet auch, daß wir uns nicht gegen unser Schicksal wehren sollen, sondern unser Karma akzeptieren oder eine positive Haltung ihm gegenüber einnehmen müssen, damit wir, wie es heißt ‘das Beste daraus machen’, indem wir wissen, daß jede beglichene Rechnung uns zu einem freieren Menschen macht.

Die Menschen, die bequem und gleichgültig sind und wenig Sinn für Verantwortung besitzen, werden, wenn Karma im Denken der Mehrheit der Menschen einen festen Platz eingenommen haben wird, allmählich aufwachen, denn auch sie werden mehr und mehr die kraftspendende mentale Atmosphäre spüren. Wenn die Lehre Karmas allgemeine Anerkennung gefunden haben wird, werden wir nicht länger glauben, irgend etwas umsonst bekommen zu können, oder diejenigen beneiden, die mehr als wir selbst besitzen. Wir werden wissen, daß die Zeit und die aufeinanderfolgenden Zyklen alle Fehler zurechtrücken werden; daß die einzige Möglichkeit, die Schätze des Lebens zu erwerben, darin besteht, sich auf seine Pflicht zu konzentrieren und die Folgen dem Gesetz zu überlassen.

Ein Mensch kann aufgrund der Naturgesetze einfach nicht lange alleine leben; und gerade weil so viele Millionen unverständige und unwissende Menschen das versuchen, gibt es so viel Elend und Unglück in der Welt. Die Geschichte zeigt uns, daß die Größe des Menschen von dem Maße abhängt, in dem er sich selbst vergaß und für die Welt lebte. Dies ist offensichtlich, weil ein großer Mensch ein weites Blickfeld besitzt und sich nicht zufrieden gibt, bevor er nicht das größere Blickfeld betritt. Ein Mensch, der nur für sich selbst lebt, hat eine außerordentlich begrenzte und eingeschränkte Sicht, und nur allzubald sieht er, daß die meisten anderen Menschen dieselbe begrenzte und beschränkte Sicht besitzen. Dadurch entstehen die andauernden Erschütterungen und Konflikte sowie die bedrückenden Schicksalsverwicklungen, die das Herz quälen. Es sind die großen Menschen, die große Dinge anpacken, weil ihre Schau groß ist, und es sind die kleinen Menschen, die aufgrund ihrer Unwissenheit und Torheit und ihrer eingeschränkten Sicht versuchen, sich in einen kleinen Winkel der Selbstheit abzusondern, um dort in unwürdiger Isolierung für sich selbst zu leben. Die Natur wird das nicht lange dulden.

Die Einbildungskraft des Menschen kann durch eine große und herrliche Schau angefeuert werden. Betrachten Sie das Universum um uns herum. Gibt es eine einzige Sonne, ein einziges Atom, das für sich alleine leben kann? Nirgends. Und wenn irgendein einzelnes Element versucht, seinem eigenen selbstsüchtigen Weg zu folgen, stellen sich alle anderen Elemente im Universum dagegen und nach und nach wird es durch den ungeheuren kosmischen Druck gezwungen, in die Ordnung und Harmonie des Universums zurückzukehren. Ein Mensch, der mit der Natur wirkt, der für die Harmonie wirkt, der für Liebe wirkt, für Mitleid und Mitgefühl, für Bruderschaft und Güte, wird erkennen, daß der gesamte evolutionäre Strom der Natur mit ihm ist und für ihn wirkt; und der Mensch, der für Haß wirkt, der für persönlichen Vorteil wirkt, der gegen den Strom schwimmt, der seinen winzigen Willen dem evolvierenden Lebensstrom entgegensetzt, wird den Druck des gesamten und unberechenbaren Gewichts der Natur erleiden.

Es gibt nichts, das einen Menschen intellektuell so lähmt und spirituell so blind werden läßt, wie ein bloßes Beschäftigtsein mit seinen eigenen begrenzten persönlichen Kräften. Darin liegt weder Glück, noch Frieden, noch Weisheit; wenn außerdem ein Mensch diesem Pfade der Beschränktheit folgt, bedeutet das Kampf, es bedeutet Elend, es bedeutet Schmerz und Leiden. Doch ist es … hauptsächlich durch Schmerz, Leid und Elend, den Überdruß an Zank und Streit, daß der Mensch besser lernt und den von der Sonne erleuchteten Weg der Weisheit und des Friedens sucht. Schmerz, Leid und Elend sind daher eigentlich verkleidete Engel; sie sind die Wachstumsschmerzen für zukünftiges Gelingen; die Geburtswehen für kommenden Erfolg. Ihre Schönheit liegt unter Gewändern verborgen, welche Widerwillen wecken; sie sind unsere besten Freunde, weil sie uns auf die spirituellen Kräfte und Fähigkeiten aufmerksam machen, die in latentem und schlafendem Zustand in unserer Seele anwesend sind. Schmerz und Leid stärken unsere moralische Natur. Sie stimulieren unseren Intellekt, rütteln unsere schlafenden und oft kalten Herzen wach und lehren uns Sympathie für andere. Sie machen uns zu wirklichen Menschen.’

– G. DE PURUCKER, The Esoteric Tradition, S. 518-9

Doch während die Natur vorwärtsschreitet und die Räder der Zyklen sich drehen, gibt es einige, die zurückbleiben und ihre Erbschaft aus den Augen verlieren, geblendet von dem Wunsch nach persönlichem Gewinn, von dem Ehrgeiz und der Liebe zur Macht. Daher gibt es heute einige, welche die Gelegenheit zurückweisen, auf welche ihre Seele seit Ewigkeiten gewartet hat. Die Zyklen haben sie und uns an den Punkt früherer Erfolge und früheren Versagens gebracht. Wir und sie sind uns in der Vergangenheit ebenso wie auch in diesem Leben begegnet, und wir werden uns auch in Zukunft wieder treffen. Durch unser heutiges Handeln schaffen wir die Verbindungen, die ihren Fortschritt, ebenso wie unseren eigenen zukünftigen und den der ganzen Menschheit, begünstigen oder ihn beeinträchtigen.

Der kritische Punkt des Zyklus liegt jedoch hinter uns; die schlimmste Feuerprobe ist vorbei; keine Macht im Himmel oder der Hölle kann die aufwärtsführende Entwicklung der Menschheit länger aufhalten. Die Scharen des Lichts siegen bereits.

– KATHERINE TINGLEY, Theosophy: The Path of the Mystic, S. 58-9 (Ausgabe 1977)

Die Lehrer der Menschheit

Nachdem, was bereits gesagt wurde, ist es nicht schwierig zu verstehen, daß bestimmte Menschen der Verwirklichung ihrer inneren göttlichen Natur weit näher gekommen sind als andere – einer Verwirklichung, auf die sich die gesamte menschliche Rasse in ihrer Evolution hinbewegt.

Unter den Fortgeschritteneren befinden sich einzelne, die selbst die besten und intelligentesten Menschen unter uns weit überflügeln. Sie sind die Blüte ihres Zeitalters. Sie sind als Retter, Welten-Lehrer, Weise, Mahatmas, Eingeweihte oder Meister der Weisheit bekannt.

Aus der Geschichte kennen wir einzelne solcher weit fortgeschrittener Menschen wie Gautama Buddha, Jesus, genannt Christus, Pythagoras, Krishna, Lao-Tse und viele andere. Sie gehören zu einer Vereinigung oder Bruderschaft, die seit undenklichen Zeiten existiert, und die immer noch so aktiv ist wie eh und je. In gewissen Intervallen sendet diese Bruderschaft einen Boten aus, um das Wissen der Alten Weisheit über den Menschen und die Natur wachzurufen.

H. P. Blavatsky war einer dieser Boten, durch Studium und Schulung darauf vorbereitet, der Westlichen Welt ein wenig über den erhabenen Orden mitzuteilen und von den notwendigen Vorbedingungen, um ihm beizutreten. In ihrer Stimme der Stille beschreibt sie den steinigen und dornigen Weg, der zu Frieden und Weisheit führt, wo eine große Belohnung gewiß ist – die Macht, der Menschheit zu helfen und ihr zu dienen. Das Geheimnis des Erfolges im ‘Weißen Okkultismus’ heißt: „Zu leben, um der Menschheit zu dienen, ist der erste Schritt. Der zweite ist, die sechs glorreichen Tugenden auszuüben. … So wirst du in Harmonie sein mit allem, was lebt; liebe die Menschen, als wenn sie deine Brüder wären, Schüler des einen Lehrers, die Söhne der einen süßen Mutter.“

Die Adepten, welche die Theosophische Gesellschaft gründeten, stehen immer in engem Kontakt mit dem Boten, der sie in der äußeren Welt vertritt.

Es ist offensichtlich kühn zu behaupten, daß eine derartige Vereinigung von Wächtern der Rasse existiert, die unbekannt ist, außer für wenige; es ist trotzdem wahr, und warum sollte es überraschen, wenn wir klar erkennen, was die Evolution wirklich bedeutet? Warum sollten wir gewöhnlichen Menschen das Höchste darstellen, was die Natur hervorbringen konnte – sie hatte über Millionen von Jahren die Gelegenheit, es besser zu machen – und selbst unter den uns bekannten Völkern und Individuen bestehen enorme Unterschiede. Man vergleiche einen afrikanischen Pygmäen mit einem Einstein. Der hohe Adept ist die seltene Blüte einer Rasse, einer außergewöhnlichen Entwicklung, aber in der Zukunft wird dieser Typus so normal sein wie der durchschnittlich anständige Mensch es heute ist.

Der Osten hat immer von den Adepten gewußt, aber im Westen haben nur die ursprünglichen Rosenkreuzer, die Platoniker des siebzehnten Jahrhunderts und einzelne mystische Philosophen zu verschiedenen Zeiten auf ihr Dasein hingewiesen, bis H. P. Blavatsky kam und sie öffentlich als ihre Lehrer und Inspiratoren erklärte.

Die Adepten sind die Wächter und Beschützer des heiligen Wissens; um dieses unversehrt zu bewahren, können sie sich nicht ungehindert mit der Welt verbinden, sondern müssen abgesondert leben. Da ihre Arbeit großenteils auf inneren Ebenen des Denkens und Handelns geschieht, wäre die Öffentlichkeit für sie kaum von Vorteil, sondern eher von Nachteil; sie wären überall behindert. Sie haben kein Verlangen danach, ihre Existenz einer skeptischen Öffentlichkeit zu beweisen.

Der Weg zur Weisheit öffnet sich jedoch für diejenigen, welche die Menschheit lieben und aus dem reinen Verlangen, ihren Brüdern bei der Suche nach dem Weg zu helfen, ihre persönlichen Wünsche opfern. Sie kennen das Paßwort; sie wissen, wie man richtig anklopft. Die Großen Lehrer suchen immer nach jenen, in denen sie einen Strahl des Christuslichtes oder des buddhischen Glanzes entdecken. Diese werden sie zur rechten Zeit treffen; wie bald, das hängt ganz von ihnen selbst ab. Ob man das Licht empfangen wird, hängt davon ab, wie aufrichtig der Wunsch ist, das Empfangene an andere weiterzugeben. Deshalb gibt es keinen anderen Schlüssel zur Theosophie als Bruderschaft – den Nächsten zu lieben wie sich selbst, das ist der oberste Grundsatz der Theosophischen Gesellschaft.

Einige wohlmeinende Leute sagen, daß wir keine äußeren Helfer oder Lehrer brauchen, weil Erleuchtung aus dem Inneren kommt. Tatsächlich ist das Licht im Innern, aber haben wir es gefunden? Warum sollten wir einen Führer auf dem Wege zurückweisen, auf dem Pfad, den wir betreten möchten?

Nach der Theosophie ist der wahre Lehrer (im Sanskrit Guru) nicht ein Gelehrter, der eine große Menge an Wissen überträgt – das kann ein gutgeschriebenes Buch auch –, er vermittelt vielmehr eine neue Einstellung; er ist buchstäblich ein Führer, der den Weg zeigt. Wir selbst müssen diesen Weg gehen; wir selbst müssen unsere Arbeit tun. Aber auch in den Dingen des täglichen Lebens benötigt der Unerfahrene Hilfe, ehe er allein stehen kann; wieviel mehr bei einer Bemühung, welche die Entschlußkraft, den Mut und die moralische Stärke außerordentlich auf die Probe stellt? Es ist richtig, jedes System zurückzuweisen, das einen leichten Weg verspricht, einen ‘Königsweg’, aber das ist kein Grund dafür, den Rat derer zurückzuweisen, welche den Weg ‘schon vorher gegangen sind’ durch ‘die enge Pforte’ und entlang dem ‘schmalen Pfad, der zum Leben führt’. Sie kennen die Fallgruben am Wege und die richtige Zeit, um zu helfen. Selbst H. P. Blavatsky sagte, sie hätte nie das unsichtbare ‘Ich bin’ in sich gänzlich erwecken können ohne die Leitung eines Meisters. Sie macht das in einem Brief sehr deutlich, der in der Zeitschrift Der Pfad (Band X, S. 367), veröffentlicht wurde.

‘Aber ich bin genug Okkultist, um zu wissen, daß wir, bevor wir den Meister in unserem eigenen Herzen und das siebte Prinzip gefunden haben, einen äußeren Meister brauchen.’

Und weiter:

‘… Mein Meister (der lebende) … ist ein Erretter, der uns anleitet, den Meister in uns selbst zu finden.’

Ist es möglich, mit den Meistern der Weisheit in Berührung zu kommen? Ja, wenn die Bedingungen günstig sind. Die erste Bedingung – unüberwindbar für so viele – ist das Motiv. Ist es Neugierde, wie löblich sie auch immer sein mag, vom gewöhnlichen Standpunkt aus, oder ist es der aufrichtige Wunsch, sich selbst und die Welt, ohne Rücksicht auf den selbstsüchtigen Wunsch nach persönlichem Gewinn, spirituell zu fördern? Ist der Wunsch, anderen zu helfen, größer als der Wunsch, Hilfe zu erhalten? Wenn dem so ist, werden die Meister dir auf halbem Wege entgegenkommen, weil sie immer nach Mitarbeitern für die Armee der unpersönlichen, ergebenen Streiter für das menschliche Wohl suchen. Werde wie sie, und sie werden dich von selbst erkennen. Wie Dr. de Purucker sagt:

‘Ich wiederhole die Worte der großen Seher und Weisen aller Zeiten: Klopft an, und wenn ihr es richtig tut, wird euch aufgetan werden. Fragt, und wenn ihr richtig fragt, selbstvergessen und nur hungrig nach Licht, nach Wahrheit, so werdet ihr empfangen. … Selbstvergessenheit ist das Klopfen, das geheimnisvolle Klopfzeichen an der Türe zum Einweihungsraum im Tempel.’

Questions We All Ask, S. 35, 193

Ein wichtiger Hinweis darauf findet sich in einem Brief von einem Meister (K. H.), der die Theosophische Gesellschaft gründete:

‘… Der Gedanke bewegt sich schneller als der elektrische Strom, und Ihr Denken wird mich finden, wenn es von einem reinen Impuls ausgesandt wird, so wie das meine Ihren Sinn finden wird. … Wie der Bergsteiger von seinen Gipfeln aus jedes Licht in dem dunklen Tal sieht, so wird jeder helle Gedanke, den Sie in Ihrem Geist hegen, funkelnd aufleuchten, mein Bruder, und die Aufmerksamkeit Ihres entfernten Freundes und Korrespondenten auf sich ziehen. Wenn wir so unsere natürlichen Verbündeten in der Schattenwelt entdecken – in Eurer Welt und der unseren außerhalb der Grenzen – und es unser Gesetz ist, uns jedem solchen zu nähern, wenn auch nur der schwächste Schimmer des echten Thatagata-Lichtes in ihm ist –, wieviel leichter ist es dann für Sie, uns anzuziehen.’

The Mahatma Letters to A. P. Sinnett, Brief 45, S. 267-268