Tausend Lichter entzünden
Grace F. Knoche
6 – Vergangene Leben – sich erinnern und vergessen
Die meisten von uns erinnern sich nicht an ihre vergangenen Leben oder was zwischen den Erdenleben geschah. Die griechische Mythologie erzählt uns, dass wir von den Wassern Lethes – Achtlosigkeit, Vergesslichkeit – trinken, was die Erinnerung an unsere Vergangenheit in ausreichendem Maß auslöscht, so dass wir das Erdenleben mit einer sauberen Schiefertafel betreten, auf die wir unsere Gedanken, Emotionen und Taten schreiben, welche die Qualität des künftigen Lebens bestimmen werden. Jeder von uns hat die Zeitalter über sein individuelles Schicksalsbuch geschrieben, und in dieser Inkarnation schreiben wir eine neue Seite oder ein neues Kapitel. Hätten wir ein detailliertes Gedächtnis all dessen, was wir in der Vergangenheit niedergeschrieben haben, oder wüssten wir andererseits ganz genau Bescheid über die Reihe von Ereignissen, die in der Zukunft auftreten könnten, wären wir ernsthaft behindert. Die vollständige Erinnerung an uns – und an andere – wäre eine zu schwere Last.
Wir sind noch nicht weise oder stark genug, um hinauszugehen, ohne von den Wassern des Lethe getrunken zu haben. Wäre das möglich, würden drei Schwierigkeiten auftreten: Erstens wären wir durch vergangene Fehlschläge belastet, denn sie würden wie ein dicker Schal um unseren Hals hängen; zweitens wären wir durch vergangene Erfolge belastet, weil sie aller Wahrscheinlichkeit nach Stolz und Eitelkeit hervorrufen würden; und drittens würden wir uns, wenn wir nichts vergessen hätten, wahrscheinlich auch der Fehler und Erfolge anderer erinnern, und das könnte in der Tat schädlich sein.
Die Menschen haben immer versucht, in die Vergangenheit und Zukunft zu schauen – nach Rat und Einsicht suchend. In alten Tagen suchten die Griechen Rat bei den Orakeln von Delphi, Trophonius, am Olymp und bei anderen Heiligtümern. Wenn das Herz rein und der Verstand geschult war, erweckten die erhaltenen Antworten innere Weisheitsquellen. Welche Kommunikationswege gab es damals zwischen den Göttern und den Menschen? Heute suchen wir – wie damals – Rat, wir suchen nach klärendem Licht auf die drängenden Probleme von Angst und Verzweiflung, die sich in langen Zeiten der Torheit, der Unwissenheit und der Habgier in Form der heutigen Verwirrung über Ideale bei uns niedergeschlagen haben.
Ach, die Wälder sind voll von Scheinorakeln, von angeblichen Priestern und Priesterinnen, welche – die Vereinigung mit dem Göttlichen zur Schau stellend – ihre unheiligen Waren dem Narren und von Emotionen Geblendeten feilbieten. Und doch ist die Verbindung zwischen Gott und Mensch möglich und wird immer möglich sein, denn die Macht, von der geheimen Quelle der Wahrheit zu trinken, ruht im Innern der Seele. Die Kenntnis darüber ist jedoch den Gefährten des Nous, des Erkenners im Innern, vorbehalten – personifiziert durch Mnemosyne, die Göttin der Erinnerungsgabe. Wer ist diese Göttin und welche Funktion hat sie?
Mnemosyne, die Mutter der Musen, ist das Gegenstück von Nous. Ihre Pflicht ist es, Psyche, die Seele, aufzurütteln, um der Wahrheit zu gedenken, so dass sie aufgrund der Erinnerung an ihren göttlichen Ursprung schließlich die Vereinigung mit Nous fordert. Unter den Relikten der orphischen Mysterien, in Gräbern in Kreta und Süditalien entdeckt, finden sich acht kleine und sehr dünne Tafeln aus Blattgold mit fein eingravierten griechischen Buchstaben. Eine dieser in der Nähe von Petelia, in der Umgebung von Strongoli, gefundenen Tafeln erzählt von zwei Quellen nahe am Eingang zur Unterwelt: der Quelle des Lethe oder Vergessens (des Namenlosen) zur Linken, jener von Mnemosyne oder der Erinnerungsgabe zur Rechten:
Einen Urquell sollst du finden zur Linken von Hades' Haus,
Und daneben eine weiße Zypresse stehend.
Diesem Urquell nähere dich nicht.
Doch einen andern sollst du finden am See der Erinnerung,
Kaltes Wasser strömt hervor und Hüter stehen davor.
Sag: „Ein Kind der Erde und des Sternenhimmels bin ich;
Mein Geschlecht jedoch ist des Himmels (allein). Das wisst ihr selbst.
Und siehe, von Durst bin ich verdorrt und ich vergehe. Gebt mir rasch
Vom kalten Wasser, hervorfließend aus dem See der Erinnerung.“
Und von sich aus werden sie dir zu trinken reichen aus dem heiligen Urquell,
Und unter anderen Helden wirst danach du deine Herrschaft bekommen …1
In diesem Hymnus wird der orphische Kandidat davor gewarnt, die Wasser des Lethe zu trinken. In einer anderen Erzählung von Pausanias, einem griechischen Reisenden und Geographen aus dem 2. Jahrhundert, trinkt der Kandidat aus der Quelle des Lethe, um „alles zu vergessen, was er bisher gedacht hat“.2 Danach genießt er die Wasser von Mnemosyne, damit er sich an alles erinnert, was er gesehen und gehört hat, denn Mnemosyne ist die „heilige Quelle“, deren Wasser für die „innerlich und äußerlich Reinen und Gesunden im Handeln und im Herzen sind und die kein schlechtes Gewissen haben“.3
Lange Perioden, vielleicht mehrere Leben, sind nötig, bevor man der Verführung des Lethe vollständig widerstehen kann. Als Hilfe dafür ruft der Kandidat die liebliche Göttin der Erinnerungsgabe an – nicht durch ein leeres Ritual, sondern im unerschütterlichen Glauben, dass Nous schließlich Psyche zur Erinnerung bewegt. Thomas Taylor (1758-1835), ein unermüdlicher Übersetzer griechischer und neuplatonischer Klassiker, veröffentlichte 1787 eine kleine Sammlung orphischer Hymnen, aus denen wir folgende wiedergeben:
An Mnemosyne oder die Göttin der Erinnerungsgabe
Die Gefährtin des göttlichen Jupiter rufe ich an,
Quelle des Heiligen, süß sprechende Neun [Musen];
Befreit von Vergessen gefallenen Denkens,
Wodurch die Seele dem Intellekt ist vereint.
Einsicht wächst und Gedanken gehören zu dir,
Allmächtig, freundlich, wachsam und stark.
Es ist an dir, zu erwachen aus lethargischem Schlaf,
Alle Gedanken ruhend im Innern der Brust;
Nichts versäumend, kraftvoll hervorrufend
Aus nächtlich finst’rem Vergessen das wissende Auge.
Komme, gesegnete Kraft, erwecke mystische Erinnerung
An heilige Riten, und Lethes Fesseln sind gesprengt.4
Es ist bemerkenswert, dass wir im Besitz dieser Zeugnisse einer Weisheit sind, die sich an das Unsterbliche und nicht bloß an das Flüchtige wenden. Mnemosynes Pflicht ist klar: uns mit Stärke und Genauigkeit zu unserem wahren Erbe zu erwecken, auf dass wir bewusst mit der Zeitalter dauernden Aufgabe beginnen, die Bande von selbstzentriertem und auf das Materielle bezogenem Denken zu lockern. Dann können wir – besonnen teilhabend an der Quelle des Vergessens und tief aus den kühlenden Wassern des Sees der Erinnerung trinkend – voller Recht die alte Losung aussprechen:
Ein Kind der Erde und des Sternenhimmels bin ich;
Mein Geschlecht jedoch ist des Himmels (allein).
Nach dem Abstieg in den Hades kehrte der erfolgreiche Kandidat ans Licht zurück, umkleidet von den Strahlen der Dinge, die er sah und in Erinnerung hatte. Damit die unabhängigen Erfahrungen jedes Einzelnen aufgezeichnet werden konnten, wenn sie zum Beispiel beim Aufstieg aus der Grotte des Trophonius noch frisch im Gedächtnis waren, wurde von dem Neu-Geborenen gefordert, „eine Tafel zu stiften, auf der alles aufgezeichnet steht, was jeder gehört oder gesehen hat“.5 So berichtet Pausanias, was er aus persönlicher Erfahrung und auch von anderen gelernt hatte, die sich den heiligen Riten unterzogen hatten.
So viel zu dem kühnen Schüler der alten oder modernen Mysterien. Aber wie steht es mit Ihnen und mir, die wir vielleicht aufrichtige Sehnsucht nach Wissen über ungesehene Dinge empfinden? Die meisten von uns bedürfen jedoch noch des süßen Vergessens von Schlaf und teilweisem Nicht-Bewusstsein, bis wir ausreichend in Selbsterkenntnis, Urteilsvermögen und Mitleid gewachsen sind. So sehr wir auch durch selbstgemachte Bande eingekerkert sein mögen – ein Teil von uns sehnt sich danach, unsere ‘mystische Erinnerung’ an heilige Dinge zu erwecken.
Warum erinnern wir uns nicht an unsere Vergangenheit? Plato gibt uns einen Hinweis darauf in Buch 10 seines Werks Der Staat (§§ 614-21), wo er die Vision des Er erzählt. Eigentlich hatte er keine Vision, sondern er folgte bewusst den Erfahrungen seiner Seele in der Zeit zwischen den Leben. Man glaubte, Er, der Sohn des Armenius, sei getötet worden. Er lag gemeinsam mit anderen Helden auf dem Schlachtfeld, aber nach zehn Tagen, als sein Körper nicht wie die anderen Körper Zeichen der Verwesung aufwies, wurde er zur Beerdigung heimgetragen. Zwei Tage später erwachte Er auf einem Scheiterhaufen, teilte seine Vision der inneren Welten mit und offenbarte, dass die Art der Reise nach dem Tod unter den planetarischen Sphären von der Qualität der Taten eines Menschen während des Lebens hier auf Erden abhängt.
Es gab Öffnungen an der linken Seite, die abwärtsführten, erzählte er, und Öffnungen an der rechten Seite, die aufwärtsführten. Diejenigen, die ‘ungerechte’ Taten begangen hatten, gingen hinunter in die niederen Welten, nicht um für immer Qualen zu erleiden, aber lange genug, um ihre Lektionen zu lernen. Nachdem sie gereinigt waren, stiegen sie aufwärts, um den Seelen der „Gerechten“ zu begegnen, die aus den himmlischen Welten zurückkehrten, wo sie Dinge von großer Schönheit erfahren hatten. Er folgte dem Durchgang der Seelen durch die planetarischen Sphären, und auf ihrer Rückreise zur Erde kamen sie zu den Spinnerinnen des Schicksals, zu den drei Moiren oder Schicksalsgöttinnen: Lachesis, Klotho und Atropos – Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Sie spinnen das Schicksal jeder individuellen Seele, während sie durch ihr Reich zieht. Alle wählen das Los (ihr künftiges Leben) gemäß ihren vorherigen Erfahrungen. Schließlich kamen die Seelen zu der kargen Ebene des Vergessens (Lethe), wo sie verpflichtet waren, seine Wasser zu trinken; aber diejenigen, „die nicht von Weisheit gerettet wurden, tranken mehr als nötig“.
Erklärt das nicht unseren Zustand hier auf Erden? Manche von uns tranken vielleicht zu viel von den Wassern des Vergessens und haben deshalb Schwierigkeiten zu verstehen, was das Leben bedeutet. Und ein anderer Teil von uns mied die Wasser des Lethe, so dass alte Erinnerungen uns immer noch plagen. Fühlen wir nicht mitunter die Regung einer vergessenen Weisheit? Diese Erinnerungen – wie vage sie auch immer sein mögen – führen uns zu den eigentlichen Erfahrungen in diesem Leben, welche uns daran erinnern, wer wir sind, und uns mahnen, auf unser Erbe und unser künftiges Schicksal zu achten.
In welchem Zusammenhang steht das Vergessen vergangener Leben zu der populären Praxis, Menschen rückzuführen – sei es unter Hypnose, Drogen oder durch andere Mittel, so dass der Mensch Erfahrungen ‘wieder erlebt’, die er angeblich in der Kindheit, während des vorgeburtlichen Stadiums oder, wie viele glauben, in einem früheren Leben oder in früheren Leben gemacht hat? Dutzende Bücher, die von Berichten aus ‘früheren Leben’ der rückgeführten Menschen erzählen, wurden in den letzten Jahrzehnten veröffentlicht.
Es soll hier nicht die Möglichkeit abgestritten werden, dass bestimmte ‘Erinnerungen’, die unter Hypnose aufgedeckt werden, zumindest teilweise wahr und hilfreich sein könnten, sofern sie richtig interpretiert werden. Wenn jedem Teil des physischen Gehirns Erinnerungsvermögen innewohnt, wie manche glauben, so ist anzunehmen, dass seine astralen und/oder physischen Zellen in sich den Stempel unserer langen Vergangenheit tragen müssen – wie tief verborgen auch immer. Das Gedächtnis ist flüchtig. Wie viele von uns können sich auch nur die Ereignisse einiger weniger vergangener Jahre im Detail ins Gedächtnis rufen? Und dennoch gibt eine scheinbar zufällige Begebenheit, ein Klang oder Geruch, plötzlich eine Flut von Erinnerungen in unserem Bewusstsein frei.
Die Weisheit der Eingeborenen vieler älterer Völker behauptet gleichermaßen wie die theosophische Lehre, dass unser Denkvermögen bzw. unsere Seele Zugang zu verborgenen Gedächtnis-Reserven aus unserer zeitalterlangen Vergangenheit hat; weiter wird behauptet – was besonders bedeutsam ist –, dass eine lebendige, bewusste Wesenheit das Wachstum ihres zukünftigen Körpers überwacht. Dauerhafter als die unserem physischen Gehirn innewohnende Erinnerung ist jene, die von den inneren Aspekten unseres Wesens bewahrt wird. Obwohl die Erinnerung in den Lebensatomen des astralen Gehirns, dem Modell des physischen Gehirns, beheimat sein kann, haftet sie den Gedächtnis-Zellen des Charakters, dem reinkarnierenden Ego, dauerhafter an.
Die laufende Forschung auf dem Gebiet des pränatalen und neonatalen Bewusstseins gibt Anlass zur Vermutung, dass das Bewusstsein des Fötus sogar während des ersten Drittels neuronale Reaktionen darüber aufzeichnet, was ihm gefällt und was nicht, und dass es auch augenblicklich darauf reagiert, was es hört und ebenso auf unausgesprochene Gedanken und Gefühle beider Elternteile. Obwohl der Fötus als eine lebendige Wesenheit noch nicht in einem Körper wie dem unsrigen beheimatet ist, wird alles, was er erfährt, sowohl im Astrallicht als auch in seinen Gedächtnis-Zellen registriert. Das Neugeborene hat keine offensichtliche Erinnerung daran, aber Studien bestätigen, dass das Bewusstsein des zurückkehrenden Egos sich auf einer weit höher befindet, als früher vermutet.6
Das Mysterium des Gedächtnisses ist tatsächlich groß, und wir wissen sehr wenig über seine Rolle während des Lebens und nach dem Tod. Sogar ohne Rückführung ist es für ein Individuum – wenn es völlig erwacht ist – möglich, die Astral-Atmosphäre der Erde, das Astrallicht, zu ‘schauen’ und Menschen oder Ereignisse flüchtig ‘wieder zu erleben’ oder ‘ins Gedächtnis zu rufen’, die aus seiner eigenen karmischen Vergangenheit herrühren können oder nicht. Was die Rückführung anlangt, ist es ebenso möglich, dass jemand die Gedanken oder Lebenserfahrungen eines anderen Menschen ‘schaut’ oder ‘liest’. Bei so wenig sicherem Wissen auf diesem Gebiet ist es nur richtig, klug zu sein und keine handfesten Behauptungen aufzustellen. Der Vorgang der Rückführung mit oder ohne Hypnose ist für die Reinkarnation weder ein Beweis noch eine Widerlegung.
Es ist bedauerlich, dass die Popularität der Rückführungs-Praktiken zu einer wirren Vorstellung über die Lehre der Reinkarnation geführt hat – hauptsächlich deshalb, weil die Rolle der Persönlichkeit überbetont wird, der Maske, die von der sich wiederverkörpernden Monade getragen wird, wenn sie sich Leben um Leben auf Erden inkarniert. Es ist natürlich, wissen zu wollen, wer wir in unserem letzten Leben waren, aber ein solches Wissen ist zweischneidig. Sich einer Rückführung unter Hypnose zu unterziehen, nur um seinen Wissenshunger darüber zu befriedigen, wer man in einem früheren Leben war, ist moralisch und psychisch fragwürdig. Für dieses Leben reichen dessen Herausforderungen.
Wir können sicher sein, dass – ob in den Astral-Atomen unseres Gehirns oder in den höheren Elementen unserer Konstitution und auch im Astrallicht der Erde – alles, was wir sind, seit wir zum ersten Mal zu denkenden, selbst wählenden Menschen wurden, aufgezeichnet wurde und wird. Das knüpft an Platos Vermutung an, dass die Seele ihr eigenes Gedächtnis hat. In seinen Dialogen, besonders in Meno (§ 81b), spricht er vom Vorgang der Wieder-Erinnerung – nicht ein Erinnern im Sinne von Auswendiglernen, sondern von Sich-Erinnern, von wieder Hervorbringen des Gedächtnisses der Weisheit, welche die Seele früher einmal erlangt hatte. Die Seele, so betont er, hat ein Reservoir an Erfahrungen aus der Vergangenheit, und „wenn jemand tatkräftig ist und nicht schwach wird“ in seinem Bemühen, diese Weisheit ins Gedächtnis zu rufen, sich daran zu erinnern, mag plötzlich, wie ein Blitz, eine Offenbarung kommen, ein Licht, das von innen ins Bewusstsein strömt.
Fußnoten
1. Siehe Jane Harrison, Prolegomena to the Study of the Greek Religion, „Critical Appendix on the Orphic Tablets“, von Prof. Gilbert Murray, S. 659-60. [back]
2. Pausanias: Description of Greece, Übers. W. H. S. Jones, 4:351. [back]
3. Inscriptiones Graecae Insularum Maris Aegaei, 1:789; zitiert von Harold R. Willoughby, Pagan Regeneration: A Study of Mystery Initiations in the Graeco-Roman World, S. 44. [back]
4. Thomas Taylor, The Mystical Hymns of Orpheus: Translated from the Greek, and demonstrated to be the Invocations which were used in the Eleusinian Mysteries, S. 146. [back]
5. Pausanias: Description of Greece, 4:355. [back]
6. Siehe Thomas Verny, m.d., mit John Kelly, The Secret Life of the Unborn Child. [back]
Die Mysterienschulen
Grace F. Knoche
6 – Initiationsgrade
Jedes Land hat seine eigenen Methoden, das Wissen und die Tradition der Mysterien zu erhalten. Die Grade werden unterschiedlich gezählt, manchmal gibt es vier, fünf, sieben oder sogar zehn: Wie auch immer die Unterteilungen sind, während der Tage ihrer Reinheit ehrten sie alle den einen göttlichen Zweck: die spirituelle Hochzeit zwischen dem höheren Selbst und der erwachten menschlichen Seele zu vollziehen; aus dieser Vereinigung entsteht der Seher, der Adept, der Meister des Lebens. Trotz der schweren Auswirkungen der Zeit und der Priesterschaft, und der Verwirrungen, welche durch die Verstrickung der exoterischen Riten in Intrigen und Unwissenheit entstehen, spürt man die heilige Tradition.
In Kleinasien schreibt Theon von Smyrna über fünf Grade im Initiations-Zyklus: (1) „die vorbereitende Reinigung“, weil die Teilnahme an den Mysterien „nicht unterschiedslos allen gewährt werden darf, die sie wünschen“; (2) „die Tradition der heiligen Dinge“, welche die „eigentliche Initiation“ darstellen; (3) die „Offenbarung der Epoptai“, wo der Kandidat die direkte Intuition der Wahrheit erfahren kann; (4) „das Einbinden des Kopfes und das Anbringen der Krone“ – ein klarer Hinweis auf die mystische Autorität, empfangen mit der Krone der Initiation, um die heilige Tradition anderen weiter zu reichen; und schließlich (5) „Freundschaft und innere Vereinigung“ mit der Göttlichkeit – das wurde als das höchste und erhabenste aller Mysterien betrachtet, die vollständige Assimilation der erleuchteten Seele mit dem göttlichen Selbst (siehe Theon von Smyrna, Mathematics Useful for Understanding Plato, S. 8-9; und auch Isis I: xiv-xv, II: 101).
In Persien, während der Zeit des Mithraismus, als der Sonnengott mehr als alle irdischen Dinge verehrt wurde, gab es sieben Grade. Der Kandidat erhielt einen dem Stand seines inneren Wachstums entsprechenden Namen. Unter Verwendung der griechisch-lateinischen Namen, die uns überliefert sind, wurde der Neophyt des ersten Grades Corax, „Rabe“, genannt – der schwarze Vogel, einer, in dem das Licht der Weisheit noch nicht in größerem Ausmaß erweckt worden war. Er bedeutete ebenso einen Diener: jemand, der sein Herz vollständig hingibt, bevor er Zutritt zum zweiten Grad erhält. Dieser wurde Cryphius, „okkult“, genannt: jemand, der als Schüler der esoterischen Lehre angenommen war; der dritte Grad war Miles, „Soldat“, jemand, der ausreichend geschult und gereinigt worden war, um ein Mitarbeiter für das Gute zu werden. Der vierte Grad – Leo, Löwe“, das Zeichen der solaren Kraft, bezieht sich auf die vierte Initiation, bei welcher der Kandidat die bewusste Solarisierung der Natur durch Unterweisung und besondere Übung beginnt (siehe die Kapitel 7 und 8). Der fünfte Grad war bekannt als Perses, „Perser“, und hatte für die Perser der damaligen Zeit die Bedeutung von jemandem, der spirituell menschlich wurde – mānasaputrisiert, also aus dem Denkvermögen geboren. Der sechste, Heliodromos, „Bote oder Läufer von Helios (Sonne)“, ist ein Hinweis auf Merkur oder Budha, als Bote zwischen der Sonne im Kosmos und der Sonne im Menschen: der Blüte von Buddhi. Der siebte und letzte Grad wurde Pater, „Vater“, genannt, der Zustand eines Vollkommen Initiierten (siehe The Ancient Mysteries, A Sourcebook, Marvin W. Meyer, Herausgeber, S. 200-1; auch ET II: 864).
Auch die Hindus hatten verschiedene Namen für ihre Schüler, wenn sie von einem Grad zum nächsten übergingen. In einer Schule zum Beispiel erhielten die Kandidaten die Namen der zehn Avatāras von Vishṇu. Der Neophyt des ersten Grades wurde Matsya, „Fisch“, genannt: ein in der Skala der spirituellen Meisterschaft noch niedrig stehender. Der zweite war Kūrma, „Schildkröte“: eine Stufe höher in der evolutionären Entwicklung. Der dritte Grad wurde Varāha, „Eber“, genannt, ein weiterer Fortschritt der Individualisierung, während der vierte Grad Nara-Simha, „Löwen-Mann“, genannt wurde. Dieser vierte Zustand bezeichnet den Wendepunkt zwischen den vorbereitenden Graden der Kleineren Mysterien und den fortgeschrittenen Graden der Großen Mysterien. Dieser Titel des Löwen-Mann deutet auf die Wahl hin, die von dem Aspiranten verlangt wurde – zwischen der Herrschaft der Eigenschaften der animalischen Seele und der Vorherrschaft – von nun ab – der wahrhaft menschlichen Attribute. Erfolg im vierten Grad sicherte den Zutritt zum fünften Grad mit dem Namen Vāmana, „Zwerg“, bei dem der Kandidat das Gewand des okkulten Menschseins annahm, obwohl solches Menschsein immer noch kindlich war, im Vergleich zur vollständigen Meisterschaft. Paraśu-Rāma, „Rāma mit einer Axt“, der Name für den Neophyten des sechsten Grades, bezeichnet jemanden, der fähig ist, sich seinen Weg durch die Welten von Geist und Materie mit Gleichmut zu bahnen. Im siebten Grad wird der Schüler vollständig vermenschlicht und erhält den Namen Rāma, Held des Rāmāyana, ein wichtiges Epos aus Hindustan.
Die letzten drei Grade, der achte, neunte und zehnte, heißen demgemäß: Krishna, der Avatāra, dessen Tod das Kali Yuga vor ungefähr 5000 Jahren einleitete; Buddha, dessen Entsagung von Nirvana einer leidbedrückten Welt Licht und Frieden brachte; und der letzte und zehnte Grad, Kalkin oder Kalkī, der „Weißes-Pferd“-Avatāra, der noch kommen wird. Wie es im Vishṇu Purāna (Buch IV, Kap. xxiv) heißt, soll er am Ende des Kali Yuga oder des Eisernen Zeitalters erscheinen, auf einem weißen Pferd reitend, mit gezogenem Schwert, das wie ein Komet funkelt, zur Zerstörung des Bösen, der Erneuerung der Schöpfung und der Wiederherstellung der Reinheit. In der alten Symbologie versinnbildlichte das Pferd auch die Sonne, daher wird der zehnte Avatāra, umkleidet mit der Sonne der spirituellen Erleuchtung, auf einem Hengst aus solarem Glanz reitend erscheinen, um das Neue Zeitalter einzuleiten. 1
Während in den Mysterien gewöhnlich sieben Grade aufgezählt wurden, gab es Hinweise auf drei höhere als den siebten. Aber sie wären so esoterisch, dass nur die Spirituellsten der Menschheit sie verstehen und dann diese göttlichen Initiationen unternehmen könnten.
In der Tat sind jene selten, die einem Avatāra ähnlich werden; und noch seltener – so selten wie die Blüten des Udumbara-Baumes – sind die Buddhas. Was den zehnten und letzten betrifft – er wird nicht durch Beschreibungen befleckt.
Fußnoten
1. Siehe John Dowson, A Classical Dictionary of Hindu Mythology and Religion, Geography, History, and Literature, 6. Ausgabe, S. 38; auch H. P. Blavatsky, Theosophical Glossary, S. 170. [back]