Tausend Lichter entzünden
Grace F. Knoche
14 – H. P. Blavatsky und Die Theosophische Gesellschaft
Die Herausgabe der Geheimlehre engl. Originaltitel: The Secret Doctrine] von HPB im Jahr 1888 stellte für die anerkannten Meinungen der Theologen und Wissenschaftler eine Herausforderung dar; sie gab dem Denken des 20. Jahrhunderts deutlich eine neue Richtung. Hier fand sich eine Weltanschauung, die den Lebenszyklus von Galaxien und Atomen für einen Teil desselben Evolutionsprozesses darstellte, welcher die menschliche Seele wieder und wieder zum Erdenleben zurückführt.
Wer war HPB und was ist Die Theosophische Gesellschaft, die sie gründen half? Helena Petrovna Blavatsky (geborene von Hahn) wurde in der Ukraine in Ekaterinoslav (Dnepropetrovsk) am Fluss Dnieper am 12. August 1831 (31. Juli nach dem alten russischen Kalender) geboren. Ihr Vater, Hauptmann der Artillerie Peter Alexeyevich von Hahn, war ein Nachkomme der Grafen Hahn von Rottenstern-Hahn, einer alten Mecklenburger Familie aus Deutschland, und ihre Mutter, Helena Andreyevna, Tochter des Geheimrats A. M. de Fadeyev und der Prinzessin Helena Pavlovna Dolgorukova, war eine begabte Roman-Schriftstellerin, die ihre Stimme gegen Unterdrückung, besonders von Frauen, erhob. Die meiste Zeit während ihres kurzen Lebens litt sie unter schlechter Gesundheit, sie starb im Alter von 29 Jahren. Helena, die damals 11 Jahre alt war, verließ zusammen mit ihrer Schwester Vera und dem kleinen Bruder Leonid Odessa, um bei ihren Großeltern mütterlicherseits, den Fadeyevs, in Saratov und später in Tiflis im Kaukasus zu leben.
Madame de Fadeyev war eine Frau von seltener Weisheit und Gelehrsamkeit, eine in ganz Europa anerkannte Botanikerin, versiert in Geschichte und Naturwissenschaften inklusive Archäologie. Ihre ungewöhnlichen Begabungen des Denkens und des Geistes und dazu eine umfangreiche Bibliothek im Haus Fadeyev nährten und bestärkten Helenas Entscheidung, die Wahrheit für sich zu finden – ungeachtet allen Risikos. Nach einer lediglich auf dem Papier geschlossenen Ehe mit Nikifor Blavatsky im Jahr 1849 lief Helena nach drei Monaten davon und gewann die Freiheit, nach der sie sich sehnte. Dann begannen Jahre scheinbar ruheloser Wanderungen und Reisen über den gesamten Globus, Begegnungen mit den Weisen und weniger Weisen auf jedem Kontinent. Begierig suchte sie den Ariadnefaden, der sie zu jenen Lehrern und Lebenserfahrungen führen würde, die ihre Intuition schärfen und ihr Mitleid vergrößern sollten.1
Während dieser Periode wurde HPB darauf geschult und vorbereitet, eine spirituelle Bewegung zu führen, die den Baum der Orthodoxie in seinen Wurzeln erschüttern und gleichzeitig die öffentliche Aufmerksamkeit auf die Früchte des Lebensbaums richten sollte, die von allen ernsthaften Suchern gewonnen werden können, sofern sie gewillt und bereit sind, sich der erforderlichen Disziplin zu unterziehen.
HPB war 1873 in Paris, als ihre Lehrer sie anwiesen, nach Amerika zu reisen und ihre Arbeit zu beginnen. Sie brach sofort auf und kam am 7. Juli in New York City an. Im Oktober des folgenden Jahres traf sie Henry Steel Olcott, der vom Daily Graphic zu dem Anwesen der Familie Eddy in Vermont geschickt worden war, um die Phänomene zu untersuchen, die laut den Berichten dort auftraten. Die beiden sollten bei der Gründung und Entwicklung Der Theosophischen Gesellschaft eng zusammenarbeiten.
Genau zwei Jahre nach der Ankunft in Amerika erhielt HPB weitere Anweisungen, wie sie im ersten ihrer ‘Notizbücher’ niederschrieb:
Anweisungen erhalten aus Indien direkt, eine philosophisch-religiöse Gesellschaft zu gründen & einen Namen dafür auszusuchen – auch Olcott auszuwählen. Juli 1875.2
So geschah es, dass am 7. September 1875 HPB in ihrem Wohnsitz in New York City eine kleine Gruppe von Spiritualisten, Kabbalisten, Ärzten und Rechtsanwälten empfing – alle von der ‘okkulten’ oder verborgenen Seite der Natur fasziniert –, um einen Vortrag von George Henry Felt über „The Lost Canon of Proportion of the Egyptians“ [Der verlorene Kanon der Proportionen bei den Ägyptern, d. Ü.] zu hören. Im Verlauf des Abends wurde die Bildung einer Gesellschaft für diese Art der Studien vorgeschlagen. Die ungefähr 16 Teilnehmer, die beitreten wollten, trafen sich an den darauf folgenden Abenden, um ihre Absicht zu konkretisieren. Bis zum 30. Oktober hatte man sich über eine Präambel und über Richtlinien der Ziele der Gesellschaft geeinigt und sie gedruckt: „Ein Wissen über die das Universum leitenden Gesetze zu sammeln und zu verbreiten.“ Am 17. November 1875 wurde während der Eröffnungsversammlung in der Mott Memorial Hall in New York Die Theosophische Gesellschaft mit einer Ansprache des Gründer-Präsidenten, Henry S. Olcott, vorgestellt. Man hatte den Namen „Theosophie“ gewählt, weil er am besten jenes philosophisch-religiöse System beschreibt, welches sich das Göttliche so vorstellt, dass es aus sich selbst in einer Reihe von Fortschritten emaniert, und welches auch der menschlichen Seele unterstellt, eine mystische und spirituelle Erleuchtung erlangen zu können. Das Ideal der Bruderschaft wurde nicht explizit dargelegt, war jedoch implizit in der Präambel enthalten, die bekräftigte, dass die Mitgliedschaft allen offenstand – unabhängig von Rasse, Geschlecht oder Glaube.
Im Jahr 1875 war Die Theosophische Gesellschaft eine völlig unbekannte Unternehmung. Niemand – außer vielleicht denjenigen, die hinter der Bewegung standen – erkannte, welche weitreichende Wirkung jene wenigen Menschen haben würden, die eine Körperschaft zu bilden wagten, welche die inneren Gesetze, die das äußere physische Universum in Gang setzen und halten, ernsthaft untersuchen wollte. Während die Aufnahme der von ihr dargelegten Lehren für jene Zeit bemerkenswert war, war HPB dennoch mit heftiger Gegenwehr von Gelehrten, Wissenschaftlern und Theologen konfrontiert, ganz zu schweigen von der öffentlichen Presse. Für viele war sie eine Bilderstürmerin unbegreiflichen Ausmaßes – hier war eine Frau von furchtloser Entschlossenheit, die jede heilige Kuh schlachtete, nicht nur in ihrem umfangreichen zweibändigen Werk Isis entschleiert (1877), sondern auch in einer Flut von Zeitungs- und Zeitschriftenartikeln. Sie konnten nicht glauben, dass sie nicht darauf aus war, die lebendige Botschaft der Religionslehrer der Welt oder die von der Wissenschaft bewiesenen Fakten zu zerstören. Im Gegenteil – ihr Ziel war einfach und direkt: sich gegen alles von buchstabengläubiger und heuchlerischer Natur zu wehren, während sie gleichzeitig die Fenster verschlossener Gemüter für die belebenden Brisen unabhängigen Denkens und einer Philosophie von kosmischer Dimension weit öffnete.
Um besser einzuschätzen, wer Helena Blavatsky war, müssen wir sie als eine Botschafterin ansehen, als die Sprecherin für diejenigen, die weiser sind als sie und Mitglieder einer Bruderschaft von Wächtern und Beschützern der Menschheit, welche die Wahrheiten über den spirituellen Ursprung und das Schicksal des Menschen treuhänderisch verwalten – Wahrheiten, die herausgegeben werden, wenn der Ruf aus den Herzen der Männer und Frauen laut genug ist, um ein weiteres Entschleiern der verborgenen Lehren der Natur zu bewirken. Vor 1875 war sich die westliche Welt kaum bewusst, dass fortgeschrittene Menschen existieren – trotz der Tatsache, dass in Indien, Tibet, China und dem Nahen Osten Legende und Schrift Zeugnis ablegen von einer Gemeinschaft von Weisen, die von Zeit zu Zeit aus ihren Reihen einen aussenden, um unter diesem oder jenem Volk zu leben. Würdig zu werden, von einem Guru oder Lehrer unterrichtet zu werden, wurde als das höchste spirituelle Geschenk angesehen, und so mancher Aspirant für Chelaschaft bemühte sich jahrelang ohne ein Zeichen von Anerkennung, um sich durch Reinigung und Selbstverleugnung darauf vorzubereiten, zur Schulung angenommen zu werden. All das war, was die Geisteshaltung und Praxis betrifft, typisch östlich.
Mit der Ankunft HPBs in Amerika änderte sich dann alles. Der Zyklus war offensichtlich reif für die Mahatmas (verschiedentlich als Adepten, Meister oder Brüder bezeichnet), um sich und ihre spiritualisierende Arbeit der Menschheit allgemein besser verständlich zu machen. Die Theosophische Gesellschaft wurde von zwei Mahatmas inspiriert, deren Oberhäupter überall auf dem Globus beinahe ein Jahrhundert lang gesucht hatten, bis sie jemanden fanden, der geschult werden konnte, um die Lehren zu empfangen und weiterzugeben; und der außerdem das Karma tragen konnte und wollte, eine tief in den Stolz materieller Errungenschaften verstrickte Welt zu erleuchten.3 Diese beiden, später als M und KH bekannt, wandten sich an ihr Oberhaupt und sagten: Wir wollen es versuchen und sehen, ob wir nicht ein Zentrum der Bemühung zustande bringen und einige wenige Individuen inspirieren können, die für die Erleuchtung der Menschheit arbeiten möchten. Das Oberhaupt hatte Zweifel, willigte jedoch in den Versuch ein. Sie suchten nicht nach vollkommenen Menschen. Hätten sie gewartet, bis HPB, Olcott, Judge und andere, die helfen wollten, vollkommen wären, wäre Die Theosophische Gesellschaft vielleicht nie gegründet worden. Das Wunder daran ist, dass jene frühen Theosophen den Mut aufbrachten, ein Ideal zu unterstützen, das scheinbar nicht realisierbar war: einen Kern von Männern und Frauen zu gründen, die ihre edelsten Energien geben, um das Ideal der universalen Bruderschaft zu fördern.
Fast unmittelbar nach der öffentlichen Bekanntgabe ihrer Existenz wurden Meister und Adepten unter verschiedenen Initialen und Namen das Gesprächsthema von Theosophen und ihren Zeitgenossen. Unvermeidlich wollten Menschen, die wenig oder keine Ahnung davon hatten, was Schülerschaft mit sich bringt, persönlichen Kontakt mit den Brüdern. Für viele war das eine natürliche und spontane Gefühlsäußerung von Liebe und Wertschätzung für jene großen Wesen, die all das verkörperten, wonach sie strebten. Einige wollten zweifellos nur etwas Besonderes sein. Andere reagierten mit Verachtung und Spott; sie erkannten kaum, welch tiefes Mitleid diese Freunde der Menschheit bewegte. HPB bedauerte mit der Zeit, jemals zugelassen zu haben, dass „Phänomene und die Meister“ allgemein bekannt wurden (Blavatsky Letters, S. 97). Nach verhältnismäßig wenigen Jahren zogen sich die Meister vom äußeren Kontakt mit der Gesellschaft zurück, hielten jedoch den inneren Kontakt mit HPB und mit dem Herzen der Bewegung aufrecht, um die leitende Inspiration für folgende Generationen von Suchern zu bleiben.
Heute rückt das Thema der Mahatmas und ihres direkten oder indirekten Einflusses auf Individuen oder Gruppen und die Menschheit als Ganzes wieder in den Vordergrund. Viele Theosophen ziehen es vor, so wenig wie möglich über die Meister und Śambhala zu sagen, um nicht weiter das zu entweihen, was unaussprechlich heilig ist, obwohl sie eindeutig HPB und ihre Lehrer als die Quelle der Theosophie und ihrer Ideale anerkennen.
Sicherlich stehen die Meister hinter jeder wirklich selbstlosen Bemühung, der Menschheit die Last der Sorge und Unwissenheit zu erleichtern, und die theosophische Bewegung ist nicht die einzige Quelle der Bruderschaft für ‘Bausteine’. „Die Sonne der Theosophie muss für alle scheinen, nicht nur für einen Teil“, schrieb M an A. P. Sinnett zu Beginn des Jahres 1882. „An dieser Bewegung liegt mehr, als Sie bisher auch nur geahnt haben, und die Arbeit der T. G. ist mit ähnlicher Arbeit verbunden, wie sie geheim in allen Teilen der Welt vor sich geht … Sie kennen KH und mich – genug davon! Wissen Sie irgendetwas von der ganzen Bruderschaft und ihren Verzweigungen?“ Und M erinnert Sinnett daran, dass er „jetzt schon unsere Methode kennen sollte. Wir raten – wir befehlen niemals. Aber wir beeinflussen Einzelne“.4 Es ist nicht an uns, Zäune um die Meister herum zu errichten, nicht einmal in Gedanken, und – ob bewusst oder unbewusst – zu versuchen, darüber zu entscheiden, was ihre Arbeit ist und was nicht und wie oder wen sie inspirieren oder beeinflussen werden. Ebenso müssen wir sorgfältig darauf achten, niemanden voreilig zu verurteilen und ihn automatisch als einen Heuchler zu bezeichnen, weil er erklärt, das ‘Sprachrohr der Mahatmas’ zu sein oder ‘Botschaften’ von Morya, Koothoomi oder Djual Khool zu empfangen.
Wir sollten nicht über die Zunahme angeblicher Gurus, Avataras, aufgestiegener Meister, Reinkarnationen von HPB, Swamis und Boten erstaunt sein. Manche Menschen haben die Lehren der Meister angenommen und daraus eine Fantasie psychischer Imagination, eine Karikatur der Theosophie, geschaffen. Dennoch ist es unglaublich, dass nach der Veröffentlichung der ursprünglichen Meisterbriefe an A. P. Sinnett und andere, die jetzt in Bibliotheken und Buchgeschäften erhältlich sind, jene Fälschungen von Mahatmas und Boten so viel Beachtung finden, die mit den Ängsten der Zeit und der Verwundbarkeit Unschuldiger, deren Aufrichtigkeit sie zu einer leichten Beute macht, handeln. Es wäre lächerlich – wenn es angesichts der durch den Betrug verletzten Leben nicht so tragisch wäre.
Gleichzeitig sind weder die Meister und ihre Briefe noch Die Geheimlehre oder irgendeines der Werke HBPs die Grundlage für einen Glauben oder eine ‘Bibel’. Die Theosophische Gesellschaft hat keine Glaubensgrundsätze, keine Dogmen; Freiheit zum Forschen, zum Streben, zur Selbstevolution ist die Losung. HPB betonte immer wieder, dass das, was sie brachte, nur ein Teil der ewigen Weisheitsreligion war; dass sie eine Übermittlerin dessen war, was sie empfangen hatte. Durch ihren titanischen Genius gab sie dies auf die ihr bestmögliche Art weiter, aber sie beanspruchte nicht, dass jedes Wort sakrosankt war. Sie legte uns diese Wahrheiten zu Füßen und nach Montaigne sagte sie: „Ich habe hier … nichts Eigenes hinzugefügt als den Faden, der sie verbindet“ – zerreiße den Faden, wenn du willst, die Wahrheit aber kannst du nicht zerstören.5
Unvermeidlich hatte HPB viele Verleumder. Zum Beispiel veröffentlichte die Society for Psychical Research (SPR) 1875 einen Bericht von Richard Hodgson, in dem behauptet wird, dass HPB die Briefe der Mahatmas6 selbst geschrieben habe. Die SPR kam zu dem Schluss, das HPB „eine der gebildetsten, genialsten und interessantesten Betrügerinnen der Geschichte“ gewesen sei.7 Im Laufe der Jahre hatten Freunde und Unterstützer von HPB immer wieder eine Zurücknahme dieser Behauptung gefordert, allerdings mit wenig Erfolg. „Getrieben von einem starken GERECHTIGKEITSSINN“, veröffentlichte dann im Jahr 1986 Dr. Vernon Harrison, Experte für Handschriften und langjähriges Mitglied der SPR, eine Kritik des Hodgson-Berichts mit dem Titel „J’Accuse: Eine Prüfung des Hodgson Berichts aus dem Jahr 1885“, dem 1997 „J’Accuse d’autant plus [ich klage umso mehr an]: eine weitere Studie des Hodgson Berichts“ folgte. Über den Zeitraum von ungefähr 15 Jahren hatte Dr. Harrison umfangreiche Studien der Handschriften der Meisterbriefe durchgeführt und festgestellt, dass der Hodgson-Bericht „fehlerhaft und unglaubwürdig“ ist und dass es „keinen Beweis für den gemeinsamen Ursprung der Schriften von ‘KH’, ‘M’ und ‘HPB’ gibt“.8 Trotz der Angriffe auf ihren Charakter durch Hodgson und andere schrieb HPB weiter an dem, was Die Geheimlehre werden sollte.
1886 veröffentlichte HPB eine beeindruckende Erklärung, in der sie verdeutlichte, was das ursprüngliche Programm Der Theosophischen Gesellschaft war und heute noch ist. Darin sagt sie, dass sich die Gründer „auf die energischste mögliche Weise allem entgegenzustellen haben, was dogmatischem Glauben und Fanatismus nahekommt – der Glaube an die Unfehlbarkeit der Meister oder auch nur an die Existenz unserer unsichtbaren Lehrer muss von Anfang an überprüft werden“.9 Ihr und Olcott wurde nicht gesagt, was sie tun sollten, sondern es wurde ihnen deutlich gesagt, was sie nicht tun sollten; im Besonderen sollten sie niemals zulassen, dass Die Theosophische Gesellschaft eine Sekte wird: dogmatisch im Denken und dogmatisch im Handeln. Die Stärke der Theosophie liegt darin, dass es keine Lehre gibt, an die irgendjemand glauben muss, bevor er sich aktiv als ein Mitglied oder Unterstützer an Der Theosophischen Gesellschaft beteiligen kann. Die einzige Voraussetzung ist, dass er das Prinzip der universalen Bruderschaft als uneingeschränkt gültig und als eine Kraft in seinem Denken und Handeln akzeptiert. Er kann Buddhist, Christ, Anhänger des Zoroastrismus, Atheist oder was auch immer bleiben: „Der größte Geist freien Forschens, von niemandem und nichts eingeschränkt, musste gefördert werden.“10
Dieses ursprüngliche Programm ist in den Zielen Der Theosophischen Gesellschaft enthalten, die – wie auch immer sie formuliert sind – im Prinzip so lauten: unter den Menschen ein den Gesetzen im Universum inhärentes Wissen zu verbreiten; das Wissen über die essenzielle Einheit von allem, was ist, zu fördern und darzulegen, dass diese Einheit in der Natur fundamental ist; eine aktive Bruderschaft unter den Menschen zu bilden; das Studium alter und moderner Religion, Wissenschaft und Philosophie zu fördern und die dem Menschen innewohnenden Kräfte zu erforschen.
Ein Studium der religiösen und philosophischen Schriften setzt eine Flut von Ideen frei, weil wir – wenn wir aus der durch die Theosophie erweiterten Perspektive in die heiligen Schriften der Weltzivilisationen blicken – die eine universale Weisheit erkennen, die in vielen Formen zum Ausdruck gebracht wird. Vertraut zu sein mit den Traditionen und heiligen Schriften der frühen Völker hilft uns auch dabei, ein Gefühl für die Proportionen zu bewahren. Wir lernen zu schätzen, dass dieses großartige universale System von Wahrheiten das gemeinsame Erbe der Menschheit ist, dass es jedoch periodisch eine ‘einzigartige’ Ausdrucksform findet, um den besonderen Bedürfnissen einer bestimmten Zeit zu begegnen. Das erklärt, warum diese oder jene Nation oder Rasse von sich glaubt, das ‘auserwählte Volk’ zu sein – weil sie zu einer bestimmten Zeit von dem Boten der Zeit auserwählt wurde, ein neues Licht, eine neue Richtlinie zu einem spirituellen Leben zu empfangen.
Beachten Sie die sorgfältige Wortwahl des letzten Ziels: der dabei gebrauchte Satz lautet „die dem Menschen innewohnenden Kräfte zu erforschen“ – und nicht: psychische Kräfte zu entwickeln. Darin liegt ein großer Unterschied. Wir werden ermutigt, uns als vielfältige Wesen zu verstehen, zu studieren und in die ganze Reichweite unserer menschlichen Fähigkeiten vorzudringen. Und doch gibt es hier eine stillschweigende Warnung vor der unnatürlichen Entwicklung von Kräften, die zu einer Überbetonung der psychischen und astralen Aspekte unserer Konstitution auf Kosten unserer intuitiven und spirituellen Fähigkeiten führen könnten. HPB bedauerte mit der Zeit sehr, dass sie einigen wenigen Vertrauten bestimmte Kunststücke phänomenaler Kraft in der Hoffnung vorgeführt hatte, zu zeigen, dass es eine Welt feiner Kräfte hinter den physischen gibt. Heute hätten viele Menschen gerne solche außergewöhnlichen Kräfte, aber wie viele können ehrlich von sich behaupten, dass sie diese aus gänzlich selbstlosen Motiven entwickeln wollen? Was haben diese Kräfte überhaupt für einen inneren Wert? Es ist gut, unser Motiv zu prüfen, um sicher zu sein, dass es selbstlos ist. Wir alle haben zu viel Selbstsucht in unseren spirituellen Wünschen und auch in unserem materiellen Wesen, und Selbstsucht in den höheren Prinzipien ist weit hartnäckiger als in der niederen Natur, wo sie verhältnismäßig leicht zu überwinden ist.
Der Zweck der Theosophie ist also vielfältig, und niemand war sich der Größe der vor ihr liegenden Aufgabe mehr bewusst als H. P. Blavatsky. Sie lebte und arbeitete in der Tradition jener, die unentwegt damit beschäftigt sind, die Menschheit zu ihrer inneren Größe zu erwecken. „An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen.“ Mit jedem Jahrzehnt wird sie mehr anerkannt als eine Öffnerin der Seelentore. Durch ihre Wiedererzählung der archaischen Weisheitslehren enthüllte sie die inspirierte Quelle der vielen Traditionen und heiligen Schriften der Menschheit und entfaltete das wunderbare Drama der Genesis und Evolution von Welten und Menschen. Für viele lag ihre größte Begabung darin, erneut auf den ‘Pfad’ hinzuweisen, auf den heiligen Weg der inneren Selbstbemeisterung – nicht für sich selbst, sondern für die Erhebung aller Wesen überall. Ihr nachhallender Aufruf an Männer und Frauen des Mitleids lautet, aktiv für die Verwirklichung der universalen Bruderschaft zu arbeiten, so dass schließlich jedes Volk, jede Nation und Rasse frei sein wird, ihr individuelles Schicksal in Harmonie und in Frieden mit allen anderen zu verfolgen.
Fußnoten
1. Siehe HPB, Leben und Werk der Helena Blavatsky von Sylvia Cranston, Adyar Verlag; H. P. Blavatsky and the Theosophical Movement von Charles J. Ryan, 2. überarb. Auflage; H. P. Blavatsky, Collected Writings, 1874-1878, Herausg. Boris de Zirkoff, 1:xxv-lii; und H. P. Blavatsky, Tibet and Tulku von Geoffrey A. Barborka, S. 6-41. [back]
2. The Golden Book of The Theosophical Society: 1875-1925, S. 19; H. P. Blavatsky, Collected Writings 1:94. [back]
3. Siehe Die Mahatma-Briefe, Band 1, S. 220 ff. (M. L. 26). [back]
4. Die Mahatma-Briefe, Band 2, S. 36-7 (M. L. 47). [back]
5. Siehe The Secret Doctrine 1:xlvi, Die Geheimlehre 1:29. [back]
6. Diese Sammlung holographischer Briefe wurde 1939 von Sinnetts Testamentsvollstreckerin, Maud Hoffmann, dem Britischen Museum (jetzt Britische Bibliothek) angeboten, wo sie von der Öffentlichkeit eingesehen werden können. [back]
7. Siehe Proceedings of the Society for Psychical Research, London, England, Teil IX, Dezember 1885, S. 201-400. [back]
8. Die Kritik von Dr. Harrison wurde veröffentlicht in einem Buch mit 13 Farbtafeln: H. P. Blavatsky und die SPR: Eine Untersuchung des Hodgson Berichts aus dem Jahr 1885, Theosophischer Verlag GmbH 1998. [back]
9. The Original Programme of The Theosophical Society, S. 6; Nachdruck, H. P. Blavatsky, Collected Writings, 7:148. [back]
10. Ebenda. [back]