Tausend Lichter entzünden
Grace F. Knoche
5 – Der Tod: ein Tor zum Licht
Unsere Vorstellung über uns selbst – ob wir nur ein Leben haben, um zu erblühen, oder ob wir eine unbegrenzte Zukunft haben, in der wir unsere verborgenen Stärken und Talente hegen können – wird unsere Lebensanschauung tief beeinflussen. Die Menschen sehnen sich oft nach Bestätigung ihrer Intuition, dass es eine mitleidsvolle Ordnung gibt, einen harmonischen und gerechten Zweck hinter allem.
Jeder Mensch kennt den Tod in der Familie und unter Freunden, lange Krankheit oder schmerzlichen Kummer, der sich einstellt, wenn ein Kind oder ein Freund das Opfer einer psychischen oder mentalen Erkrankung wird. Eine Philosophie, welche die Reinkarnation miteinbezieht, die individuelle moralische Verantwortung und das Versprechen eines immerwährenden Wachstums an Liebe und Weisheit betont, hilft gewaltig. Denn wenn der Tod kommt, plötzlich oder nach langem Warten, trifft er uns nicht völlig unvorbereitet mit einem fast erschreckenden Gefühl, verraten worden zu sein, als ob das Schicksal uns einen schweren Schlag versetzt hätte. Wir wären nicht menschlich, würden wir den Verlust und die Einsamkeit nicht tief empfinden, aber in der Stille tritt eine innere Ruhe und tiefe Gewissheit ein, dass „alles gut ist“.
Der Tod ist nicht länger das tragische Ende eines Lebens; er ist wahrhaftig ein offenes Tor zum Licht – sowohl für diejenigen, die sich auf der Reise ans ‘andere Ufer’ befinden, als auch für jene von uns hier, die wir mit unserem Leben weitermachen müssen. Wie wenig wissen wir über jene mysteriösen Regionen, in die unser Bewusstsein in der Nacht während des Schlafs und für eine weit längere Zeitperiode nach dem Tod des Körpers eintritt. Und doch folgen wir diesen kreisförmigen Bahnen, als würden wir magnetisch zu ihnen hingezogen, geradeso wie Vögel Tausende Kilometer entlang magnetischen Strömungen zurücklegen. Auf ähnliche Weise finden wir Menschen selbst nach Wanderungen in den inneren Reichen der Natur, die vielleicht Hunderte oder sogar Tausende von Jahren dauern, mit untrüglicher Sicherheit unseren Rückweg zur Erde.
Den Schlaf nehmen wir bereitwillig an, dankbar für unsere nächtliche Ruhe; aber für den Tod empfinden wir anders. Intellektuell erkennen wir ihn vielleicht als den Weg der Natur zur Wiederherstellung ihrer Lebenskräfte, so dass die Befreiung der Seele von einem schmerzenden und gealterten Körper ein Segen ist und es ohne periodische Veränderungen der Form keine Kontinuität des inneren Wachstums geben könnte. Und doch ist das Eintreten des Todes immer ein Schock: Wir fühlen uns von einer Macht gefangen, die unser Fassungsvermögen übersteigt; wir fühlen seine Unumkehrbarkeit, fühlen, dass alle Hoffnung geschwunden ist in der Konfrontation mit dem unausgesprochenen Gedanken. Dennoch werden wir gnädig von einem tiefen Frieden aufrechterhalten, von einem Hereinfließen an Stärke, von einer Atmosphäre stiller Gewissheit, dass die uns mit dem Geliebten verbindenden Bande so unsterblich sind wie das Herz des Seins.
Wir neigen dazu, unserem Leben auf Erden eine absolute Bedeutung zu geben, wenngleich es in Wirklichkeit nur einen Teil unseres sich entfaltenden Schicksals darstellt. Wie der Aśvattha-Baum in Indien, der angeblich im Himmel wurzelt und dessen Zweige und Blätter abwärtswachsen, haben wir Menschen unsere Wurzeln in unserer göttlichen Monade, deren Licht sich in unserer spirituellen Intelligenz, unserer mental-emotionalen Natur und sogar in unserem physischen Körper widerspiegelt.
Um klarer zu erfassen, was mit uns nach dem Tod geschieht, müssen wir erst etwas über die uns zusammensetzenden Elemente und ihre Rolle in unserem Leben und nach dem Tod verstehen. Paulus’ Einteilung des Menschen in Geist, Seele und Körper ist grundlegend und nützlich in Bezug auf andere Denksysteme, welche den Menschen verschiedentlich als aus vier, fünf, sieben und sogar zehn Facetten oder Prinzipien zusammengesetzt klassifizieren. Diese Facetten in der Natur des Menschen sind nicht voneinander isoliert. In dem siebenfältigen System beispielsweise ist jede Facette selbst siebenfältig und enthält jeweils die Aspekte aller anderen. Wir könnten genauso leicht die fünffältige Einteilung annehmen – in Monaden absteigender Qualität mit ihren entsprechenden Hüllen oder Vehikeln des Ausdrucks; oder auch eine vierfältige Aufzählung wie in der Kabbala, drei ‘Atem’ von allmählich steigender materieller Qualität, die sich alle durch eine ‘Hülle’, unseren physischen Körper, manifestieren.
In theosophischen Schriften wird allgemein die siebenfältige Einteilung genutzt, die Prinzipien (mit ihren Sanskrit-Namen) sind hier aufgelistet, mit dem höchsten beginnend:
Göttlichkeit – Ātman, „Selbst“, oder unsterbliche Monade.
Geist – Buddhi, „erwachte Intelligenz“, der Schleier von Ātman: die Wahrnehmungsfähigkeit, die ein Buddha vollständig erlangt hat.
Denkvermögen – Manas, in seiner Funktion dual: das höhere Manas ist mit den beiden höchsten Prinzipien vereint und bildet die spirituelle Individualität (Ātman-Buddhi-Manas); das niedere Manas wird zu Kāma hingezogen, dem „Wunsch“-Prinzip, und manifestiert sich als die gewöhnliche Persönlichkeit (Manas-Kāma).
Wunsch – Kāma, „Liebe, Wunsch“, wenn es vom höheren Denkvermögen (Buddhi-Manas) beeinflusst wird, manifestiert es sich als Aspiration; wenn es von der Persönlichkeit (Manas-Kāma) ohne jeden Einfluss des höheren Elements benutzt wird, manifestiert es sich in aggressiver Selbstsucht oder unkontrolliertem Verlangen, oft von zerstörerischer Natur.
Lebenskraft – Prāṇa, die „vitalen Atem“ – aufgezählt als fünf, sieben oder mehr –, die durch unsere Konstitution zirkulieren und das physische Leben erhalten.
Astral- oder Modellkörper – Linga-Śarīra, der „Kennzeichen- oder Charakterkörper“; das Modell oder die astrale Matrix, nach welcher der physische Körper gebildet ist.
Physischer Körper – Sthula-Śarīra, der „feste oder grobe Körper“, das physische Vehikel oder Instrument, das der vollständigen siebenfältigen Wesenheit die Manifestation ermöglicht.
Um die Beziehung dieser sieben Facetten zu unseren Erfahrungen nach dem Tod zu verstehen, müssen wir zuerst erkennen, dass der Tod nicht bloß deshalb eintritt, weil der Körper müde oder erschöpft ist. Der Tod geschieht vor allem, weil der höhere Teil die Seele zu sich zieht und dieser Aufwärtszug so stark ist, dass der Körper nicht standhalten kann. Das Leben wird sozusagen für die höheren Zwecke der Seele eingezogen. Geburt und Tod sind die Tore des Lebens – Episoden in der Reife des reinkarnierenden Elements, und daher werden beide Vorgänge, Tod und Geburt, in der letzten Analyse von unserer göttlichen Quelle angetrieben.
Die zahlreichen Geschichten von Individuen, die beinahe ertrunken sind, sterbenskrank waren oder für ‘tot’ erklärt und dann wiederbelebt wurden, zeigen die vielfältige Beschaffenheit der menschlichen Konstitution und dass es für den Körper möglich ist, untätig zu bleiben, während Seele/Denkvermögen/Bewusstsein eine Zeitlang zurückgezogen werden. Manche hatten das Gefühl, lebendig zu sein, über dem Körper zu schweben und ihn unter sich liegen zu sehen. Einige wenige haben sich später genau erinnert, was die Ärzte und Schwestern während ihres scheinbaren Todes sagten und taten; die meisten von ihnen berichten, wie sie die Ereignisse ihres Lebens rasch in einer Rückschau vorbeiziehen sahen. Solche Nahtoderfahrungen sind eine anschauliche Bestätigung der theosophischen Lehre über die ‘panoramische Vision’, welche Denken und Seele als Folge des Loslösens zu der nachtodlichen Reise haben. Nicht alle, die eine Nahtoderfahrung machen, sind sich irgendeiner Sache abseits des Gewöhnlichen, das ihnen widerfahren ist, bewusst, aber diejenigen, die eine gewisse Erinnerung an das, was sie ‘gesehen’ haben, behalten, kehren gewöhnlich mit einer festen Entschlossenheit zurück, ihr durch diese zweite Chance gegebenes restliches Leben würdig zu gestalten.
Im Schlaf bleibt der goldene Faden zwischen allen Teilen unserer Konstitution intakt, während er beim Tod reißt. Bei einem Nahtoderlebnis wird der Faden nicht durchtrennt, so dass sogar – selbst bei einem mehr oder weniger langen Zurückziehen – das Bindeglied zwischen den Prinzipien nicht unterbrochen wird. Das bedeutet, dass das Individuum seinen Körper reanimieren kann und dies gewöhnlich auch tut, und dann geschieht scheinbar ein Wunder: Ein für tot gehaltener Mensch kehrt zum Leben zurück. Wäre der Faden gerissen, wäre der Tod eingetreten.
Theosophische Schriften sprechen von zwei, manchmal von drei panoramischen Visionen unterschiedlicher Intensität: Eine wird von dem Sterbenden in den letzten Momenten des physischen Lebens durchlaufen und setzt sich dann für eine Weile nach dem physischen Tod fort; eine zweite, weit verschwommenere tritt kurz vor dem Hinübergleiten in einen himmlischen Traumzustand (Devachan) auf; und eine dritte beim Verlassen des Traumzustands während der Rückreise zur Erde.1 Das ermöglicht es dem Individuum, die einfache Gerechtigkeit von allem, was während des gerade beendeten Lebens geschah, unverzerrt ‘zu erkennen’, in friedlicher Verfassung in ihren himmlischen Traumzustand einzutreten und bei ihrer Rückkehr zur Erde in groben Umrissen eine rasche Vorschau auf das, was geschehen wird, zu erleben, bevor der Vorhang des Vergessens fällt.
Wenn schließlich der Tod eintritt und die Seele von ihren physischen Ketten losgelöst ist, zieht sich der Strahl der göttlichen Monade zu seinem Elternstern zurück, während unsere spirituelle Monade entlang den planetarischen Sphären wandert. Was den Körper betrifft, so verteilen sich seine Atome und gehen in ihre entsprechenden Naturreiche, wo sie ihren eigenen Kreisläufen folgen. Das macht unseren ‘ersten’ Tod aus. Nach einer kurzen unbewussten Periode in der Wunschwelt (Kāma-Loka) tritt die menschliche Seele in eine temporäre Phase der Reinigung ein, währenddessen sie ohne Maske vor ihrem höheren Selbst steht und die Gerechtigkeit von allem erkennt, was sie erfahren hat. Ein Vorgang der Trennung von kürzerer oder längerer Dauer – abhängig von dem zuvor erzeugten Karma – führt zu einem ‘zweiten’ Tod, bei dem alles, was in dem Charakter schwer und materiell ist, abfällt und die feineren Essenzen des reinkarnierenden Egos frei werden, um von der spirituellen Monade absorbiert zu werden. Für die meisten von uns – Durchschnittsmenschen, die weder sehr gut noch sehr böse sind – wird unser Übergang in Kāma-Loka relativ leicht verlaufen.
Nach der zweiten panoramischen Vision während des ‘zweiten’ Todes geht das reinkarnierende Ego in Devachan ein – die elysischen Felder der Griechen –, wo es wieder und wieder in einem traumartigen Zustand die Erfüllung seiner edelsten Gedanken und Aspirationen erfährt. Die Wiederholung dieser idealisierten Träume hat den vorteilhaften Nebeneffekt, dass auf der Seele ein Eindruck des höheren Lebens haften bleibt, dessen Atmosphäre in das nächste Erdenleben hinübergetragen wird. Unterdessen reist die spirituelle Monade, in sich die träumende Ego-Seele tragend, entlang den planetarischen Sphären, um ihre eigenen höheren Abenteuer zu bestehen. Die alten Römer wendeten die Grabinschrift wirkungsvoll an, um das alte Wissen lebendig zu erhalten: dormit in astris, „er schläft unter den Sternen“; gaudeat in astris, „er frohlockt unter den Sternen“; und spiritus astra petit, „der Geist fliegt zu den Sternen“.
Wenn die das Devachan ermöglichenden Energien erschöpft sind, findet eine dritte panoramische Vision statt, eine rasche Vorschau in groben Zügen, nicht im Detail – ein flüchtiger Blick, so dass die hereinkommende Seele die Gerechtigkeit und das Mitleid der karmischen Bedingungen, welchen sie begegnen wird, erahnen kann. Während sie sich der Erde zuwendet, zieht sie aus dem großen Reservoir der Natur jene Lebensatome an, die sie in der Vergangenheit in sich selbst integrierte; mit ihnen gestaltet sie erneut die Seelen und Körper, die sie in dem kommenden Leben gebrauchen wird. Diese Lebensatome werden zu uns hingezogen, weil sie zu uns gehören; in früheren Leben hatten wir unser Siegel all den Leben aufgeprägt, die jede Facette unserer Konstitution zusammensetzen.
Diese Ideen erscheinen vielleicht abstrakt, wenn wir von schwerer Krankheit betroffen sind und wenig dagegen tun können. Es mag gewisse erleichternde Maßnahmen geben, die wir treffen können, aber wo es keine bekannte Heilmöglichkeit gibt, müssen wir versuchen, der Erfahrung mit größtmöglicher Würde und Tapferkeit, die wir aufbringen können, zu begegnen. Wenn wir ein Gespür für die umfassendere Sichtweise haben und überzeugt sind, dass jedem Leben ein göttlicher Zweck innewohnt, ist schon allein das eine riesige Hilfe in der Konfrontation mit einer solchen Krise. Es ist besonders dann eine Hilfe, wenn wir einem anderen, der seine private Hölle durchmacht, beistehen und erkennen müssen, dass wir wenig oder nichts tun können, um es ihm leichter zu machen. Dies ist noch schlimmer, wenn junge Menschen von lebensbedrohlicher Krankheit befallen werden und ihr Leben in ein Chaos stürzt. Natürlich muss der Mensch, der mit einem frühen Tod konfrontiert wird, sich in einem schmerzlichen Prozess darauf einstellen, und dasselbe gilt für jene, die ihn oder sie lieben.
Viele Menschen sind gerade mit solchen Herausforderungen konfrontiert, und ein Wissen um Reinkarnation verleiht den Lebenden und den Toten Würde. Wir erkennen, dass die Weise, wie wir mit zwanzig oder vierzig oder sechzig Jahren leben, die Qualität unseres Todes, unseres nachtodlichen Lebens und ebenso unsere künftigen Inkarnationen beeinflusst. Wenn wir etwas von diesem weiten Bild mit unseren Lieben teilen können, sind sie besser in der Lage, mit ihrem Karma zu arbeiten und das zu tun, wozu Mark Aurel ermahnte: „Nur klein noch ist der Rest deines Lebens. Lebe wie auf einem Berg.“2 Es liegt eine Würde in der menschlichen Seele, die in diesen Stunden der Prüfung das erlangt, was ihr zusteht. Sogar dort, wo sehr schwierige Phasen durchzumachen sind, ist es unermesslich hilfreich zu wissen, dass unsere Leben ein natürlicher Teil des Schicksals sind, welches wir alle seit der Morgendämmerung der Zeit, die uns genau für diesen Augenblick vorbereitet hat, weben. Es erweist sich als beiderseitig heilend, wenn wir dazu in der Lage sind, ruhig und offen oder still mit jenen in ein Zwiegespräch zu treten, die sterben; sie finden nicht nur großen Trost, sondern wir selbst haben auf eine sehr heilige Weise Anteil an diesem Vorgang.
Die Mysterienschulen
Grace F. Knoche
5 – Der duale Charakter der Mysterien
Die gesamte Essenz der Wahrheit kann nicht von Mund zu Ohr übermittelt werden. Auch kann keine Feder sie aufschreiben, nicht einmal die des aufzeichnenden Engels, wenn nicht der Mensch die Antwort im Heiligtum seines eigenen Herzens findet, in den innersten Tiefen seiner göttlichen Intuitionen.
– The Secret Doctrine, II: 516
Wie können diese „innersten Tiefen“ zum Klingen gebracht werden, so dass das Wissen um die Wirklichkeit gewonnen werden kann? Durch Übung, Schulung und selbstgeborene Weisheit. Eine solche Übung und Seelen-Schulung ist das unterscheidende Merkmal der Mysterienschulen, die seit ihrer Einführung in zwei Teile getrennt waren: die exoterische Form, allgemein als die Kleineren Mysterien bekannt, offen für alle ernsthaften und ehrenwerten Kandidaten für ein tiefergehendes Lernen; und die esoterische Form oder die Größeren Mysterien, deren Tore sich nur den Wenigen öffnen und deren schließliche Initiation zu Adeptschaft der Lohn jener ist, deren innerer Adel sie befähigt, die solaren Riten zu durchlaufen (siehe Kapitel 8 und 9).
Weltweit legen Steine und Papyri, Symbole und Allegorien, Höhlen und Krypten Zeugnis über die zweifältige Prüfung der Neophyten ab. Jesus, der Avatāra, sprach in Gleichnissen zu der Menge, aber „seinen Jüngern erklärte er alles, wenn er mit ihnen allein war“ (Markus 4, 34). Die Essener hatten ihre größeren und kleineren Mysterien. Man nimmt an, dass Jesus in erstere eingeweiht war.
Die chinesischen Buddhisten halten an einer geliebten Tradition fest, nämlich dass Gautama der Buddha zwei Lehren hatte: eine für das Volk und seine Laien-Schüler, die andere für seine Arhats. Sein unveränderliches Prinzip war:
Niemandem den Zutritt zu den Reihen der Kandidaten für Arhatschaft zu verwehren, aber niemals die entscheidenden Mysterien zu enthüllen – außer jenen, die sich selbst durch lange Jahre der Prüfung als der Initiation wert erwiesen haben.
– „The Doctrine of Avatāras“, BCW XIV: 370
Die Intensität der Entschlossenheit kennzeichnet die hebräischen Initiierten bei ihrer Verschleierung der inneren Lehre. Der Menge lehrten sie die To-rāh, das ‘Gesetz’, aber den Wenigen lehrten sie ihre ungeschriebene Interpretation, die „Geheime Weisheit“ – ḥokhmāh nistorāh – „in ‘Dunkelheit, an einem einsamen Platz und nach vielen und schrecklichen Prüfungen’. … Nur als ein Mysterium weitergegeben, wurde sie dem Kandidaten mündlich mitgeteilt, ‘von Angesicht zu Angesicht, von Mund zu Ohr’.“ Die persischen und chaldäischen Magier bestanden auch aus zwei Kasten: „Den Initiierten und jenen, denen es lediglich bei den öffentlichen Riten gestattet war, zu amtieren“ (siehe Isis II: 306, Fußnote, und The Kabbalah von Christian D. Ginsburg, S. 86).
Eleusis und Samothrake sind in einer wunderbaren Silhouette vor dem blau-schwarzen Himmel der Geschichte abgebildet. Klassische Gelehrte erzählen uns, dass die Kleineren Mysterien in Agrä nahe bei Athen im Frühling aufgeführt wurden, während die Größeren Mysterien in Eleusis im Herbst gefeiert wurden. Bei den Kleineren Mysterien wurden die Kandidaten, welche die ersten Riten erlebten, Mystai (die Auge und Mund Geschlossenen) genannt. Bei den Größeren Mysterien wurden die Mystai zu Epoptai (Klarsehenden), die an den Mysterien des göttlichen Elysiums teilnahmen – das ist die Vereinigung mit dem Göttlichen.
Ebenso bewachten der hinduistische Arhat, der skandinavische Skald und der walisische Barde die Seele der Esoterik mit der Heiligkeit ihres Lebens und der Disziplin ihrer heiligen Tradition.
Zu jedem Tempel gehörten die ‘Hierophanten’ des inneren Heiligtums und die weltliche Priesterschaft, die nicht einmal in den Mysterien unterwiesen war.
– Isis, II: 306, Fußn.
Darüber hinaus hatte in allen alten Ländern „jeder große Tempel seine private oder geheime Mysterienschule, die der Menge unbekannt oder teilweise bekannt war“ und die dort als eine geheime Körperschaft angeschlossen war. Eine Mysterienschule ist nicht notwendigerweise für die Bewohner einer bestimmten Region bestimmt, und sie hat nicht Zeitalter hindurch und mit immer gleichbleibenden physikalischen Gegebenheiten ihren Sitz an einem bestimmten und festgelegten Ort. Wo immer der Bedarf groß ist, muss Arbeit geleistet werden; und der „Fehler aller Gelehrten und Mystiker liegt darin, die Mysterienschulen zu sehr auf einen Ort festzulegen“ (SOP, S. 634-5).
Was ist mit den Tempeln von Griechenland und Rom, von Syrien und Judäa; mit den Höhlen-Tempeln von Elephanta und Karli in Indien; mit den Dagobas buddhistischer Länder; mit den Pyramiden von Ägypten und Peru, Mexiko und Yukatán? Was ist mit Stonehenge in England; mit Karnak in Britannien; Sippara in Assyrien; Babylon, Borsippa und Erech in Babylonien; Ekbatane in Medien; Bibrakte in Gallien; und nicht zuletzt mit Iona in Schottland, dessen geheimes Wissen ein Juwel der Weisheit war – eingepflanzt in die Herzen der nördlichen Länder? Wo sind sie jetzt? Lediglich Namen, Relikte, Überbleibsel von vergessenem Glanz? So könnte es den Anschein haben.
Eine Mysterienschule ist nicht von einem Ort abhängig; sie ist vielmehr eine Vereinigung oder Bruderschaft von spirituell geschulten Individuen, die durch ein gemeinsames Ziel verbunden sind – dem Dienst für die Menschheit, ein intelligent und mitleidsvoll ausgeführter Dienst, weil er aus Liebe und Weisheit geboren ist. Es ist jedoch eine Tatsache, dass bestimmte Zentren für spirituellen Erfolg günstiger zu sein scheinen als andere. Warum fanden sich beispielsweise diese alten Zentren der Mysterien fast ausschließlich in Felsentempeln oder unterirdischen Höhlen, in Wäldern oder Gebirgspässen, in Pyramidenkammern oder Tempelkrypten? Weil die Strömungen des Astrallichts stiller, ruhiger, reiner werden, je weiter sie von der tobenden Menge entfernt sind. Nur selten wird man den Sitz einer esoterischen Schule in der Nähe einer Metropole finden, denn sie sind „wirbelnde Strudel … Ganglien, Nervenzentren, in den niederen Bereichen des Astrallichtes (ET, II: 1026).
Daher waren die Orte der Größeren Mysterien gewöhnlich sorgfältig ausgewählt und ihre Schulen
waren solcherart, dass sie auf Gebäude keinerlei Wert legten, hauptsächlich weil solche Gebäude sofort die Aufmerksamkeit auf sich ziehen und öffentliche Beachtung finden würden; das ist genau das, was diese geheimeren, esoterischeren Schulen zu vermeiden trachteten. Deshalb wurden manchmal, wenn die Tempel eher Sitze exoterischer Rituale waren, die Mysterienschulen abseits im Geheimen gehalten und führten ihre Versammlungen, Treffen, Initiationen und Initiationsriten gewöhnlich in sorgfältig vorbereiteten und dem allgemeinen Wissen verborgenen Höhlen aus, mitunter sogar unter freiem Himmel, unter Eichen, wie die Druiden in ihren halb urzeitlichen Wäldern in England und Britannien; und in einigen wenigen Fällen hatten sie nicht einmal eine ständige oder feste Bleibe; aber die Initiierten erhielten Nachricht, wo sie sich von Zeit zu Zeit treffen und ihre Initiations-Funktionen weiterführen konnten.
– SOP, S. 635
Es sind die Orte der Ruhe, des Friedens, der tiefen Stille, zu welchen sich die Adepten hingezogen fühlen und wo die geheimen oder Größeren Mysterien am wirksamsten arbeiten. In der Abgeschiedenheit ihrer Initiationskammern gibt es jene Kräfte und Strömungen des höheren Astrallichts, des Ākaśa, der feinen Substanz, welche auf die höheren spirituellen und intellektuellen Strömungen reagieren. Auf diese Art übermittelt die Bruderschaft ihre mächtige spirituelle Vitalität in die Initiations-Hallen; und der Kandidat, dessen siebenstrahlige Seele in Einklang ist, kann die göttliche Prägung empfangen.