Das Meer der Theosophie
William Quan Judge
XVI – Psychische Gesetze, Kräfte und Phänomene
Das Feld der psychischen Kräfte, der Phänomene und der Dynamik ist sehr umfangreich. Solche Phänomene und die Kräfte kann man täglich in allen Ländern beobachten und vorgeführt bekommen. Bis vor einigen Jahren wurde ihnen jedoch von wissenschaftlichen Kreisen kaum Aufmerksamkeit geschenkt. Dagegen wurden Leute, die von solchen Begebenheiten berichteten oder eine psychische Natur bejahten, meistens verspottet. Vor etwa 40 Jahren entstand in den Vereinigten Staaten ein Kult, der sich fälschlich „Spiritualismus“ nannte. Er hatte zwar großes Potenzial, konnte es aber nicht nutzen und verfiel daraufhin in eine bloße Suche nach Wundern, ohne den geringsten Anschein einer Philosophie. Für den Fortschritt hat diese Bewegung wenig vollbracht, wenn man von einer Sammlung vieler unverdauter Tatsachen absieht, die aber seit vier Jahrzehnten keine ernsthafte Beachtung bei der Allgemeinheit fand. Sie brachte zwar einen gewissen Nutzen und zählt in ihren Reihen viele gute Köpfe, doch sind die großen Gefahren und Schäden für die involvierten menschlichen Handlanger und für jene, die sie aufsuchen, nach Ansicht der Schüler der Loge größer als das erreichte Gute. Die Loge möchte lieber, dass der Mensch seinen Entwicklungsweg möglichst geradlinig und ohne Ruin beschreitet. Andere westliche Forscher der anerkannten Schulen haben jedoch auch nichts Besseres zustande gebracht, so dass es keine westliche Psychologie gibt, die diesen Namen verdient.
Dieses Fehlen eines angemessenen psychologischen Systems ist die natürliche Folge der materialistischen Tendenz der Wissenschaft und des lähmenden Einflusses der dogmatischen Religion. Die eine verlacht die Bemühungen und blockiert den Weg, die andere verbietet Forschungen. Der römisch-katholische Zweig der christlichen Kirche bildet in mancher Hinsicht eine Ausnahme. Er hat die Existenz einer psychischen Welt stets zugegeben – sie ist für ihn die Region der Teufel und der Engel – da aber die Engel sich nach ihrem eigenen Belieben offenbaren und die Teufel gemieden werden müssen, so wird in dieser Kirche mit Ausnahme der geweihten Priester keinem erlaubt, sich mit diesen Dingen zu befassen. Soweit diese Kirche die gefährlichen Praktiken der Totenbeschwörung – mit denen sich die ‘Spiritualisten’ abgeben – verboten hat, handelt sie durchaus richtig, nicht aber mit ihren anderen Verboten und Einschränkungen. Echte Psychologie ist heute ein Produkt des Ostens, richtig, das System war auch im Westen bekannt, als eine sehr alte Zivilisation in Amerika blühte, und ebenfalls in gewissen Teilen Europas vor der christlichen Ära; aber in der heutigen Zeit gehört die echte Psychologie ausschließlich dem Orient an.
Gibt es psychische Kräfte, Gesetze und Mächte? Wenn es solche gibt, dann muss es auch Phänomene geben. Und wenn alles in den vorhergehenden Kapiteln stimmt, dann stecken in Menschen dieselben Kräfte und Mächte, die überall in der Natur zu finden sind. Der Mensch wird von den Meistern der Weisheit als das höchste Produkt des gesamten Evolutionssystems angesehen und spiegelt in sich selbst jede Kraft wider, ganz gleich wie großartig oder schrecklich sie sein mag, die in der Natur zu finden ist. Gerade weil er ein solcher Spiegel ist, ist er Mensch.
Das ist im Osten schon seit langen Zeiten erkannt worden, wo der Verfasser dieses Buches Beweise solcher Kräfte gesehen hat, die die Theorien manch eines westlichen Wissenschaftlers über den Haufen werfen würden. Im Westen sind dem Verfasser dieselben Phänomene wiederholt worden, so dass er aus eigener Erfahrung weiß, dass jeder Mensch einer jeden Rasse potenziell dieselben Kräfte besitzt. Die echten psychischen – oder, wie sie auch oft genannt werden, magischen – Phänomene der östlichen Fakire oder Yogis werden alle durch die Anwendung von natürlichen Kräften und Prozessen ausgeführt, von denen der Westen noch nicht einmal träumt. Die Levitation des Körpers, anscheinend der Gravitation spottend, ist ein mit Leichtigkeit auszuführendes Kunststück, wenn der Prozess völlig beherrscht wird. Er widerspricht keinem Naturgesetz. Gravitation ist nur die Hälfte eines Gesetzes. Der östliche Weise anerkennt die Gravitation, wenn man sich an diese Bezeichnung halten will. Die wirkliche Bezeichnung lautet jedoch Attraktion, während die andere Hälfte des Gesetzes mit Repulsion bezeichnet wird, und beide werden beherrscht von den großen Gesetzen elektrischer Kräfte. Gewicht und Stabilität hängen von der Polarität ab. Wenn die Polarität eines Objekts in Bezug auf die unter ihm befindliche Erde verändert wird, kann das Objekt aufsteigen. Da aber bloße Dinge nicht das im Menschen existierende Bewusstsein besitzen, können sie ohne gewisse andere Hilfen nicht aufsteigen. Der menschliche Körper dagegen erhebt sich gleich einem Vogel ohne Hilfsmittel in die Luft, wenn seine Polarität entsprechend verändert wird. Diese Veränderung wird durch ein dem Orientalen bekanntes System von Atemübungen bewusst hervorgerufen. Sie kann auch mit Hilfe bestimmter Naturkräfte, von denen noch zu sprechen sein wird, von solchen Menschen bewirkt werden, die dieses Phänomen ohne Kenntnis der Naturgesetze ausführen, wie es zum Beispiel bei den Heiligen der römisch-katholischen Kirche der Fall war.
Ein drittes großes Gesetz, das bei vielen Phänomenen im Osten und Westen eine Rolle spielt, ist das Kohäsionsgesetz. Die Kohäsionskraft ist eine selbstständige Energieform und keine Wirkung, wie angenommen wird. Dieses Gesetz und seine Wirkungen muss man kennen, wenn gewisse Phänomene erzeugt werden sollen, zum Beispiel, wie der Verfasser gesehen hat, das Durchstechen eines massiven Eisenrings durch einen anderen oder das eines Steins durch eine feste Wand. Hierbei wird eine andere Kraft benützt, die man nur mit Dispersion bezeichnen kann. Kohäsion ist aber die dominierende Kraft, denn in dem Augenblick, in dem die Dispersionskraft aufgehoben wird, bringt die Kohäsionskraft die Teilchen wieder in ihre ursprüngliche Lage.
Weiter kann ein Adept in solchen großen dynamischen Kräften die Atome eines Objektes – den menschlichen Körper stets ausgenommen – auf solche Entfernungen auseinander ziehen, dass das Objekt unsichtbar wird, und danach kann er sie in einem Strom, der im Ether gebildet wird, an einen beliebigen Ort der Erde verschicken. Am gewünschten Ort wird dann die dispersive Kraft zurückgezogen, worauf sich sofort die kohäsive Kraft durchsetzt und das Objekt wieder intakt erscheint. Das mag märchenhaft klingen; da es aber der Loge und ihren Schülern als Tatsache bekannt ist, so ist gleichermaßen gewiss, dass die Wissenschaft diese Behauptungen früher oder später zugeben wird.
Das vom Materialismus unserer Zeit befallene Denkvermögen des Laien wundert sich, wie solche Manipulationen möglich sein sollen, da von Instrumenten keine Rede ist. Diese Instrumente liegen jedoch im Körper und Gehirn des Menschen. Nach Ansicht der Loge ist „das menschliche Gehirn ein unerschöpflicher Energieerzeuger“, und eine vollkommene Kenntnis der inneren chemischen und dynamischen Naturgesetze, verbunden mit einem geübten Denkvermögen, geben dem Besitzer die Macht, die erwähnten Gesetze anzuwenden. Diese Kräfte wird der Mensch in der Zukunft besitzen, und er wäre schon jetzt so weit, gäbe es nicht blinden Dogmatismus, Selbstsucht und materialistischen Unglauben. Selbst die Christen halten nur wenig von dem sehr wahren Wort ihres Meisters, dass der Glaube Berge versetzen könne. Eine Kenntnis des Gesetzes mit Hilfe des Glaubens verleiht Macht über Materie, Denkvermögen, Raum und Zeit.
Durch Anwendung der gleichen Kräfte kann der geschulte Adept Materialien, die vorher nicht sichtbar waren, den Augen sichtbar machen und in jeder gewünschten Form materialisieren. Die breite Masse würde das als Schöpfung bezeichnen, es ist aber nur in unserer Gegenwart vollzogene Evolution. Die Materie wird in der Luft um uns herum schwebend gehalten. Jedes Materieteilchen, ob sichtbar oder noch nicht ausgefällt, ist durch alle möglichen Formen gegangen. Der Adept wählt nur eine gewünschte Form aus, die wie alle anderen Formen auch im Astrallicht vorhanden ist, und umkleidet sie durch Anspannung seines Willens und seiner Vorstellungskraft mit der Materie, indem er sie ausfällt. Dieses so geschaffene Objekt wird aber wieder verblassen, wenn nicht noch gewisse andere Prozesse angewendet werden, die hier nicht beschrieben werden sollen, wenn diese Prozesse aber angewendet werden, ist das geschaffene Objekt von Dauer. Wenn eine Mitteilung sichtbar auf Papier oder auf einer anderen Oberfläche erscheinen soll, dann werden dieselben Kräfte und Gesetze angewendet. Das fotografisch genaue und scharf umrissene Abbild jeder Linie eines jeden Buchstabens oder Bildes wird im Denkvermögen gebildet. Dann wird aus der Luft das Pigment herausgezogen und innerhalb der vom Gehirn, „dem unerschöpflichen Erzeuger von Kraft und Form“, gezogenen Grenzen niedergelegt. Die Vorführung aller dieser Dinge hat der Verfasser selbst gesehen, aber nicht durch ein bezahltes oder unverantwortliches Medium. Er weiß daher, wovon er spricht.
Das führt natürlich zu dem Schluss, dass der menschliche Wille allmächtig und die Imagination eine höchst nützliche Eigenschaft mit dynamischer Kraft ist. Die Imagination ist die bilder-machende Kraft des menschlichen Denkvermögens. Im Durchschnittsmenschen besitzt sie keine ausreichende Übung oder Kraft, um mehr als eine Art von Traum zu sein, doch kann sie trainiert werden. Wenn sie ausgebildet würde, dann wird sie zum Konstrukteur in der Werkstatt der Menschen. Wenn sie diesen Stand erreicht hat, bildet sie in der Astralsubstanz eine Matrix, durch welche die Wirkungen gegenständlich fließen werden. Nach dem Willen ist die Imagination die größte Kraft in der menschlichen Zusammensetzung von komplizierten Instrumenten. Die moderne westliche Definition der Imagination ist unvollständig und wenig zutreffend. Der Begriff wird hauptsächlich zur Bezeichnung von Phantasien oder Wahnvorstellungen verwendet und stand immer für das Unwirkliche. Es ist aber kaum möglich, eine bessere Bezeichnung zu finden, weil eine der Fähigkeiten der geschulten Imagination die Erschaffung von Bildern ist. Das Wort bedeutet etymologisch das Erzeugen oder Widerspiegeln von Bildern. Die Anwendung dieser Fähigkeit oder vielmehr das passive Erleben ihrer Tätigkeit in einer unkontrollierten Weise vermittelte dem Westen keine andere Vorstellung davon, als dass es sich bei der Imagination um Fantasie handelt. Das ist soweit richtig. Die Imagination kann aber weiter entwickelt werden, sodass sie in der Astralsubstanz ein wirkliches Bild oder Modell evolviert, das ebenso benützt werden kann, wie ein Eisengießer eine Sandform für das flüssige Eisen verwendet. Sie ist deshalb die königliche Fähigkeit, weil der Wille seine Arbeit nicht ausführen kann, wenn die Imagination schwach ausgebildet oder ungeschult ist. Wenn zum Beispiel jemand, der etwas aus der Luft materialisieren will, das in der Astralebene erzeugte Bild auch nur im Geringsten erzittern lässt, so wird das Pigment in einer dementsprechend flimmernden, ungeordneten Weise auf das Papier fallen.
Um mit einem anderen Denkvermögen auf beliebige Distanz in Verbindung zu treten, muss der Adept alle Moleküle des Gehirns und alle Gedanken des Denkvermögens, das angesprochen werden soll, so abstimmen, dass sie mit dem anderen Denkvermögen harmonisch schwingen, und jenes andere Denkvermögen und Gehirn muss entweder freiwillig in den gleichen Einklang versetzt werden oder sich freiwillig darauf einstimmen. Obwohl der Adept in Bombay sein mag und sein Freund in New York, bildet die Entfernung kein Hindernis, da die inneren Sinne vom Gehirn unabhängig sind und die Gedanken und Bilder im Denkvermögen des anderen Menschen sehen und fühlen können.
Wenn der Wunsch besteht, die Gedanken eines anderen und die Bilder von allem um ihn, was er je gedacht und gesehen hat, in dessen Denkvermögen zu lesen und zu erfassen, dann richtet der Adept seine innere Schau und sein inneres Gehör auf das zu erforschende Denkvermögen, worauf er auf einmal alles erkennt. Aber, wie schon gesagt, nur ein Bösewicht würde das tun. Die Adepten tun es nicht, außer in Fällen, in denen sie eben dazu ermächtigt werden. Der moderne Mensch würde kein Vergehen im Ausspionieren der Geheimnisse eines anderen mit Hilfe solcher Kräfte sehen, aber der Adept sieht darin eine Verletzung der Rechte anderer. Kein Mensch ist berechtigt, selbst wenn er die Macht dazu hätte, in das Denkvermögen eines anderen einzudringen und sich dessen Geheimnisse anzueignen. Das ist das Gesetz der Loge für alle Wahrheitssucher, und wenn jemand merkt, dass er vor der Entdeckung fremder Geheimnisse steht, muss er sich sofort zurückziehen und darf nicht weiterforschen. Wenn er es dennoch tut, wird ihm, falls er ein Schüler ist, die Kraft genommen; in jedem anderen Fall muss der Betreffende die Folgen für diese Art von Einbruchdiebstahl auf sich nehmen. Die Natur hat ihre Gesetze und ihre Polizei, und wenn wir in der Astralwelt Verbrechen begehen, dann werden das große Gesetz und seine Wächter, die unbestechlich sind, die Strafe vollstrecken und wenn noch soviel Zeit darüber vergeht, und seien es 10 oder 1000 Jahre. Hierin liegt ein weiterer Schutz für Ethik und Moral. Bis jedoch die Menschen die in diesem Buch dargelegte Lebensphilosophie anerkennen, wird es ihnen nicht unrecht erscheinen, auf solchen Gebieten der Natur, in die die schwachen Menschengesetze nicht wirken, Verbrechen zu begehen. Aber gerade durch die Ablehung der Philosophie schieben sie nur den Tag hinaus, an dem alle diese großen Kräfte zum Nutzen aller erlangen können.
Zu den erwähnenswerten Phänomenen gehört auch die Bewegung von Gegenständen ohne physische Berührung. Das kann auf mehrere Arten geschehen. Die erste besteht darin, dass die Astralhand oder der Astralarm aus dem physischen Körper ausgetrieben und damit die zu bewegenden Objekte ergriffen werden. Das kann bis zu einem Abstand von über drei Metern vom Körper geschehen. Ich möchte das nicht weiter vertiefen, sondern nur auf die Eigenschaften der Astralsubstanz und der Gliedmaßen hinweisen. Das dient auch dazu, in gewissem Umfang die mediumistischen Phänomene zu erklären. In nahezu allen Fällen solcher Apportationen wird das Kunststück unter Verwendung der unsichtbaren aber doch materiellen Astralhand ausgeführt. Bei der zweiten Methode werden Elementale, von denen ich bereits sprach, eingesetzt. Sie haben, wenn sie von dem inneren Menschen geleitet werden, die Kraft, durch Änderung der Polarität Gegenstände zu tragen. Man kann dann beobachten, wie indische Fakire und einige Medien in Amerika kleine Gegenstände anscheinend ohne Stütze fortbewegen. Diese Elementalwesen werden eingesetzt, um Dinge aus Entfernungen herbeizuholen, die mit den Astralgliedern nicht erreichbar sind. Dass die Medien nichts von diesem Vorgang wissen, ist kein Gegenbeweis. Sie wissen nur selten, wenn überhaupt, wie sie ihre Schaustücke ausführen, und ihre Unkenntnis der Gesetze ist kein Beweis gegen deren Existenz. Jene Schüler, die die inneren Kräfte in Tätigkeit sahen, benötigen keine weiteren Erklärungen.
Hellsehen, Hellhören und Zweites Gesicht sind alle eng miteinander verwandt. Jede Anwendung einer dieser Fähigkeiten bewirkt auch die Mitwirkung der beiden anderen. Es sind nur Variationen einer Kraft. Der Ton ist eines der unterscheidenden Merkmale der Astralsphäre, und da Licht von Ton begleitet wird, erfolgt das Sehen simultan mit dem Hören. Wenn ein Astralbild mit den Astralsinnen gesehen wird, so ist gleichzeitig auch ein Ton damit verbunden, und das Hören dieses Tones lässt auf die Gegenwart eines dazugehörenden Bildes in der Astralsubstanz schließen. Dem echten Schüler des Okkultismus ist es sehr wohl bekannt, dass jeder Ton sofort ein Bild erzeugt, und diese im Osten seit langem bekannte Tatsache ist kürzlich auch im Westen demonstriert worden, indem Klangfiguren auf einem gespannten Trommelfell sichtbar gemacht wurden. Mit Hilfe des Okkultismus kann dieser Teil des Themas noch viel weiter ausgedehnt werden; da das aber im gegenwärtigen Zustand der menschlichen Gesellschaft Gefahren mit sich bringt, möchte ich davon absehen. Im Astrallicht sind Bilder von allen Dingen vorhanden, die einem Menschen je zustießen, und ebenso auch Bilder von solchen künftigen Ereignissen, deren Ursachen genügend ausgeprägt und vorbereitet sind. Wenn die Ursachen noch unbestimmt sind, dann sind auch die Zukunftsbilder unbestimmt. Aber für die große Menge der in den nächsten Jahren fälligen Ereignisse sind die erzeugenden und wirkenden Ursachen im Astrallicht stets mit genügender Deutlichkeit vorhanden, um dem Seher die Vorausschau so zu ermöglichen, als seien sie gegenwärtig. Mittels dieser mit den inneren Sinnen geschauten Astralbilder vermögen alle Hellseher ihre seltsame Fähigkeit anzuwenden. Diese Fähigkeit ist jedoch allen Menschen eigen, aber bei der Mehrheit nur wenig entwickelt. Der Okkultismus behauptet auch, dass kein Mensch einem anderen eine Idee übermitteln könnte, wenn der Keim dieser Kraft nicht in jedem leicht aktiv wäre.
Die höchste Stufe des Hellsehens – die spirituelle Sicht – ist sehr selten. Das gewöhnliche Hellsehen hat nur mit den gewöhnlichen Aspekten und Schichten der Astralmaterie zu tun. Spirituelle Sicht wird nur jenen zuteil, die rein, ergeben und charakterfest sind. Sie kann durch eine spezielle Entwicklung jenes besonderen Organs im Körper erreicht werden, das allein solche Visionen ermöglicht, und zwar nur nach Schulung, langem Üben und höchstem Altruismus. Alle anderen Arten des Hellsehens sind vergänglich, ungeeignet und fragmentarisch, da sie es nur mit Materie und Illusion zu tun haben. Dieser fragmentarische und unzulängliche Charakter ergibt sich aus der Tatsache, dass kaum ein Hellseher die Kraft hat, in mehr als nur eine der niederen Schichten der Astralsubstanz gleichzeitig zu schauen. Hochgesinnte und Mutige können mit der Zukunft und mit der Gegenwart viel besser fertig werden als jeder Hellseher. Da aber die Existenz dieser beiden Kräfte beweist, dass die inneren Sinne in uns sind und dass das dafür erforderliche Medium – das Astrallicht – vorhanden ist, haben sie, als derartige menschliche Fähigkeiten, eine wichtige Beziehung zu den Behauptungen, die von den sogenannten ‘Geistern’ in den spiritistischen Séance-Zimmern aufgestellt werden.
Träume sind manchmal das Resultat einer sich automatisch abspielenden Gehirntätigkeit. Sie werden aber auch von dem inneren Menschen erzeugt, indem er wesentliche oder unwesentliche Szenen oder Ideen auf das Gehirn überträgt, die er selbst sah, während der Körper schlief. Sie werden dann in das Gehirn gefiltert, so als ob sie auf der Seele schwimmen würden, während die Seele wieder in den Körper hineinsinkt. Solche Träume mögen nützlich sein. Im Allgemeinen zerstört jedoch die Wiederaufnahme der körperlichen Tätigkeit ihre wahre Bedeutung, entstellt das Bild und bringt alles in Verwirrung. Die große Bedeutung des Träumens liegt aber in der Tatsache, dass irgendjemand während des Traumes etwas wahrnimmt und empfindet, und das ist eines der Argumente für die Existenz des inneren Menschen. Im Schlaf verkehrt der innere Mensch mit höheren Intelligenzen, und manchmal gelingt es ihm, dem Gehirn das Empfangene – sei es eine hohe Idee oder eine prophetische Vision – zu übermitteln, oder es misslingt wegen des Widerstands der Denkmuster. Das Karma des Menschen bestimmt die Bedeutung eines Traumes, denn ein König kann etwas träumen, das sich auf sein Reich bezieht, während dieselbe Sache, von einem Bürger geträumt, keine Konsequenz zeitigt. Aber wie Hiob sagte: „Im Traum, im Nachtgesicht, da öffnet er der Menschen Ohr“ [Hiob 33, 15-16].
Gespensterscheinungen und Doppelgänger gehören zwei Hauptklassen an. Die ersteren – Astralhüllen oder Bilder aus der Astralwelt – sind entweder den Augen wirklich sichtbar oder nur das Resultat innerer Schwingungen, die auf das äußere Auge projeziert werden, und somit den Betreffenden glauben machen, er sähe eine äußerliche, objektive Form. Im zweiten Fall handelt es sich um Astralkörper lebender Menschen, die entweder ganz oder nur teilweise mit Bewusstsein ausgestattet sind. Mühevolle Experimente der Gesellschaften für psychische Forschung, die Geisterscheinungen zu beweisen, können ohne die Kenntnis dieser Gesetze nichts beweisen: Denn von zwanzig anerkannten Fällen kann es sich bei neunzehn um die Objektivierung eines Bildes handeln, das dem Gehirn eingeprägt wurde. Dass Erscheinungen gesehen wurden, steht zweifelsfrei fest. Bei Erscheinungen von gerade Verstorbenen kann es sich entweder um die – wie oben beschrieben – objektivierten Bilder handeln oder um den Astralkörper des Verstorbenen, der in diesem Stadium als Kāma-Rupa bezeichnet wird. Da die sterbenden, vom Körper frei werdenden Gedanken und Kräfte sehr stark sind, gibt es viel mehr Berichte über derartige Erscheinungen als über jede andere Klasse.
Der Adept kann seine Erscheinung aussenden. Sie wird aber mit einem anderen Namen bezeichnet, da sie sich aus seinem bewussten und geschulten Astralkörper zuzüglich seiner Intelligenz zusammensetzt und von seinem physischen Organismus nicht ganz getrennt ist.
Die Theosophie verneint und ignoriert die von der Wissenschaft entdeckten physikalischen Gesetze und Tatsachen nicht. Sie anerkennt alle Gesetze, die wirklich bewiesen sind, sie betont aber die Existenz von anderen, die die Wirkung jener allgemein bekannten modifizieren. Hinter allen sichtbaren Phänomenen steht der okkulte Kosmos mit seinen vollkommenen Mechanismen. Dieser okkulte Kosmos kann nur mit Hilfe der inneren Sinne richtig verstanden werden, die zu ihm gehören. Diese Sinne werden sich nicht leicht entwickeln lassen, wenn ihre Existenz verneint wird. Gehirn und Bewusstsein haben zusammenwirkend die Kraft, Formen zu evolvieren: zuerst astrale in der Astralsubstanz und später sichtbare durch Ansammlung von Materie auf dieser Ebene. Objektivität beruht hauptsächlich auf Wahrnehmung, und Wahrnehmung kann durch innere Stimulation beeinflusst werden. Deshalb kann ein Zeuge ein Objekt sehen, das tatsächlich als solches äußerlich existiert, er mag es aber auch aufgrund eines inneren Stimulus sehen.
Hieraus ergeben sich drei verschiedene Arten des Sehens: a) mit dem Auge durch das vom Auge ausgehende Licht; b) mit den inneren Sinnen mittels des Astrallichts; c) durch inneren Stimulus, der das Auge zu einer Meldung an das Gehirn veranlasst, wodurch das innere Bild nach außen projeziert wird. Die Phänomene der anderen Sinne können in gleicher Weise aufgelistet werden.
Da die Astralsubstanz das Register aller Gedanken, Töne, Bilder und anderer Vibrationen und der innere Mensch eine vollständige Person ist, die fähig ist, mit oder ohne die Koordination des Physischen zu handeln, können alle Phänomene der Hypnose, des Hellsehens, des Hellhörens, der Mediumschaft und die übrigen, die nicht bewusst ausgeführt werden, erklärt werden. In der Astralsubstanz sind alle Töne und Bilder, und im Astralmenschen verbleiben die Eindrücke eines jeden Geschehens, ganz gleich wie weit entfernt oder unbedeutend es sein mag. Ihr Zusammenwirken erzeugt die Phänomene, die jenen Menschen so fremdartig erscheinen, die die Lehrsätze des Okkultismus in Abrede stellen oder überhaupt nicht kennen.
Um jedoch die Phänomene erklären zu können, die von Adepten, Fakiren und Yogis ausgeführt werden, muss man die okkulten Gesetze der Chemie, des Denkvermögens, der Kraft und der Materie verstehen. Es kann sicher nicht die Aufgabe eines solchen Buches sein, diese im Einzelnen zu behandeln.