Band 6: Der Tod: Was kommt danach?
Leonie L. Wriht
„Tod, wo ist dein Stachel? Grab, wo ist dein Sieg?“ Wir alle sind mit diesen schönen Worten von Paulus vertraut, aber – ach – wie wenig wirklichen Trost haben sie betrübten Herzen gespendet! Denn es gibt keine Lehre oder Erfahrung, die dieses Versprechen mit göttlicher Gewissheit untermauert. Und doch ist die Wahrheit schon immer ganz nahe bei uns und flüstert unseren Herzen genau mit der Stimme unserer eigenen Liebe für die ‘Dahingegangenen’ zu: Der spirituelle Mensch ist ewig; es gibt keinen Tod.
Die Theosophie sagt uns, dass die scheinbare Trennung von unseren Geliebten durch den Tod keine Realität ist. Lehrt nicht auch die Naturwissenschaft, dass Materie ‘hauptsächlich aus Löchern’ besteht? Und doch scheinen Materie und das äußere Leben für uns alles geworden zu sein, was uns eigentlich interessiert. Wir leben fast ausschließlich für materielle Zwecke und die Interessen unserer Persönlichkeit – für den Gehirnverstand oder unser emotionales Denken. Und diese Persönlichkeit – die ganz und gar irdisch und mit physischen Dingen verwoben ist und die mit dem Körper zerfällt – stirbt und entschwindet aus dem menschlichen Gesichtskreis.
Dass die Natur der Persönlichkeit flüchtig ist, das ist die große Lektion, die wir lernen müssen – wenn wir nicht nur in spiritueller Verbindung mit den Toten bleiben möchten, sondern mit all jenen, die körperlich von uns getrennt sind. Wir müssen unser persönliches Selbst als das vergängliche Ding verstehen lernen, das es ist. Wenn wir dann die hinter ihm und im Inneren stehende spirituelle Realität entdecken und danach leben, werden wir unser inneres Unsterbliches Selbst finden und beginnen, in und für diese bleibende Wurzel unseres Wesens zu leben. Wenn uns das gelingt, werden wir sehen: Wir werden dann uns selbst als bereits unsterblich erkennen – jetzt, in diesem Augenblick! Wir werden dann auch das wahre Selbst jener wahrnehmen, die wir lieben und in jedem Augenblick unseres Lebens die Wirklichkeit empfinden, dass wir immer zusammen sind; immer wirklich miteinander in Verbindung stehen, wenn auch die physischen Augen das geliebte Gesicht nicht sehen und die physischen Ohren die Stimme des Abwesenden nicht hören. Lediglich die Kenntnis unseres spirituellen Selbst und des inneren spirituellen Selbst unserer Lieben wird uns den Sieg über den Tod bringen.
Wir können tatsächlich Wahrheit erlangen. Jeder von uns hat die Fähigkeit, alle seine Probleme zu lösen und für jeden Schmerz Heilung zu finden. Der Tod ist kein Mysterium in dem Sinne, dass er nicht verstanden werden kann. Die Wahrheiten über den Tod liegen innerhalb unseres Verständnisses.
Theosophische Perspektiven
Band 06: Der Tod: Was kommt danach?
Frei überarbeitet nach Leoline L. Wright
© 2000 Theosophischer Verlag der Stiftung der Theosophischen Gesellschaft Pasadena, Eberdingen
Der Tod ist der Eröffner, der Eine, der Vision schenkt; der Tod ist der größte und lieblichste Wechsel, den das Herz der Natur für uns bereithält.
– Gottfried von Purucker, Goldene Regeln der Esoterik, S. 63
Einleitung
„TOD, wo ist dein Stachel? Grab, wo ist dein Sieg?“ Wir alle sind mit diesen schönen Worten von Paulus vertraut, aber – ach – wie wenig wirklichen Trost haben sie betrübten Herzen gespendet! Denn es gibt keine Lehre oder Erfahrung, die dieses Versprechen mit göttlicher Gewissheit untermauert. Und doch ist die Wahrheit schon immer ganz nahe bei uns und flüstert unseren Herzen genau mit der Stimme unserer eigenen Liebe für die ‘Dahingegangenen’ zu: Der spirituelle Mensch ist ewig; es gibt keine Toten.
Die Liebe an sich ist der Beweis für das spirituelle Überleben des Menschen – wahre Liebe, die selbstlos ist, anspruchslos, rein, verzeihend und – unzerstörbar. Wenn wir auch irgendwann aufhören, ständig um jene zu trauern, die uns in das Land des Lichts vorausgegangen sind, können wir jemals aufhören zu lieben? Gerade weil unsere Liebe unzerstörbar ist, muss sie einem Element in uns entspringen, das gleichfalls unsterblich ist – denn wie kann eine Qualität größer sein als die Quelle, der sie entspringt?
Genau hier, in der Liebe, müssen wir nach Beweisen suchen, dass der Geist des Menschen für alle Zeit lebt. Aber wir dürfen dabei nicht vergessen, dass nur wahre Liebe, und nicht selbstsüchtiges emotionales Anhaften, uns die Tür zu wirklichem spirituellen Kontakt mit unseren Verstorbenen öffnen kann.
Die Theosophie sagt uns, dass die scheinbare Trennung von unseren Geliebten durch den Tod keine Realität ist und wir in Illusionen leben. Lehrt nicht auch die Naturwissenschaft, dass Materie ‘hauptsächlich aus Löchern’ besteht? Und doch scheinen Materie und das äußere Leben für uns alles geworden zu sein, was uns eigentlich interessiert. Wir leben fast ausschließlich für materielle Zwecke und die Interessen unserer Persönlichkeit – für den Gehirnverstand oder unser emotionales Denken. Und diese Persönlichkeit – die ganz und gar irdisch und mit physischen Dingen verwoben ist und die mit dem Körper zerfällt – stirbt und entschwindet aus dem menschlichen Gesichtskreis. Dass die Natur der Persönlichkeit flüchtig ist, das ist die große Lektion, die wir lernen müssen – wenn wir nicht nur in spiritueller Verbindung mit den Toten bleiben möchten, sondern mit all jenen, die körperlich von uns getrennt sind. Wir müssen unser persönliches Selbst als das vergängliche Ding verstehen lernen, das es ist. Wenn wir dann die hinter ihm und im Inneren stehende spirituelle Realität entdecken und danach leben, werden wir unser inneres Unsterbliches Selbst finden und beginnen, in und für diese bleibende Wurzel unseres Wesens zu leben. Wenn uns das gelingt, werden wir sehen: Wir werden dann uns selbst als bereits unsterblich erkennen – jetzt, in diesem Augenblick! Wir werden dann auch das wahre Selbst jener wahrnehmen, die wir lieben und in jedem Augenblick unseres Lebens die Wirklichkeit empfinden, dass wir immer zusammen sind; immer wirklich miteinander in Verbindung stehen, wenn auch die physischen Augen das geliebte Gesicht nicht sehen und die physischen Ohren die Stimme des Abwesenden nicht hören. Lediglich die Kenntnis unseres spirituellen Selbst und des inneren spirituellen Selbst unserer Lieben wird uns den Sieg über den Tod bringen.
Wir können tatsächlich Wahrheit erlangen. Jeder von uns hat die Fähigkeit, alle seine Probleme zu lösen und für jeden Schmerz Heilung zu finden. Der Tod ist kein Mysterium in dem Sinne, dass er nicht verstanden werden kann. Die Wahrheiten über den Tod liegen innerhalb unseres Verständnisses.
Die einzige Ursache, die den Tod mit so viel Leid, Angst und Furcht umgibt, ist unsere Unwissenheit über die hinter dem materiellen Leben stehenden spirituellen Tatsachen. Mit Mut und Entschlossenheit ist es uns möglich, den Schleier zu lüften und mittels unserer erwachten spirituellen Fähigkeiten zu entdecken, dass der Tod nur der Eingang zu einer höheren Daseinsform auf einer Ebene ist, auf der wir und unsere Lieben untrennbar sind; und dass wir, immer gemeinsam, „von Zeitalter zu Zeitalter und von Höhen zu noch größeren Höhen immer weiter fortschreiten“.
Unwissenheit ist der größte Feind des Menschen, vor allem Unwissenheit über seine eigene Natur. Mensch, erkenne dich selbst! Denn in dir liegen alle Möglichkeiten und Wirklichkeiten des Universums. Weil die meisten von uns praktisch nichts über sich selbst wissen – und nur die eingefahrenen Geleise unseres Lebens kennen, in denen sich unsere Gedanken und Gefühle täglich wiederholen –, haben wir keine Antworten auf die Fragen, warum wir hier sind und wohin wir gehen.
Der illusorische und trügerische Charakter materieller Dinge wurde den Nachdenklichen durch die Arbeit der modernen Wissenschaft allmählich verständlich gemacht. Die Naturwissenschaft erklärt uns zum Beispiel, dass unser Körper aus kleinen Teilchen aufgebaut ist, bekannt als Elektronen, Protonen, Neutronen usw., welche die Theosophie hingegen ‘Leben’ oder Lebensatome nennt. Wenn man die gesamte Materie des menschlichen Körpers zusammenpressen könnte, würde nicht mehr zurückbleiben als ein kleines Staubkörnchen, so sagen die Wissenschaftler. Und trotzdem formt dieses Körnchen – sozusagen von der Magie der Lebenskräfte ausgebreitet – unseren verhältnismäßig großen und scheinbar festen physischen Körper. So ist auch ein Tisch, ein Marmorblock oder jeder andere feste Gegenstand in Wirklichkeit aus einer unvorstellbaren Anzahl kleiner Teilchen zusammengesetzt, die mit unvorstellbarer Schnelligkeit schwingen und uns die Illusion von Festigkeit vorspiegeln, obwohl große Abstände zwischen ihnen existieren. Das, was wir immer als ‘feste Wirklichkeit’ ansehen, ist tatsächlich eine Illusion, obwohl es vom Standpunkt der Erfahrung aus real erscheint.
Man hat auch Formen der Materie entdeckt, die wir nicht sehen können, weil ihre Schwingungsraten für unsere Sinne nicht wahrnehmbar sind – wie die infraroten und die ultravioletten Lichtstrahlen, die einen mit einer zu langsamen und die anderen mit einer zu schnellen Schwingungsfrequenz, um für uns sichtbar zu sein.
Wenn wir also die Mysterien von Leben und Tod verstehen und die außerhalb des normalen Wahrnehmungsvermögens stehenden Dinge der spirituellen Reiche sehen und erkennen wollen, müssen wir die täuschende Natur der rein materiellen Dinge erkennen. Und wir müssen für uns die Bedeutung von Materieformen erkennen, die unsere gegenwärtige Wahrnehmungsfähigkeit übertreffen. Wir müssen verstehen, was die Wissenschaft gerade aufzuzeigen beginnt, jedoch die Theosophie – die alte Weisheits-Wissenschaft – seit Äonen gelehrt hat, nämlich dass das wirkliche Universum nicht aus Materie, sondern aus Bewusstsein errichtet ist. Der Mensch ist kein Körper, denn der ist illusorisch. Er ist ein Zentrum, eine Einheit von Bewusstsein, eingebettet in ein Gewand aus vergänglichem Fleisch.
Natürlich sollen wir den Körper und die Persönlichkeit oder den Verstand – unser gewöhnliches Selbst – nicht unterbewerten, denn sie bilden das Instrumentarium oder die Werkzeuge für Erfahrung in unserer Welt, in der unsere Evolution gegenwärtig stattfindet. Ein richtiges Verständnis unserer Persönlichkeit würde uns tatsächlich dazu befähigen, sie zu einem Instrument ungeahnter Schönheit und noch unvorstellbaren Nutzens zu entwickeln. Aber das gelingt uns nicht, noch können wir sie dazu bringen, uns richtig zu dienen, solange wir nicht gedanklich beiseite treten und sie in ihrer Beziehung zu dem tieferen, unsterblichen Selbst betrachten, in dem der Schlüssel zu all unseren ‘Mysterien’ liegt.
Oft staunen wir über unsere eigenen Launen und unsere mentale Verfassung. Wir verstehen nicht, weshalb wir von einem Tag auf den anderen so wechselhaft sind. Aber dennoch wissen wir, dass es in uns etwas Dauerhaftes gibt, das diese Veränderungen erkennt und beobachtet – etwas, das unser Identitätsgefühl von Jugend an bis ins Alter weiterträgt, durch alle Erfahrungen, die den Charakter so bedeutungsvoll umformen. Dieses dauerhafte Element in uns ist das wahre Selbst, das beständig ist – ungeachtet unserer Launen, gerade wie das Meer, das auch unter dem Einfluss von Gezeiten und Stürmen, welche die Oberfläche aufwühlen, unverändert bleibt. Diese im Inneren wohnende Wirklichkeit ist das spirituelle Selbst im Menschen.
Wenn wir darüber nachdenken, bemerken wir, dass der wahre Mensch am besten verstanden werden kann, wenn wir ihn nicht so sehr als einen Körper oder Denker betrachten, sondern als ein Bewusstseinszentrum. Mit dem Wort ‘Bewusstsein’ sollten wir uns vertraut machen, denn Bewusstsein ist der Stoff, mit dem die Evolution arbeitet. Es ist die Grundlage allen Lebens, allen Wachstums und allen Seins. Der Mensch ist in Wirklichkeit aus verschiedenen Bewusstseinsarten zusammengesetzt, in denen das spirituelle Selbst das bindende Element darstellt – den unsichtbaren Kern sozusagen. Auch einige prominente Wissenschaftler betrachten Bewusstsein nicht länger als ein Nebenprodukt des Gehirns, sondern als den fundamentalen Stoff der Existenz.1
Was verstehen wir nun unter Bewusstsein? Dem Wesen nach ist es die Empfindung des ICH BIN: Ich existiere, ich lebe, fühle und erfahre. Aber dieses ICH BIN ist nur unsere Wurzel, die unpersönliche, universale Grundlage. Während des Lebens entwickelt sich dieses Gefühl des Wurzel-Bewusstseins zu vielerlei Formen: körperliches Bewusstsein, emotionales und mentales Bewusstsein und – das wichtigste von allem – Selbstbewusstsein: das Gefühl des ICH BIN ICH – ich bin ich und kein anderer. Jede dieser verschiedenen Bewusstseinsarten wächst zu einem Komplex oder einem Bündel von Energien, die als Aktivitäts-Zentren in uns existieren.
Dass das wahr ist, erkennen wir in der Tatsache, dass jeder einzelne davon überzeugt ist, in einer bestimmten, charakteristischen Weise zu denken und zu empfinden. Bei einem Geizhals gehen wir nicht davon aus, dass er in einem plötzlichen Impuls von Großzügigkeit handelt. Er hat durch seine Gedanken und Gewohnheiten gewisse starke Gefühlszentren aufgebaut, die ihn beherrschen, sogar wenn Großzügigkeit seinem eigenen Vorteil dienen könnte. Die meisten von uns haben sich jedoch noch nicht in einer bestimmten Art entwickelt und sind sich deshalb des Wachstums des inneren, psychologischen Organismus – der aus einzelnen, lose verknüpften Gefühlszentren besteht – ebenso wenig bewusst, wie des Wachstums des Körpers.
Dennoch gibt es diese Zentren. Täglich identifizieren wir uns einmal mit diesem und einmal mit jenem Zentrum, je nach unseren Launen. Wir haben diese Zentren im Laufe der Zeit aufgebaut. Sie bilden die Basis unseres Charakters und Handelns. Die Tyrannei unseres Temperaments, die Schwierigkeit, mit Gewohnheiten zu brechen oder sich von Vorurteilen zu befreien, sind auf diese Energiezentren zurückzuführen, die wir in uns im Laufe all unserer Leben völlig unbewusst aufgebaut haben. Und so führt uns die Theosophie zunächst zu einem Studium des Bewusstseins. Das Mysterium des Todes ist eines der Mysterien des Bewusstseins.
Schlaf und Tod
Die Ähnlichkeit zwischen Schlaf und Tod hat die Denker aller Zeiten beeindruckt. Die alten Griechen hatten ein Sprichwort: „Schlaf und Tod sind Brüder.“ Denn der Tod stellt das gleiche Phänomen dar wie der Schlaf – nur in einem größeren und tieferen Ausmaß. Wir wissen alle, dass der Schlaf ein zeitlich begrenzter Zustand ist, weil wir ihn verstehen oder uns einbilden, es zu tun. Den Tod betrachten wir jedoch als das Lebensende, obwohl wir ihn eigentlich nicht in dieser Weise mit dem Leben in Zusammenhang bringen sollten. Wir sollten nicht ‘Leben und Tod’ sagen, sondern Geburt und Tod. Bei der Geburt denken wir nicht an etwas Endgültiges, weil wir wissen, dass ihr der Tod folgt. Aber die Theosophie zeigt uns, dass auch der Tod nichts Endgültiges ist. Der Tod ist nicht nur eine Geburt des spirituellen Menschen auf einer höheren Daseinsebene, sondern dem Tod folgt schließlich die Wiedergeburt des Menschen auf der Erde. Die große, fortdauernde Tatsache ist also Leben oder Bewusstsein; und Geburt und Tod sind lediglich rhythmische Ereignisse im endlosen Kreislauf der bewussten Evolution aller Dinge.
Schlafen und Wachen stellen ebenfalls rhythmische Ereignisse dar, durch die in diesem Leben unsere persönliche Entwicklung bestimmt wird. Wenn wir uns selbst nur im Lichte der Theosophie genauer beobachten und den Tod mehr in Zusammenhang mit den Erfahrungen unseres gewöhnlichen Bewusstseins bringen würden, wäre er nicht länger solch ein düsteres und hoffnungsloses Rätsel. Sobald wir den Tod als einen verständlichen Teil unserer Evolution und als bedeutungsvoll und reich an neuen Entdeckungen für Verstand und Herz betrachten, fügt das Studium des Todes unserer spirituellen Geschichte ein neues und interessantes Kapitel hinzu.
Nach dem alten griechischen Sprichwort sind Schlaf und Tod Brüder. Sie sind jedoch nicht nur Brüder, geboren aus der gleichen Struktur des menschlichen Bewusstseins, sondern sie sind in voller Wahrheit eines, identisch. Der Tod ist ein vollkommener Schlaf mit seiner Art von zwischenzeitlichem Erwachen, wie zum Beispiel im Devachan, und einem vollen menschlichen Erwachen in der darauf folgenden Reinkarnation. Der Schlaf ist ein unvollständiger Vollzug des Todes, … .
Nachts schlafen wir und deshalb sterben wir nachts teilweise. Man kann tatsächlich noch weitergehen und sagen, dass der Schlaf und der Tod und alle die verschiedenen Prozesse und Realisationen der Initiation nur verschiedene Phasen oder Vorgänge des Bewusstseins sind, abgewandelte Formen derselben fundamentalen Sache. Der Schlaf ist größtenteils eine automatische Funktion des menschlichen Bewusstseins. Der Tod ist das gleiche, aber in einem viel größeren Ausmaß. Er ist eine notwendige Verhaltensweise des Bewusstseins, damit sich der psychische Teil der Konstitution ausruhen und die Erfahrungen assimilieren kann.
… Der einzige Unterschied zwischen Tod und Schlaf ist das Maß. Genauso wie im Tod wird das Bewusstsein während des Schlafs, nach einer kurzen Periode vollständiger Unbewusstheit, zum Sitz oder aktiven Brennpunkt bestimmter Formen innerer mentaler Aktivität, die wir Träume nennen.
– G. DE PURUCKER, Quelle des Okkultismus, III:169/170
Wenn wir nun unseren verschiedenen Bewusstseinszuständen ein wenig mehr Aufmerksamkeit schenken, entdecken wir noch einen anderen wertvollen Schlüssel. Was meinen wir mit ‘Bewusstseinszuständen’? Viele von uns betrachten sich selbst selten als etwas anderes als einen durch ein physisches Gehirn belebten Körper. Wir dringen nicht tief genug in unser eigenes Innenleben ein, um zu begreifen, dass unser wahres Wesen aus Bewusstsein besteht, das sich zu verschiedenen Zeiten in unterschiedlichen Teilen unserer Konstitution konzentriert. Das kann man sehr leicht verstehen, wenn man über die Tatsache nachdenkt, dass sogar unser normales Alltagsleben aus verschiedenen Bewusstseinszuständen gebildet wird, die so unterschiedlich sind, wie es nur geht.
Manche dieser ‘Zustände’ oder Funktionen unseres Bewusstseins sind emotional – wie Wut, Trauer, Glück oder Aufregung; mitunter sind sie rein intellektuell, wie in der Arbeit eines Wissenschaftlers oder eines Schriftstellers; ein anderes Mal, wenn wir hungrig oder müde sind oder einen schmerzhaften Unfall hatten, konzentrieren wir uns gänzlich auf den Körper. In der Nacht wandert unser Bewusstsein zu wieder anderen, noch weniger bekannten Funktionen oder Aspekten von uns.
Fast jeder hat schon einmal bei einem Spaziergang, beim Lesen oder im Gespräch erlebt, dass ihm etwas auffällt, was ihn plötzlich lebhaft an einen Traum in der letzten Nacht erinnert; oder dass er beim Erwachen ganz von einem bestimmten Traum erfüllt ist, der ihm momentan klar und deutlich vor Augen steht, der aber später mit der Rückkehr des Tagesbewusstseins völlig verblasst. Im ersten Fall hätten wir uns ohne den äußerlichen Anlass vielleicht nie an den Traum erinnert. Beide Fälle zeigen uns, dass es Erfahrungen im Bewusstsein gibt, von denen wir normalerweise nichts wahrnehmen, die aber auf ihrer eigenen Ebene genau so lebendig wie die des Bewusstseins im Wachzustand sind. Wieviele solcher Erfahrungen kann der innere Mensch wohl schon gemacht haben, an die sich das Selbst im Wachzustand niemals erinnert! Dennoch gibt es sie und sie waren in jenem Augenblick genauso real wie im Wachzustand, genauso wirklich wie die infraroten und ultravioletten Strahlen, die wir niemals sehen. Darüber hinaus tragen diese Erfahrungen ihren Teil zu dem bei, was wir jetzt sind. Und darin liegt der Schlüssel, von dem wir vorher gesprochen haben.
Wenn wir also den Tod verstehen wollen, müssen wir unser eigenes Bewusstsein studieren, wir müssen uns selbst kennen, denn Bewusstsein ist die fundamentale Tatsache des Universums. Die moderne Wissenschaft, die solange davon überzeugt war, Bewusstsein sei nichts anderes als ein Nebenprodukt der Materie, ändert nun allmählich ihre Meinung. Männer wie Einstein, Planck, Eddington, Jeans, Lodge und Millikan begannen, über Bewusstsein als die Realität hinter allen Phänomenen zu sprechen. Von den oben genannten wollen wir zwei Aussagen zitieren, die 1931 im Londoner Observer erschienen. Das erste Zitat ist von Max Planck, den man zu seiner Zeit als einen der besten und innovativsten Forscher betrachtete:
… Ich betrachte Bewusstsein als grundlegend. Ich betrachte Materie als von Bewusstsein abgeleitet. Wir können nicht hinter das Bewusstsein vordringen. Alles, worüber wir sprechen, alles, was wir als existierend betrachten, setzt Bewusstsein voraus.
– The Observer, London, 25. Januar 1931
Sir James H. Jeans, ein anderer innovativer wissenschaftlicher Forscher von damals, brachte den gleichen Gedanken in fast identischer Weise zum Ausdruck:
Ich neige zu der idealistischen Theorie, dass Bewusstsein grundlegend ist und das materielle Universum daraus hervorgeht – und nicht umgekehrt. … Es kann sehr wohl sein, so scheint mir, dass jedes individuelle Bewusstsein mit einer Gehirnzelle in einem universalen Denkvermögen verglichen werden sollte.
– The Observer, London, 4. Januar 1931
Mit den oben erwähnten Grundgedanken stimmt die Alte Weisheit völlig überein. Sie hat sie gelehrt, so lange der Mensch existiert. Jetzt allerdings beginnen wir zu erkennen, wohin diese Idee uns führt: Wenn Bewusstsein die fundamentale Wirklichkeit des Universums ist und der Mensch ein individuelles Zentrum dieses Bewusstseins, weist ihn das als ebenso real und unzerstörbar aus wie das Universum. Er ist ein Tröpfchen des Universalen Lebens.
Das Universum besteht tatsächlich aus Bewusstsein und erstreckt sich in unzähligen Abstufungen vom Menschen abwärts zu den niederen Reichen bis zum Elektron und noch weiter abwärts; dann aufwärts vom Menschen bis zum Göttlichen über ihm – eine endlose Reihe hierarchischer Wesen, von denen der Mensch ein integraler Teil ist. Wir sind Teile eines lebendigen Ganzen, und solange das Universum existiert, können wir und alle anderen es zusammensetzenden Wesen nicht aufhören zu existieren. Wir sind Teilhaber an seiner Kontinuität.
Diese Idee wird in der theosophischen Literatur immer wieder betont. In The Esoteric Tradition, S. 144, sagt G. de Purucker:
Denn das Universum ist ein riesiger Organismus; alles, was sich darin befindet, sind untrennbare, weil inhärente, Bausteine. Der Mensch ist deshalb gleichfalls ein untrennbarer Teil davon und enthält somit auch alles in sich, was das Universum enthält … . Jede Energie, jede Substanz, jede Bewusstseinsform in den Unendlichkeiten des grenzenlosen Raumes ist in ihm – latent oder aktiv, je nachdem. Deshalb kann er wissen, indem er dem Pfad folgt, der immer weiter zu seinem Inneren führt, und noch weiter nach innen, bis hin zu seinem essentiellen Selbst, zu seinem Geist, der ein Strahl des Universalen ist. Auf diese Weise erlangt er Kenntnis der Realität aus erster Hand.
Im Zusammenhang mit der Ähnlichkeit zwischen Schlaf und Tod sagt er:
Wenn jemand wissen möchte, wie es ihm beim Sterben ergeht oder was er im Augenblick des Todes wahrnimmt, möge er, wenn er sich schlafen legt, sein Bewusstsein mit seinem Willen fassen und die wirklichen Vorgänge seines ‘Einschlafens’ studieren – falls er es fertigbringt. Es ist recht einfach, das zu tun, wenn man die Idee erfasst hat und sich mit der Praxis der Übung mehr oder weniger vertraut gemacht hat.
– Ebenda, S. 832-3
Wenn wir die tiefer gehenden Probleme des Lebens lösen wollen, müssen wir uns selbst umerziehen. Meistens identifizieren wir uns mit unserem persönlichen Bewusstsein, das heißt mit jenen mentalen und emotionalen Aspekten, die sich auf Selbstsucht oder persönliche Wünsche konzentrieren. Wenn der Mensch die Mysterien von Leben oder Tod verstehen will, muss er sich selbst studieren – als ein Zentrum spirituellen Bewusstseins, als göttlichen Pilger, der dem glorreichen Pfad der selbstgeleiteten Evolution folgt.
Warum sterben wir?
Der Mensch stirbt, weil er in seinem Innersten ein spirituelles Wesen ist. Das Leben auf der Erde stellt nur einen Teil seiner Evolution dar. Die Geist-Seele des Menschen ist in den unsichtbaren spirituellen Welten zu Hause und verweilt nur kurze Zeit hier, um ihre Erfahrungen abzurunden und den zahllosen, weniger entwickelten Wesen sowie den Lebensatomen, die sein irdisches Vehikel zusammensetzen, eine Gelegenheit zum Wachstum zu bieten.
Der spirituelle Mensch reinkarniert hier Leben um Leben; aber zwischen diesen Leben kehrt er in seine Heimat in den inneren Welten zurück und setzt dort auf höheren Ebenen seine Evolution fort.
Der wahre Grund, warum wir sterben, liegt darin, dass tief in unserem Inneren das spirituelle Selbst den Ruf aus seiner ‘Heimat’ verspürt. Es kommt die Zeit, in der es durch die Last der physischen Existenz ermüdet ist und sich nach der Freiheit und dem Licht der spirituellen Reiche sehnt. So löst sich der Geist des Menschen normalerweise allmählich von seinem irdischen Zuhause und bereitet sich darauf vor, sich auf seine erhabene Heimreise zu begeben.
Was die Menschen ‘Tod’ nennen, bedeutet weit mehr, als die meisten von uns realisieren. Das Ablegen des physischen Körpers oder der Hülle ist nicht alles, was der spirituelle Bewohner zu tun hat, um sich für die Reise in die inneren Sphären bereit zu machen. Denn der Mensch ist ein zusammengesetztes Wesen. Er hat nicht nur einen physischen Körper, sondern seine Geist-Seele benutzt auch ein psychologisches Vehikel – seine Persönlichkeit. Diese besteht aus mentalen und emotionalen Bewusstseinszuständen. Sie stellt ein komplexes Gewebe dar, das durch ihre Selbstsucht und ihren Materialismus den Geist sogar stärker nach unten zieht als der grobe physische Körper. Dieses Kleid der Persönlichkeit muss ebenfalls abgeworfen werden und unterliegt der Auflösung. Diesen Prozess nennt man in der esoterischen Philosophie den ‘zweiten Tod’.
Der Tod ist deshalb das Auflösen dieser beiden niederen Bewusstseinsaspekte – des physischen und des psychologischen Aspekts – in ihre entsprechenden Elemente. Der Körper löst sich auf und verschwindet. Alle flüchtigen Energiezentren der psychologischen Natur – die Leidenschaften, die irdischen Wünsche und Begierden und rein persönliche, mentale Aktivitäten – lösen sich in die Lebensatome auf, aus denen diese Zentren durch die Gedanken und Taten der sie benutzenden Individualität aufgebaut wurden. Der wahre Mensch, das spirituelle Selbst, kann – nachdem er auf diese Weise das ihn umhüllende irdische Vehikel abgeworfen hat wie ein Schmetterling seinen Kokon – seine Flügel ausbreiten und in die Freiheit und Freude seiner spirituellen Heimat aufbrechen.
Der gesamte wunderbare, mystische Prozess des Todes wird durch das Gesetz der Periodizität unterstützt, welches das Leben aller Dinge regiert. Denn Tod und Geburt selbst sind Zwillings-Manifestationen dieses Universalgesetzes der Periodizität. Alles Leben hat zwei Pole, den positiven und den negativen. Alles bewegt sich wie ein Pendel zwischen Tag und Nacht, Hitze und Kälte, Ebbe und Flut, Regen und Sonnenschein, Systole und Diastole, Schlafen und Wachen – und ebenso zwischen Geburt und Tod. Aber genau so wie der zweite Pol dieser Gegensatzpaare – Ebbe, Kälte, Systole, Schlaf usw. – auch nur eine Amplitude und keine Endphase darstellt, so ist auch der Tod kein Ende, sondern der Anfang einer Lebensperiode anderer Art. Und da diese auch nur eine Periode ist, muss ihr wieder eine Geburt folgen.
Diesem Gesetz der Periodizität liegt also die Manifestation aller aktiven und zusammengesetzten Wesen zugrunde; und dieses Gesetz ist dem spirituellen Selbst behilflich, sich von seinem irdischen Tabernakel zu befreien. Dieses Ereignis aber, dieser sogenannte ’Tod’, den wir beobachten können, ist nur die Umkehr der Gezeiten, über die hinaus das unsterbliche, für das Auge unsichtbare Selbst durch die spirituelle Ebbe hinausgetragen wird – auf den grenzenlosen Ozean unendlichen Seins.
Jedenfalls sollten wir Folgendes im Auge behalten:
In den meisten Fällen geht dem Tod eine gewisse Zeit voraus, in der sich die monadische Individualität oder vielmehr das sich wiederverkörpernde Ego zurückzieht. Dies findet gleichzeitig mit der Trennung des sieben Prinzipien enthaltenden Wesens, das der Mensch ist, statt. Das sich wiederverkörpernde Ego gehorcht der Anziehung nach innen zu der unaussprechlichen Seligkeit der inneren Welten so stark, dass der goldene Faden des Lebens, der es mit der niederen Triade verbindet, abreißt. Danach folgt sofortige Bewusstlosigkeit; denn die Natur ist in diesen Dingen sehr barmherzig, da sie sozusagen durch unendliche Weisheit geleitet wird.
Das Alter ist folglich nur das physische Resultat davon, dass sich das wiederverkörpernde Ego von der selbstbewussten Teilnahme an den Angelegenheiten des Erdenlebens vorbereitend zurückzieht. Mit sehr großer Wahrscheinlichkeit kann dies mit der Periode – die sich über Monate, ja sogar Jahre erstreckt – verglichen werden, die der Geburt eines Kindes vorausgeht. In dieser Zeit hat sich das zurückkehrende Ego quasi bewusst auf seinen ‘Tod’ im Devachan und seinen Abstieg durch die niedrigeren Zwischenreiche in den für seine Verkörperungen auf dieser Erde geeigneten Zustand vorbereitet. Die charakteristischen Bedingungen dessen, was als zweite Kindheit bekannt ist, stellen einen Aspekt der verschiedenen natürlichen Wege des Hinscheidens aus diesem Erdenleben dar. Es ist nichts Nachteiliges damit verbunden; das Leben verebbt ganz einfach, während sich in den unsichtbaren Welten eine ‘Geburt’ vorbereitet.
– G. DE PURUCKER, Quelle des Okkultismus, III:93
Die sieben Prinzipien des Menschen
Um besser verstehen zu können, was nach dem Tod geschieht und wie der innere Mensch, das spirituelle Selbst, die für seine Erfahrung hier notwendig gewesenen Gewänder oder Vehikel eines nach dem anderen abwirft, wollen wir kurz die sieben Prinzipien der zusammengesetzten Natur des Menschen betrachten.
Das folgende Diagramm, mit dem Spirituellen als dem ersten und höchsten Prinzip beginnend, gibt einen kurzen Überblick.
Ātman-Buddhi ist die Monade, die spirituelle Seele des Menschen. Das Wort ‘Monade’ bezeichnet eine Einheit von Leben oder Bewusstsein – ein Individuum. Im Herzen eines jeden Wesens lebt eine Monade, sei es ein Stern, ein Planet, ein Mensch, ein Tier, eine Pflanze, ein Atom oder ein Elektron – ganz gleich, was. Im Menschen können wir sie deutlicher als sein spirituelles Selbst beschreiben, die Empfindung von Ich bin. Ātman ist ein Strahl des reinen Universalgeistes, der uns mit dem ALL verbindet. Buddhi ist reine Intelligenz, Weisheit und Liebe. Sie dient als Vehikel oder Kanal, um das Licht des Universalen in die Konstitution des Menschen herunter zu ‘transformieren’. Aus Buddhi entspringen alle unsere höchsten Eigenschaften: Mitleid, Unterscheidungsvermögen, Sympathie und das Gewissen; ebenso die Visionen einer wahren, spirituellen Schau oder erhabene Genialität. Ātman-Buddhi ist reines Bewusstsein, das allen Wesen gemeinsam ist, auch wenn es ohne Manas (wie bei den Tieren) intellektuell nicht funktionieren kann.
Manas ist der Denker im Menschen. Es ist sein Ego, der Sitz des Selbstbewusstseins, wodurch das Empfinden von Ich bin ich und kein anderer entsteht. Manas ermöglicht uns, mit anderen Menschen und unserer Umgebung bewusste Beziehungen einzugehen; wir sind dadurch imstande, unsere eigene, selbstgeleitete Evolution fortzusetzen. Manas sammelt die Erfahrungen des individuellen Lebens in allen Welten und erinnert sich daran. Und wenn diese Erfahrungen schließlich durch den Universalgeist absorbiert werden, bereichern sie fortwährend die Entfaltung kosmischen Bewusstseins. Diese drei höheren Prinzipien sind göttlichen Ursprungs.
Die niedere Vierheit bildet das aus den animalisch-vitalen Eigenschaften der Natur zusammengesetzte Vehikel, das die Evolution auf dieser Erde in vergangenen Zeitaltern gestaltet hat, damit wir Manas, den selbstbewussten Denker, benützen können. Im Diagramm auf Seite 25 sehen wir, dass Manas dual ist, denn dieser selbstbewusste Denker oder das Ego muss sich – sobald es auf der Erde zu arbeiten beginnt, um sich durch den physischen Körper zum Ausdruck zu bringen – in seinem niederen Aspekt mit der animalischen Vierheit verbinden. Diese Verbindung ist es, welche die Persönlichkeit oder das menschliche Ego bildet, das wir das niedere Manas nennen.
Der höhere Aspekt von Manas jedoch steht in Verbindung mit der Weisheit und dem Licht von Buddhi; und dieser höhere Aspekt von Manas stellt das reinkarnierende Ego – das höhere Manas – dar. Das reinkarnierende Ego erfährt den Tod nicht; anders dagegen das niedere Manas, welches nur das Produkt der Verbindung des Denkprinzips mit dem sterblichen Teil der menschlichen Natur ist, es existiert lediglich während des Erdenlebens und löst sich mit dem zweiten Tod auf.
Die niedere Vierheit
Nun wollen wir den Kāma-Rūpa betrachten, den höchsten Aspekt der niederen Vierheit und eines der stärksten und wichtigsten Elemente der menschlichen Natur. Kāma-Rūpa bedeutet buchstäblich ‘Wunsch-Körper’; und es ist jenes Zentrum von animalischen Begierden, von Leidenschaften und Emotionen, das im Leben der meisten Menschen die treibende Kraft bildet. Sind nicht die meisten von uns viel stärker durch ihre Leidenschaften und Begierden, durch Selbstsucht und Vorurteil beherrscht als durch Selbstlosigkeit und unpersönliche Weisheit?
Der Kāma-Rūpa wurde – wie eben gesagt – durch vergangene Evolution während vieler Zeitalter entwickelt. Während des menschlichen Lebens ist es dieses Bündel oder dieser Komplex von Energien, den die höhere Triade benötigt, um mit den niederen, den materiellen Naturreichen auf dieser Erde, in Verbindung zu treten. Diesen Wunsch-Komplex zu überwinden und in ein Zentrum spirituellen Wollens umzuwandeln – anstelle der animalischen und selbstsüchtigen Neigungen – ist eine der evolutionären Aufgaben von Manas, dem reinkarnierenden Ego.
Die Entscheidung des Denkers im Inneren – entweder vom spirituellen Selbst oder von der niederen Vierheit beherrscht zu werden – schafft gutes oder schlechtes Karma, das sein gegenwärtiges und seine künftigen Leben formt. Der Zweck der Reinkarnation liegt darin, dass der Denker über eine lange Reihe von Erdenleben hinweg durch Erfahrung und selbstgeleitete Anstrengung, durch Freude und durch Schmerz die flüchtige und unbefriedigende Natur aller mit der niederen Vierheit in Zusammenhang stehenden Dinge unterscheiden lernen kann. Wenn er schließlich entdeckt, wie er sich mit seinem spirituellen Selbst verbinden kann, wird er seine sterblichen Teile zu Unsterblichkeit erheben.
Ein anderes wichtiges Prinzip der menschlichen Konstitution, das wir verstehen sollten, ist der sogenannte Astralkörper oder Liṅga-Śarīra. Liṅga bedeutet Modell oder Muster und Śarīra eine nicht dauerhafte Form. Dr. de Purucker beschreibt ihn in seinem Okkulten Wörterbuch als das sechste Substanz-Prinzip der menschlichen Konstitution,
das Modell oder Gerüst, um das sich der physische Körper aufbaut und aus dem in gewissem Sinn der physische Körper hervorfließt oder sich mit fortschreitendem Wachstum entwickelt.
Prāṇa können wir uns wie das ‘Feld’ vitaler Kräfte vorstellen, das unser astral-physischer Organismus beinhaltet. Es ist ein Aggregat vitaler Lebensatome, die dem Reservoir der Natur entnommen werden, und es wird in Bezug auf die Art und die Aktivität durch die karmischen Affinitäten und Eigenschaften des betreffenden Menschen bestimmt. Beim Studium der nachtodlichen Zustände ist das Verständnis dieser Prinzipien nicht so wichtig wie das der höheren, denn beide zerstreuen sich fast unmittelbar nach dem Tod. Dasselbe gilt für den physischen Körper.
Zustände nach dem Tod
Was geschieht nun mit diesen Prinzipien nach dem Tod? Zunächst trennt sich die höhere Triade von der niederen Vierheit, und letztere beginnt sofort zu zerfallen. Die Auflösung des physischen Körpers setzt sofort ein, wodurch ihr astraler Modellkörper oder Liṅga-Śarīra befreit wird, der sich ebenfalls auflöst. Prāṇa oder Vitalität zieht sich in das Reservoir der Natur zurück.
Beim Zurückziehen der höheren Triade und dem Auseinanderfallen der drei niederen Prinzipien wird der Kāma-Rūpa sozusagen als ein Bündel oder Rūpa (Form) von Wunsch-Energien abgetrennt. Er ist natürlich seelenlos, denn die höhere Triade, das wahre Selbst, ist gegangen; aber er wird für kürzere oder längere Zeit weiter existieren, je nachdem, ob die leidenschaftliche, selbstsüchtige Natur des Menschen während des gerade beendeten Lebens gefördert oder kontrolliert und verfeinert wurde.
Wo aber existiert dieser Kāma-Rūpa? Ist er noch lebendig und aktiv? Diese Schale des verstorbenen Menschen existiert in dem weiter, was in der Theosophie als Kāma-Loka bezeichnet wird – das heißt der ‘Ort’ oder die ‘Welt’ des ‘Verlangens’.
Es ist wichtig für uns, den Kāma-Loka-Zustand nach dem Tod zu verstehen, denn er übt eine sehr starke Wirkung auf den Fortschritt und das Glück des Menschen aus. Der gesamte psychologische Bereich, der sich im Bewusstsein vom Erdenleben bis zum Devachan – der spirituellen Himmelswelt – erstreckt, ist in der Theosophie als Kāma-Loka bekannt. Das Okkulte Wörterbuch gibt folgende Erläuterung zu diesem Begriff:
Ein zusammengesetztes Wort, das mit ‘Wunsch-Welt’ übersetzt werden kann; … . Es ist eine halbmaterielle Ebene oder vielmehr Welt – subjektiv und für den Menschen in der Regel unsichtbar –, die unseren physischen Globus umgibt und einschließt. Es ist der Aufenthaltsort der astralen Formen verstorbener Menschen und anderer toter Wesen – das Reich der Kāma-Rūpas oder Wunsch-Körper verstorbener Personen. Wie H. P. Blavatsky sagt, ist es „der Hades der Griechen und das Amenti der Ägypter, das Land der schweigenden Schatten“. In Kāma-Loka findet der zweite Tod statt, … . Die höchsten Regionen von Kāma-Loka gehen unmerklich in die niedersten Regionen oder Reiche von Devachan über … .
Wenn der physische Körper beim Tod zerfällt, verbleiben die astralen Elemente der entkörperten Wesenheiten in Kāma-Loka oder der ‘Schattenwelt’, wobei noch die gleichen Lebenszentren wie im irdischen Leben an ihnen haften und sie noch weiter beleben; hierbei finden gewisse Prozesse statt. Die niedere menschliche Seele, die mit irdischen Gedanken und den niederen Instinkten befleckt ist, kann sich nicht leicht aus Kāma-Loka erheben, da sie verunreinigt und schwer ist; ihre Neigung zieht sie infolgedessen nach unten. In Kāma-Loka findet die Trennung der Monade vom kāma-rūpischen Spuk oder Phantom statt; und wenn diese Trennung vollständig ist, was den oben erwähnten ‘zweiten Tod’ bedeutet, nimmt die Monade das ‘Reinkarnierende Ego’ in sich auf, in der es seine lange Ruheperiode der Glückseligkeit und Erholung genießt.
Der zweite Tod ist ein allmählicher Prozess, dessen sich der Durchschnittsmensch überhaupt nicht bewusst ist. Es ist ein völlig normaler Prozess. Wir sollten nicht vergessen, dass wir mit ‘Tod’ einfach den Zerfall der Elemente eines Körpers meinen. Wir sind uns dieses zweiten Todes nicht mehr bewusst, als wir uns der täglichen und ganz normalen und gesunden Auflösung unseres Körpergewebes bewusst sind oder der allmählichen und subtileren Veränderungen, die in unserem Charakter stattfinden. Denn dieses Bündel von Energien, das wir als Kāma-Rūpa oder Wunsch-Körper bezeichnen, arbeitet instinktiv. Obwohl es uns im Allgemeinen nicht bewusst ist, bewahrt es für einige Zeit die Prägung, den charakteristischen, persönlichen Eindruck des Menschen, zu dem seine Kräfte gehörten – kurz das menschliche Individuum, das den Kāma-Rūpa ins Dasein brachte. Und gerade das Verständnis dieser Tatsache ist so wichtig.
Eine große Anzahl spiritistischer Manifestationen entstehen daraus, dass das Medium und die anderen Anwesenden durch den Magnetismus intensiven Verlangens, durch Schmerz oder Neugierde diese Hüllen oder Masken oder Kāma-Rūpas der Verstorbenen anziehen, welche als deren Reste in den Sphären von Kāma-Loka zurückgeblieben sind. Solche Hüllen können magnetisch zur Gedankenatmosphäre eines Seancezimmers hingezogen werden und von dem Medium und ‘Kreis’ der Anwesenden Lebenskraft und eine bestimmte Richtung bekommen, wodurch sie zu einer Art fiktivem Leben stimuliert werden. Danach können diese Automaten – eine Art Schallplatte – Sätze, Erinnerungen und Gedanken wiedergeben, die eng mit dem Leben und der Persönlichkeit des Verstorbenen verbunden sind. Oder sie können – wie ein Film – die Gedanken der in dem Kreis Anwesenden wiedergeben. Zweifellos ist ein großer Teil der sogenannten ‘Mitteilungen von Verstorbenen’ von dieser Art.
Dass diese Mitteilungen selten etwas anderes als automatische Wiederholungen sind, zeigt sich in der Tatsache, dass noch nie so etwas wie eine kreative Philosophie dieser oder der kommenden Welt, Anweisungen für neue Wege der wissenschaftlichen Forschung oder für archäologische und historische Entdeckungen aus den Seancezimmern gekommen sind. Die wenigen vorsichtigen neuen Wege der Forschung, die der Spiritismus einbrachte, waren das Ergebnis von lebenden, nicht von verstorbenen Denkern.
Aber dies ist nur die negative Seite der Sache, wie wir in einem späteren Kapitel sehen werden.
Das folgende Diagramm gibt einen kurzen Überblick über die verschiedenen Prozesse und Zustände, die nach dem Tode durch das Auseinanderfallen der sieben Prinzipien des Menschen auftreten.
Devachan, die Himmelswelt
Die „rosige Schönheit“ der Himmelswelt: Das sind die Worte eines Lehres, der uns einen ersten flüchtigen Eindruck davon vermittelt, was uns die Theosophie über Devachan erzählt. Unter ‘Devachan’ versteht man jenen Seinszustand, in den sich das reinkarnierende Ego – allgemein als ‘Seele’ bezeichnet – allmählich nach Vollendung des Auflösungsprozesses beim zweiten Tod zurückzieht.
Das folgende Zitat beschreibt Devachan etwas näher:
Dieser Ausdruck ist ein zusammengesetztes sanskrit-tibetisches Wort: … Man kann es übersetzen mit Götterland, Götterreich. Es ist jener Zustand zwischen zwei Erdenleben, in den die menschliche Wesenheit, die menschliche Monade, eingeht und dort in Seligkeit und Ruhe bleibt. …
Devachan bedeutet Erfüllung aller unerfüllten spirituellen Hoffnungen der vorigen Verkörperung. Darin kommt all das spirituelle und intellektuelle Sehnen zur Blüte, das in jener vergangenen Verkörperung keine Gelegenheit zur Erfüllung hatte. Es ist eine Periode unaussprechlicher Seligkeit und unsagbaren Friedens für die menschliche Seele, bis die Zeit der Ruhe und der Wiederherstellung der eigenen Kräfte beendet ist.
– G. DE PURUCKER, Okkultes Wörterbuch
Wer hat nicht bei einem Rückblick auf sein Leben feststellen müssen, dass die meisten, vielleicht auch alle seine schönsten Träume unerfüllt geblieben sind? Auf unsere Jugendideale, die so rasch ‘im Licht des Alltags’ verblassten, folgten unsere Träume von wahrer Freundschaft, die wir niemals fanden, von musikalischen, literarischen, wissenschaftlichen oder humanitären Leistungen, die wir erstrebten, jedoch nie erreichten. Vielleicht ergab sich nicht einmal eine Gelegenheit, es zu versuchen. Und dann gibt es die Dinge, die wir so gerne für unsere Lieben getan hätten, aber wir waren zu ungeschickt oder zu beschäftigt, um sie auszuführen.
Diese Wünsche sind unser edelster Teil. Mehr als das – sie sind Energien, die – weil sie nicht zum Ausdruck kommen – umso stärker und mächtiger werden, solange sie in der Stille gehegt werden. Da sie Kräfte sind, müssen sie irgendwo Früchte tragen; und jene Früchte werden natürlich dort wachsen, wo sie ihren Ursprung hatten. Es sind diese Kräfte, die für uns die Bedingungen der Götterwelt erschaffen, der Himmelswelt – Devachan. Wir haben gesehen, dass die durch seine eigene unbewusste Aktivität erschaffenen niederen, mentalen Wünsche des Menschen dazu beitragen, die Bedingungen für seinen Bewusstseinszustand während seines Aufenthaltes in Kāma-Loka zu bestimmen, das unsere Erde mit einer mental-emotionalen Atmosphäre umgibt. Ebenso bauen seine höheren Gedanken, Sehnsüchte und Bestrebungen nach spirituellem Selbstausdruck sein Devachan auf. Devachan ist jener Bewusstseinszustand, in dem er von diesen höheren Kräften umgeben ist, die ihm spirituelle Früchte an Freude, Schönheit und Frieden bringen.
Nun könnten wir verleitet sein anzunehmen, Devachan wäre dem christlichen Himmel ähnlich. Aber in Wirklichkeit bestehen hier grundlegende Unterschiede. Vor allem kann die kreative Evolution des Menschen nur durch Wiedergeburt auf Erden stattfinden. Die Periode von Devachan bringt keine neuen Muster in der Entwicklung hervor; sie trägt nur die Früchte der spirituellen Aspekte der Erfahrungen, die im vergangenen Leben ihren Ursprung haben. Deshalb ist Devachan nur ein vergänglicher Zustand. Mehr noch, Devachan ist lediglich eine Erweiterung – eine subjektive Fortsetzung – des Karmas aus dem vergangenen Leben des Egos. Der Charakter von Devachan, die Schönheit, das Glück und die Dauer der Episoden werden lediglich durch die Entfaltung jener spirituellen Gedanken und Bestrebungen definiert, die das Ego während seines irdischen Lebens empfunden hat.
Die Ähnlichkeit zwischen Schlaf und Tod wurde bereits angesprochen. Der Schlaf – und wir betonen es abermals – ist ein unvollständiger Tod; der Tod ist ein vollständiger und perfekter Schlaf. Deshalb muss dem Tod, genau wie dem Schlaf, ein Erwachen zu einer neuen Periode der Aktivität in einem Erdenleben folgen. Und darin liegt selbstverständlich der größte Unterschied zwischen Devachan und dem christlichen Himmel.
Aber es gibt noch eine andere bemerkenswerte Ähnlichkeit zwischen dem Tod und dem Schlaf. Im Schlaf träumen wir und in unseren Träumen begegnen wir Menschen, die wir kennen; die Träume sind von vielerlei Erfahrungen erfüllt, die – solange sie andauern – genauso lebendig und fesselnd sind, wie die im Wachzustand. In Träumen können und führen wir Dinge aus, zu denen wir im täglichen Leben niemals imstande wären. Wir können vielleicht malen oder auf einem Instrument spielen, das wir lieben. Es gibt Menschen, die in ihrem Traum auf einem Musikinstrument spielen können, von dem sie im Wachzustand noch nicht einmal eine Ahnung haben. Manchmal begegnen wir interessanten neuen Freunden oder reisen in unbekannte Länder. Diese Träume, die schön oder unangenehm sein können, sind das Resultat unserer täglichen Gedanken und Wünsche, die sich auf diese Weise auswirken, wenn die Kontrolle des Verstandes nachlässt.
Der Tod, der nur ein längerer und vollständigerer Schlaf ist, ist ebenfalls eine Zeit des Träumens. Während jedoch unsere Träume in der Nacht oft beängstigend sind, sind sie nach dem Tod voller Trost und Schönheit. Denn wir haben die niederen Teile, in denen Alpträume aufkeimen und Leiden entsteht, abgelegt. Diese niederen Elemente wurden beim zweiten Tod zerstreut. Nichts ist in uns zurückgeblieben, wodurch wir leiden könnten, denn wir verweilen nun im Licht und der Reinheit der harmonischen Reiche des Geistes. Und über uns ist das göttliche Schild des spirituellen Selbst. Aber:
Während des Schlafs und nach dem Tod geht jeder Mensch zu den Plätzen, auf die er durch sein Denken und seine Bestrebungen, oder auch ohne diese, Anspruch hat. Anders ausgedrückt, es ist alles eine Frage der synchronen Vibration – der Mensch geht in sein natürliches Heim, sei es hoch oder niedrig.
– G. DE PURUCKER, Quelle des Okkultismus, III:171
Die in Devachan verbrachte Zeit dauert durchschnittlich fünfzehnhundert Jahre. Die individuelle Regel lautet: hundert Jahre in Devachan für ein Lebensjahr auf Erden. Ein Mensch, der mit 50 stirbt, wird also 5 000 Jahre in Devachan verbringen, wenn er mit 80 stirbt, 8 000 Jahre und so weiter. Der niedrige Durchschnitt von 1 500 Jahren ergibt sich aus dem sehr großen Anteil von Menschen, die – aufgrund ihrer materialistischen Natur – in sich kein Fundament für die spirituellen Freuden von Devachan bilden und deshalb nicht in der Lage sind, über längere Zeit nicht erneut auf der Erde zu inkarnieren.
An dieser Stelle sollten wir uns daran erinnern, dass es einen deutlichen Unterschied zwischen einem bösen und einem lediglich materialistischen Menschen gibt. Nur die wirklich bösen Menschen, die durch Selbstsucht oder Triebhaftigkeit willentlich anderen Leid zugefügt haben, leiden in Kāma-Loka. Es gibt viele wohlmeinende und ehrliche Menschen, die nur für ihre eigenen Interessen und Vergnügungen leben. Sie leiden nicht in Kāma-Loka, da sie kein bewusstes Leid zugefügt haben. Sie können jedoch auch nicht die segensreichen Zustände von Selbstausdruck und Selbsterkenntnis der Himmelswelt erfahren. Wie könnten sie auch, da sie kein Fundament in ihrem Inneren gelegt haben? Weiter ist es beruhigend zu wissen, dass selbst das Leid jener, welche die mentalen Qualen von Kāma-Loka erleben, ein Ende hat, wenn die von ihnen angehäuften Energien zur Neige gehen; dann fallen sie in jenen Zustand von Unbewusstheit, der zu einer Wiedergeburt auf der Erde führt. Und während der Reinkarnation – wenn sie in ihrer eigenen Umgebung dem Leid begegnen, das sie anderen zugefügt haben – werden sie verstehen lernen, was Selbstsucht bedeutet, und so die Chance haben, aus dem Bösen zu Sympathie und Mitleid zu wachsen.
Auf einen bereits früher angesprochenen Aspekt zurückkommend wollen wir uns auch daran erinnern, dass das Leben nach dem Tod nicht ein Zustand der Existenz ist, der wie durch einen Abgrund von uns, so wie wir jetzt sind, getrennt ist. Die Zustände nach dem Tode sind: erstens die Auflösung unserer physisch-astralen und danach unserer niederen mentalen und emotionalen Bewusstseinszentren; zweitens – wenn das abgeschlossen ist – wird das Leben auf einer höheren als der uns jetzt bekannten Ebene fortgesetzt – in der unbegrenzten Aktivität unserer spirituellen Natur, in Zuständen, in denen sich diese Natur zum ersten Mal wirklich entfalten und erfüllen kann.
Die Furcht vor dem Tode beruht auf falscher Erziehung, die uns keine Vision über ein Leben nach dem Tod bietet, das in logischer oder normaler Beziehung zu dem steht, was wir hier auf der Erde kennen oder erfahren. Aber es gibt einen Faden der Kontinuität, der alle Erfahrung des Menschen in allen Welten durchzieht und die unsichtbaren Welten mit der Welt verbindet, in der wir heute leben.
… Wenn ein Mensch stirbt, dann ist es genauso, als würde er in einen sehr tiefen Schlaf fallen, in äußerste süße Unbewusstheit, es sei denn, dass das vitale Band abgerissen ist; dann ist die Seele, wie der Ton einer sanften goldenen Note, augenblicklich frei.
Was während des Schlafes geschieht, ist eine schwache Andeutung dessen, was mit einem Menschen beim Tod vor sich geht. Das persönliche Ego gerät in Vergessenheit und sein Bewusstsein wird in den spirituellen Teil zurückgezogen, wo es ruht und vorübergehend seinen Frieden findet. …
– G. DE PURUCKER, Quelle des Okkultismus, III:171
Können wir mit den Verstorbenen in Verbindung treten?
Unsere alten, kindlichen Vorstellungen von Himmel und Hölle sind zurückzuführen auf Unwissenheit über unsere wahre Natur und über die Natur des Universums, zu dem wir gehören. Der ‘Himmel’ – und es ist gut, dies nochmals zu betonen – ist kein Ort, sondern ein Zustand des Seins, des Bewusstseins. Und unser Himmel ist keine Belohnung, wie wir bereits gezeigt haben, sondern eine natürliche Folge dessen, was wir aus uns selbst gemacht haben. Das trifft auch auf die ‘Hölle’ oder Kāma-Loka zu, die keine Strafe ist, sondern eine Folge unserer Taten auf Erden.
Wer mit diesem Bild von Himmel und Hölle nicht vertraut ist, könnte vielleicht fragen: „Aber wie ist es mit denjenigen, die ich liebe? Werde ich ihnen nach dem Tod wirklich nicht mehr begegnen?“ Wie wenig verstehen wir doch von uns selbst oder wissen darüber Bescheid, was unsere innersten Bedürfnisse sind! Denken wir an einen Mann, an einen alten Mann, der seine betagte Frau verloren hat, seine Gefährtin vieler von Freude und Sorge erfüllter Jahre. Wie möchte er sie wohl in der Himmelswelt anzutreffen, wenn sie dort als ihr wahres Selbst mit ihm vereint ist? Soll es die junge und schöne Freundin seiner Jugend sein oder die gebrechliche, jedoch geliebte Partnerin seiner alten Tage? Wird das für ihn nicht schwierig sein, wenn im Himmel buchstäblich wahr werden soll, was er fordert? Und die Mutter: Wird der Sohn, den sie als Kind verloren hat, immer noch ein Kind sein, oder wird sie ihn zufälligerweise nicht mehr erkennen, weil er mittlerweile aufgewachsen war? Das sind logische Fragen, die der Vorstellung entspringen, der Himmel sei eine bloße Örtlichkeit und unsere Lieben bloße physische Persönlichkeiten, an die wir uns so gerne erinnern. Der Mensch ist jedoch keine Persönlichkeit. Er ist ein spirituelles Wesen, das die Persönlichkeit als sein Instrument zum Sammeln von Erfahrung benützt.
… Der Mensch ist ein Embryo-Gott, eingekerkert in Gewänder aus Emotionen, Gedanken und Gefühlen, umhüllt von lähmenden inneren Schleiern, die ihrerseits in einen Körper aus Fleisch gekleidet sind; und der Mensch sollte wieder an eine Wahrnehmung des göttlichen Lichts im Inneren, des göttlichen Geistes im Inneren, erinnert werden … .
Mensch erkenne dich selbst, sagte das delphische Orakel, denn wenn du dich selbst kennst, wirst du das Universum kennen.
– G. DE PURUCKER, Lucifer, Mai 1933, S. 488 ff
Die Idee, dass wir im Himmel unseren Freunden tatsächlich so begegnen werden, wie sie mit uns in diesem Leben zusammen waren, ist eine materialistische Vorstellung, die direkt unseren persönlichen Vorstellungen entspringt und dazu beiträgt, die vorher erwähnten Schleier und lähmenden Fesseln zu errichten. Wenn wir die spirituelle Natur in uns studieren wollen – die der einzige dauerhafte Teil von uns ist –, werden wir erkennen, dass die wahre Himmelswelt mit unserer Persönlichkeit und den Persönlichkeiten unserer Freunde nur wenig gemeinsam haben kann; denn aus unseren eigenen Fehlern und Begrenzungen und denen anderer resultieren unsere größten Versuchungen.
Devachan ist vor allem ein Ort der Ruhe. Es ist der ‘Schlaf’ des Egos – vergleichbar mit dem Schlaf des Körpers –, während dessen er das assimiliert, was er an Kenntnis und Erfahrung in dem gerade beendeten Erdenleben gesammelt hat.
Wenn wir noch einmal auf unser Leben zurückblicken, entdecken wir, dass aus unseren menschlichen Beziehungen das herrührte, was uns am stärksten versucht und enttäuscht hat. Die Schwierigkeiten, die hauptsächlich aus den Umständen entstehen – wie frühe Behinderungen, Geldmangel oder Gelegenheiten verschiedener Art –, erwiesen sich in vielen Fällen als anregend und brachten das Beste zum Vorschein, das in uns schlummerte. Es sind die Menschen, die uns ermüden. Eine Mutter zum Beispiel, die lange, herzzerreißende Jahre gekämpft hat, ihren ungeratenen Sohn zu bessern und die schließlich daran scheiterte – wie könnte sie nach dem Tod ruhen, wenn sie wieder mit seiner ungestümen Natur vereint würde? Und wenn er seinen Unterhalt teilweise mit Verbrechen bestritt, mit starken animalischen Wünschen und Neigungen lebte, wie könnte er mit ihr zusammen in Devachan existieren? Er hat für sich keine Himmelswelt aufgebaut. Er wird stattdessen eine Periode der Unruhe in Kāma-Loka durchlaufen und schließlich in Schlaf versinken, um auf der Erde wiedergeboren zu werden. Und da sich seine Mutter im Gegensatz zu ihm eine lange und segensreiche Ruhe in Devachan verdient hat, wird er vielleicht lange vor ihr reinkarnieren und – indem er durch Leiden und die Folgen schlechter Handlungen in seinem vergangenen Leben lernt und sich entwickelt – ihr vielleicht in einer späteren Inkarnation als ein besseres und liebevolleres Kind begegnen. So wird die aufrichtige Mutter ihren Lohn erhalten; denn in Devachan werden alle ihre Träume für diesen Sohn verwirklicht, und sie wird freudig erleben, wie ihre liebevollen Opfer in seinem Charakter Früchte tragen. Weil die Liebe die durchdringendste und schöpferischste Energie im Universum ist, und weil wir eine tiefe innere Verbindung mit unseren Toten haben, wird ihn ihre Freude über seine erfolgreiche Besserung erreichen, wo immer er ist und sie wird vielleicht ein mächtigerer Einfluss zum Guten sein –denn sie wird unbewusst auf ihn wirken –, als ihre lebendige Gegenwart mit ihren möglicherweise irritierenden Einschränkungen. Denn es gibt Träume, die mächtiger sind als sogenannte Realitäten.
Die Natur ist weise und voller Mitleid. Während wir in der Himmelswelt ruhen, schützt sie uns vor allen äußeren und störenden Einflüssen. Sie erlöst uns von unseren emotionalen Wünschen und Begierden und heilt unser verletztes und müdes Herz. Und wenn diese Zeit der Erholung vorüber ist, werden wir auf der Erde wiedergeboren und schließen uns wieder denen an, die zu uns gehören – in neuen Beziehungen, welche bessere Gelegenheiten und weiteres Wachstum bieten.
Natürlich führen uns diese Gedanken zu einer Betrachtung des Themas über den ‘Kontakt mit den Toten’. Damit meinen wir allerdings nicht die unterschiedlichen Methoden sogenannter Kommunikation, die in den Séancezimmern praktiziert werden. Die Theosophie bestreitet, dass es sich dabei tatsächlich um Botschaften des spirituellen Selbst unserer Verstorbenen handelt. Es wurde bereits erklärt, dass Kāma-Loka, das sich in seinen unterschiedlichen Stufen– höheren und niederen – mit der Gedankenatmosphäre unserer Welt vermischt, mit den Kāma-Rūpas oder Hüllen von kürzlich verstorbenen Menschen erfüllt ist. Diese Hüllen werden auch Elementare und Spuk genannt.
Um es zu wiederholen: Die Hülle ist das Doppel oder das scheinbare Ebenbild in Aussehen und Charakter der verstorbenen Persönlichkeit. Wie ein ausgezogener Handschuh bewahren sie die Form desjenigen, der sie so lange benützt hat. Diese Hüllen sind aus Lebensatomen aufgebaut und spiegeln nicht nur die Gesichtszüge wider, sondern auch die Gewohnheiten und mentalen Merkmale des Verstorbenen. Das ist möglich, weil ihr Eigenleben aus mechanischen Erinnerungen des gerade beendeten Lebens besteht. Denn sie sind in der Tat nichts anderes als Automaten; und als Automaten sind sie sich ihrer selbst nicht bewusst, es sei denn, sie werden durch Medien so sehr angeregt, dass sie zu einem falschen und gefährlichen Scheinleben erweckt werden. Aber für gewöhnlich sind die Botschaften, die sie auf Drängen von Medien und Anwesenden überbringen, nichts anderes als das gespensterhafte Echo einer Stimme, dessen Eigentümer verschieden ist. Das Ego, das diese astral-psychologischen Gewänder abgeworfen hat, wartet auf den zweiten Tod und die Stunde, wenn es in die Ruhe von Devachan eingehen kann. Diese gesegnete Stunde der Erlösung für das Ego wird verzögert, wenn seine kāma-rūpische Schale durch die Anstrengung von Medien und anderen intakt gehalten wird, anstatt dem natürlichen Prozess der Auflösung zu folgen.
Diese psychischen Praktiken können noch weitaus schlimmere Wirkungen erzeugen. Durch das Medium und die Aktivitäten während der Séance kann eine falsche und gefährliche Liaison zwischen der sich auflösenden Hülle und den unglücklichen Verwandten des Verstorbenen zustande gebracht werden; das kann zu unglücklichen karmischen Konsequenzen für alle führen, die betroffen sind. Es wird davor gewarnt, dass alle nekromantischen Praktiken die Tür eines psychischen Leichenhauses öffnen, dessen Ausdünstungen viel ungesünder und gefährlicher für den Menschen sind, als jene der letzten Ruhestätten der physischen Überreste. Zum ersten Mal seit Jahrhunderten zeigt die Theosophie der westlichen Welt jene Philosophie und Wissenschaft spiritueller Hygiene, durch welche dieser schädliche Psychismus aus unserem Leben ausgeschlossen werden kann.
Die Theosophie verwirft den sogenannten ‘Kontakt mit den Toten’. H. P. Blavatsky schrieb in ihrem Buch Der Schlüssel zur Theosophie, über den Unterschied zwischen Theosophie und Spiritismus:
… Die Spiritisten sind der Auffassung, dass alle diese Manifestationen von den ‘Geistern’ verstorbener Menschen hervorgerufen werden, meist von ihren Verwandten, von denen sie sagen, dass sie zur Erde zurückkehren, um mit jenen, die sie geliebt haben und denen sie ergeben sind, Verbindung aufzunehmen. Das bestreiten wir entschieden. Wir behaupten, dass die Geister der Verstorbenen nicht zur Erde zurückkehren können, außer in seltenen Ausnahmefällen, über die ich später sprechen werde; sie können sich Menschen auch nicht mitteilen, außer auf eine rein subjektive Weise. Was objektiv erscheint, ist nur das Phantom des physisch nicht mehr existierenden Menschen.
– S. 27/28
Über die wenigen Fälle wirklicher Verbindung zwischen den Toten und den Lebenden sagt sie im selben Kapitel:
… es sind nicht die Geister der Toten, die zur Erde heruntersteigen, sondern die Geister der Lebenden, die zu der reinen Spirituellen Seele aufsteigen. In Wahrheit gibt es weder ein Auf- noch ein Absteigen, sondern eine Veränderung des Zustandes oder der Bedingung. …
– S. 30
Und wenn sie über die ursprüngliche Verbindung – nicht ‘Verständigung’ – mit den Dahingeschiedenen spricht, erläutert sie sehr klar im selben Absatz:
… es gibt kaum einen Menschen, dessen Ego – während sein Körper schläft – keinen freien Umgang mit seinen entschlafenen Lieben hätte; da seine physische Hülle und sein Gehirn jedoch viel zu positiv und unempfänglich sind, erinnert er sich nicht daran, sie ziehen sich höchstens vage, traumhaft unbestimmt, leise in die Erinnerung des wachen Menschen hinein.
– Ebenda
In den vorhergehenden Passagen finden sich verschiedene Vorstellungen, die einleuchtend sind, wenn wir darüber nachdenken. Die Begriffe ‘objektiv’ und ‘subjektiv’ sowie ‘eine Veränderung des Zustands oder der Bedingung’ enthalten beispielsweise den Schlüssel zu der wahren Verbindung mit unseren Toten. Diese Ausdrücke betonen die Tatsache, dass das spirituelle Hellsehen – kein astrales oder psychisches – zu unserer inneren oder subjektiven Natur gehört und nichts mit den materiellen oder astralen Sinnen zu tun hat. Das trifft sowohl bei Medien und Sensitiven als auch bei normalen Menschen zu. Der Unterschied zwischen diesen beiden Arten der Manifestation ist leicht erkennbar: Die objektive oder psychische ist irreführend und die Moral zersetzend, während die subjektive oft eine segensreiche und tief spirituelle Erfahrung bedeutet.
Eine der größten, von den meisten Menschen gehegten Illusionen ist heutzutage die Ansicht, dass wir die Verbindung zu den geliebten Menschen verlieren, wenn sie sterben; und selbst viele, die glauben, dass sie ihre geliebten Mitmenschen in einem künftigen Erdenleben wieder treffen, leiden unter der gleichen Illusion. Nun ist es auf keinen Fall wahr, dass der Geist jemals nach dem Tode zurückkehren kann, um mit den Lebenden in irgendeiner Weise Umgang zu haben, ganz abgesehen von der unzweifelhaften Grausamkeit sowohl für den Verstorbenen als auch für diejenigen, die er zurückließ, ganz abgesehen von der außerordentlich materialistischen Atmosphäre dieses Gedankens – es sollte einleuchtend sein, dass ein entkörperter Geist weder zu irgendeiner Zeit noch unter irgendwelchen Umständen auf die Erde ‘herunterkommen’ kann. Nach dem Tode und nachdem die prāṇischen Hüllen in verschiedenen Prozessen im Kāma-Loka abgeworfen worden sind, erhebt sich das menschliche Ego in seine devachanische Ruhe und ist danach von allem unerreichbar, ausgenommen von dem, was von seinem eigenen Charakter oder von seiner eigenen hohen spirituellen Art ist. Gerade in diesem letzten Satz liegt der Grund, warum wir niemals annehmen sollten, dass wir jede spirituelle Verbindung mit den Menschen verlieren, die wir geliebt haben; denn die höheren Teile unseres Wesens können in jedem beliebigen Augenblick durch gleichgestimmte Sympathie ihre Schwingungen mit denen des Devachanī verbinden und so zeitweilig mit ihm eins werden. …
…, wenn tatsächlich aufrichtige spirituelle Liebe vorhanden ist, die sich nicht einmal bemühen muss, um mit dem Verstorbenen in Verbindung zu treten, denn eine solche unpersönliche Liebe wird sich ganz automatisch zu dem Devachanī erheben und wird dem, der sich auf Erden befindet, die innere Überzeugung geben, dass die Verbindung nicht abgebrochen ist.
Der Devachanī wird durch die der Natur eigenen Gesetze beschützt. Nichts auf der Erde kann ihn erreichen, … . Nur die spirituelle Liebe kann zu einer inneren Verbindung mit denjenigen, die uns vorausgingen, aufsteigen. Eine Liebe, die irgendetwas Selbstsüchtiges oder Persönliches in sich hat, kann niemals die devachanischen Zustände erreichen. Es ist jedoch meine tiefe Überzeugung, dass es unvergleichlich besser ist, nicht einmal zu versuchen, mit dem Devachanī in Verbindung zu treten, weil die Liebe der wenigsten von uns von solch reinem und heiligem Charakter ist, dass sie geeignet oder auch nur imstande ist, zu dieser hohen Ebene der Unpersönlichkeit aufzusteigen.
– G. DE PURUCKER, Quelle des Okkultismus, III:150-151
Ein Rückblick
Um die theosophischen Lehren in Bezug auf die Zustände nach dem Tod abzurunden, sollten wir – bevor wir weitergehen – solche Ausnahmen wie Unfalltod, Todesstrafe und Selbstmord einer Betrachtung unterziehen. Wir haben bereits darauf hingewiesen, dass sowohl vor als auch nach dem Tode dieselben Bewusstseinzustände existieren. Wir sind uns ihrer als solche jedoch nicht bewusst, weil sie sich alle miteinander vermischen und in uns wirken – mehr oder weniger wie ein einziger Zustand psychologischer Aktivität, der in Wirklichkeit natürlich zusammengesetzt ist, sich aber demjenigen, der sie zu einem einzigen Gewebe des Seins vereinigt, nicht so darstellt.
Nach dem Tod, wenn das spirituelle Selbst seiner Wege gegangen ist, zerfällt dieses Gewebe in seine Bestandteile. Das ist vergleichbar mit den chemischen Elementen, die sich zur Schaffung eines physischen Körpers mit einem gemeinsamen und eindeutigen Bewusstsein seiner selbst und seiner Funktionen miteinander verbinden, nach dem Tod jedoch ihrer eigenen Wege ziehen, wodurch das entsprechende physische Bewusstsein verschwindet. Das, was unsere psychologischen Aspekte zu einem einzigen Gewebe vereinigt, ist die Selbstheit; was das Gewebe auflöst, ist der Abschied dieser Selbstheit, des spirituellen Selbst.
Was aber geschieht, wenn ein Selbst nicht fortgeht, obwohl der physische Körper stirbt und sich auflöst?
Wenn ein Mensch geboren wird, kann seine Konstitution mit einer Uhr verglichen werden, die für eine bestimmte Zeit aufgezogen wurde. Wenn man das Uhrwerk beschädigt, wird es vorzeitig stillstehen, sonst nicht. Die Wissenschaft erkennt, dass jeder Organismus sozusagen sein Zeitlimit oder seine Lebensperiode hat. Jeder Mensch besitzt in sich ein Reservoir an Lebenskraft, aus dem er schöpfen kann, wenn er außergewöhnlichen Spannungen ausgesetzt ist, wie z. B. einer gefährlichen Krankheit oder einer Periode quälender Ungewissheit. Wir sagen dann, dass solche Erfahrungen auf Kosten unserer Lebenskraft gehen.
Dieses Reservoir an Lebenskraft ist unser vital-psychologischer Teil. Vitalität und instinktive Willenskraft erhalten uns am Leben. Nach der Theosophie entspringen diese Kräfte nicht dem physischen Körper. Selbstverständlich hängen sie während eines Erdenlebens vom Körper ab, um sich durch ihn zum Ausdruck zu bringen, aber sie haben dort nicht ihren Ursprung. Deshalb werden diese Kräfte beim Tod des Körpers nicht vernichtet, sie schwinden vielmehr erst dann, wenn ihre eigene Energie erschöpft ist, welche die Dauer ihrer Existenz bestimmt.
Deshalb ist im Falle eines vorzeitigen Todes der Körper der einzige Teil, der sich aufzulösen beginnt. Denn im natürlichen Ablauf ist der Zeitpunkt noch nicht gekommen, an dem das spirituelle Selbst seine periodische, evolutionäre Anziehungskraft zu den unsichtbaren Welten verspürt. Die menschlichen Anziehungskräfte, die sein Selbst an das Leben auf der Erde banden, sind noch lange nicht erschöpft. Das Pendel der irdischen Erfahrungen hat seine festgelegte Bahn noch nicht zurückgelegt.
Was ist also geschehen? Eine vollständige menschliche Wesenheit, nur ohne physischen Körper, bleibt in Kāma-Loka zurück, um anstelle der gewohnten Existenz auf der Erde ihre angemessene Lebensperiode in dieser Sphäre zu verbringen.
Man spricht zwar von einem ‘Unfalltod’. Aber in Wirklichkeit gibt es so etwas wie einen Unfall nicht. Es mag uns so erscheinen, weil wir die inneren Ursachen nicht erkennen, die zu diesem Ereignis führten. Aber das Universum wird von moralischer Gerechtigkeit regiert. Kein Mensch ist zum ersten Mal hier auf der Erde. Jeder hat schon viele andere Leben auf diesem Globus verbracht; und es waren unsere Gedanken und Handlungen in diesen früheren Leben, die uns zu dem gemacht haben, was wir heute sind. Wenn ein Mensch von einem zu schnell fahrenden Auto überfahren wird oder von einem Felsen stürzt, geschieht das, weil er selbst in diesem oder in einem früheren Leben eine Kette von Ursachen geschaffen hat, die zu diesem Unglück führten. In ihm selbst liegen die Ursachen, die ihn an den Ort oder in die Umstände führten, wo der ‘Unfall’ geschah. So ist dieser Unfalltod in Wirklichkeit ein Teil seines Karmas, eine Folge früherer Handlungen, die er selbst beging. Trotzdem hat sein Karma ihn vorzeitig von seiner irdischen Existenz getrennt. Dieser sogenannte ‘Unfall’ ist ein Teil des ungünstigen Karmas, das er durch frühere Fehler selbst geschaffen hat.
Was geschieht nun im Falle eines sogenannten Unfalltodes? Das wird natürlich von dem Menschen selbst abhängen. Wenn sein Leben von unedlen Wunsch-Elementen erfüllt war, aus denen die niederen Schichten von Kāma-Loka bestehen, wird er zu diesen niederen Elementen gravitieren. Und genau die Identität seines Bewusstseins mit ihnen wird ihn dort am Leben erhalten. Genau in dem Maß, in dem er selbstsüchtig war oder seine animalischen Neigungen kultiviert hat, wird er in dieser niederen mentalen Sphäre, die der physischen Existenz so nahe steht, äußerst lebendig bleiben. Er wird jedoch lediglich das Verlangen seiner Begierden verspüren – er wird keinen Körper haben, um sie zu stillen. Von dem, was gute Menschen richtigerweise als die Hölle seiner Selbstsucht auf der Erde bezeichnen würden, geht er mit dem Tod in eine wahrhaftige Hölle mentaler Tortur in Kāma-Loka über.
Wenn wir an Kriminelle in allen Ländern denken, deren Leben durch die Todesstrafe ein plötzliches Ende gesetzt wird, können wir erkennen, welch mächtige Kraft des Bösen wir mit einer solchen Tat in die Gedankenatmosphäre der Menschheit freisetzen. Diese entkörperten, aber noch immer lebendigen Menschen beleben in der mentalen Sphäre der Menschheit sowohl Gedanken des Hasses und der Rachsucht als auch unedle Wünsche und Neigungen. Solche Bedingungen in der Gedankenatmosphäre der Welt müssen den spirituellen Fortschritt all jener hemmen, die Sympathie mit ihnen empfinden. Ist es da verwunderlich, dass die meisten Sozialreformen offensichtlich auf zunehmende Schwierigkeiten stoßen? Und ist es nicht bezeichnend, dass eine Abnahme der Kriminalität in den Ländern zu beobachten ist, welche die Todesstrafe abgeschafft haben?
Aber es gibt natürlich auch die schönere Seite des Bildes. Glücklicherweise sind die durchschnittlichen Menschen von dem vorher Beschriebenen sehr verschieden. Wenn ein Mensch, dessen Leben von Gerechtigkeit und Hilfsbereitschaft geprägt war, durch einen Unfall ums Leben kommt, wird er in seiner psychologischen Natur wenig mit dem niederen Kāma-Loka gemein haben. Es wird daher nichts geben, was ihn sozusagen in diesen niederen Sphären am Leben erhält. Er wird in einen längeren Schlummerzustand fallen – in denselben Zustand, den er im Fall eines normalen Todes in kürzerer Form durchlaufen würde. Sein ganzes Leben lebte er – wenn auch unbewusst – einigermaßen in Harmonie mit seinem spirituellen Selbst; und als natürliche Reaktion kann ihn dieses Selbst schützen und in seinen eigenen göttlichen, auf ihn wartenden Frieden aufnehmen. Und so wird er schlafen, bis der Moment gekommen ist, in dem sein spirituelles Selbst den Ruf hört oder den Drang verspürt, die Reise in sein eigenes inneres Reich anzutreten.
Dann beginnt auch der psychologische Auflösungsprozess, der ‘zweite Tod’. Jener Teil der psychologischen Natur, der in den höheren Regionen von Kāma-Loka ruht, wird von dem reinkarnierenden Ego absorbiert. Die niederen Teile zerfallen in ihre Bestandteile.
Die beiden vorherigen Beispiele sind als typische Fälle angegeben. Verschiedene Aspekte des allgemeinen Zustands wurden von Dr. de Purucker einmal folgendermaßen beschrieben:
Für jeden Mann und für jede Frau auf dieser Erde gibt es Kāma-Loka. Aber es gibt so viele unterschiedliche Arten von Existenzen in Kāma-Loka als es Existenzen auf der Erde gibt; und der Durchschnittsmann oder die Durchschnittsfrau durchläuft Kāma-Loka beinahe ohne es wahrzunehmen. Ein sehr schlechter, sehr böser Mensch – Mann oder Frau – dagegen nimmt seinen Aufenthalt in Kāma-Loka sehr genau wahr; und es gibt Fälle, in denen das Leiden einfach schrecklich ist. Aber es ist mentales Leiden … . Sehr gute Männer oder Frauen gehen durch Kāma-Loka und bemerken es nicht. Diese Unbewusstheit, das uns die mitleidsvolle Natur im Augenblick des Todes bringt, dauert ohne Unterbrechung fort; sie besteht ohne Pause fort, bis Devachan [die Himmelswelt] mit seiner rosafarbenen Schönheit betreten wird. …
Die körperlose Wesenheit, die der verstorbene Mensch ist, verbleibt gerade so lange in Kāma-Loka, wie es seinen karmischen Verdiensten entspricht – und keinen Augenblick länger.
– The Theosophical Forum, Feb. 1933, S. 176
Und im Fall eines Unfalltods:
… wenn die dem normalen Tod des physischen Körpers entsprechende Zeit erreicht ist, gibt es ein Erwachen in Kāma-Loka und der einfache Prozess der Befreiung von Kāma-Loka, den alle Menschen durchlaufen, wird begonnen. … Kāma-Loka ist nicht schrecklich, außer für jene, die wirklich böse sind. Auch auf unserer physischen Erde gibt es schreckliche Orte, schrecklich für die Menschen, die böse sind und gefangen werden.
– Ebenda
Selbstmord ist die unglücklichste aller Arten von gewaltsamem Tod. Das kommt daher, weil es bedeutet
… sich absichtlich das Leben zu nehmen, um den Konsequenzen dessen zu entfliehen, was man verdient hat; und wenn irgendjemand denkt, dass er die Natur auf diese Art betrügen kann, irrt er vollkommen. Er fügt der schweren Last, die er in der Zukunft zu tragen hat, nur noch weitere hinzu. … Er fordert die Natur sozusagen absichtlich heraus. Er setzt in voller Absicht seine eigene Willenskraft und sein Bewusstsein auf widernatürliche Art für eine unheilige Sache ein und begeht eine Tat, welche die Natur durch ihre nie irrenden Gesetze nicht aus sich selbst heraus hervorgebringt; und wenn man ein Naturgesetz bricht – was geschieht dann?
– G. DE PURUCKER, Questions We All Ask, Serie I, Nr. 6
Die Antwort kann leicht gegeben werden:
Das Schicksal eines Selbstmörders ist traurig, wirklich schrecklich, und es ist gut und richtig, dass die Wahrheit über Selbstmord gesagt wird. Selbstmord schneidet das Leben ab, das die Natur, wie es in der Theosophie heißt, länger plante; und er hat sich in einen post-mortem Zustand versetzt, in dem er leben und sehr leiden muss, bis das Ende seiner Lebenszeit – hätte er auf Erden gelebt – gekommen ist. Das Schicksal eines Selbstmörders ist schrecklich.
– Ebenda, Serie II, Nr. 19
Der springende Punkt liegt darin, dass Selbstmord willentlich das Leben beendet, das gemäß Karma länger hätte dauern sollen. Bei anderen Formen des gewaltsamem Todes wie Unfall, Verbrechen oder Todesstrafe handelt es sich um ein karmisches Geschehen. Mit dem Erleiden eines solchen Unglücks zahlt der Mensch seinen ‘karmischen Preis’. Indem er die Folgen seiner eigenen Taten aus der Vergangenheit erleidet, macht er sozusagen reinen Tisch in Bezug auf diese besondere Schuld.
Aber der Selbstmörder, der durch seine Tat den Konsequenzen seiner Fehler im Leben entgehen will und der – was oft geschieht – die Bürde anderen überlässt, hat für sich selbst eine neue Ursache für Leid in Bewegung gesetzt. In seinem nächsten Leben wird er denselben Bedingungen die Stirn bieten müssen, welche in diesem zu seinem Selbstmord geführt haben, nur in einer Form, die gerade durch die Energie seiner Weigerung, ihnen jetzt zu begegnen, intensiviert wird. Jede unserer Handlungen ist aus Energie gemacht, und mit jeder Intensivierung der Energie vertiefen sich die Konsequenzen. So wird der spätere Zustand eines Selbstmörders wahrhaftig schlimmer sein als zuvor.
Der post-mortem Zustand eines Menschen, der sich das Leben nimmt, besteht darin, dass er den Schrecken seiner Tat und die mentale Qual, die dazu führte, wieder und wieder erlebt. Selbstmörder und exekutierte Kriminelle müssen in den meisten Fällen zu mächtigen Strudeln kranker Gedankenenergien werden, die ihre Kraft den bestehenden Hindernissen für den spirituellen Fortschritt der Welt hinzufügen.
Es ist jedenfalls gut sich zu erinnern, dass diese bedauernswerten Fälle, die wir besprochen haben, nur einen ganz kleinen Teil der großen Masse von Menschen bilden. Der bei weitem größte Teil von Unfalltoden betrifft Menschen, die ein gutes und normales Leben führten, und ihre post-mortem Zustände können nur friedlich sein. Reinkarnation bietet jedem Einzelnen Leben um Leben eine neue Chance und führt den Menschen am Ende zu seiner eigenen Erlösung.
Wir können dieses Kapitel ganz passend mit folgenden Worten von Dr. de Purucker beenden:
Jedes Mal, wenn wir intensiv leiden, ich meine mentales Leiden – wenn es etwas Besonderes ist, das die Elemente eines Gewissenskonfliktes oder intensiver Reue beinhaltet –, dann handelt es sich dabei um Kāma-Loka. Man befindet sich dann in Kāma-Loka, selbst wenn man im physischen Körper lebt. Beachten wir die Lehre, die daraus gezogen werden kann. Man erkennt, warum H. P. Blavatsky so darauf bedacht war, dass die Lehre über Kāma-Loka und Devachan unter den Menschen als eine Warnung, wenn auch nur als Warnung, verbreitet werden sollte. Führen wir ein anständiges Leben, ein anständiges Leben als Mann oder Frau, und wir brauchen uns über Kāma-Loka nicht den Kopf zu zerbrechen. Man muss nicht einmal darüber nachdenken, denn man wird davon nichts wissen. Man wird lediglich wie ein Meteor hindurchgehen, aber sozusagen aufwärts.
– G. DE PURUCKER, The Theosophical Forum, Feb. 1933, S. 177
Der Tod und die Monade
Der Gedanke an den Tod der von uns geliebten Menschen und die Aussicht auf unseren eigenen ist jedem von uns so vertraut, dass wir leicht die weitreichenderen und wirklich tiefen Erfahrungen übersehen, die der Tod für einen spirituellen Menschen birgt. Aber die Theosophie, die eine Erklärung der Tatsachen der Existenz darstellt, lenkt unsere Aufmerksamkeit auf diese erweiterte Sichtweise; denn das, was wir den Tod nennen, und die Lebenszustände, die ihm folgen, sind für die Evolution des Individuums und der Rasse von äußerster Wichtigkeit.
Die Theosophie behauptet, dass die Probleme des Lebens erst gelöst werden können, wenn unsere Forscher erkennen, dass das Geheimnis allen Lebens vielmehr in der unsichtbaren als in der physischen Welt liegt. Die Wissenschaftler selbst beginnen das zu vermuten. Einer von ihnen, Professor J. Y. Simpson, ehemaliger Professor für Physik in Edinburgh, machte diese bedeutsame Bemerkung:
Mit physikalisch-chemischen Instrumenten und Methoden ist es schwer vorstellbar, irgendetwas anderes als physikalisch-chemische Ergebnisse zu messen; und wenn sie für die Untersuchung des Lebens angewendet werden, stellt eine solche Praxis naturgemäß keinen Beweis dafür dar, dass es in den Charakteristika des Lebens nichts gibt, was über ein physikalisch-chemisches Ereignis hinausgeht. Dass das Denken – welches jegliches Experimentieren ersinnt – selbst das Nebenprodukt analoger physikalisch-chemischer Ereignisse sein kann, scheint darüberhinaus eine Annahme zu sein, welche für die Voraussetzungen schwer haltbar ist.
– The Listener, 8. März 1933
Wir wollen diesen wichtigen negativen Standpunkt durch die positive Sichtweise in Dr. de Puruckers Worten ergänzend zum Ausdruck bringen.
Um das äußere Universum zu kennen, muss man den Erkenner im eigenen Inneren in rege Tätigkeit versetzt haben. … Um das Universum zu verstehen, muss man das Verständnis des Herzens haben, die Fähigkeit des Verstehens. Können Sie die Idee erfassen? Während also beispielsweise die Wissenschaftler großartige Arbeit leisten, … versagen sie doch in dem Punkt, dass sie selbst nicht Erkennende sind, dass sie nicht ursprünglich verstehen, was sie entdecken. Wir müssen unser eigenes Inneres kultivieren.
– The Theosophical Forum, April 1933, S. 230
Das Geheimnis der Evolution ist daher in der inneren Natur des Menschen zu suchen und in den unsichtbaren Welten, von denen unser sichtbares Universum nur der physische Beweis ist, so wie der Körper des Menschen der sichtbare Ausdruck seines unsichtbaren, jedoch ursächlichen Selbst ist – seiner Monade.
Wir wollen uns hier ins Gedächtnis rufen, was wir unter der Monade verstehen, worüber wir bereits in Kapitel III gesprochen haben. Eine Monade ist eine Einheit von Bewusstsein, eine unzerstörbare Einheit von Individualität. Im Herzen eines jeden Wesens existiert eine Monade – vom Atom bis zur Sonne. In einem Atom ist die Monade weit weniger evolviert als im Menschen, der begonnen hat, vollkommen selbstbewusst zu werden. Die Monade im Herzen einer Sonne ist bis zum Zustand des Göttlichen evolviert. Im Menschen können wir sein spirituelles Selbst als die Monade betrachten.
Evolution wird grundsätzlich durch Monaden zustande gebracht. Die Monaden, die heute das Menschenreich bilden, begannen ihre Evolution in längst vergangenen Zeitaltern, indem jede für sich ein Vehikel in jeder der niederen Ebenen und Reiche aufbaute – zunächst im Mineral- und Pflanzenreich, später evolvierte die Monade eine animalische Natur mit einem physischen Körper. Schließlich entfaltete sie aus ihrem Inneren eine Kraft, die wir das egoische Bewusstsein oder das selbstbewusste Ego nennen. Die unterhalb des Menschen stehenden Naturreiche bestehen aus Monaden, die noch kein Selbstbewusstsein entwickelt haben. Im Großen und Ganzen können wir sagen, dass der Mensch nun eine Monade oder ein spirituelles Selbst (Ātman-Buddhi) ist, das sich mittels eines selbstbewussten, reinkarnierenden Egos (Manas, dual, höheres und niederes) zum Ausdruck bringt; diese Egos ihrerseits wirken durch eine niedere Triade: Kāma, einen Modellkörper und einen physischen Körper, wobei Prāṇa für beide als Lebensatem dient (siehe das Diagramm auf Seite 25).
Der gesamte Zweck dieser evolutionären Reise durch alle Reiche ist zweifach: Erstens wird die Monade befähigt, die Früchte des Selbstbewusstseins auf den Ebenen zu ernten, die unterhalb ihrer eigenen spirituellen Ebene stehen; zweitens wird die Evolution der Lebensatome – jedes Atom mit seiner eigenen, beseelenden Monade – unterstützt, und sie formen die verschiedenen Vehikel auf den unterschiedlichen Ebenen der Evolution – materiell, emotional, intellektuell und spirituell. Um den Tod, das erhabenste aller Mysterien, begreifen zu können, müssen wir etwas über diesen Evolutionsprozess und seinen Zweck wissen.
Der Mensch hat im Kern seines Wesens einen Gott im Inneren, der er nicht selbst ist, sondern seine Wurzel und sein spiritueller Ursprung – die Monade, aus der er unbewusst seine spirituelle Vitalität schöpft. Dieses göttliche Wesen in uns ist unser Anreger, Beschützer und Leitstern, die Stimme des Mitleids und des Gewissens in unserem menschlichen Herzen. Sein heiliges Licht erweckt in uns alle Ideale und wahren Bestrebungen. Ohne diese uns umgebende und alles durchdringende Anwesenheit würden wir schnell wie hilflose menschliche Nachtfalter in der heißen Flamme materieller Trugbilder verbrennen.
Die Monade ist also ein Teil von uns oder, besser gesagt, wir sind ein Teil von ihr; und dennoch sind wir nicht die Monade. Wir können nicht getrennt von ihr existieren, weil sie unser Bindeglied oder unser Verbindungskanal mit dem universalen kosmischen Leben ist.
Nun ist die Monade selbst ein Individuum auf ihrer eigenen (für uns) unsichtbaren Daseinsebene. Manchmal, wenn wir vielleicht kurz über die Beschränkungen unseres täglichen Selbst durch eine Tat der selbstlosen Liebe, das Bemühen um besondere Selbstdisziplin oder durch starke Sehnsucht nach dem Göttlichen in uns hinauswachsen – in solch einem Augenblick ergreift manchmal eine Schwingung der Freiheit, der Einsicht, des reinen Glücks oder Friedens von uns Besitz. Eine Zeitlang atmen wir den Äther einer reineren Welt, und alle Dinge erscheinen uns auf einmal möglich. Das ist das Licht des Gottes, der Monade in uns. Dieser Gedanke oder diese Tat wirkt wie ein Klopfen an die verschlossene Tür ihres Reiches der spirituellen Erleuchtung, die Tür öffnet sich kurz, um einen Strahl des Lichts in das nach oben strebende Herz zu werfen.
So hat der Gott in uns seine eigene spirituelle Welt. Er lebt auch dort und macht seine Erfahrungen, wächst und erhellt gleichzeitig das reinkarnierende Ego auf seiner Reise durch die Schatten des Erdenlebens. Sein eigenes Reich liegt in der ursächlichen göttlichen Welt, von der diese physische Sphäre das äußere Kleid oder Vehikel ist.
Es hat wenig Zweck zu fragen: „Wo befindet sich diese innere, unsichtbare Welt?“ Man könnte genauso gut das unsichtbare Selbst eines Freundes fragen: „Wo bist du?“, den mental-spirituellen Menschen damit meinend, welcher der wahre Herzensfreund ist. Denn die spirituelle, innere Welt existiert auf einer anderen Ebene, in einem anderen Zustand der Materie, sie hat eine andere Schwingung als die Welt, die wir um uns wahrnehmen.
Wir müssen daran denken, dass der Mensch ein zusammengesetztes Wesen ist: Körper, Ego, spirituelles Selbst. Jedes dieser drei muss – wie wir gesehen haben – für ein genaueres Studium wiederum unterteilt werden, wodurch wir zu sieben Prinzipien oder Elementen gelangen. Dasselbe trifft auch auf die Planetenwelt zu, in der wir evolvieren. Eine Planetenkette besteht aus sieben Globen, und unsere Erde ist der physische und niederste Globus, der einzige, den wir sehen können, und das trifft analog auf den physischen Körper des Menschen zu.2
Jeder Planet im Raum ist ebenso siebenfältig – er wird von sechs anderen, für uns jedoch unsichtbaren Globen begleitet. Hätten wir also ein für die innere Wahrnehmung geeignetes Organ, könnten wir in der Nacht bis tief hinein in den Sternenhimmel blicken, um im kosmischen Raum eine unzählige Schar ätherischerer Welten zu sehen. Diese inneren, ätherischeren Welten sind die ursächlichen Wurzeln des physischen Universums, so wie beim Menschen das spirituelle Selbst die Wurzel seiner sichtbaren Erscheinung ist.
H. P. Blavatsky sagt uns Folgendes über diese Welten:
… Der Okkultist definiert diese Sphären weder außerhalb noch innerhalb der Erde, wie es die Theologen und die Dicher tun; denn ihre Lage ist nirgends in dem den Profanen bekannten und von ihnen verstandenen Raum. Sie sind gewissermaßen mit unserer Welt vermischt – sie durchdringen dieselbe und sind von ihr durchdrungen. Es gibt Millionen und Abermillionen für uns sichtbare Welten; eine noch größere Anzahl existiert außerhalb der für das Fernrohr sichtbaren; und viele von der letzteren Art gehören nicht unserer objektiven Daseinssphäre an. Obwohl so unsichtbar, als ob sie Millionen von Kilometern jenseits unseres Sonnensystems wären, sind sie doch bei uns, uns nahe, innerhalb unserer Welt, ebenso objektiv und materiell für ihre betreffenden Bewohner, wie die unserige für uns. … Sie unterstehen gänzlich ihren eigenen Gesetzen und Bedingungen und keine hat eine unmittelbare Beziehung zu unserer Sphäre. …
Nichtsdestoweniger existieren solche unsichtbaren Welten. Ebenso dicht bewohnt wie unsere eigene, sind sie im scheinbar leeren Raum in unermesslicher Anzahl verstreut; einige sind viel materieller als unsere eigene Welt, andere stufenweise etherischer, bis sie formlos werden und wie ‘Atem’ sind. Die Tatsache, dass unser Auge sie nicht sieht, ist kein Grund dafür, nicht an sie zu glauben. …
Wenn wir uns aber eine Welt vorstellen, aus einem Stoff bestehend, der für unsere Sinne feiner als der Schweif eines Kometen ist und dessen Einwohner im Verhältnis zu ihrer Kugel ebenso etherisch sind, wie wir im Verhältnis zu unserer felsigen, hartkrustigen Erde – dann ist es nicht verwunderlich, dass wir sie nicht wahrnehmen und dass wir ihre Gegenwart oder auch nur Existenz nicht fühlen. …
– Secret Doctrine, I:605-607
In den höheren und innersten Regionen dieser unsichtbaren Welten weilt die Monade, das spirituelle Selbst des Menschen. Und dennoch bedeutet das nicht, dass die Monade nicht bei uns ist. Auch von den wahren Egos unserer Freunde können wir nicht sagen, sie seien nicht bei uns, obwohl wir nur ihren physischen Körper sehen. Wie bereits vorher gesagt, müssen wir lernen, Lebewesen mehr im Sinn von Bewusstsein zu betrachten. Das spirituelle Selbst des Menschen ist ein Wesen reinen Bewusstseins, verkörpert in seinem buddhischen Vehikel; das Ego ist ein intellektuelles Bewusstseinszentrum, verkörpert in einem persönlich-animalischen Vehikel; entsprechend ist die niedere Triade aus Elementarbewusstsein zusammengesetzt, verkörpert in einer astral-physischen Form. Und alle diese verschmelzen zu einer Einheit durch ihren gemeinsamen Ursprung in der Monade im Herzen von allen.
Wir sehen also, dass diese verschiedenen Zentren während des irdischen Lebens ein Wesen formen. Wenn es ein sonderbarer Gedanke zu sein scheint, dass der Gott in uns unentwegt auf seiner eigenen Ebene evolviert, können wir es besser verstehen, wenn wir bedenken, dass der Verstand und der Körper sich ebenfalls zur gleichen Zeit auf zwei verschiedenen Ebenen entwickeln, von denen eine für unsere äußeren Sinne unsichtbar ist. Jedes Prinzip oder Element in uns erleuchtet und unterstützt das Prinzip, das unmittelbar unter ihm steht. Wenn das Niedere in seiner Evolution voranschreitet, bietet es den Bewusstseinszentren über ihm größeren Handlungsspielraum – vergleichbar einem Menschen, der seine körperlichen Verlangen besiegt hat und damit von ihnen befreit ist; jemand, der noch nicht so weit ist, ist in einem gewissen Grad deren Sklave. Und das gilt in weit größerem Maße für die Laster des Verstandes und der Emotionen. Wenn wir uns von ihnen befreien, schreitet die gesamte Natur zu einer weiteren und tieferen Art des Handelns fort. Andersherum betrachtet kann niemand einen Gedanken hegen oder etwas tun, das ohne Einfluss bleibt – weder zum Guten noch zum Bösen – auf die unzähligen niederen Lebensformen seines eigenen Organismus, welcher ganz und gar von seinem Bewusstsein durchdrungen ist. Der Einfluss menschlicher Laster auf die Gesundheit ist ein Beispiel dafür. Und um den Gedanken zu vervollständigen: Unsere täglichen Gedanken und Handlungen unterstützen oder behindern die spirituelle Evolution unserer höheren Prinzipien, die mit ihrer größeren Reichweite des Bewusstseins unser gewöhnliches menschliches Selbst ganz durchdringen und inspirieren. So gibt es eine evolutionäre Wechselbeziehung zwischen allen Existenzebenen.
Der Tod ist der große Freund, der das spirituelle Selbst des Menschen von seinem materiellen Gewand erlöst und für die ermüdete menschliche Seele das herrliche Tor zu spiritueller Selbsterfüllung und zu Frieden öffnet.
Die Wanderungen der Monade
Die Lehren der esoterischen Weisheit – die wir hier kurz umreißen werden – sind eine schöne Antwort darauf, was zu allen Zeiten ein intuitiver Traum von Dichtern und Denkern war. Wie oft hat sich der Geist des Menschen, der in die unermessliche Weite des mitternächtlichen Himmels emporblickt, nicht danach gesehnt, die Geheimnisse dieser strahlenden Welten, die sich in ihrer unerreichbaren Majestät über uns drehen, zu durchschauen! Und viele hatten die wahre Vision, dass es tatsächlich die Bestimmung des menschlichen Geistes ist, nach dem Tod andere Welten und Planeten zu besuchen, die uns in ihrer ruhigen Schönheit aus den Tiefen des Raums anblicken. Der Dichter und Astronom Camille Flammarion – einst ein Schüler der Theosophie – war einer von den modernen Denkern, der diese Überzeugung zum Ausdruck brachte, die eine so logische und gleichzeitig romantische Antwort auf die Herzensfragen der Menschheit ist.
Die Reisen des spirituellen Selbst des Menschen zu den Welten des äußeren und inneren Raumes werden in der Theosophie die Wanderungen der Monade genannt. Auf den vorigen Seiten haben wir sozusagen das Große Abenteuer vorbereitet, das auf den irdischen Tod folgt. Wir haben gesehen, wie sich die vier niederen Prinzipien oder Elemente des Menschen beim ersten und zweiten Tod auflösen und verschwinden, wie die höhere Natur der Persönlichkeit von Manas, dem selbstbewussten, reinkarnierenden Ego, absorbiert wird; und wie dann Manas für eine längere Periode glückseliger Ruhe in den Schoß der Monade, den ‘Vater im Himmel’, zurückgezogen wird.
Die Monade (Ātman mit ihrem spirituellen Vehikel oder Gewand – Buddhi) ist nun frei, um ihre Wanderungen oder Pilgerfahrten durch die inneren Welten fortzusetzen. Denn wir dürfen uns nicht vorstellen, dass die Monade, die ein göttliches Wesen mit einem kosmischen Bewusstsein und kosmischen Möglichkeiten ist, während der Perioden zwischen unseren irdischen Leben, in welchen sie das schlafende Ego in ihrem Schoße birgt, ruht. Die Monade bedarf dessen nicht, was wir Ruhe nennen. Sie ist immer aktiv und während der Perioden solarer Manifestation ständig in Tätigkeit – um jene Scharen weniger evolvierter Wesenheiten – mit denen sie ihr weites Feld karmischer Anziehungen in Kontakt bringt – im Sinne der Evolution zu emanieren und zu inspirieren. Und diese Hilfe und Inspiration verwirklicht sie, indem sie sich in von ihr selbst geschaffene Vehikel kleidet, die aus diesen niederen Wesenheiten bestehen – auf all diesen Ebenen, den inneren und äußeren, den ‘höheren’ und ‘niederen’, die sie auf ihren Wanderungen durchziehen muss. Zu diesen niederen Wesenheiten, die unmittelbar und indirekt als Vehikel für die Bedürfnisse und Aktivitäten der Monade dienen, gehören die sechs anderen, weniger entwickelten Prinzipien des Menschen und auch alle Formen in den niederen Reichen, die von der Monade beseelt werden, wie im vorigen Kapitel erklärt wurde.
Vielleicht werden die folgenden Lehren verständlicher, wenn wir hier kurz wiederholen, dass alles im Universum in seiner manifestierten Evolution oder Konstitution siebenfältig ist; das heißt, im Universum manifestiert sich das Leben in sieben verschiedenen Stufen von Bewusstsein und Substanz, für die die sieben Prinzipien unserer Konstitution ein Beispiel sind. Die sechs anderen Prinzipien oder Elemente, durch die sich sowohl die kosmische als auch die persönliche Monade manifestiert, sind unsichtbar. Ihre Substanz ist zu ätherisch, um von unseren physischen Sinnen, die nicht auf die feineren Vibrationen dieser ätherischen Substanz abgestimmt sind, wahrgenommen werden zu können. So ist auch unsere Erde Teil eines Systems von sieben Globen, von welchen die uns vertraute Erde den äußersten, physischsten und für unsere Sinne einzig wahrnehmbaren darstellt. Die sechs Schwestergloben unserer Erde existieren auf inneren und höheren Ebenen des Seins.
Wir müssen hier kurz innehalten und den Leser daran erinnern, diese Schwestergloben nicht als die sechs anderen Prinzipien der Erde zu betrachten, denn das sind sie nicht. Jeder dieser Globen ist selbst, so wie die Erde, eine vollständige siebenfache Wesenheit. Aber zusammen mit der Erde bilden sie eine Reihe von sieben evolutionären Bühnen oder Entwicklungsebenen, die wir alle irgendwann durchlaufen müssen, um unsere eigene siebenfache Evolution zu vollenden und so zu vollständigen Aspekten des Ganzen zu werden.3
Nach dem physischen und dem zweiten Tod beginnt die Reise der Monade oder des spirituellen Selbst zu diesen unsichtbaren Globen unserer Erdkette. Nach demselben Verfahren, das bereits beschrieben wurde, bringt die Monade auf jedem Globus ‘Körper’ oder Vehikel oder Formen hervor, die zu der Evolution auf diesen höheren Bewusstseinsebenen passen. Diese Wanderungen durch die unsichtbaren Globen unserer Planetenkette sind eine Phase der ‘Inneren Runden’. Wenn schließlich der Zyklus der monadischen Wanderungen auf diesen höheren Globen unserer Planetenkette vollendet ist, beginnt die Monade ihren Zyklus von Reisen in den ‘Äußeren Runden’ – das heißt, sie schreitet die Runde entlang jener Planeten fort, welche die Alten die ‘sieben heiligen Planeten’ unseres Sonnensystems nannten.
Aber was und welche sind diese heiligen Planeten, und warum nennt man sie heilig? Da die Wurzeln der Monade ihren Ursprung offensichtlich in einem organisierten Universum haben, das in all seinen Teilen durch unveränderliche Gesetze geleitet wird, irrt sie auf ihren Streifzügen durch die Sphären nicht ziellos umher. Sie folgt vielmehr jenen Pfaden, die in der esoterischen Philosophie die ‘Kreisläufe des Kosmos’ genannt werden. Die Wanderungen der Monade werden auch durch ihre eigenen angeborenen karmischen Affinitäten oder Anziehungskräfte sehr genau bestimmt und beschränken dadurch die kosmischen Reisen der Monade auf die sieben heiligen Planeten.
Diese Planeten sind Saturn, Jupiter, Mars, Venus, Merkur, die Sonne und der Mond. Die beiden letzteren werden hier als Symbole verstanden, als Stellvertreter für zwei Planeten, über die in der exoterischen Literatur der Alten Weisheit sehr wenig Information zu finden ist.
Warum nun werden diese besonderen Planeten heilig genannt und worin liegt ihre karmische Beziehung zum Menschen? Auf diese Fragen finden wir in Fundamentals of the Esoteric Philosophy von Dr. de Purucker (S. 472) eine Antwort:
… Diese sieben Planeten sind für uns als Bewohner dieses Globus heilig, weil sie die Übermittler der sieben Grundkräfte des Kosmos von der Sonne zu uns sind. Unsere sieben Prinzipien und unsere sieben Elemente entspringen ursprünglich diesem siebenfachen Lebensstrom.
Diese sieben heiligen Planeten oder besser gesagt ihre ‘Leiter’ – die innewohnenden spirituellen Wesen, von denen diese Planeten die physischen Vehikel sind – beaufsichtigen jeder den Bau oder die Bildung eines der sieben Globen der irdischen Planetenkette und das ‘Swabhāva’ (oder die angeborenen karmischen Eigenschaften) dieses Globus. Weitere Information über diesen und andere Aspekte dieser Lehre kann der Leser in The Esoteric Tradition von G. de Purucker, Kapitel XXIX, ‘Circulations of the Cosmos’ finden.
In der The Secret Doctrine verweist H. P. Blavatsky auf diese Lehren, von denen hier ein Abschnitt zitiert wird (I: 577):
Der planetarische Ursprung der Monade oder Seele und ihrer Fähigkeiten wurde von den Gnostikern gelehrt. Auf ihrem Weg zur Erde, sowie auf ihrem Weg von der Erde zurück [zu ihrer ursprünglichen, göttlichen Heimat], musste eine jede in und aus dem ‘grenzenlosen Licht’ geborene Seele die sieben planetarischen Regionen in beiden Richtungen durchwandern.
Wenn die Monade ihre Inkarnationen auf den unsichtbaren Globen unserer irdischen Planetenkette vollendet hat, setzt sie ihre nachtodlichen Wanderungen auf diesen sieben heiligen Planeten und ihren jeweiligen Planetenketten fort. Folgende Beschreibung aus The Esoteric Tradition wirft Licht auf vieles, was bis jetzt nur umrissen wurde:
… Überdies wandert die Monade, nachdem ihre Aktivität mit der nachtodlichen Existenz des Menschen begonnen hat, von Sphäre zu Sphäre und durchläuft auf ihren endlosen Wanderungen während des Manvantaras die Runden aufs Neue. Sie durchläuft die Sphären nicht nur, weil sie in ihnen allen beheimatet ist und darum durch die eigenen magnetischen Anziehungskräfte und Impulse zu ihnen hingezogen wird, sondern auch, weil sie selbst es will; denn der freie Wille ist etwas Göttliches und ist eine angeborene, von ihr nicht zu trennende Eigenschaft.
– S. 857
Wir lenken die Aufmerksamkeit auf die Worte „durchläuft ihre Runden aufs Neue“, die sich natürlich auf die Tatsache beziehen, dass die Monade diese inneren und äußeren Runden nach jeder Inkarnation des Menschen auf der Erde durchläuft. Wir wollen auf den freien Willen als Eigenschaft der Monade hinweisen, die als göttliches Wesen freiwillig die enorme Aufgabe auf sich nimmt, sich in allen Klassen der niederen Lebensformen ihres eigenen Kosmos zu verkörpern, um sie emporzuheben und ihre eigene Evolution zum Göttlichen hin zu inspirieren.
Wir fahren fort:
Während der Pilgerfahrt der Monade durch die ‘Sieben Heiligen Planeten’ der Alten folgt besagte Monade zwangsläufig jenen Pfaden oder Kanälen oder Bahnen des geringsten Widerstandes, welche die Esoterische Philosophie als die ‘Kreisläufe des Kosmos’ oder ähnlich bezeichnete. Diese Kreisläufe des Kosmos sind sehr reale, wirkliche Verbindungswege zwischen Punkten, Orten oder Himmelskörpern, wie sie alle in den Gitterstrukturen des sichtbaren und unsichtbaren Universums existieren. Diese Kreisläufe sind nicht eine bloß poetische Metapher oder eine bildliche Darstellung; sie sind in der inneren, ökonomischen Wirksamkeit der sichtbaren und unsichtbaren Welten des Universums ebenso real wie die Nerven und Blutgefäße, die Arterien und Venen im menschlichen physischen Körper. Geradeso wie die Arterien und Venen die Kanäle, Wege oder Pfade darstellen sowohl für die Übertragung intellektueller, psychischer und nervlicher Impulse und Anweisungen als auch für die lebensnotwendige Blutflüssigkeit, stellen die Kreisläufe des Kosmos analog dazu die Kanäle, Wege oder Pfade dar, denen die auf- und absteigenden Lebensströme folgen. Diese setzen sich aus dem nie endenden Strom wandernder, pilgernder Wesenheiten aller Klassen zusammen und verlaufen rückwärts und vorwärts, hierhin und dorthin, ‘auf und nieder’ durch das gesamte Universale Gebäude.
– S. 859
Nachdem die Monade die siebenfältige Erdkette verlassen und den nächsten Planeten in der Reihe erreicht hat, erzeugt oder bildet sie während ihrer Wanderung in und durch diese Planetenkette einen Strahl oder eine Strahlung aus sich selbst heraus, einen psycho-mentalen Apparat oder eine ‘Seele’ von vorübergehender Existenz, die sich dort als Folge davon zeitweilig in einem entsprechenden geeigneten Körper oder Vehikel inkarniert, einem Körper spiritueller, etherischer, astraler oder physischer Art.
– S. 867
So sammelt die Monade, unser spirituelles Selbst, unser essentielles Selbst … auf jedem der sieben heiligen Planeten eine neue Ernte an Seelenerfahrungen, die nur auf jedem einzelnen dieser Planeten gewonnen werden kann. Eine jede solche ‘Ernte’ besteht aus den von der spirituellen Monade während der Verkörperung erworbenen angesammelten Erfahrungen, die in der essentiellen Charakteristik von Substanz und Energie zu den betreffenden Planeten gehören.
– S. 870-871
Ist dies nicht ein erhabenes Bild? Es führt uns von dem versandeten Hafen immer noch vorhandener mittelalterlicher Theologie oder dem modernen Materialismus weg, hin zu dem Meer des spirituellen Abenteuers! Es schildert in treffender Weise die Bedeutung eines in der Theosophie oft benutzten Ausdrucks: ‘Erweiterung des Bewusstseins’. Nein, wir sind keine Würmer im Staub und auch keine entwickelten Affen. Wir befinden uns weder auf dem Weg in einen unveränderlichen Himmel oder eine Hölle, noch führt unser Pfad in gnadenlose Vernichtung. Vor uns liegen grenzenlose Gebiete kosmischer Aktivität und Abenteuer, die unser Vorstellungsvermögen weit übersteigen.
Es ist wahr, dass die reinere Seite unseres heutigen Bewusstseins ihre glücklichen Träume in Devachan träumen wird, während der innere Gott – das spirituelle Selbst oder die Monade, die uns ‘in ihrem Schoße trägt’ – seine Reise entlang der Pfade des Sonnensystems vollendet. Die Adepten und Weisen der archaischen Weisheit zeichneten dieses Bild unserer großartigen Berufung für uns, als das Ziel inspirierten Bemühens. Sie zogen die verdunkelnden Schleier unserer Unwissenheit beiseite, um das unergründliche Panorama des Lebens zu enthüllen, das die inneren Reiche des Raums erfüllt. Sie versichern uns, dass wir unseren Platz haben, unsere fruchtbare und niemals endende Teilhabe an dem unermesslich abwechslungsreichen und faszinierenden Drama des Universums.
Wir erkennen nun etwas vom Sinn des Evolutionsprozesses, der im letzten Kapitel besprochen wurde. In diesem Prozess wird das reinkarnierende Ego am Ende seines großen Evolutionszyklus selbst zu einer Monade. Dann hat es aus dem Kern seines eigenen Wesens das Monadenhafte evolviert, das jetzt dort noch latent anwesend ist oder seine Entfaltung erst beginnt. In einem künftigen Manvantara wird es selbst als Monade zwischen seinen Perioden der Verkörperung den Kreisläufen des Kosmos folgen. Und was jetzt unsere animalische Natur ist, wird in der Evolution zur Ebene des Menschlichen erhoben sein.
Der Wert dieser Lehren
Eines der schönsten Dinge im Zusammenhang mit der Theosophie ist die Tatsache, dass ihr Idealismus so konstruktiv und praktisch ist. Auf den ersten Blick könnte es dem Leser schwierig erscheinen, dieses erhabene philosophische System in Verbindung zu unserer gehetzten und kommerzialisierten Gesellschaft zu bringen. Und dennoch gibt es nicht eine einzige theosophische Lehre, nicht einmal die scheinbar am schwersten Verständlichste, die ohne eine innere und praktische Bedeutung für das Denken und Handeln im täglichen Leben der Menschen ist. Wir wollen hier ein Beispiel geben: Könnte es in seiner Auswirkung irgendetwas Praktischeres geben als die Gewissheit, dass wir nach dem Tod weiterleben? Der ethische Einfluss dieser Gewissheit ist offensichtlich enorm, besonders in Zusammenhang mit Reinkarnation und Karma.
Warum fürchten wir den Tod überhaupt? Ist es nicht so, dass wir uns fürchten ‘loszulassen’, unser vertrautes tägliches Bewusstsein aufzugeben? Den Schlaf fürchten wir nicht, denn wir erinnern uns an gestern und wissen, dass der Bewusstseinsverlust nur vorübergehend ist und es morgen wiederhergestellt ist. Aber angesichts des Todes sind wir wie kleine Kinder, die jeden Abend kämpfen, sich wach zu halten und den Augenblick fürchten, in dem sie in unbewussten Schlaf versinken. Erst wenn wir älter werden und mehr Erfahrung haben, wird uns klar, welch gesegneter Freund und Erquicker der tägliche Zyklus des Vergessens im Leben ist.
Derselbe Unterschied in der Entwicklung zwischen dem Kind und dem Erwachsenen in Bezug auf den Schlaf kennzeichnet den Unterschied im Wachstum zwischen unvollkommen entwickelten Menschen, wie wir es sind, und den spirituellen Adepten oder Mahatmas in Bezug auf den Tod. Denn den Tod zu überwinden – also das Bewusstsein ohne Unterbrechung von einem Leben ins andere fortzusetzen – ist einer der größten Erfolge einer wahren okkulten Ausbildung. Und mit einer wahren okkulten Ausbildung meinen wir die wissenschaftliche Anwendung der theosophischen Lehren zur Selbstentfaltung unter der Leitung eines spirituellen Lehrers.
Wir sterben – in dem Sinne, dass wir den Zugriff auf uns selbst verlieren –, denn wir leben jetzt beinahe vollständig in jenem Teil unserer Natur, der sterben muss, im persönlichen und physischen Bewusstsein. Sogar der höchste Gott der inneren spirituellen Welten muss – könnte er einen menschlichen Körper annehmen – früher oder später zum Zeugen von dessen Auflösung werden. Die physische Natur von Jesus, der ein hoher Avatāra war – oder die Manifestation eines Gottes –, musste die Tore physischer Auflösung durchschreiten. „Aber,“ werden Sie sagen, „er ist vom Tode auferstanden.“ Ja, tatsächlich – sowie jeder von uns lernen muss ‘aufzuerstehen’ – „größere Dinge als diese werdet ihr vollbringen“ hat er uns versprochen.
Die ‘Auferstehung’ ist eine Einweihungslehre der alten Mysterienschulen. Diese Schulen existierten im Altertum als ein vitaler Bestandteil aller alten Zivilisationen. Ihr Ziel war, den Menschen über seinen Ursprung, seine Konstitution, die Gesetze und die Bestimmung des Universums zu unterrichten und über seine Beziehungen und Erfahrungen in diesem Universum. In den Tagen von Jesus hatten diese Mysterienschulen schon an Wert verloren, so wie es mit allen Dingen im Laufe der Zeit geschieht. Aber die Wahrheiten, die diese Schulen jahrhundertelang gelehrt hatten, waren so in das mentale und moralische Gewebe der Zivilisationen um das Mittelmeer eingewoben, dass die christlische Kirche sich gezwungen sah, vieles aus der Mysteriensprache und den Zeremonien zu übernehmen, um die Menschen dafür zu interessieren und ihnen die neuen Dogmen begreiflich zu machen. Da man sie jedoch nur teilweise übernahm, wurden sie falsch verstanden, und die Lehren sanken auf ein materielles Niveau ab, wodurch die erhabene Idee der ‘Auferstehung’ des spirituellen Menschen, der seine eigene selbstsüchtige und animalische Natur besiegt, zu der gegenwärtigen, unlogischen Lehre erniedrigt wurde. Die wirkliche Auferstehung nimmt in der Lehre des Okkultismus einen wichtigen Platz ein. Sie bedeutet Einweihung, die letztendliche, glorreiche Vollendung des langen Weges selbstgeleiteter Evolution unter der Führung eines spirituellen Lehrers. Und diese Einweihung ist für jeden bestimmt, der ein solches Leben führen und die Lehre in die Praxis umsetzen möchte. Das Thema Einweihung wird in der theosophischen Literatur ausführlich behandelt. Wir möchten uns hier auf einen Abschnitt beschränken:
Einweihung ist der Weg, durch den der evolutionäre Prozess des Wachstums stark beschleunigt werden kann. Aber ein Mensch muss zunächst die Voraussetzungen dafür erworben haben, er muss gelernt haben und wissen, wie die ‘richtigen Antworten’ zu geben sind. Mit anderen Worten: Er muss für die Einweihung bereit sein, ehe er den Versuch wagen darf, ihre Riten zu durchschreiten. All das umfasst eine sehr ernsthafte Selbstschulung, ein Sehnen, einen ungeheuren Hunger nach Licht und den Besitz eines unbeugsamen Willens vorwärtszugehen, den nichts entmutigen kann. Noch anders ausgedrückt: Es bedeutet das Einswerden eines Menschen mit seiner inneren, höheren Konstitution, mit seinem höheren Teil. Es bedeutet, in diesem und für diesen zu leben und ihn vorherrschen zu lassen – ihn in seinem täglichen Leben aktiv werden zu lassen, statt so, wie es die Massen tun, bloß in Ruhe, in Schläfrigkeit und spirituellem Schlaf zu verharren und sich vom langsamen Strom der Zeit von Mutter Natur gleichgültig auf seiner ruhigen, sich jedoch immer bewegenden Welle dahintreiben zu lassen.
– G. DE PURUCKER, The Esoteric Tradition, S. 1036/37
Es gibt tatsächlich auch eine Art Auferstehung des Körpers:
Wenn die Zeit für die Reinkarnation des Menschen zu physischem Leben wieder anbricht, steigt das sich wiederverkörpernde Ego aus der monadischen Zurückgezogenheit hinab, in der es eine Zeit von unvorstellbarer Ruhe und unvorstellbarem Frieden erlebt hat. Es ‘steigt hinab’ durch dieselben Zwischenebenen oder Welten, durch die es früher, am Ende des vorhergehenden Erdenlebens, emporgestiegen ist; und es nimmt nun möglichst viele der Lebensatome wieder auf, die es während des früheren Aufstiegs zurückgelassen hat und die nun aufgrund von Anziehung … zu dem absteigenden, sich wiederverkörpernden Ego zurückgezogen werden. Diese gradweise Verdichtung oder Materialisierung der inneren Vehikel oder Elemente – von der monadischen oder spirituellen Welt abwärts bis zur physischen Welt – bildet die sieben Teile der Konstitution des Menschen, wie er auf der Erde sein wird. Darum ist also der neue physische Körper des Menschen hier auf dieser unserer physischen, irdischen Ebene aus denselben oder gleichen Lebensatomen zusammengesetzt, in denen das Ego während seiner letzten Inkarnation lebte und durch die es wirkte.
– Ebenda, S. 790
Diese beiden Lehren gehörten zu den Mysterienschulen und wurden in stark abgeänderter und unvollständiger Form von der neuen Religion, dem Christentum, übernommen.
Die Theosophie hat sich das Ziel gesetzt, die alten Mysterienlehren neu zu beleben, die von Kṛishṇa, Lao-tse, Gautama und Jesus auf verschiedene Art gelehrt wurden – verschieden, weil jeder von ihnen zu einem anderen Zeitpunkt und unter einem anderen Volk erschien. Die Theosophie versucht, den alten, mystischen Ruf aus dem Herzen des Universums in den Herzen der Menschen zum Erklingen zu bringen. Es ist der Ruf, der ihn bittet aufzustehen und zum Vater zu gehen, in dessen Tempel des Geistes er jene Kraft und Weisheit finden kann, die ihn über die Illusionen der selbstsüchtigen Persönlichkeit erheben und ihn zum Sieger über den Tod machen wird. Sagte nicht der große Avatāra: „In meines Vaters Haus sind viele Wohnungen“ und „Ich gehe, um einen Platz für dich zu bereiten.“
Diese erhabenen Ideen und Versprechen stehen mit unseren täglichen Erfahrungen in Zusammenhang, weil sie das Ziel der gesamten Menschheit zum Ausdruck bringen. Wir leiden und plagen uns und sterben, weil wir weder uns selbst noch die Elemente verstehen, aus denen wir aufgebaut sind. Wir wissen nicht, warum wir hier sind. Wir verstehen so wenig vom Leben, dass uns unsere eigenen egoistischen Interessen als das Wichtigste erscheinen. Von nahezu allem haben wir falsche Vorstellungen. Wir versuchen jenen Dingen möglichst aus dem Weg zu gehen, die der Ruf der spirituellen Natur im Inneren sind – wie Schmerz, Selbstaufopferung, Leid und Schulung. Wir geben uns stattdessen nur allzu oft der Befriedigung unserer eigenen Wünsche oder der Gleichgültigkeit hin. Und das führt zu mehr Schmerz, mehr Leid und Krankheit und zu all den tieferen Aspekten der persönlichen Sterblichkeit.
Das Ziel des Lebens – wie Katherine Tingley es ausdrückte – liegt darin, „das Sterbliche zum Unsterblichen emporzuheben“. Aber Unsterblichkeit wird uns nicht ohne weiteres zuteil, ebenso wenig wie der Charakter und unser Umfeld. Durch eigene Anstrengung muss man sie verdienen und aufbauen. Das menschliche Selbst muss Unsterblichkeit und sein Recht auf das göttliche Abenteuer erwerben, indem es seine niedere zusammengesetzte Natur in die Einheit und Homogenität des Geistes umwandelt. Dinge, die aus verschiedenen Elementen zusammengesetzt sind – seien sie materieller oder psychologischer Natur – müssen zerfallen, wenn die Energie, die sie zusammenbrachte, erschöpft ist. Aber der Gott im Inneren ist ein reiner Strahl der universalen Einheit und kann sich nicht auflösen oder aufhören zu sein. Wenn der Mensch seine eigene menschliche Natur durch selbstloses Denken und Handeln in die Homogenität des Göttlichen umwandeln kann, wird er sich als unsterblich erkennen, denn so wurde er durch selbstgeleitete Anstrengungen. Er wird ein Meister des Lebens sein.
Tod und Wiedergeburt
Es ist kaum möglich, sich ein Weiterleben nach dem Tod vorzustellen, ohne auch nur an Prä-Existenz und Wiedergeburt zu denken, denn wenn man annimmt, dass etwas kein Ende hat, so muss man auch annehmen, dass es keinen Anfang hat. In einem logischen Gedankensystem müssen wir nicht nur beschreiben und erklären, was nach dem Tod passiert, sondern auch, was vor der Geburt stattfindet.
Und genau hier ist es auch interessant, die unmittelbaren Ursachen für die Reinkarnation des Egos zu untersuchen. Wiederverkörperung ist natürlich ein ‘Gesetz’, das heißt eine universale Gewohnheit der Natur. Alles im Universum verkörpert sich wieder – ein Elektron, ein Atom, ein Mineral, eine Pflanze – das heißt, die Monaden, die durch diese Formen evolvieren, müssen sich wiederverkörpern. Dasselbe trifft auf ein Tier, einen Menschen, einen Planeten, eine Sonne, ein Sonnensystem, ein Universum zu – nichts kann seinem essentiellen Schicksal der Evolution oder Entfaltung seiner inneren Natur und Kräfte durch Wiederverkörperung, stetig fortschreitende Organisation und sich verändernde Lebensumstände entgehen. Selbstverständlich nimmt auch das menschliche Ego an dieser universalen Gewohnheit der Selbstentfaltung teil.
Aber was uns jetzt vor allem interessiert, sind die unmittelbaren Ursachen, welche die Reinkarnation auf der Erde bewirken, und die Arbeitsweise, die in diesem Prozess befolgt wird. Die Monade, das spirituelle Selbst, vollbringt ihre Wanderungen durch die sieben heiligen Planeten mit dem reinkarnierenden Ego ‘schlafend in ihrem Schoße’. Aber wie immer in der Natur muss das, was ruht oder schläft, erwachen und aufs Neue seine selbstbewusste Aktivität mit dem Ziel aufnehmen, seine eigene Evolution fortzusetzen.
So erreicht schließlich das reinkarnierende Ego allmählich das Ende seiner Periode der devachanischen spirituellen Assimilation. Undeutliche, aber unwiderstehliche Erinnerungen an seine früheren Erdenleben lassen es aus seinem glücklichen Schlaf erwachen. Alle Prozesse in der Natur sind so harmonisch, flexibel und selbstregulierend, dass die Monade ihre Wanderungen durch die inneren und äußeren Runden zu der Zeit vollendet, in der auch das reinkarnierende Ego das Ende seiner Traum-Ruhe in der monadischen Essenz erreicht.
Wie also klar sein dürfte, hat infolgedessen ein Ego, ob es ein langes oder im Gegenteil ein kurzes Devachan hat, in keinem Falle irgendwelche Schwierigkeiten. Denn die spirituelle Monade wird mehr oder weniger stark von der spirituellen Beschaffenheit oder Qualität des sich wiederverkörpernden Ego, welches es in seinem Schoße trägt, beeinflusst. So kommt es, dass die Pilgerfahrt der spirituellen Monade hinsichtlich der Zeit, welche die interplanetarische Pilgerfahrt in Anspruch nimmt, bis zu einem gewissen, oftmals sogar hohen Maß gesteuert wird.
– The Esoteric Tradition, S. 885
Das reinkarnierende Ego wird deshalb allmählich ‘herunter’ oder ‘nach außen’ geführt – durch die unsichtbaren interplanetarischen Sphären, bis es wieder beginnt, sich der Schwelle des irdischen Lebens zu nähern. Hier sendet es aus sich selbst eine manasische Strahlung oder einen Strahl. Die Anwesenheit dieses Strahls hat eine dynamische Wirkung auf all jene Energiezentren, die zurückgelassen wurden, als es das letzte Mal durch die Tore des Todes hier auf der Erde ging. Die Lebensatome, aus denen diese Energiezentren oder Prinzipien oder Elemente bestehen, beginnen dann, sich um den manasischen Strahl wie um einen Kern zu kristallisieren. Wie bereits gesagt, gibt es vier solcher Prinzipien oder Elemente, und sie bilden die niedere Vierheit oder das niedere Selbst, welches das Ego in seinem letzten Leben als Vehikel benutzte. Es sind: Kāma, die Begierde; Prāṇa, das Lebensprinzip oder die Vitalität; der Astral- oder Modellkörper, der Liṅga-Śarīra; und die physische Hülle oder der Śthūla-Śarīra. Sobald diese vier Prinzipien wieder damit beginnen, rund um den manasischen Strahl eine Form zu bilden, tritt die Persönlichkeit – Kāma-Manas – wieder in ihre irdische Existenz ein.
Das Ende dieses Prozesses wird folgendermaßen umschrieben:
Schließlich erreicht der Strahl oder die Strahlung des sich wiederverkörpernden Egos den kritischen Punkt oder jene Stufe seines ‘Abstiegs’, auf der er zu der besonderen, bestimmten menschlichen Keimzelle hingezogen oder von ihr angezogen wird, deren Wachstum – wenn es nicht unterbrochen wird – in einen physischen Körper mündet. Die psycho-magnetischen Anziehungskräfte und inneren Impulse des sich wiederverkörpernden Egos haben es … karmisch zu der Zelle hingeführt, die unter einer Anzahl anderer möglicher Zellen die geeignetste ist, Vater und Mutter zu ihrer Zeit zu vereinigen, um das zu geben, was man bildhaft vielleicht die magische Verbindung vereinigten ‘Lebens’ nennen könnte. …
Von diesem Augenblick an beginnt das lebende Protoplasma von innen nach außen zu wachsen und nach und nach das, was in ihm aufgespeichert ist, zur Manifestation zu bringen.
– Ebenda, S. 888
Das Ego wird gewöhnlich zu jener Familie und dem sozialen Umfeld hingezogen, in welchem es beim letzten Tod seines physischen Körpers seine Lasten, Probleme und Verwandten zurückgelassen hat. Nähere Details zu diesem Thema finden sich in einem anderen Büchlein dieser Reihe: Karma und Reinkarnation.
Das Studium des Todes und der nachtodlichen Zustände von Bewusstsein und Erfahrung ist für jeden von größter Bedeutung – und zwar unter anderem aus folgenden Gründen:
(1) Das Studium lehrt uns, wie die Kluft überbrückt werden kann, die nur offenbar wird – zwischen uns selbst und denen, die wir lieben, sobald sie in die unsichtbaren Welten hinübergegangen sind. Und das nimmt dem Tod den Stachel.
(2) Es löst die Furcht vor dem Tod in unserem Herzen und inspiriert uns zu einer großen Hoffnung und zu einem Sinn des Lebens, damit wir das Heute so gestalten, dass der morgige Tod gut sein wird.
(3) Wir können den Tod nicht verstehen, ohne die Geheimnisse unserer eigenen Natur kennenzulernen. Ihr Studium und ihre Bemeisterung wird zu einer Erneuerung des gesamten Lebens sowohl hier als auch im Jenseits führen.
Die Theosophie bietet uns ein Bild von der Gesamtheit vieler Prozesse in der Natur, welche die Wissenschaft heute nur als Halbwahrheiten ansieht. Dazu gehören die Schwerkraft und die Evolution, wie H. P. Blavatsky in The Secret Doctrine erklärt. Die Wissenschaft betrachtet das Leben des Menschen zum Beispiel als eine gerade Linie, als ein Fragment, während es ein infinitesimaler Teil eines mächtigen Kreises ist, der sich in wechselnden Graden von Licht und Schatten emporwindet – eine gewaltige spirituelle Spirale. Sie tendiert aufwärts, immer langsam nach oben, und führt den Menschen aus den dunklen Schatten eines einzelnen Erdenlebens hin zum leuchtenden Bogen der Periode zwischen zwei Leben; und dann wieder zu einem nächsten Schatten-Abschnitt irdischer Existenz und so weiter, immer noch allmählich emporsteigend, bis das Ziel schließlich erreicht ist.
Wenn wir vom Ziel oder ‘Ende’ des Evolutionsprozesses sprechen, von dem das Leben auf dieser Erde ein Abschnitt ist – mit dem Tod als dem einen und dem Zeitraum danach als dem anderen –, bedeutet dieses Ziel auch nur ein relatives Ende. Es ist nicht mehr als eine Haltestelle, eine Periode der Ruhe und spirituellen Assimilation einer höheren Art.
Wir haben jetzt ein einigermaßen detailliertes Bild darüber, was der Tod wirklich bedeutet und über seinen Platz in der Evolution des Menschen. Es könnte hilfreich sein, die diesen Prozess betreffenden Stadien kurz zusammenzufassen, welche das menschliche Bewusstsein durchläuft, wenn das spirituelle Selbst durch den Tod befreit wird. Diese sind:
1. Der ‘Tod’ an sich oder das Abwerfen, der Zerfall des physischen Körpers, verursacht durch die Durchtrennung des Bindeglieds zwischen dem spirituellen Selbst und seinen niederen Prinzipien. Der astrale Modellkörper oder Liṅga-Śarīra löst sich jetzt auch auf – ein Prozess, der in hohem Maße durch die Verbrennung des physischen Körpers beschleunigt wird.
2. Die Rückschau des reinkarnierenden Egos auf die Geschehnisse des gerade beendeten Lebens. Das ist ein sehr wichtiger und feierlicher Teil des Prozesses, in dem das Ego jeden Gedanken und jede Tat seines Lebens betrachtet und deutlich die Gerechtigkeit und Bedeutung der Ereignisse des Lebens erkennt. In der unmittelbar auf den Tod folgenden Zeit sollte um den Verstorbenen vollständige und ehrfürchtige Stille herrschen, so dass kein Hauch einer Störung aus der äußeren Ebene das notwendige und heilige Geschehen unterbrechen kann.
3. Das Einschlafen der menschlichen Persönlichkeit oder des menschlichen Bewusstseins, während die beiden folgenden Prozesse stattfinden.
4. Die Auflösung des Kāma-Rūpa, wenn er nicht durch Einmischung eines Mediums am Leben gehalten wird.
5. Der zweite Tod, bei dem die spirituelle Essenz der Persönlichkeit durch das Ego absorbiert wird. Die beiden letzten Prozesse sind dem gewöhnlichen Menschen nicht bewusst.
6. Der Übergang des reinkarnierenden Egos in seine devachanische Ruhe im Schoße des spirituellen Selbst oder der Monade.
7. Die Wanderungen oder die kosmischen Reisen der Monade oder des spirituellen Selbst während seines ‘Göttlichen Abenteuers’, wobei es das reinkarnierende Ego in seinem Schoße bei sich trägt.
8. Das Wiedererwachen des reinkarnierenden Egos für die Anziehung des Erdenlebens und sein Abstieg zur Reinkarnation in eine neue Persönlichkeit.
Einige Fragen und Antworten
In Zusammenhang mit unserem Studium dieses tiefen und wunderbaren Themas werden wahrscheinlich viele Fragen auftauchen. Es wird zum Beispiel öfters gefragt, ob die Theosophie, die lehrt, dass es eine Himmelswelt gibt, nicht auch etwas über eine Hölle lehrt? Und wie steht es um das Fegefeuer, an das viele Menschen glauben?
Wenn man unter ‘Hölle’ einen Ort ewiger Strafe versteht, dann bestreitet die Theosophie diese beiden Vorstellungen nachdrücklich. In der Alten Weisheit gibt es keinen Platz für die unlogische und kindische Vorstellung der Strafe. Wir begegnen ausschließlich den Folgen unserer früheren Gedanken und Taten in diesem oder einem vorigen Leben – mit anderen Worten Karma. Niemand bürdet oder zwingt uns diese sich ergebenden Bedingungen auf. Sie folgen genauso natürlich aus unseren Taten, wie Wärme der Verbrennung oder die Furche dem Pflug folgt. Und um es noch einmal zu wiederholen: Kein einziger Existenzzustand oder Umstand kann ewig sein!
Unsere theologischen Vorstellungen über Himmel und Hölle sind jene mehr oder weniger entstellten Ideen, über die wir bereits gesprochen haben – jene verzerrten Überbleibsel alter Mysterienlehren, die am Beginn der christlichen Ära noch populär waren. Alle diese Missverständnisse setzten sich in jener Zeit im Denken der Menschheit fest, als sie in ein Zeitalter der spirituellen Trägheit eintrat, die ihren Höhepunkt im Mittelalter fand. Und die theologischen Lehren über die Hölle, wie sie in allen Religionen in der einen oder anderen Form zu finden sind, verkamen fast ausnahmslos zu völlig falschen Interpretationen der ursprünglichen Lehre, wie sie von den Gründern dieser Religionen vorgebracht worden waren. All diese Missverständnisse resultierten daraus, dass die Lehren nach dem Buchstaben aufgefasst wurden und nicht symbolisch und im übertragenen Sinne. Sie haben den menschlichen Herzen unsagbar viel Leid und Elend zugefügt. Die Worte ‘Himmel’ und ‘Hölle’ in ihrem wahren, mystischen Sinn haben als Teil der alten Mysterienlehren eine andere Bedeutung. Mit Himmel werden gemeint:
… jene spirituellen Erfahrungsreiche, durch die alle Monaden, welche auch immer, auf ihren zeitalterlangen Wanderungen zu einer beliebigen Zeit hindurchgehen sollen, ja hindurchgehen müssen, und in denen sie so lange verbleiben, wie es mit dem erreichten oder gewonnenen karmischen Verdienst in Einklang steht. Die sogenannten ‘Höllen’ sind jene Sphären oder Reiche der Reinigung, wohin alle Monaden, welche auch immer, während gewisser Perioden ihrer zeitalterlangen Wanderungen müssen, um dort die materiell beladenen und somit schwer belasteten Seelen zu reinigen, damit sie – sobald sie einmal gereinigt sind – sich wieder auf den aufsteigenden Bogen kosmischer Erfahrung erheben können.
– The Esoteric Tradition, S. 551
Diese Erde wird tatsächlich von den Wesen, die vor langer Zeit ihre Materie beladenen Vehikel und Versuchungen überwunden haben, als eine Hölle besonders schmerzlicher Art betrachtet. So befreit die Theosophie, wenn sie den Ursprung dieser theologischen Missverständnisse erklärt, das menschliche Denken ein für alle Mal von ihrem erniedrigenden und grausamen Einfluss.
Natürlich gibt es in den weiten Reichen der Natur eine Bedingung oder einen Zustand des Seins, der das Gegenteil oder der niedere Pol zu jenen Stufen spiritueller Verwirklichung und Ruhe ist, die sich von Devachan bis zu den verschiedenen nirvāṇischen Stufen am Ende der größeren Evolutionsperiode erstrecken. Dieser anderer Seinszustand wird ‘Avīchi’ genannt, er besteht ebenfalls aus verschiedenen Abstufungen, welche mit den materiellen Neigungen der Wesenheiten übereinstimmen, die durch ihre eigenen schlechten Taten dorthin gezogen wurden. Diejenigen, die sich den Gefühlen des Hasses, der Rache, der Begierden oder Laster anderer Art hingeben, rutschen unvermeidlich auf die eine oder andere Weise in Avīchi ab, wozu auch die niederen Stufen von Kāma-Loka gehören. Die ‘Höllen’ oder niederen Ebenen von Kāma-Loka sind die direkten karmischen Folgen eines Nachgebens gegenüber jenen Eigenschaften, die den Menschen nach unten ziehen. Doch selbst dort sind die Folgen mitleidsvoll, denn diese ‘Höllen’ konfrontieren die dorthin gezogenen Wesenheiten mit den entsetzlichen Konsequenzen einer hemmungslosen Hingabe an das Böse. Auf diese Weise wird ihnen klargemacht, dass der Weg, der zu Avīchi führt, später vielleicht vermieden werden kann. Der Zustand hält glücklicherweise nur vorübergehend an und die Anzahl solcher unglücklichen Männer und Frauen ist verhältnismäßig gering.
Theologische Lehren über das Fegefeuer sind ebenfalls ein Beispiel dafür, wie durch Unwissenheit die Mysterienlehren der Alten Weisheit entstellt wurden, um den Zielen exoterischer Religionen zu dienen. Aus dem Vorigen kann leicht ersehen werden, wie es dazu kommen konnte. Die Alte Weisheit, die heute von der Theosophie vertreten wird, lehrt, dass der tatsächliche Zustand von Kāma-Loka – ausgenommen die seltenen Fällen von Selbstmördern und wirklich sehr schlechten Menschen – eine Reinigung in dem Sinne darstellt, dass sich die materiellen und selbstsüchtigen Elemente des Verstorbenen auflösen. Diese Reinigung erfolgt unbewusst und bringt wenig oder kein Leiden irgendeiner Art für gewöhnliche Menschen mit sich. Die ganzen Schreckgespenster der Theologie und des Aberglaubens werden von der Theosophie erklärt und dadurch ausgeräumt.
Ein anderer, öfter angesprochener Punkt bezieht sich auf die Möglichkeit, den Zeitraum zwischen zwei irdischen Leben zu verkürzen. Es gibt eine vielleicht überraschend große Anzahl von Männern und Frauen, die den Gedanken nicht ertragen können, dass sie Tausende von Jahren der Seligkeit genießen, während die Welt sich mühsam plagt, ohne dass sie etwas zu ihrer Hilfe und Erleichterung beitragen können. So betrachtet scheint der devachanische Zustand eigentlich selbstsüchtig. Dr. de Purucker antwortete auf eine ihm diesbezüglich gestellte Frage:
Wenn wir den Zustand von Devachan genau analysieren, müssen wir zu der Erkenntniss gelangen, dass er – wie schön er auch sein mag und wieviel Ruhe und Erholung er auch schenken mag, was bestimmt der Fall ist – trotzdem ein selbstsüchtiger Zustand ist. Wir können sagen, was wir wollen, Devachan ist im gegenwärtigen Stadium notwendig, weil es Ruhe bedeutet, Erholung und Frieden, und weil es die Aufarbeitung und die Assimilation der Erfahrungen des gerade beendeten Lebens bedeutet. All das mag so sein, es bleibt dennoch eine selbstsüchtige Existenz, denn in den Jahrhunderten, die wir in Devachan verbringen, träumen wir schöne Träume, und auch wenn der Welt das Schlimmste geschieht, stört uns das nicht. Nun, das ist nicht im Geiste der Buddhas des Mitleids. Liebe, unpersönliche Liebe, die alles umfasst – groß und klein – wird uns sogar von Devachan befreien. Es ist gerade dieser Geist der unpersönlichen Liebe, Liebe für alle Dinge, eine Sehnsucht, allen zu helfen und zur Seite zu stehen, die den wahren Kern der Buddhas des Mitleids bildet. … Es ist dieser Geist, der unser Devachan verkürzen wird und uns schnell auf dem Chelapfad voranbringen wird. Es ist der Geist, der unsere Älteren Brüder erfüllt, die Meister der Weisheit, des Mitleids und des Friedens. Sie haben kein Devachan. Sie sind darüber hinausgewachsen – zumindest die höheren unter ihnen.
– The Theosophical Forum, Feb. 1933, S. 178
Ein ausgeprägtes, unpersönliches Verlangen, für die Menschheit zu leben, bildet eine Energie von außergewöhnlicher Kraft, wenn dies ein ganzes Leben lang durchgehalten wird – besonders wenn es nicht nur Sentimentalität ist, sondern die Form täglicher Selbstaufopferung im Denken und Handeln annimmt. Diese Energie ist stärker als alle anderen Energien, weil sie an der bewegenden Harmonie und Liebe teilhat, die aus dem Herzen des Universums hervorfließt, um alles, was ist, zu durchdringen. Sie wird ihren entsprechenden Ausdruck finden, indem sie die exkarnierte Wesenheit an jenen Ort zurückzieht, wo allein sich diese spirituelle Wunschenergie auswirken kann – Reinkarnation auf der Erde, in jeglicher Umgebung, in welcher eine solche humanitäre Aktivität möglich ist.
Das Vorhergehende führt zu einer oft gestellten Frage in Bezug auf die relative Wichtigkeit der beiden Zustände – das Leben auf der Erde und Devachan. Um es etwas zu vereinfachen, könnten wir fragen: Was ist wichtiger, essen oder verdauen? Das irdische Leben gewährt ein Ansammeln von Erfahrung und Devachan dessen Assimilation. Für die Durchschnittsmenschheit sind beide notwendig, das eine ergänzt das andere.
Aber der Mahatma, der Adept, der Meister des Lebens ist über Devachan hinausgewachsen. Er schreitet ohne Unterbrechung des Bewusstseins von Leben zu Leben und von Körper zu Körper. Wir dürfen jedoch die Tatsache nicht übersehen, dass er dabei für sich selbst die Notwendigkeit zu weiteren irdischen Erfahrungen überschritten hat. Er reinkarniert als Mensch, um sich dem spirituellen Wohlbefinden aller zu widmen. Um den Tod und die damit verbundenen Umstände zu überwinden, müssen wir erst den Durst nach Leben besiegen. Denn diese beiden – das Leben auf der Erde und das Leben in den inneren Welten jenseits des Todes – sind gegenwärtig die passende Art und Weise für die Evolution des Menschen. Erst wenn der Mensch das Bedürfnis für beide überwunden hat, kann er ein Mahatma werden – selbstbewusst unsterblich.
Aber der Tod wird sich sogar für den Durchschnittsmenschen verändern, denn der Mensch entwickelt sich natürlich unentwegt. Nicht nur unter dem Einfluss seines eigenen inneren Dranges, sondern auch mit der Hilfe einer Umgebung, die er zusammen mit seiner Familie, seiner Nation und seiner Rasse täglich erschafft, wird er aus dem Kern seines eigenen Wesens neue Kräfte und Fertigkeiten entwickeln, entfalten, entrollen. Und während er diese neuen Fertigkeiten entwickelt, wird er gleichzeitig solche Umstände hervorrufen, duch die er sie zum Ausdruck bringen kann. Das ist ein Teil der großartigen Aussicht, welche die Theosophie für die Zukunft der Menschheit bietet.
Gottfried de Purucker sagt uns:
In der Zukunft, wenn die Menschheit etwas weiter fortgeschritten sein wird als sie heute ist, wird man allgemein das Alter als den schönsten Zeitabschnitt des Erdenlebens ansehen, weil es der an intellektueller, psychischer und spiritueller Kraft reichste ist, und das wird so bleiben, bis auf die wenigen kurzen Stunden vor dem Eintreten des wirklichen physischen Todes.
– The Esoteric Tradition, Band II, S. 813, Fußnote
Eine andere Sache, die wir zum Schluss ansprechen sollten, ist das neue Licht, das die Theosophie auf die gängigen unwissenschaftlichen Vorstellungen über die Unsterblichkeit wirft. Gottfried de Purucker brachte folgende Auffassung vor:
… die Menschen wissen nicht wirklich, was wahre Unsterblichkeit bedeutet. Sie glauben, sie bedeute unveränderliche Fortdauer der menschlichen Seele, wie sie jetzt ist – was für eine Hölle wäre das! Stellen wir uns vor, für immer und ewig das zu sein, was wir jetzt sind!
Die Lehre des Okkultismus ist das genaue Gegenteil davon. Seine Lehre erzählt von endlosem Wachstum, endloser Vervollkommnung, endloser Entwicklung, endloser Evolution und deshalb von endloser Veränderung des Bewusstseins, das immer höher steigt, aus der menschlichen Sphäre in die halbgöttliche, von den halbgöttlichen Welten in die göttlichen und danach in die übergöttlichen und so fort ad infinitum. Es gibt nirgends so etwas wie Unsterblichkeit, wie sie allgemein verstanden wird. Das einzige Unsterbliche ist das Universum selbst. Doch selbst das Universum ist durchaus nicht unsterblich, so wie es jetzt ist, denn es verändert sich fortwährend. Seine Essenz ist sein Leben, dessen wirklicher Kern Veränderung ist, die Wachstum bedeuted, welches Evolution hervorbringt.
– Studies in Occult Philosophy, S. 382-3
Der springende Punkt im vorherigen Absatz liegt in den Worten „wie es jetzt ist“. Nichts existiert fortdauernd so, wie es jetzt ist. Es ist diese Tatsache, die oft so unlogisch und unwissenschaftlich von Theologen ignoriert wird und doch von der Natur selbst fortwährend unterstützt wird. Sie ist die Wurzel der modernen wissenschaftlichen Vorurteile gegenüber der Vorstellung von der Unsterblichkeit. Das Individuum bleibt bestehen, aber dieses Weiterbestehen ist nur durch Veränderung möglich. Wir sind unser Karma – wir sind zu dem geworden, wozu wir uns selbst gemacht haben. Was bleibt, ist das, was wir aus uns selbst machen, und in diesem Fortschritt oder Rückgang liegt unsere Zukunft. Kann man sich eine größere oder zwingendere Herausforderung für den gesunden Verstand und für das Beste und Stärkste und auch für das Reinste in der menschlichen Natur vorstellen? Selbst die schöne Ausdrucksweise ‘das Sterbliche zum Unsterblichen emporheben’ hat nur eine relative Gültigkeit. Denn die Monade selbst, zu der wir unser Bewusstsein zu verwandeln versuchen und die im Vergleich mit dem menschlichen Ego unsterblich ist, wächst und evolviert auf ihrer eigenen Ebene zu immer größeren und größeren Höhen.
Wir beenden diese Betrachtungen über den Tod mit folgenden Worten:
Wir werden den Tod und seine Mysterien so lange nicht vollständig verstehen, solange wir unsere Aufmerksamkeit auf den Körper konzentrieren, in den sich diese Flamme des Selbstbewusstseins hüllt. Folge dem Bewusstsein in dir, werde mit dir selbst vertraut, erkenne dich selbst besser, folge dieser Flamme des Bewusstseins im Inneren – immer weiter nach innen, was gleichzeitig aufwärts bedeutet; und dann wirst du den Tod nicht länger fürchten, sondern ihn als den süßesten, heiligsten Freund erkennen, den der Mensch hat; denn es bedeutet, Unvollkommenheit für Vollkommenheit aufzugeben, begrenztes Bewusstsein für eine erweiterte Bewusstseinssphäre. Folge jenem Bewusstseinsstrom unaufhörlich, und schließlich wirst du das Innere erreichen, das Zentrum des Seins, die Göttlichkeit im Herzen deines Selbst. Dort liegt das Geheimnis für das Verstehen des wahren Mysteriums vom Tod, wie es in den alten esoterischen Schulen aller Menschenrassen gelehrt wurde.
– G. DE PURUCKER: Lucifer, April 1934, S. 441-2
Vergesst nicht, dass ihr Kinder der Ewigkeit seid, jeder von euch, untrennbar mit dem grenzenlosen Universum verbunden, in dem wir alle leben, uns bewegen und unser Dasein haben. Vergesst nicht, dass von den allmächtigen Gesetzen der Natur wohl für euch gesorgt ist, die uns hierher brachten und die uns auf unseren Wegen unfehlbar leiten. Vertraut auf euch bis zum Tod; sterbt mit starkem und freudigem Willen. Sterbt glücklich, wenn eure Zeit kommt, habt keine Angst. Verhöhnt das Phantom des ‘Todes’ – verspottet das alte, verborgene Schreckgespenst angsterfüllter Vorstellungen der Unwissenheit, das in die Herzen und in das Denken der Menschen verwoben ist. Verhöhnt dieses Gespenst, dieses üble Produkt der Vorstellungskraft! Löscht es aus! Denkt daran, das wohl für euch gesorgt ist.
– Questions We All Ask, Serie II, Nummer 19
Fußnoten
1. Siehe The Esoteric Tradition von G. de Purucker, S. 409-13. [back]
2. Eine vollständigere Erklärung befindet sich in Band 8 Runden und Rassen dieser Reihe. [back]
3. Eine weiterführende Erläuterung dieser sieben Globen unserer Planetenkette findet sich in The Secret Doctrine, Band I, S. 170 und folgende. Für ein Studium der sieben Prinzipien der Erde wird Fundamentals of the Esoteric Philosophy von G. de Purucker empfohlen. [back]