Band 6: Der Tod: Was kommt danach?
Leonie L. Wriht
Können wir mit den Verstorbenen in Verbindung treten?
Unsere alten, kindlichen Vorstellungen von Himmel und Hölle sind zurückzuführen auf Unwissenheit über unsere wahre Natur und über die Natur des Universums, zu dem wir gehören. Der ‘Himmel’ – und es ist gut, dies nochmals zu betonen – ist kein Ort, sondern ein Zustand des Seins, des Bewusstseins. Und unser Himmel ist keine Belohnung, wie wir bereits gezeigt haben, sondern eine natürliche Folge dessen, was wir aus uns selbst gemacht haben. Das trifft auch auf die ‘Hölle’ oder Kāma-Loka zu, die keine Strafe ist, sondern eine Folge unserer Taten auf Erden.
Wer mit diesem Bild von Himmel und Hölle nicht vertraut ist, könnte vielleicht fragen: „Aber wie ist es mit denjenigen, die ich liebe? Werde ich ihnen nach dem Tod wirklich nicht mehr begegnen?“ Wie wenig verstehen wir doch von uns selbst oder wissen darüber Bescheid, was unsere innersten Bedürfnisse sind! Denken wir an einen Mann, an einen alten Mann, der seine betagte Frau verloren hat, seine Gefährtin vieler von Freude und Sorge erfüllter Jahre. Wie möchte er sie wohl in der Himmelswelt anzutreffen, wenn sie dort als ihr wahres Selbst mit ihm vereint ist? Soll es die junge und schöne Freundin seiner Jugend sein oder die gebrechliche, jedoch geliebte Partnerin seiner alten Tage? Wird das für ihn nicht schwierig sein, wenn im Himmel buchstäblich wahr werden soll, was er fordert? Und die Mutter: Wird der Sohn, den sie als Kind verloren hat, immer noch ein Kind sein, oder wird sie ihn zufälligerweise nicht mehr erkennen, weil er mittlerweile aufgewachsen war? Das sind logische Fragen, die der Vorstellung entspringen, der Himmel sei eine bloße Örtlichkeit und unsere Lieben bloße physische Persönlichkeiten, an die wir uns so gerne erinnern. Der Mensch ist jedoch keine Persönlichkeit. Er ist ein spirituelles Wesen, das die Persönlichkeit als sein Instrument zum Sammeln von Erfahrung benützt.
… Der Mensch ist ein Embryo-Gott, eingekerkert in Gewänder aus Emotionen, Gedanken und Gefühlen, umhüllt von lähmenden inneren Schleiern, die ihrerseits in einen Körper aus Fleisch gekleidet sind; und der Mensch sollte wieder an eine Wahrnehmung des göttlichen Lichts im Inneren, des göttlichen Geistes im Inneren, erinnert werden … .
Mensch erkenne dich selbst, sagte das delphische Orakel, denn wenn du dich selbst kennst, wirst du das Universum kennen.
– G. DE PURUCKER, Lucifer, Mai 1933, S. 488 ff
Die Idee, dass wir im Himmel unseren Freunden tatsächlich so begegnen werden, wie sie mit uns in diesem Leben zusammen waren, ist eine materialistische Vorstellung, die direkt unseren persönlichen Vorstellungen entspringt und dazu beiträgt, die vorher erwähnten Schleier und lähmenden Fesseln zu errichten. Wenn wir die spirituelle Natur in uns studieren wollen – die der einzige dauerhafte Teil von uns ist –, werden wir erkennen, dass die wahre Himmelswelt mit unserer Persönlichkeit und den Persönlichkeiten unserer Freunde nur wenig gemeinsam haben kann; denn aus unseren eigenen Fehlern und Begrenzungen und denen anderer resultieren unsere größten Versuchungen.
Devachan ist vor allem ein Ort der Ruhe. Es ist der ‘Schlaf’ des Egos – vergleichbar mit dem Schlaf des Körpers –, während dessen er das assimiliert, was er an Kenntnis und Erfahrung in dem gerade beendeten Erdenleben gesammelt hat.
Wenn wir noch einmal auf unser Leben zurückblicken, entdecken wir, dass aus unseren menschlichen Beziehungen das herrührte, was uns am stärksten versucht und enttäuscht hat. Die Schwierigkeiten, die hauptsächlich aus den Umständen entstehen – wie frühe Behinderungen, Geldmangel oder Gelegenheiten verschiedener Art –, erwiesen sich in vielen Fällen als anregend und brachten das Beste zum Vorschein, das in uns schlummerte. Es sind die Menschen, die uns ermüden. Eine Mutter zum Beispiel, die lange, herzzerreißende Jahre gekämpft hat, ihren ungeratenen Sohn zu bessern und die schließlich daran scheiterte – wie könnte sie nach dem Tod ruhen, wenn sie wieder mit seiner ungestümen Natur vereint würde? Und wenn er seinen Unterhalt teilweise mit Verbrechen bestritt, mit starken animalischen Wünschen und Neigungen lebte, wie könnte er mit ihr zusammen in Devachan existieren? Er hat für sich keine Himmelswelt aufgebaut. Er wird stattdessen eine Periode der Unruhe in Kāma-Loka durchlaufen und schließlich in Schlaf versinken, um auf der Erde wiedergeboren zu werden. Und da sich seine Mutter im Gegensatz zu ihm eine lange und segensreiche Ruhe in Devachan verdient hat, wird er vielleicht lange vor ihr reinkarnieren und – indem er durch Leiden und die Folgen schlechter Handlungen in seinem vergangenen Leben lernt und sich entwickelt – ihr vielleicht in einer späteren Inkarnation als ein besseres und liebevolleres Kind begegnen. So wird die aufrichtige Mutter ihren Lohn erhalten; denn in Devachan werden alle ihre Träume für diesen Sohn verwirklicht, und sie wird freudig erleben, wie ihre liebevollen Opfer in seinem Charakter Früchte tragen. Weil die Liebe die durchdringendste und schöpferischste Energie im Universum ist, und weil wir eine tiefe innere Verbindung mit unseren Toten haben, wird ihn ihre Freude über seine erfolgreiche Besserung erreichen, wo immer er ist und sie wird vielleicht ein mächtigerer Einfluss zum Guten sein –denn sie wird unbewusst auf ihn wirken –, als ihre lebendige Gegenwart mit ihren möglicherweise irritierenden Einschränkungen. Denn es gibt Träume, die mächtiger sind als sogenannte Realitäten.
Die Natur ist weise und voller Mitleid. Während wir in der Himmelswelt ruhen, schützt sie uns vor allen äußeren und störenden Einflüssen. Sie erlöst uns von unseren emotionalen Wünschen und Begierden und heilt unser verletztes und müdes Herz. Und wenn diese Zeit der Erholung vorüber ist, werden wir auf der Erde wiedergeboren und schließen uns wieder denen an, die zu uns gehören – in neuen Beziehungen, welche bessere Gelegenheiten und weiteres Wachstum bieten.
Natürlich führen uns diese Gedanken zu einer Betrachtung des Themas über den ‘Kontakt mit den Toten’. Damit meinen wir allerdings nicht die unterschiedlichen Methoden sogenannter Kommunikation, die in den Séancezimmern praktiziert werden. Die Theosophie bestreitet, dass es sich dabei tatsächlich um Botschaften des spirituellen Selbst unserer Verstorbenen handelt. Es wurde bereits erklärt, dass Kāma-Loka, das sich in seinen unterschiedlichen Stufen– höheren und niederen – mit der Gedankenatmosphäre unserer Welt vermischt, mit den Kāma-Rūpas oder Hüllen von kürzlich verstorbenen Menschen erfüllt ist. Diese Hüllen werden auch Elementare und Spuk genannt.
Um es zu wiederholen: Die Hülle ist das Doppel oder das scheinbare Ebenbild in Aussehen und Charakter der verstorbenen Persönlichkeit. Wie ein ausgezogener Handschuh bewahren sie die Form desjenigen, der sie so lange benützt hat. Diese Hüllen sind aus Lebensatomen aufgebaut und spiegeln nicht nur die Gesichtszüge wider, sondern auch die Gewohnheiten und mentalen Merkmale des Verstorbenen. Das ist möglich, weil ihr Eigenleben aus mechanischen Erinnerungen des gerade beendeten Lebens besteht. Denn sie sind in der Tat nichts anderes als Automaten; und als Automaten sind sie sich ihrer selbst nicht bewusst, es sei denn, sie werden durch Medien so sehr angeregt, dass sie zu einem falschen und gefährlichen Scheinleben erweckt werden. Aber für gewöhnlich sind die Botschaften, die sie auf Drängen von Medien und Anwesenden überbringen, nichts anderes als das gespensterhafte Echo einer Stimme, dessen Eigentümer verschieden ist. Das Ego, das diese astral-psychologischen Gewänder abgeworfen hat, wartet auf den zweiten Tod und die Stunde, wenn es in die Ruhe von Devachan eingehen kann. Diese gesegnete Stunde der Erlösung für das Ego wird verzögert, wenn seine kāma-rūpische Schale durch die Anstrengung von Medien und anderen intakt gehalten wird, anstatt dem natürlichen Prozess der Auflösung zu folgen.
Diese psychischen Praktiken können noch weitaus schlimmere Wirkungen erzeugen. Durch das Medium und die Aktivitäten während der Séance kann eine falsche und gefährliche Liaison zwischen der sich auflösenden Hülle und den unglücklichen Verwandten des Verstorbenen zustande gebracht werden; das kann zu unglücklichen karmischen Konsequenzen für alle führen, die betroffen sind. Es wird davor gewarnt, dass alle nekromantischen Praktiken die Tür eines psychischen Leichenhauses öffnen, dessen Ausdünstungen viel ungesünder und gefährlicher für den Menschen sind, als jene der letzten Ruhestätten der physischen Überreste. Zum ersten Mal seit Jahrhunderten zeigt die Theosophie der westlichen Welt jene Philosophie und Wissenschaft spiritueller Hygiene, durch welche dieser schädliche Psychismus aus unserem Leben ausgeschlossen werden kann.
Die Theosophie verwirft den sogenannten ‘Kontakt mit den Toten’. H. P. Blavatsky schrieb in ihrem Buch Der Schlüssel zur Theosophie, über den Unterschied zwischen Theosophie und Spiritismus:
… Die Spiritisten sind der Auffassung, dass alle diese Manifestationen von den ‘Geistern’ verstorbener Menschen hervorgerufen werden, meist von ihren Verwandten, von denen sie sagen, dass sie zur Erde zurückkehren, um mit jenen, die sie geliebt haben und denen sie ergeben sind, Verbindung aufzunehmen. Das bestreiten wir entschieden. Wir behaupten, dass die Geister der Verstorbenen nicht zur Erde zurückkehren können, außer in seltenen Ausnahmefällen, über die ich später sprechen werde; sie können sich Menschen auch nicht mitteilen, außer auf eine rein subjektive Weise. Was objektiv erscheint, ist nur das Phantom des physisch nicht mehr existierenden Menschen.
– S. 27/28
Über die wenigen Fälle wirklicher Verbindung zwischen den Toten und den Lebenden sagt sie im selben Kapitel:
… es sind nicht die Geister der Toten, die zur Erde heruntersteigen, sondern die Geister der Lebenden, die zu der reinen Spirituellen Seele aufsteigen. In Wahrheit gibt es weder ein Auf- noch ein Absteigen, sondern eine Veränderung des Zustandes oder der Bedingung. …
– S. 30
Und wenn sie über die ursprüngliche Verbindung – nicht ‘Verständigung’ – mit den Dahingeschiedenen spricht, erläutert sie sehr klar im selben Absatz:
… es gibt kaum einen Menschen, dessen Ego – während sein Körper schläft – keinen freien Umgang mit seinen entschlafenen Lieben hätte; da seine physische Hülle und sein Gehirn jedoch viel zu positiv und unempfänglich sind, erinnert er sich nicht daran, sie ziehen sich höchstens vage, traumhaft unbestimmt, leise in die Erinnerung des wachen Menschen hinein.
– Ebenda
In den vorhergehenden Passagen finden sich verschiedene Vorstellungen, die einleuchtend sind, wenn wir darüber nachdenken. Die Begriffe ‘objektiv’ und ‘subjektiv’ sowie ‘eine Veränderung des Zustands oder der Bedingung’ enthalten beispielsweise den Schlüssel zu der wahren Verbindung mit unseren Toten. Diese Ausdrücke betonen die Tatsache, dass das spirituelle Hellsehen – kein astrales oder psychisches – zu unserer inneren oder subjektiven Natur gehört und nichts mit den materiellen oder astralen Sinnen zu tun hat. Das trifft sowohl bei Medien und Sensitiven als auch bei normalen Menschen zu. Der Unterschied zwischen diesen beiden Arten der Manifestation ist leicht erkennbar: Die objektive oder psychische ist irreführend und die Moral zersetzend, während die subjektive oft eine segensreiche und tief spirituelle Erfahrung bedeutet.
Eine der größten, von den meisten Menschen gehegten Illusionen ist heutzutage die Ansicht, dass wir die Verbindung zu den geliebten Menschen verlieren, wenn sie sterben; und selbst viele, die glauben, dass sie ihre geliebten Mitmenschen in einem künftigen Erdenleben wieder treffen, leiden unter der gleichen Illusion. Nun ist es auf keinen Fall wahr, dass der Geist jemals nach dem Tode zurückkehren kann, um mit den Lebenden in irgendeiner Weise Umgang zu haben, ganz abgesehen von der unzweifelhaften Grausamkeit sowohl für den Verstorbenen als auch für diejenigen, die er zurückließ, ganz abgesehen von der außerordentlich materialistischen Atmosphäre dieses Gedankens – es sollte einleuchtend sein, dass ein entkörperter Geist weder zu irgendeiner Zeit noch unter irgendwelchen Umständen auf die Erde ‘herunterkommen’ kann. Nach dem Tode und nachdem die prāṇischen Hüllen in verschiedenen Prozessen im Kāma-Loka abgeworfen worden sind, erhebt sich das menschliche Ego in seine devachanische Ruhe und ist danach von allem unerreichbar, ausgenommen von dem, was von seinem eigenen Charakter oder von seiner eigenen hohen spirituellen Art ist. Gerade in diesem letzten Satz liegt der Grund, warum wir niemals annehmen sollten, dass wir jede spirituelle Verbindung mit den Menschen verlieren, die wir geliebt haben; denn die höheren Teile unseres Wesens können in jedem beliebigen Augenblick durch gleichgestimmte Sympathie ihre Schwingungen mit denen des Devachanī verbinden und so zeitweilig mit ihm eins werden. …
…, wenn tatsächlich aufrichtige spirituelle Liebe vorhanden ist, die sich nicht einmal bemühen muss, um mit dem Verstorbenen in Verbindung zu treten, denn eine solche unpersönliche Liebe wird sich ganz automatisch zu dem Devachanī erheben und wird dem, der sich auf Erden befindet, die innere Überzeugung geben, dass die Verbindung nicht abgebrochen ist.
Der Devachanī wird durch die der Natur eigenen Gesetze beschützt. Nichts auf der Erde kann ihn erreichen, … . Nur die spirituelle Liebe kann zu einer inneren Verbindung mit denjenigen, die uns vorausgingen, aufsteigen. Eine Liebe, die irgendetwas Selbstsüchtiges oder Persönliches in sich hat, kann niemals die devachanischen Zustände erreichen. Es ist jedoch meine tiefe Überzeugung, dass es unvergleichlich besser ist, nicht einmal zu versuchen, mit dem Devachanī in Verbindung zu treten, weil die Liebe der wenigsten von uns von solch reinem und heiligem Charakter ist, dass sie geeignet oder auch nur imstande ist, zu dieser hohen Ebene der Unpersönlichkeit aufzusteigen.
– G. DE PURUCKER, Quelle des Okkultismus, III:150-151