Band 9: Theosophie und Christentum
H. T. Edge
Christentum und Moral
Wenn das Christentum (so wie es üblicherweise aufgefasst wird) abgelehnt wird, könnte man sich fragen, ob damit die Grundlage für sittliches Benehmen verloren geht und allgemein ein Niedergang in Zügellosigkeiten jeglicher Art einsetzen würde. Das ist eine ernste Frage, die man nicht einfach mit kühnen Behauptungen abtun kann. Manche Menschen behaupten, dass die Quelle für gutes Benehmen in der menschlichen Intelligenz und in menschlichen Instinkten zu finden sei, sie meinen, dass die Religion eher ein Hindernis als eine Hilfe sei und dass diese Quelle ausreichen würde. Das Gegenargument könnte sein, dass diese Menschen vom Kapital der guten Gewohnheiten, das über Jahrhunderte durch den religiösen Einfluss angesammelt wurde, profitieren, dass dieses Kapital sich schnell erschöpfen könnte, und dass die menschliche Intelligenz und menschlichen Instinkte zu dessen Erneuerung nicht ausreichen würde.
Hier liegt tatsächlich der Schwachpunkt in der Argumentation. Was dieser Philosophie fehlt, ist eine Grundlage. Wenn die Aufmerksamkeit darauf gelenkt wird, versteckt man sich leicht hinter Agnostizismus – der Auffassung, dass diese fundamentalen Fragen außerhalb des Bereiches der Untersuchung liegen und der Versuch sinnlos wäre, sie zu durchschauen. Vielleicht müssen wir hier die Frage stellen, ob Sittlichkeit eine Ursache ist oder eine Folge. Wenn wir sagen, dass Moral aus Intelligenz und Instinkt hervorgeht, weichen wir der Schwierigkeit eigentlich nur aus.
Wir müssen etwas über die geheimnisvollen Kräfte im Menschen wissen. Aus welcher Quelle stammen sie? Sollen wir sie als eine Art erleuchtetes Selbst-Interesse bezeichnen? In diesem Falle unterstützen wir die Meinung, dass Sittlichkeit auf Selbst-Interesse beruht und Selbst-Interesse die Grundlage menschlichen Verhaltens ist. Die das Materielle beherrschenden Kräfte müssen selbst immateriell sein, denn sonst drehen wir uns im Kreis und behaupten, dass die Dampfmaschine ihren eigenen Dampf erzeugt oder ein Motor und ein Dynamo sich gegenseitig in Bewegung halten. Das trifft auch auf unser Problem zu. Das menschliche Sozialverhalten kann man sich nicht als einen Mechanismus vorstellen, der unentwegt aus eigener Kraft in Bewegung bleibt; ein solcher Mechanismus könnte sich niemals selbst veredeln und würde höchstwahrscheinlich mit der Zeit verfallen. Seine wahre Quelle ist das ‘Unerkennbare’, dessen Existenz man zwar anerkennt, aber meist nicht einer Untersuchung wert erachtet.
Hier kommt die Religion ins Spiel. Man hat das Kind mit dem Bad ausgeschüttet. Es ist der Geist der Religion, die Religion selbst, welche die ewige Vitalität der menschlichen Rasse am Leben erhält, Gehorsam gegenüber den essenziellen Gesetzen sittlicher Gesundheit erzwingt und den aus reiner Selbstsucht resultierenden totalen Zusammenbruch verhindert.
Und diese wahre Religion hat ihren Altar im menschlichen Herzen. Eine fromme, hingebungsvolle, emotionale Haltung genügt aber nicht, um das Feuer in einer Zeit lebendig zu halten, in welcher der Intellekt so in den Vordergrund gestellt wird. Dieser Intellekt hat sich zur Selbstsucht gesellt – mit allen von uns befürchteten Folgen. Wir werden moralisch bankrott gehen, wenn die Reichweite des Intellekts nicht so erweitert werden kann, dass wir auch jene Anteile der menschlichen Natur, die unter der Oberfläche liegen, erforschen und kennen lernen können. Um im körperlichen Sinne gesund zu leben, müssen wir die Gesetze der Hygiene und Gesundheit kennen; wir können uns nicht auf blinden Glauben und Vermutungen verlassen. Und es ist die Religion, die eine tiefere Erkenntnis des Lebens geben kann und muss.
Dass das Christentum in dieser Hinsicht oft ziemlich versagt hat, ist auf eine Vermischung des ‘Weizens mit der Spreu’ zurückzuführen. In früheren Abschnitten haben wir versucht, die essenziellen Wahrheiten des Christentums hervorzubringen und so zu erklären, dass sie auf das menschliche Leben eine größere Kraft und Wirkung ausstrahlen. Wir haben den Menschen nichts weggenommen, was sie zu ihrer Unterstützung brauchen. Alles, was man zu Gunsten des christlichen Einflusses sagen könnte, könnte mit mehr Überzeugung durch eine theosophische Interpretation des Christentums vorgebracht werden. Wir haben ausdrücklich erklärt, dass wir denjenigen, die in ihrer Religion das finden, was sie brauchen und nichts weiter suchen, nichts wegnehmen wollen. Unser Ziel ist es, denjenigen zu helfen, denen das nicht genügt, und die ernsthaft nach der wahren Grundlage für menschliches Wohlergehen suchen.
Eine Religion, die lehrt, dass der Mensch im Grunde seines Wesens göttlich ist, kann in ihrem Einfluss nicht unmoralischer sein als eine Religion, die lehrt, dass er ein armer Sünder ist. Gemäß der theosophischen Interpretation des Christentums ist das Sittengesetz das essenzielle Gesetz des menschlichen Verhaltens. Nur dadurch kann der Mensch Glück, Selbstverwirklichung und ein Leben in Harmonie mit seinen Mitmenschen finden. Es ist allein diese Interpretation, die das Leben vereint und Intellekt und Herz in Harmonie bringt, damit all unsere Fähigkeiten zusammenarbeiten können, um Vollkommenheit zu erlangen.
Gott
Gott ist nicht eine Person, die außerhalb des Universums existiert. Er ist auch nicht getrennt vom Menschen. Gott ist überall; es gibt nichts, das nicht Gott ist. Gott ist das Essenzielle, die Wurzel aller Existenz, die spirituelle Grundlage von allem, was ist. Viele Philosophen sind zu dieser Vorstellung von Gott gekommen und sich bewusst, dass der theologische Gott ein vermenschlichtes Ideal ist. Gott, Universum und Mensch sind untrennbar und bilden eine Einheit. Wir können uns Gott nur nähern, indem wir die Tiefen unseres eigenen Wesens ergründen, denn der Mensch selbst ist eine Offenbarung der Gottheit. Was er durch Selbsterkenntnis erreichen kann, ist grenzenlos.
Die vielen Vorbehalte gegen den Gedanken eines persönlichen und außerkosmischen Gottes sind hinreichend bekannt und müssen hier nicht erwähnt werden. Ein solcher Gott scheint wenig Interesse an menschlichen Angelegenheiten zu haben und von der Natur getrennt zu sein, die eine Art sekundäre Gottheit geworden ist. Diese Entwicklung hat zur Folge, dass viele Menschen sich nicht mehr mit dem Gedanken an Gott beschäftigen, obwohl der Sinn aller Dinge unverständlich bleibt. Dieses Bild von Gott aufzugeben bedeutet nicht, sich das Universum als eine auf gut Glück arbeitende Maschine vorzustellen.
Die Lehre des extremen Materialismus hat keine Grundlage. Agnostizismus ist ein Bekenntnis der Unwissenheit und Hilflosigkeit. Wir könnten uns Humanisten nennen und den Menschen zum Mittelpunkt aller Dinge machen. Aber was ist denn dieser Mensch? Jeder, der die Wunder seines eigenen bewussten Seins studiert, weiß, dass hinter den Grenzen des Denkens ein tiefes Mysterium liegt. Wenn wir annehmen, dass das Mysterium völlig unerklärlich ist, machen wir aus dem ganzen Universum und dem menschlichen Leben eine grausame Komödie.
Es hat immer christliche Mystiker gegeben, die lehrten, dass eine Offenbarung die Folge von Selbstreflexion ist. Das ist der einzige Weg, um Gott zu erfahren. Wie bereits erwähnt, hat Jesus den Weg aufgezeigt, wie diese Erkenntnis gewonnen werden kann. Im Menschen liegen latente Fähigkeiten, die den Intellekt, so wie wir ihn jetzt kennen, übersteigen – die ihn nicht beiseite schieben oder auflösen, sondern ergänzen. Der Mensch kennt die Erhabenheit seiner eigenen Natur wenig, auch wenn einige von uns in seltenen Augenblicken einen Schimmer davon erhaschen. Wir wollen nach dem Höchsten streben, das wir erreichen können, und wir wollen unsere Vision durch die Vorstellung eines persönlichen Gottes – das wahrlich ein Götzenbild wäre – nicht länger einengen.
Das Gebet
Wenn wir zu einem persönlichen Gott beten, suchen wir an der falschen Stelle nach Hilfe. Das würde bedeuten, dass göttliche Güte und Weisheit unsere Gebete als Stütze benötigen. Ein extremes Beispiel davon ist, wenn feindliche Armeen den eigenen Sieg erbitten. Das beinhaltet, dass ein persönlicher Gott eigentlich Partei ergreift und mit einer bestimmten Gegend und mit einem bestimmten Volk verbunden ist. Wenn jedes Volk seine eigene spezielle Gottheit hätte – wie manche Völker meinen –, hätten derartige Anrufe ein wenig Sinn. Es ist aber eine ganz andere Sache, wenn solche gegensätzlichen Gebete an ein und denselben Gott gerichtet sind.
Wahres Gebet bedeutet Kontemplation, begleitet von hohen Aspirationen, und es sollte im Geist von ‘Nicht mein Wille, sondern Dein Wille geschehe’ stattfinden. Für bestimmte Zwecke zu beten, ist nicht gut, weil wir nicht wissen, was für uns das Beste ist. Wahres Gebet bedeutet Gemeinschaft mit dem Vater im Himmel durch den Sohn, das Streben nach dem Höchsten und Besten in uns selbst. Persönliche Wünsche müssen beiseite gestellt werden und sollten zu einem möglichst umfassenden Bild der Einheit gelangen.
Das Problem von Gut und Böse
Im Laufe der Geschichte wurde schon oft die Frage gestellt, wie ein guter Gott das Böse zulassen kann. Das Böse ist Unvollkommenheit, und diese Welt ist nur eine unvollkommene Offenbarung der Gottheit – des Unfehlbaren. Wir finden überall Kontraste und Gegensätze. Es sind notwendige Bedingungen für Wachstum und Erfahrung. Das Böse wurde auch als der Schatten Gottes beschrieben. Der Versuch, das Gute und Böse philosophisch zu definieren, hat nur wenig mit menschlichem Verhalten und mit Pflichterfüllung zu tun, und oft werden die Menschen nur verwirrt. Im täglichen Leben ist der Unterschied zwischen Gut und Böse, so wie zwischen einem guten und einem faulen Ei. Jeder Mensch besitzt Unterscheidungsvermögen.
Die Worte Gut und Böse sind sehr vage, und da sie in unterschiedlichem Sinne angewendet werden, stiften sie Verwirrung. Man kann sagen, dass sie angenehm und unangenehm bedeuten, aber das ist offensichtlich eine Geschmackssache und als Kriterium unzuverlässig. Was unangenehm ist, kann sehr wohl gut für uns sein; und was angenehm ist, ist vielleicht schlecht für uns. Man kann sagen, dass sie Gut und Schlecht bedeuten, aber auch hier können sie sich auf moralische, gesellschaftliche oder bürgerliche Gesetze beziehen.
Ein wahrer Philosoph kann einen Zustand erreichen, in dem er sich bewusst ist, dass ihm nichts Schlechtes widerfahren kann, weil er akzeptiert, dass jedes Ereignis Teil seines Schicksals ist – die stoische Philosophie. Wir können also erkennen, dass die Worte Gut und Böse in diesem Fall einen Kontrast bedeuten, den wir in unserem eigenen Denken hervorbringen, indem wir Erfahrungen als angenehm oder unangenehm klassifizieren und von einem guten oder bösen Schicksal sprechen.
Solange ein Mensch persönliches Vergnügen als Ziel hat, wird er sich ohne Zweifel Leid zufügen – Leid, das nach demselben Gesetz wie übermäßiges Essen und Alkoholmissbrauch zu Krankheit führt. Der Versuch, das eigene Ich zu befriedigen, zerstört das moralische Gleichgewicht; und die Natur stellt durch eine entsprechende entgegengesetzte Erfahrung das Gleichgewicht wieder her. Aber wie ist es mit unserem Benehmen anderen gegenüber? Menschen mit Herz und Gewissen sollten sich vor allem um das Wohl anderer kümmern. Und es wäre besser, sich über das Glück oder Unglück, das gute oder schlechte Schicksal anderer Gedanken zu machen. Dadurch wird die eigene Person unwichtiger.
Alles, was einem Menschen passiert, ist gewiss sein Karma. Wenn jemand allerdings auf Grund dieser Regel der Meinung ist, sein Benehmen habe auf seine Mitmenschen keinen Einfluss und dieses Argument als Entschuldigung für sein Fehlverhalten anwendet, ist das eine bedauernswerte Haltung, die auf einer falschen Auffassung beruht. Es ist eine rein verstandesmäßige Argumentation, die vollkommen in Widerspruch zu jedem menschlichen, ethischen Bewusstsein steht – getrennt von jeder Religion oder Philosophie, zu der er sich bekennt.
Wenn wir die Gottheit zu einem persönlichen Gott machen, bringt das die Notwendigkeit mit sich, einen persönlichen Satan als Gegenpol zu schaffen. Aber wie bereits vorher erwähnt, war die Schlange aus dem Garten Eden der Lehrmeister des Menschen, sie erweckte in ihm die Intelligenz. Sie ist deshalb kein Teufel, sondern eher eine Mitarbeiterin, die bei der Evolution des Menschen eine wichtige Rolle spielt. Es gibt keinen Teufel mit Hörnern und Hufen, der uns im Leben bedroht und dessen Absicht es ist, uns nach dem Tode zu quälen. Es ist leider wahr, dass die menschlichen Leidenschaften in Verbindung mit dem Intellekt eine Art bösartiges Selbst hervorbringen können, das zu unserem Feind wird – diesen müssen wir besiegen.
Schluss
Die ausführliche Behandlung unserer sehr umfangreichen Thematik mussten wir notwendigerweise etwas einschränken. Sie enthält jedoch genügend Stoff, um den interessierten Leser zu einem weiteren Studium dieses Themas zu ermutigen. Theosophie und Christentum stehen einander nicht wie zwei unterschiedliche Mächte gegenüber. Das Christentum war anfänglich eine Offenbarung oder Wiedergabe der alten Weisheit, die universal ist und in unserer Zeit unter dem Namen Theosophie der Welt aufs Neue gebracht wurde.
Es ist zu hoffen und zu erwarten, dass man in dem Maße, in dem großzügigeres Denken die Oberhand gewinnt, auch in der Religion lernen wird, die alten universalen Ideen des Christentums davon zu unterscheiden, was fast zwei Jahrtausende kirchlicher Autorität und Theologie diesen zugefügt, daran verändert und verschleiert haben.
Alle Religionen lehrten ursprünglich die göttliche Natur des Menschen. Später verlor man diese Lehre aus den Augen, und wir bekamen ein Glaubenssystem unter der Leitung einer Hierarchie, die für die Erlösung die Bedingung aufstellte, dass bestimmte Lehren so angenommen werden müssen, wie die Kirche sie lehrt. Eine gewisse Organisation ist unvermeidlich und notwendig, auch das Geistige benötigt eine Verkörperung in der einen oder anderen Form. Aber so wie der physische Körper einer Pflanze ihr Wachstum oder ihre Veränderung nicht aufhalten kann, so sollte sich die äußere Form einer Religion von Jahrhundert zu Jahrhundert ändern, um sich den wachsenden Bedürfnissen der Menschheit anzupassen.
Band 5: Evolution
H. T. Edge
Das Alter des Menschen
Der Gedanke, der Mensch sei an sich schlecht und seine Erziehung sei nicht viel mehr als eine dünne Schale, ist tiefer verwurzelt, als allgemein angenommen wird. Diesem Gedanken zufolge ist der Mensch den ernsthaften Heimsuchungen des Lebens nicht gewachsen, wodurch sein ‘wahres Gesicht’ schnell ans Tageslicht tritt. Ob diese Meinung aus dem religiösen Glauben an den Sündenfall entsprungen ist oder aus der Überzeugung, dass der Mensch aus niedrigeren Wesen evolvierte, ist nicht von Bedeutung. Dass diese Meinung allerdings einen ungünstigen Einfluss auf das allgemeine Benehmen und Denken des Menschen ausgeübt hat, ist eine Tatsache.
Aber der Mensch hat das, was an ihm wertvoll ist und im tiefsten Kern seines Wesens wohnt, nie ganz verleugnen können. Außerdem hat jedes Volk große Menschen hervorgebracht, die mehr ihrer Intuition vertrauten als allgemein üblichen Meinungen und welche die Menschen in Wort und Tat stets an ihre wahre Herkunft und Bestimmung erinnerten.
Auch die Vorstellung, dass der Mensch ursprünglich zögernd und als Statist auf der Bühne erschien und erst vor verhältnismäßig kurzer Zeit anfing, eine bedeutende Rolle zu spielen, gibt ein falsches Bild des großen Evolutionsdramas auf der Erde. Nach der Alten Weisheit war und ist der Mensch auf der Erde eine wichtige Erscheinung, mit der gesamten Verantwortung, die daraus resultiert – auch für die niederen Wesen, die in irgendeiner Weise in verschiedenen Perioden ihren Ursprung im menschlichen Stamm nahmen. In diesem Zusammenhang müssen wir erneut auf die falsche Annahme hinweisen, die Evolution habe sich entlang einer Linie vollzogen – von primitiven bis hin zu den kompliziertesten Formen. Eine logische Folge dieser Ansicht ist, dass die kompliziertesten Erscheinungen auch die jüngsten wären. Das beinhaltet außerdem, dass der heutige Mensch den gebildetsten und intellektuell und moralisch am weitesten entwickelten Menschentypus repräsentiert und dass die uns vorausgegangenen Völker umso weniger zivilisiert waren, je weiter wir in der Geschichte zurückgehen.
Hinsichtlich dieses Gedankens müssen wir bemerken, dass einige moderne Anthropologen anhand von Funden zu der Schlussfolgerung gelangt sind, dass man bezüglich der Abstammung des Menschen von Polygenese und nicht von Monogenese sprechen muss – also nicht von einer Entwicklung aus einem einzelnen Punkt. Das steht mit der archaischen Weisheitslehre in Übereinstimmung.
Die Menschheit bildet den Stamm, aus dem andere organische Formen zu verschiedenen Zeit hervorgingen. Das ist die theosophische Vorstellung, die jedoch nicht als Dogma akzeptiert werden muss, denn die ans Licht kommenden Tatsachen werden diese Lehre mehr und mehr bestätigen. Selbst wenn wir eine Lehre nicht blindlings akzeptieren und immer mit unserem eigenen Unterscheidungsvermögen die Bestätigung suchen müssen, ist es doch hilfreich und spart sehr viel Zeit, wenn wir Seitenwege vermeiden und von Anfang an über den Schlüssel verfügen. Alle Lehrer stellen Thesen auf, die dann zu beweisen sind; damit appellieren sie an die Vernunft und das Vertrauen ihrer Schüler, die bereit sind, diese Behauptungen vorläufig zu akzeptieren – bis die Zeit kommt, in der sie bestätigt werden können.
Die Forschungsergebnisse der Archäologie in Bezug auf den Ursprung weisen mehr auf die Richtigkeit der theosophischen Lehren hin, als auf die gängigen Theorien. Die Evolution verläuft eher zyklisch als in einer durchgehenden, geraden Linie. Aus Ausgrabungen ist ersichtlich, dass sich primitive Völker ihrer Art und Kultur nach von Völkern, die jetzt auf der Erde leben, nicht unterscheiden. Und neben solchen Primitiven gab es, sowohl in der Vergangenheit als auch heute, mächtige Zivilisationen. Die Menschheit ist in Rassen und in endlose kleinere Gruppierungen unterteilt; und von diesen befindet sich jede in einer speziellen Phase ihrer eigenen Rassenevolution. So finden wir heute auf der Erde Rassen, die aufsteigen, andere, die ihren Höhepunkt überschritten haben, während wieder andere im Begriff sind, sich zurückzuziehen.
Es ist nur wenige Jahrzehnte her, dass die Wissenschaft der Spezies Homo – das heißt den direkten Ahnen des jetzigen Menschen – ein Alter von höchstens 500 000 Jahren zugestand. Neue Funde fossiler Überreste brachten die Archäologen dazu, das Alter mit ungefähr 1,6 und später sogar mit 2,6 Millionen Jahren anzusetzen. Dabei blieb es nicht. Denn in den Jahren 1974 und 1975 wurden in Äthiopien und Tansania Funde gemacht, bei denen die betreffenden Forscher ein Alter von etwa 3,75 Millionen Jahren bestimmten.1
Die Schlüsse, die man aus diesen Funden zog, betrafen nicht nur das Alter der Menschen, deren Überreste man studierte, sondern auch deren einstige Lebensumstände. Das Bild des agressiven Wilden, das man sich meistens von unseren Ahnen machte, wurde durch das einer sozialen Gemeinschaft ersetzt, deren Mitglieder Intelligenz und gegenseitige Solidarität bewiesen. Was die Hominiden anbelangt – das ist die viel größere Kategorie aller Formen der menschlichen Ahnen und daher nicht nur der Spezies Homo Sapiens, über die wir gesprochen haben und die als unsere direkten Vorfahren betrachtet werden müssen –, musste man im Lauf der Zeit das Alter wesentlich erhöhen. Man ging von dem Gedanken aus, dass es ein gemeinsames Glied gegeben haben müsse, aus dem die Hominiden und die Affen hervorgegangen sind; und man meinte, dass die Trennung vor ungefähr sechs oder sieben Millionen Jahren stattgefunden haben müsse. Weitere Untersuchungen zeigten jedoch, dass einige Varianten echter Hominiden bereits vor 15, möglicherweise vor 20 oder mehr Millionen Jahren auf der Erde existierten. Die Spezies Homo erschien also viel später auf der Bühne – vor etwa 3 oder 4 Millionen Jahren; sie ist der direkte Urahne des heutigen physischen Menschen, der anatomisch und der Gehirnentwicklung gemäß uns in etwa entspricht. Hier müssen wir allerdings bemerken, dass nicht alle auf diesem Gebiet tätigen Gelehrten dieselben Auffassungen vertreten, weder in Bezug auf die Bedeutung der Funde noch auf deren Alter.
Die ganze Geschichte der kosmischen Evolution, so wie sie die archaische Weisheitslehre widerspiegelt, ist zu komplex, um hier tiefer erörtert zu werden; wir wiederholen deshalb, dass ein Planeten-Manvantara (die Dauer der Lebenszeit eines Planeten) aus sieben großen Zeitaltern besteht, die als Globenrunden bezeichnet werden. Gegenwärtig befinden wir uns in der vierten Runde.
In jeder Globenrunde gibt es sieben Wurzelrassen und wir sind jetzt in der fünften, die vor ungefähr 5 Millionen Jahren begann. Die erste Wurzelrasse erschien vor etwa 132 bis 150 Millionen Jahren. In seiner physischen Form erschien der Mensch vor 18 Millionen Jahren zum ersten Mal auf der Erde; aber vorher existierte er bereits in feinstofflicheren Formen, die astral oder ätherisch genannt werden.
Die Wurzelrassen sind in Unterrassen eingeteilt; und die Unterrassen ihrerseits sind wieder mehrfach unterteilt; die Zivilisationen der verschiedenen Rassen, die heute auf der Erde existieren, vertreten somit kleinere Äste.
Fußnoten
1. Die archäologischen Forschungen befinden sich in einer ständigen Entwicklung. Michael A. Cremo und Richard L. Thompson fassen in ihrem Buch Verbotene Archäologie (Bettendorf’sche Verlagsanstalt, ISBN 3-88498-070-X) zusammen: „ … bleibt die Schlussfolgerung, dass der Gesamtbefund (Fossilien und Artefakte eingeschlossen) sich bestens mit der Ansicht vereinbaren lässt, dass anatomisch moderne Menschen und andere Primaten seit mehreren zehn Millionen Jahren nebeneinander gelebt haben“. [back]