Band 9: Theosophie und Christentum
H. T. Edge
Die Bibel – I
- Das Neue Testament
- Die Schöpfung
- Die Sintflut
- Erlösung und Rettung
- Die Sakramente: Das Abendmahl
- Die Sakramente: die Taufe
Wo liegt die Wahrheit zwischen der extremen Auffassung, die Bibel buchstäblich als das Wort Gottes zu betrachten, und der Meinung, sie sei eine Sammlung ziemlich merkwürdiger folkloristischer Erzählungen? Die Bibel ist eine esoterische Schrift, und wenn sie in der richtigen Weise interpretiert und neben anderen, der Welt bekannten heiligen Schriften studiert wird, wird der tiefe Sinn deutlich, der sich hinter vielen Erzählungen verbirgt, die jedoch nur wenig sagen, wenn man sie buchstäblich auffasst.
Das Alte Testament ist eine Sammlung alter jüdischer Schriften, die – nachdem die Juden aus der babylonischen Gefangenschaft zurückgekehrt waren – von dem Schriftgelehrten Ezra gesammelt wurden. Er sammelte so viele alte Bücher wie möglich und erstellte damit den jüdischen Kanon. Nach Änderungen und Auslassungen wurde schließlich aus dieser Quelle das christlische Alte Testament zusammengestellt. Die Juden haben ihre eigenen Interpretationen in ihren kabbalistischen Büchern, wie dem Zohar, dem Sepher Jezirah und in einem großen Schatz von Kommentaren; aber die Christen halten sich im Allgemeinen buchstabengetreu an den Text. Das hat dem Charakter des Christentums nicht gut getan, denn einige dieser Bücher enthalten, wenn sie buchstäblich interpretiert werden, viel Grausamkeit, Betrug, Grobheit und Kriegsgewalt.
Der Pentateuch oder die ersten fünf Bücher des Alten Testaments nehmen eine sehr wichtige Position ein. Obschon man lange Zeit annahm, dass sie das Werk von Moses wären, hat eine kritische Untersuchung gezeigt, dass er nicht der Autor gewesen sein kann. Manche sind der Meinung, sie seien größtenteils das Werk von Ezra. Scheinbar enthalten diese Bücher die Geschichte über die Schöpfung und die Sintflut, die Abstammung des hebräischen Volkes, seine Wanderungen, seine schließliche Niederlassung und das Gesetz des Moses. Der Versuch, mit anderen historischen Informationen einen gewissen Zusammenhang herzustellen und dort die Geschichten einzufügen, ist für Bibelkritiker ein Problem. Das ist kein Wunder, denn das Alte Testament ist eine Sammlung allegorischer Legenden, die mit dem Hauptziel zusammengetragen wurden, die esoterische Bedeutung weiterzureichen. Wenn man sie aber esoterisch im Licht des Zohar und anderer heiliger Bücher liest, dann enthüllen sie einen Schatz okkulter Wahrheiten.
Das Alte Testament enthält auch die Bücher der Propheten, und bei Ezechiel und Daniel finden wir leicht erkennbare okkulte Symbolik. Von denjenigen, die darin Prophezeiungen über die Wiederkunft Christi und das Ende der Welt sehen wollten, wurde in dieser okkulten Symbolik ziemlich viel entstellt. Wir finden dort auch die poetischen und fantasievollen Teile – wie die Bücher der Lehrweisheit und die Psalmen, darunter das Buch Hiob – eine sehr alte Allegorie über die Prüfungen eines Initianden.
Das Neue Testament
Zum heutigen Kanon ist man infolge einer Reihe von Entscheidungen gekommen, er ist eine Auswahl aus einer größeren Anzahl von Büchern, von denen manche unter dem Namen das ‘Apokryphe Neue Testament’ veröffentlicht wurden. Es gab mehr als die vier bekannten Evangelien, und Kritiker konnten nachweisen, dass die heutigen Evangelien offenbar älteren Evangelien entnommen wurden. Wir geben hier einzelne Zitate aus The Esoteric Character of the Gospels von H. P. Blavatsky wieder, die in ihrer Zeitschrift Lucifer im November 1887 veröffentlicht wurden:
… Daher ist die Bibel nicht das ‘Wort Gottes’, sondern sie enthält bestenfalls die Worte fehlbarer Menschen und unvollkommener Lehrer. Wenn sie aber esoterisch gelesen wird, dann enthält sie – wenn auch nicht die ganze Wahrheit – so doch ‘nichts als die Wahrheit’, einerlei unter welchem allegorischen Gewande. …
… Die Bibel kann so wenig wie irgendeine andere Schrift der großen Weltreligionen von jener Klasse allegorischer und symbolischer Schriften ausgenommen werden, die seit vorgeschichtlichen Zeiten in mehr oder weniger verhüllter Form Behälter für die geheimen Lehren der Einweihungsmysterien gewesen sind. Die ersten Schreiber der ‘Logia’ (jetzt die Evangelien) kannten bestimmt die Wahrheit, und zwar die ganze Wahrheit; aber ihre Nachfolger hatten – ebenso bestimmt – nur Dogma und Form, welche im innersten Kern eher zu hierarchischer Macht führte, als in den Geist der Lehren des sogenannten Christus. Daher auch die allmähliche Verdrehung. …
… Er weiß auch, dass der christliche Kanon, besonders die ‘Evangelien’, die ‘Apostelgeschichte’ und die ‘Briefe’ aus Fragmenten gnostischen Wissens zusammengestellt worden sind, deren Fundament vorchristlich ist und auf den MYSTERIEN der Initiation basiert. …
… Denn je mehr man alte religiöse Texte studiert, desto klarer erkennt man, dass die Quelle des ‘Neuen Testaments’ dieselbe ist, wie das Fundament der ‘Veden’, der ägyptischen Theogonie und der mazedonischen Allegorien. …
Man kann sagen, dass die Evangelien symbolische Erzählungen sind, heilige Schriften, die von unbekannten Autoren aus dem Gedächtnis oder anhand von Notizen niedergeschrieben wurden. Später wurden sie zu einer kanonischen Sammlung zusammengetragen und als buchstäbliche anstatt als symbolische Wahrheit angenommen. Aber über dieses Thema können wir mehr sagen, wenn wir auf die einzelnen Lehren eingehen.
Was die Briefe des Paulus anbelangt, ist klar, dass er das lehrte, was jetzt als das Christentum angesehen wird. Für ihn ist Christus der allen Menschen innewohnende Geist. Er spricht wie ein Initiierter, der die Menschen mahnt, das alte, körperbetonte Leben abzulegen und das neue Leben zu wählen, durch das sie sich des innewohnenden Christus bewusst werden und zum Leben erwachen. Was Paulus beschäftigt ist die Vollendung und die Errettung in diesem Leben, nicht in einem zukünftigen. Als initiierter Lehrmeister, der er offensichtlich ist, kann er nicht sein gesamtes Wissen weitergeben, schon gar nicht in öffentlichen Briefen. Er bemüht sich jedoch, seine Botschaft den Möglichkeiten der verschiedenen Gemeinden anzupassen, an die er sich wendet.
Die Schöpfung
Die Schöpfung des Universums und des Menschen nimmt in allen Kosmogonien einen sehr wichtigen Platz ein und stellt eigentlich das erste Kapitel in den Lehren der alten Weisheitsreligion dar. Es wäre von Vorteil, wenn im Christentum anstatt von ‘Schöpfung’ von ‘Evolution’ gesprochen würde, da das Wort ‘Schöpfung’ mit der Auffassung von einem persönlichen Gott verbunden ist, der das Universum aus dem Nichts erschaffen hat. Wir werden uns hier im Rahmen der christlichen Schriften ausschließlich mit dem Thema Evolution beschäftigen.
In den ersten Kapiteln der Genesis (in der Bedeutung von ‘entstehen’ oder ‘werden’) finden wir eine ziemlich verwirrende und verkürzte Version dessen, was in älteren Schriften in einer vollständigeren und genaueren Form gefunden werden kann. Sie ist direkt den chaldäischen Schriften früheren Datums entnommen. Einige dieser Schriften wurden von Archäologen entdeckt. Es gibt jedoch noch ältere Spuren in den heiligen Schriften des alten Persien und Indien. Gleichartige Abhandlungen finden wir ebenso in China, in der Mythologie des alten Skandinavien und sogar im Alten Amerika. Wir nennen hier zwar nur einige Quellen, aber ohne Übertreibung kann man sagen, dass überall auf der ganzen Erde dieselben Überlieferungen vom Beginn der Welten und von der Evolution des Menschen gefunden werden können.
Das Wort ‘Gott’ ist im Hebräischen Elohim. Dies ist ein Plural und bedeutet ‘Götter’ oder ‘Geister’; es bezieht sich auf die schöpferischen Kräfte. Zuerst existierte nichts als Chaos, Leere, oft angedeutet durch die Wasser oder die Große Tiefe. Die schöpferischen Geister schwebten über den Wassern, und als erstes wurde das Licht geschaffen. Aus diesem Licht kommen die Welten und alle lebendigen Geschöpfe hervor. Bezüglich der Schöpfung des Menschen lesen wir:
Da formte Gott, der Herr, den Menschen aus Erde vom Ackerboden und blies in seine Nase den Lebensatem. So wurde der Mensch zu einem lebendigen Wesen.
– Genesis 2,7
Dann sprach Gott: Lasst uns Menschen machen als unser Abbild, uns ähnlich. Sie sollen herrschen über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels, über das Vieh, über die ganze Erde und über alle Kriechtiere auf dem Land. Gott schuf also den Menschen als sein Abbild; als Abbild Gottes schuf er ihn; männlich und weiblich schuf er ihn.
– Genesis 1, 26-27
Im Allgemeinen gibt es zwei Bedeutungen der Schöpfung des Menschen. Er wurde erstens als eine lebendige Seele (oder besser als eine animalische Seele) erschaffen, und zweitens wurde er göttlich. Diese beiden Bedeutungen hat man in der Bibel umgestellt. Aus theosophischer Sicht allerdings ist die Schöpfung des irdischen Menschen eher dreifältig: zuerst der Träger aus dem Staub der Erde; dann wird dieser mit dem Atem des Lebens beseelt; schließlich wird diese animalische Seele mit göttlichen Fähigkeiten begabt – erschaffen nach dem Bild der Götter (Elohim). Die Pluralform Elohim wurde aus einem unerfindlichen Grund mit Gott oder Gott der Herr übersetzt; es bedeutet schöpfende Geister, göttliche Wesen. Die Lehre über die zweifältige Schöpfung des Menschen hat ihre Berechtigung, denn sie verweist auf die duale Natur des Menschen und wodurch er sich von der animalischen Schöpfung unterscheidet. Die ersten Menschen waren ‘vernunftlos’, nicht selbstbewusst; und in einem gewissen Stadium der Evolution des Menschen wurde sein innerer Gott von den Manasaputras oder Söhnen des Denkens, welche in die werdende menschliche Rasse inkarnierten und ein selbstbewusstes, verantwortliches Wesen aus dem Menschen machten, zum Leben erweckt.
Die Geschichte wird in der Legende vom Garten Eden fortgesetzt. Dieser Garten stellt den Zustand des Menschen dar, bevor er selbstbewusst wurde; er war ohne Sünde, aber auch ohne die Fähigkeit sich weiterzuentwickeln, denn er konnte nicht zwischen Gut und Böse unterscheiden. Dann begegnet dem Menschen das, was man die Verführung nennt. Eine Schlange, die als sehr weise beschrieben wird, erscheint ihm und überredet ihn, seinen freien Willen anzuwenden und sich gegen Gott aufzulehnen. Um diesen freien Willen zu erwerben, muss er vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse essen. Er tut das und verliert damit den Zustand des unschuldigen Glückes, wird selbstbewusst und kann zwischen Gut und Böse unterscheiden. Er wird aus dem Garten Eden vertrieben und beginnt in der äußeren Welt ein mühevolles Leben.
Diese Lehre ist von der Theologie zu einem Fluch und Sündenfall verstümmelt worden. Adam wurde als Sünder dargestellt und übertrug seine Sünde auf all seine Nachkommen. Alle Menschen sind somit in Sünde geboren und bedürfen eines besonderen göttlichen Opfers, um gerettet zu werden. Aber in der ursprünglichen Lehre sind dieser sogenannte Sündenfall und das Auf-die-Probe-Stellen ein notwendiges Stadium in der Evolution des Menschen. Die Schlange (die von der Theologie zu einem Teufel gemacht wurde) ist nichts anderes als Gott, wenn auch in anderer Form; denn dieser Gott, der Herr, ist nicht die allerhöchste Gottheit, sondern die schöpfenden Geister (Elohim,) welche die ersten, nicht erleuchteten Menschen schufen. Die Schlange ist nicht der Teufel, sondern stellt die Söhne des Denkens dar, die – wie gesagt wurde – die Menschheit erleuchteten und sie lehrten, wie sie an der Frucht der Erkenntnis Teil haben und ‘wie die Götter werden’ könnten. Wir finden dieses Mysterium in der griechischen Mythologie, in der Geschichte des Prometheus, der sich gegen Zeus auflehnt und das Feuer aus dem Himmel zur Erleuchtung der Menschen bringt. Prometheus und die Schlange aus dem Garten Eden sind eins mit Luzifer, dem Lichtbringer. Auch er wurde von der Theologie in einen Teufel verwandelt.
Satan oder der Rote Feurige Drache, der ‘Herr des Phosphors’, und Luzifer oder der ‘Lichtträger’ sind in uns: Er ist unser Denkvermögen – unser Versucher und Erlöser, unser intelligenter Befreier und Retter aus dem rein Animalischen. Ohne dieses Prinzip – der Emanation aus der eigentlichen Essenz des rein göttlichen Prinzips Mahat (Intelligenz), welches unmittelbar aus dem Göttlichen Denkvermögen ausstrahlt – würden wir sicherlich nicht besser sein als die Tiere. Der erste Mensch Adam war nur zu einer lebendigen Seele (Nephesch) gemacht, der letzte Adam war zu einem beseelten Geist gemacht – sagt Paulus, dessen Worte sich auf die Bildung oder Schöpfung des Menschen beziehen.
– The Secret Doctrine, II:513
Weil diese wunderschöne Wahrheit nicht mehr verstanden und falsch ausgelegt wurde, fing man an, die menschliche Natur herabzusetzen. So begann der Mensch, sich selbst als verdorben zu betrachten. Er glaubte, dass zwischen ihm und seiner eigenen Natur Feindschaft bestünde. Er misstraute seiner eigenen Intelligenz und Freiheit des Denkens, und er verfluchte sich selbst für die Ausübung der einfachen und natürlichen Handlung des Denkens, was jedoch nur im Falle des Missbrauchs als Sünde angesehen werden kann oder wenn der menschliche Geist selbst es mit Schuld und Unreinheit verbindet.
Diese Erzählung von der Schöpfung des Menschen und seinem sogenannten Sündenfall steht in natürlichem Zusammenhang mit der Geschichte von der Erlösung, welche ebenfalls eine großartige Lehre darstellt, jedoch im Laufe von jahrhundertelanger Verdunklung verloren ging und zu einer ganz anderen Geschichte wurde.
Die Sintflut
Auch dies ist eine heilige Allegorie, die alle Völker gemeinsam haben. Die Geschichte von der universalen Sintflut ist wohlbekannt, und man begegnet ihr überall. Sie wird als eine Überlieferung der Überschwemmungen betrachtet, die auf Teilen der nördlichen Halbkugel der letzten Eiszeit folgten. Und wenn es auch völlig richtig ist, dass eine wirkliche Sintflut stattfand – eine von den vielen, wie Geologen einräumen –, verbirgt sich dennoch in der Legende viel mehr als nur ein materieller Aspekt. In seinem Buch Myths of the New World hat Daniel Brinton bei verschiedenen Stämmen Nord-, Mittel- und Südamerikas verschiedene Erzählungen von Überschwemmungen zusammengetragen. Bemerkenswert ist die große Ähnlichkeit von Besonderheiten wie der Arche, das Stranden auf einem Berg und dass Vögel ausgesendet werden.
Im sumerischen Schöpfungsepos, das tausend Jahre älter ist als die Genesis, geht die Sintflut dem Sündenfall voraus. Erzählungen über Sintfluten mit Archen und anderem findet man im alten Indien, der nordischen Edda, der finnischen Kalevala, dem mexikanischen Popul Vuh, bei afrikanischen Stämmen und bei den Polynesiern. Auch die griechische Geschichte über Deukalion und Pyrrha, die der Sintflut entkamen und die Erde aufs Neue bevölkerten, indem sie Steine hinter sich warfen, ist den Lesern der Klassiker wohlbekannt. Solche Überlieferungen sind immer mit einer Reinigung der Erde durch die Vernichtung der verdorbenen Menschen verbunden; und immer gibt es da eine Arche oder ein heiliges Fahrzeug, in dem sich einige Menschen für die Gründung einer neuen Rasse retten können.
Ist das ausschließlich materiell und historisch oder ist es allegorisch? Beides, denn dem allgemeinen Muster entsprechend reflektieren physische Geschehnisse die spirituellen. Tatsächlich haben periodisch Veränderungen der Erdkruste stattgefunden, die mit dem Versinken von altem und dem Auftauchen von neuem Land zusammentrafen, was die Geologie bestätigt hat. Aber diese Ereignisse waren nur die äußeren Begleiterscheinungen von großen moralischen Veränderungen. Sie traten auf, als große Rassen sich ihrem Ende näherten und neue Menschenrassen mit ihrer Entwicklung begannen. Mit Rasse meinen wir hier eine der großen Wurzelrassen, von denen jede mehrere Millionen Jahre besteht. Das ist die allgemeine Bedeutung der Flut, aber die zahlreichen, von uns angesprochenen Erzählungen beziehen sich gewöhnlich vor allem auf die letzte große Sintflut, die zum Untergang von Antlantis oder dem zuletzt davon übrig gebliebenen Festland führte. Atlantis war die Heimat der vierten Wurzelrasse, welcher die gegenwärtige fünfte folgte. Als die atlantische Rasse das Ende ihres Zyklus erreicht hatte, waren viele dem groben Materialismus verfallen und zu Schwarzmagiern geworden; sie hatten die Gestalt von Riesen, die Bibelgeschichte erzählt davon; und sie bildeten den Ursprung für die universale Überlieferung der schlechten Riesen. Der Untergang dieser verdorbenen Menschen war eine Notwendigkeit, und die Guten sollten überleben, um den Samen für die kommende Rasse zu bilden. Die griechische Mythologie kennt viele Erzählungen über halbgöttliche Gründer von Städten und Zivilisationszentren; hier wird berichtet, dass diese Gründer aus dem fernen Westen von „hinter den Säulen des Herkules“ einwanderten; und oft wird davon berichtet, dass Länder, in denen sich die Einwanderer niederließen, in den Ozean versinken und andere auftauchen.
Dass solche Erzählungen über Sintfluten überall zu finden sind und weitgehend mit denen der Bibel in Übereinstimmung stehen, wurde lange Zeit kaum in Erwägung gezogen, weil damit die Bibelgeschichte als etwas Einzigartiges und besonders Wichtiges dargestellt werden sollte. Wie jedoch bereits weiter oben erwähnt, ist das Alte Testament nichts weiter als eine Sammlung alter heiliger Schriften, die von den Juden aus den noch älteren Quellen entnommen und aufbewahrt wurden.
Erlösung und Rettung
Die Evolution von Welten oder Menschen beinhaltet den Abstieg des Spirituellen in die Materie und den Aufstieg der Materie zum Spirituellen. Ursprünglich war der Mensch ein spirituelles, aber vernunftloses und unentwickeltes Wesen, das in einem ‘Goldenen Zeitalter’ lebte, dargestellt als Garten Eden. Dann wurde in ihm von bereits selbstbewussten Wesen das Selbstbewusstsein erweckt. Der Sündenfall des Menschen ist in gewissem Sinn ein Fall, in einem anderen Sinn jedoch ist er ein wichtiger Schritt in seiner Evolution. Er verliert während einiger Zeit den Kontakt mit dem Spirituellen, um mittels der Inkarnation in dieser Welt die nötigen Erfahrungen zu sammeln. Die neue Fähigkeit des freien Willens wird nicht immer richtig angewendet. Der Missbrauch desselben ist die Ursache von Leiden und Schwierigkeiten, die ihm begegnen und manchmal ‘schlechtes Karma’ genannt werden. In Wirklichkeit jedoch sind das die Mittel, um seine Unzulänglichkeiten zu überwinden und seinen freien Willen in den Dienst des höheren Menschen zu stellen. Schließlich wird, durch die Kenntnis und Weisheit, die er aufgrund seiner Erfahrungen erworben hat, das Göttliche in ihm siegen, und er wird dann als ein größeres und vollkommeneres Wesen erscheinen. Dieser Vorgang bedeutet die wirkliche Rettung und Erlösung der gesamten Menschheit – jeder einzelnen Rasse und jedes individuellen Menschen. Im letzten Fall müssen wir natürlich berücksichtigen, dass der Mensch viele Male auf der Erde inkarniert.
Die großen Weltenlehrer sind oft auf Erden erschienen, um erneut die frohe Botschaft zu bringen oder besser gesagt, um den Menschen an sein in die Vergessenheit versunkenes Geburtsrecht zu erinnern. Denn der Mensch ist wie ein Märchenprinz, der unter dem einfachen Volk aufgewachsen ist und sich seiner königlichen Herkunft nicht bewusst ist. Selbst in den dunkelsten Jahrhunderten gab es immer einzelne Mystiker und intuitive Menschen, welche die Wahrheit erkannten. Der Große Weise (wer er auch gewesen sein mag), der das Christentum ins Dasein rief, war einer dieser Lehrer. Sogar aus den verstümmelten Fragmenten seiner uns überlieferten Lehren können wir schließen, dass er diese alte Wahrheit verkündigte. Und wir sehen, was Jahrhunderte spiritueller Verdunklung daraus gemacht haben! Während der Lehrer die Göttlichkeit des Menschen lehrte und seine Hörer auf den uralten Weg der Erlösung hinwies, erzählt uns die Bibel, dass wir im Grunde verdorben sind und es sinnlos ist, sich auf die eigene Kraft zu verlassen – wir, die nach Gottes Ebenbild erschaffen sind! Es ist die Aufgabe der Theosophie, den Christos wieder aus seinem Grab auferstehen zu lassen, in das ihn seine Jünger gelegt hatten. Denn sie ist – zweitausend Jahre nach der Entstehung des Christentums – eine neue Offenbarung derselben Weisheitsreligion. Das, was Jesus über die Pharisäer seiner Tage sagte, ist auf vieles anwendbar, was jetzt unter dem Namen von Religion angeboten wird.
Die Versöhnung oder ‘Wie Eines’ machen – theologisch als eine Versöhnung zwischen Gott und Menschen durch das Sühneopfer seines Sohnes angesehen – bekommt im Licht des vorher Gesagten einen tieferen Sinn. Es bedeutet die Vereinigung des menschlichen mit dem spirituellen Ego – mit dem eingeborenen Christos, wobei der Mensch sich bewusst wird, dass nicht sein persöhnliches Ego, sondern sein spirituelles Ego sein wahres Selbst ist.
Die Sakramente: Das Abendmahl
Und er nahm Brot, sprach das Dankgebet, brach das Brot und reichte es ihnen mit den Worten: Das ist mein Leib, der für euch hingegeben wird. Tut dies zu meinem Gedächtnis. Ebenso nahm er nach dem Mahl den Kelch und sagte: Dieser Kelch ist der Neue Bund in meinem Blut, das für euch vergossen wird.
– Lukas 22, 19-20
Jesus sagte zu ihnen: Amen, amen, das sage ich euch: Wenn ihr das Fleich des Menschensohnes nicht esst und sein Blut nicht trinkt, habt ihr das Leben nicht in euch. Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, hat das ewige Leben, und ich werde ihn aufwecken am letzten Tag. Denn mein Fleisch ist wirklich eine Speise, und mein Blut ist wirklich ein Trank. Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der bleibt in mir, und ich bleibe in ihm.
– Johannes 6, 53-56
Das Sakrament des Heiligen Abendmahls bedeutet für diejenigen, welche sich hingebungsvoll daran beteiligen, sehr viel; aber es könnte wesentlich mehr bedeuten. Es verdankt seine Heiligkeit und Kraft dem erhabenen Ursprung in einem der schönsten Riten in den Mysterienschulen der Vergangenheit. Dass sein Einfluss zum Guten in der Welt nicht größer ist und dass es allmählich zu einer Quelle der Uneinigkeit wurde, ist eine Folge der Tatsache, dass es uns in einer entstellten und falsch verstandenen Form überliefert wurde. Das Studium der alten Mysterien macht deutlich, dass Brot und Wein eine wichtige Rolle im Initiationsritual und ebenso in den kleineren Mysterien spielen, die für das Publikum dargestellt wurden. In den größeren Mysterien werden die Kandidaten in das eingeweiht, was Jesus das Königreich Gottes oder das Himmelreich nannte. Oft wird von Wein oder Blut gesprochen und beide Worte stehen für das spirituelle Leben. In diesem Sinne werden sie auch im Neuen Testament gebraucht. Ebenso finden wir im Neuen Testament auch die Begriffe Brot und Getreide oder Fleisch. Diese beziehen sich auf das irdische, sterbliche Leben. Gemeinsam deuten sie auf die höhere und niedere Natur des Menschen hin.
Es handelt sich hier um Symbole, die in den alten Mysterien gebraucht wurden, wobei eine zweifache Einweihung stattfand – symbolisiert durch Brot und Wein oder durch Fleisch und Blut. Der Körper und die niedrigeren Prinzipien des Kandidaten mussten rein sein, bevor er die Taufe mit dem Blut oder dem Wein des Geistes empfangen konnte. Diese Tatsachen aus den griechischen und anderen Mysterien können anhand jeder Enzyklopädie oder jedes Buches über dieses Thema verifiziert werden. In der Bibel finden wir häufig Hinweise. Wir wollen hier noch ein Zitat anführen, diesmal aus dem Gespräch mit Nikodemus (Johannes 3, 3-5):
… Wenn jemand nicht von neuem geboren wird, kann er das Reich Gottes nicht sehen. Nikodemus entgegnete: Wie kann ein Mensch, der schon alt ist, geboren werden? Er kann doch nicht in den Schoß seiner Mutter zurückkehren und ein zweites Mal geboren werden. Jesus antwortete: Amen, amen, ich sage dir: Wenn jemand nicht aus Wasser und Geist geboren wird, kann er nicht in das Reich Gottes kommen.
Hier haben wir die zwei Geburten, die erste aus Fleich und die zweite aus Wasser und Geist. Diese Lehre über die zweite Geburt ist das Hauptthema bei Paulus. Es ist überraschend, dass man ihr nicht mehr Aufmerksamkeit geschenkt hat. Man hat höchstens an eine Geistes- oder Gemütsverfassung gedacht, die von reiner Selbstzufriedenheit bis zu wahrhaftiger Heiligkeit des Charakters schwankt. Aber durch den Glauben an die Erbsünde und das stellvertretende Sühneopfer und das Nichtwissen über Reinkarnation wurde die wirkliche Bedeutung verdunkelt und ging verloren.
Diese alten Lehren sind dennoch unsterblich. Deshalb überdauern sie die Jahrhunderte, wenngleich nur als Ritual. Die Zeit wird kommen, in der sie wieder zu Ehren gelangen. Das Abendmahl wird immer noch gefeiert, um göttliche Gnade zu bitten und auch als eine Erinnerung. Manche legen großen Wert auf den Glauben an die wunderbare Wandlung von Brot und Wein in das wirkliche Fleisch und Blut Christi.
Die Sakramente: die Taufe
Auch die Taufe ist ein Ritus, der den alten Mysterien entnommen ist. Es war die äußere und sichtbare Form eines Reinigungsprozesses, dem sich der Kandidat vor seiner Einweihung unterziehen musste. Jeder Kult kannte diese Einweihungswaschungen. Im Christentum bedeutet es die Zulassung zur Kirche und wird als eine Reinigung von Sünden, eine Verbindung mit Gott und als eine Gabe des Geistes betrachtet.
Die Sakramente werden im Katechismus als die äußeren und sichtbaren Zeichen einer inneren und spirituellen Gnade umschrieben; sie wiederholen körperlich, was spirituell bereits stattgefunden hat, sonst wäre die Zeremonie nicht mehr als eine leere Form. Die Taufe kann auf zwei Arten stattfinden: durch Wasser oder durch Feuer – in Übereinstimmung mit den beiden Formen des Abendmahls, die bereits erwähnt wurden. Der Kandidat für die Taufe sollte eigentlich in einem Alter sein, in dem er die Bedeutung der Zeremonie völlig verstehen kann. In der heutigen Zeit, in der sich unser Wissen über die Natur so sehr auf Äußerlichkeiten beschränkt, haben wir das innere Wissen über die Natur, über den Menschen und seine Verbindung zu ihr verloren, Wissen, das der Mensch in alten Zeiten besaß. Die Riten und Gebräuche, über die wir in der griechischen und römischen Geschichte lesen oder die bei alten und orientalischen Rassen üblich waren, kommen uns wie Aberglauben vor, weil wir die wahre Bedeutung nicht verstehen. Es ist auch sehr wahrscheinlich, dass die Griechen und Römer selbst in späteren Zeiten die Bedeutung aus den Augen verloren hatten und die Zeremonien einfach fortsetzten, weil es der Brauch war. Aber ein tiefergehendes Studium zeigt, dass sie ihren Ursprung in den Lehren der Alten Weisheit haben. Es ist merkwürdig, dass wir diese alten Rituale noch immer pflegen. Die Ursache liegt in dem unsterblichen Leben, das hinter Zeremonien verborgen liegt und so über die Zeitalter hindurch erhalten blieb – gleich einem Samen, der vom Schnee verdeckt ist –, bis für sie die Zeit anbricht, zu neuem Leben erweckt zu werden.
Band 5: Evolution
H. T. Edge
Die Astralebene
Die Erklärungsversuche der Evolutionisten werden in hohem Maß durch die Tatsache erschwert, dass sie die Existenz anderer als der uns vertrauten Formen der Materie nicht in ihre Forschung einbeziehen. Es ist unmöglich, die Phänomene der gewöhnlichen Materie zu erklären, ohne die Existenz subtilerer Arten von Materie in Betracht zu ziehen. Wie bereits gesagt scheint es, als baue sich eine Pflanze in ihrem Wachstum in mysteriöser Weise auf, nach ihrem eigenen Muster, ohne eine sichtbare regelnde Kraft. Die Erklärung liegt in der Tatsache, dass die vollkommene Form der Pflanze bereits in der astralen Materie existiert. Beim Wachstum richten sich die physischen Atome nach diesem bestehenden Modell und bauen so die physische Struktur auf. Bei den Pflanzen und den Tieren finden die Veränderungen in den Astralformen der Organismen statt, nicht in der physischen Struktur; und hiermit werden die fehlenden Glieder in der Kette erklärt. Dies lässt sich anhand nachfolgender Analogie erklären: Wenn Menschen eine Wendeltreppe hinaufsteigen, wird ein einseitig beobachtender Zuschauer sie auf verschiedenen Stufen stehend sehen, aber er sieht nicht, wie sie von der einen Stufe zur nächsten gelangen. Er kann annehmen, dass sie springen oder allmählich aufwärts steigen, aber es gelingt ihm nicht, dem tatsächlichen Vorgang zu folgen. Tatsächlich steigen sie allmählich auf der Rückseite einer Spirale empor, die unseren Blicken entzogen ist. Die physischen Arten, die auf der Erde vorkommen, bleiben lange Zeit unverändert, aber das heißt nicht, dass keine Evolution vonstatten ginge. Diese physischen Formen sind lediglich die aufeinanderfolgenden Häuser, in denen die Monade wohnt; aber die Monade selbst evolviert unaufhörlich. Ihre evolutionären Veränderungen finden in der astralen Form statt und dann inkarniert sie in einer entsprechenden physischen Form.
An diesem Punkt angelangt ist eine eingehendere Betrachtung sinnvoll, was wir eigentlich unter einem Tier oder einer Pflanze verstehen. Die Annahme, diese Erscheinungen würden nicht mehr als einen physischen Organismus darstellen, ist nicht richtig und wir können die Evolution nicht von einem falschen Ausgangspunkt aus erklären. Die Pflanze oder das Tier ist in Wirklichkeit eine Monade – eine lebende Seele, ein Funke des kosmischen Feuers, ein Atom des universalen Lebens. Sie unternimmt eine Pilgerfahrt durch die Materie, wobei sie allmählich und stufenweise verschiedene Formen entwickelt, um ihren eigenen, in ihr schlummernden Fähigkeiten Ausdruck verleihen zu können. Sie ist ein wachsendes und lebendiges Wesen, ein Samen, der alle Möglichkeiten seines göttlichen Ursprungs in sich trägt. Die Monade oder der Lebensfunke ist verkörpert, aber nicht nur in einem physischen Körper, denn außer dem physischen Körper gibt es andere, feinstofflichere Verkörperungen der Materie. Sie besitzt eine psycho-mentale Verkörperung, die aus ihr eine Tier- oder Pflanzenseele macht; diese wiederum besitzt eine astrale Verkörperung, was wieder eine Verkörperung in der gewohnten physischen Materie zur Folge hat. Wir müssen dies berücksichtigen, wenn wir die Evolution verstehen wollen.
Würden wir unser eigenes Bewusstsein studieren, bekämen wir ein klareres Bild als bei der bloßen Betrachtung der Außenseite der Dinge. Wir stellen fest, dass wir in erster Linie selbstbewusst denkende Wesen sind; unsere Organe und unsere Körper sind Instrumente, die wir für uns selbst aufgebaut haben, um mit der Außenwelt in Verbindung treten und uns dort zum Ausdruck bringen zu können. Wir wachsen von innen nach außen. So ist es überall; alles wächst, und alles wächst von innen nach außen. Sichtbare Pflanzen und Tiere kommen aus dem Unsichtbaren, und auf den unsichtbaren Ebenen finden die evolutionären Veränderungen statt. In dem Maß, in dem die Seele eines Wesens sich nach und nach entwickelt, ändert sich die astrale Form; und die Veränderungen werden auf die physische Form übertragen.
Man kann unmöglich erklären, wie es geschieht, dass der Körper einer Pflanze oder eines Tieres ein Leben lang derselbe bleibt, während die physischen Atome ständig ersetzt werden – es sei denn, es gäbe ein bleibendes Muster, in das sich die physischen Atome einordnen und das die Gesamtheit des Organismus – trotz des Austausches der physischen Atome – bewahrt. Wir können die Evolution daher nicht ohne Berücksichtigung der Existenz der Astralebene und des Astralkörpers der Organismen erklären.