Sechstes Buch

Willst du erblicken jenen heil’gen Ort
Wo endlich die Erleuchtung Ihm erschien,
So wandre von den »Tausend Gärten« aus
Im Gangestale gen Nordwesten, bis
Dein Fuß das grüne Hügelland betritt,
Wo jener Bäche Zwillingspaar entspringt,
Nilājan und Mohāna; ihrem Lauf,
Der durch der Bäume schattend Blätterdach
Und durch Gebüsch sich windet, folge du,
Bis sich das glänzende Geschwisterpaar
Zusammenfindet in der Ebene
In Phalgus Bette, strömend weiterhin
durch fels’ge Ufer Gaya zu und nach
Den roten Hügeln, die Barabar man benennt.
Es breitet aus sich nah dabei
ein dornig Wüstenland, in alter Zeit
Uruwelaya zubenannt, durchsetzt
Von sand’gen Hügeln; und an seinem Rand
Wogt himmelan mit Wipfeln meeresgrün
Ein Wald. Es stiehlt sich leis ein Wässerlein
Durchs Unterholz, von Lotosblumen bunt,
In blau und weiß, mit flinken Fischen und
Mit Schildkröten bevölkert. Nahebei
Erhebt das Dorf Senāni die mit Gras
Belegten Dächer, eingenistet ganz
In Palmen, friedevoll, mit einfachen
Bewohnern, ländlich stillem Tagewerk.

Dort lebte in der Waldeseinsamkeit
Buddha, der Herr, und sann dem Leide nach
Der Menschheit, des Geschickes Wegen; was
Uns Bücher sagen, was das Leben lehrt
In Feld und Buschwerk; den Geheimnissen
Der stillen Welt, wo alle kommen her;
Und den Geheimnissen der dunklen Welt,
Wohin wir alle gehn; dem Leben, das
Dazwischen liegt, so wie am Himmel sich
Der Regenbogen sich von einer Wolk
Zur nächsten spannt, und doch als Mauerwerk
Nur Dünste hat, als Pfeiler Wasserdampf,
Und in das Nichts zerrinnt, so schön er war,
In Farb’ von Saphir, Granat, Chrysopras.
So haust’ im Walde viele Monate
Der Herr, so tiefen Sinnens, dass er oft
Des Speisens Zeit vergaß, und ungefüllt
Die Schale sah, wenn er emporfuhr aus
Gedanken, die vom Abend durch die Nacht,
Und durch den Morgen über Mittag hin
Er ausgedehnt. Dann aß er wohl aus Not
Die wilden Früchte, die hernieder von
Zweigen ihm zu Häupten fielen, von den
Affen abgeschüttelt oder von den
Bunten Sittichen gepflückt. Da verblich
Auch seine Schönheit; aufgerieben in
Dem Seelenkampf, verlor sein Körper Tag
Für Tag von jenen Zeichen mehr und mehr,
Die, zweiunddreißig an der Zahl, ihn als
Den Buddha eigneten. Kaum ähnlicher
War jenes Blatt, das trocken und verwelkt
Vor seine Füße von den Zweigen sank,
Dem sanften Grün des Frühlings, als er sich,
Wie einst er war, im ganzen Land umher
Die Blume aller edlen Fürstlichkeit.

Und einst zu dieser Zeit sank tief erschöpft
Der Prinz zur Erd’ in Ohnmacht hin wie tot,
Wie ein Erschlagner, der nicht Atem mehr,
Noch Blutes Regung in sich hat; so schwach
War er und so bewegungslos. Da kam
Des Weges her ein junger Schäferknab’;
Der sah Siddārtha liegen dort mit fest
Geschlossnen Lidern; auf den Lippen lag
Die Spur von namenloser Pein; aufs Haupt
Brannt’ ihm des Mittags glüh’nde Sonne; da
Brach Zweige von dem wilden Jambulbaum
Der Knab’ und flocht zu einer Laube dicht
Sie, zu beschatten ihm das heilige
Gesicht; auch goss er Tropfen warmer Milch
Ihm auf die Lippen, die er presste aus
Dem Euter seiner Ziege; denn da er
Aus niedrer Kaste stammte, wollt’ er nicht
Beflecken durch Berührung einen Mann,
Der ihm so heilig, so erhaben schien.
Doch es erzählen die Legenden uns,
Dass jene Zweige, also eingesteckt,
Empor mit raschem Leben schossen, reich
An Laub und Blüten, und bestreuet dicht
Mit glüh’nden Früchten; wie ein Prachtgezelt
Ward so die Laube, welch’ am Tag der Jagd
Für einen König man errichtet hat,
Von Seide, und mit Silberpfosten schön
Geschmückt und goldnen Knöpfen. Und der Knab’
Hielt ihn für einen Gott und betete
Ihn an. Und neuen Atem schöpft’ der Herr,
Stand auf und bat zu trinken von dem Krug
Des Schäfers; doch der Bursche sprach: »O nein,
Mein hoher Herr, ich kann ihn geben nicht;
Du siehst, ich bin ein Sudra; es befleckt
Dich die Berührung meinesgleichen schon!«
Der Allverehrte sprach: »In Mitleid und
Bedürftigkeit sind alle Brüder wir.
Und keine Kaste gibt’s im Blute, das
Bei allen von derselben Farbe fließt;
In Tränen keinen Kastenunterschied,
Die salzig rinnen bei uns allen; noch
Kommt mit dem Tilkapunkte1 auf der Stirn
Ein Mensch zur Welt, noch mit der heil’gen Schnur
Um seinen Hals. Wer Gutes tut, der ist
Zweimal geboren; wer das Böse tut,
Bleibt immer niedrig. Gib zu trinken mir,
mein Bruder; wenn ich komme an mein Ziel,
Wird dir’s zum Heil.« Da war des Knaben Herz
Erfreut, und willig reicht’ er ihm den Trank.

Ein andermal kam jenes Wegs vorbei
Ein Tänzerinnenschwarm im Flitterputz
Aus Indras Tempel in der Stadt, gefolgt
Von ihren Musikanten, einer schlug
Die Trommel, die mit Pfauenfedern rings
Besetzt war, einer blies das Bansuri2,
Ein dritter knipst’ auf einer Sitar mit
Drei Saiten. Leichten Fußes trippelten
Dahin die Mädchen auf dem blum’gen Pfad
Zu irgendeinem frohen Feste, und
An ihren kleinen braunen Füßchen klang
Gar lieblich sanft der Silberglöckchen Ton;
An Handgelenk und Armen klapperten
Zur Antwort hell die Spangen. Und, indes
Der Sitarspieler klimperte auf den
Metallnen Saiten, sang die Tänzerin,
Die ihm zur Seite lustig wanderte:

»Schön ist das Tanzen, wenn die Sitar tönt;
Lass sie uns klingen, nicht tief noch hoch,
Und tanzend fangen alle Herzen wir.

Zu straffe Saite springt, der Klang verweht;
Zu lose Sait’ ist stumm, der Klang vergeht:
Lass sie uns klingen, nicht tief noch hoch.«

So sang die Tänzerin zum Saitenspiel.
Und wie ein eitler bunter Schmetterling
Von Platz zu Platz entlang den Waldespfad
Hinflatternd, ließ sie sich nicht träumen, dass
Ihr leichter Gang fänd’ einen Wiederhall
In jenes heil’gen Mannes Ohr, der so
Weit abgewandt dort unterm Feigenbaum
Am Rand des Weges saß. Doch Buddha hob
Sein leuchtend Auge, als das lust’ge Volk
Vorüberkam und sprach: »So kann der Tor
Den Weisen oft belehren; wohl vielleicht
Spann’ ich des Lebens Saiten allzu straff,
Und will entlocken doch aus ihnen die
Musik des Heils, die uns Erlösung bringt.
Zu trüb sind meine Augen jetzt, zu sehn
Die Wahrheit, meine Kraft ist nun erschöpft,
Da ihrer ich bedarf am meisten; mir
Jetzt täte Not die Hilfe, die die Welt
Im Ganzen haben sollt’; ich sterbe sonst,
Des Leben doch der Menschen Hoffnung war.«

Nun wohnt’ an jenem Strom auf seinem Gut
Ein frommer Reicher; vieles Herdenvieh
Gehörte ihm; er war ein milder Herr,
Der Freund der Armen, und von seinem Haus
»Senāni« gab den Namen sich das Dorf.
Beliebt und friedlich lebt er still dahin
Mit seinem Weib Sujāta; sie war schön
Vor allen dunkeläug’gen Weibern in
Der Eb’ne, liebenswürdig, einfach, treu,
Voll Güte, edlen Ansehns, heitern Blicks;
Für alle hatte sie ein freundlich Wort,
Die Perle holder Weiblichkeit. So war
Manch stilles Jahr beglückter Häuslichkeit
An ihres Gatten Seite sie daheim,
Doch ihre eheliche Liebe war
Mit keinem Knaben noch gesegnet; drum
Zu Lakshmi3 flehte sie mit Beten viel;
Und manche Nacht umging sie neunmal neun
Der Male in des Vollmonds hellem Schein
Den großen Lingam4, brachte Gaben dar
Von Reis, und Kränze von Jasmin, und Öl
Vom Sandelbaum, und betete dabei
Um einen Knaben; auch gelobte sie,
Dem Waldesgott, wenn solches sich erfüllt,
Ein Speiseopfer reich und köstlich zu
Setzen unter seinen heiligen Baum
In goldner Schale, die sich schicke wohl,
Dass sie berühre sel’ger Götter Mund.
Und also war’s geschehn; geboren war
Ein schöner Knabe, jetzt drei Monde alt,
Der an Sujātas Busen lag, indes
Sie dankerfüllten Fußes zum Altar
Des Waldgotts schritt; sie hielt mit einer Hand
Ihr rotes Sari5 fest, das Kind damit
Umhüllend, ihr Juwel und ihren Stolz,
Die andre Hand hob zierlich sie empor
Zu ihrem Haupt, wo sie die Schale trug
Und einen Teller mit dem leckern Mahl,
Das sie dem Gott bestimmt. Vorausgesandt
Hatt’ ihre Sklavin Radha sie, den Grund
zu säubern und die Scharlachfäden um
den Baum zu knüpfen; die kam jetzt zurück
Voll Eifer, rufend: »Teure Herrin, seht!
Dort sitzt der Waldgott selbst auf seinem Platz,
Ganz sichtbarlich, die Hände auf dem Schoß
Gefaltet. Seht, wie lichte Strahlen ihm
Das Haupt umleuchten! Wie erhaben mild
Er aussieht, und wie himmlisch ist sein Blick!
Ein großes Glück ist’s, Götter so zu sehn.«

So, ihn für göttlich haltend, näherte
Sujāta zitternd sich und neigte tief
Ihr holdes Antlitz, küsst’ die Erd’ und sprach:
»Geruh’ das heil’ge Wesen, dieses Hains
Bewohner, der des Guten Geber ist,
Der Gnad’ erwies mir, seiner Dienerin,
Und jetzt mir seinen Anblick offenbart,
Zu nehmen dies bescheidene Geschenk
Schneeweißer Speise, frisch gemacht, und Milch
So weiß wie frisch geschnitztes Elfenbein!«

Mit diesen Worten tat sie Speis’ und Milch
In goldne Schale, tropfte Buddha aus
Kristallner Flasche Rosenöl6 auf die
Hände, aus feinsten Blättern ausgepresst.
Und er, kein Wort erwidernd, aß, indes
Die frohe Mutter harrte, ehrfurchtsvoll
Beiseite tretend. Doch so wunderbar
War jenes Mahles Kraft, dass unserm Herrn,
Aufs Neue Stärk’ und Leben wiederkehrt’,
Als wär’ es nur ein Traum, dass er gewacht
So manche Nacht, gefastet manchen Tag;
Als teilte mit dem Körper auch der Geist
Die leckre Kost und regt’ aufs Neue schon
Die Schwingen, wie ein Vogel, der vom Flug
Durch endlos sand’ge Wüst’ ermattet, wenn
Er plötzlich einen Strom erblickt, erfreut
Sich Hals und Federn badet rein vom Staub.
Noch mehr verehrt’ ihn nun Sujāta, als
Sie sah, wie schöner ward der Herr, und wie
Sein Angesicht erglänzte, und sie frug
Bescheiden: »Bist du wirklich auch der Gott?
Fand Gnade meine Gabe?«

Buddha sprach:
»Was ist’s, das du mir brachtest?«

»Heiliger«,
Erwiderte Sujāta, »Milch entnahm
Von hundert unsrer Kühe ich, die frisch
Gekalbt, und fütterte mit dieser Milch
Dann fünfzig weiße Kühe, weiter fünf
Und zwanzig dann mit deren Milch, dann zwölf
Mit der von jenen fünfundzwanzig, und
Zuletzt mit der zwölf Kühe Milch die sechs
Vorzüglichsten und schönsten unsres Viehs.
Was diese gaben, kocht’ ich sorglich durch
Mit Sandelholz und edlen Spezerei’n
In Silberkrügen, fügte Reis hinzu,
Geerntet von erles’nem Samen, der
In neugepflügtes Ackerland gesät,
Wie eine Perle war ein jedes Korn.
Das tat ich treuen Herzens, da ich einst
Dir unter deinem Baum gelobte, wenn
Mein Kind ein Knabe würde, Gaben dir
Aus Freude darzubringen, und jetzt hab’
Ich meinen Sohn, und all mein Leben ist
Nun Glück und Seligkeit!«

Sanft zog da hinweg von Sujātas Kind
unser Herr das rote Faltentuch, und
Legt’ auf des Kleinen Haupt die Hände, die
Der Welt Erlösung bringen, segnet’ ihn
Und sprach: »Lang’ währe deine Seligkeit!
Leicht sei zu tragen ihm des Lebens Last!
Du hast geholfen mir, – der ich kein Gott,
Jedoch – dein Bruder; vormals war ich Prinz,
Jetzt bin ein Wandrer ich und suche Tag
Und Nacht sechs harte Jahre schon das Licht,
Das irgendwo erstrahlt, die Dunkelheit
Für alle Menschen zu erleuchten, wenn
Sie es nur kennten! Und ich werde auch
Das Licht noch finden; ja, schon dämmert’ es
Glorreich, erlösend, als die Kraft verließ
Den schwachen Leib, den wieder neu belebt,
O schöne Schwester, deine reine Kost,
Die mannigfaches Leben erst durchlief,
Um Leben zu erquicken: also geht
Das Leben selbst durch mancherlei Geburt
Zu glücklicheren Höhn, zur Läuterung
Von allen Sünden. Doch in Wahrheit, sprich,
Find’st du, zu leben nur, schon Glück genug?
Kann Lieb’ und Leben schon genügen dir?«

Erwidert’ ihm das Weib: »Erhabener!
Mein Herz ist klein, und einen Lilienkelch
Füllt schon ein kleiner Regen, welcher kaum
Die Felder feuchtet. Mir ist es genug
Zu fühlen, dass des Lebens Sonne scheint,
In meines Gatten liebevollem Blick,
In meines Kindes Lächeln, und mir so
Das Haus in ew’gem Liebessommer prangt.
Froh gehn dahin die Tage mir, erfüllt
Mit Haushaltssorgen, schon vom Morgen an,
Wenn sich die Sonne hebt, und ich mich auch
Ermuntre, zu den Göttern bete, Korn
Vom Vorrat gebe, meinen Tulsibusch7
Besorge und an ihre Pflichten dann
Die Dienerinnen gehen heiße – bis
Zum Abend, wo mein Herr in meinen Schoß
Sein Haupt wohl legt und ich in Schlummer ihn
Mit sanftem Liede singe, und ihm Luft
Zuwehe mit dem Fächer. So auch dann
Am stillen Abend zu des Mahles Zeit,
Wenn ihm zur Seit’ ich stehe und ihm vor
Die Speisen lege. Dann zur Schlafenszeit,
Nach dem Besuch des Tempels, dem Gespräch
Mit Freundinnen, entzünden droben auch
Die Sterne ihrer Silberlampen Schein.
Wie sollt’ ich glücklich sein nicht, da ich so
Gesegnet bin, und ihm den Knaben nun
Gebracht, des zarte Hand nach Swarga8 ihm
Die Seele leiten soll, wenn solches not?
Denn heil’ge Bücher lehren, wenn ein Mann,
Die Wandrer zu beschatten, Bäume pflanzt,
Zu Nutz’ der Menschen eine Quelle gräbt,
Und einen Sohn bekommt, dem wird es gut
Nach seinem Tod; und was die Schrift uns lehrt,
Nehm’ ich in Demut an, denn weiser bin
Ich nicht als jene Großen alter Zeit,
Die mit der Götterwelt sprachen und wohl
Die Zaubersprüch’ und Hymnen kannten und
Der Tugend und des Friedens Wege all.
Auch denk’ ich, Gutes stets aus Gutem kommt,
Aus Bösem Böses – sicher – überall –
In jedem Raum und jeder Zeit – ich seh’
Aus heilungskräft’ger Wurzel süße Frucht
Doch sprießen, aber bittre Dinge aus
Dem gift’gen Stamme; ja, ich sehe auch,
Wie Groll den Hass erzeugt, doch güt’ger Sinn
Uns Freund’ erwirbt, und schon im Leben uns
Geduld zum Frieden führt; und wenn einmal
Zu sterben uns bestimmt ist, soll da nicht
Das Einst auch glücklich sein so wie das Jetzt?
Doch eher noch viel glücklicher! So schießt
Aus einem Reiskorn eine Feder grün
Empor, mit fünfzig Perlen schön geschmückt,
Und die Champakasterne weiß und gold,
Sie sind im Frühling noch verborgen in
Den kleinen Knospen, kahl und grau. Ach, Herr!
Wohl weiß ich, dass es Leiden geben kann,
Die zu ertragen selbst die Geduld mit
Ihrem Antlitz niederwirft in den Staub.
Wenn dies mein Kind vor mir verging’, ich glaub’,
Es würde brechen mir das Herz, ja fast
Hoff ich, dass dann das Herz mir bräch’, und ich
Im Tod ihn halten könnte noch, und auf
Den Gatten warten, – dort in jener Welt,
Wo es auch sei, wo treue Weiber hin
Gelangen – und pflichteifrig harrend, bis
Auch seine Stunde komme. Würd’ Todes
Ruf Senāni selbst ereilen, ich selbst
Den Stapel errichten wollt entsprechend
Meiner Pflicht, und des Liebsten Kopf betten
Auf meinem Schoß, wie die Gewohnheit es
Uns war. Und jubeln wenn die Fackel dann
Die schnelle Flamm’ entzündet, und der Rauch
Empor erstickend wirbelt. Denn es steht
Geschrieben, wenn so stirbt ein Hinduweib,
Wird ihre Liebe ihres Gatten Geist
Verleihn für jedes Haar auf ihrem Haupt
Zehntausend Jahr’ in Swarga. Darum bin
Ich unbesorgt, o heil’ger Mann! Mir ist
Das Leben heiter, doch vergess’ ich nicht
Der andern Leben, leidenvoll und arm,
Unselig und bedauernswert; für sie
Verleihn das Mitleid uns die Götter. Doch
Was micht betrifft, so such’ ich demutsvoll
Zu tun das Gute, wie’s mein Geist erkannt,
Gehorsam dem Gesetz zu sein, – gewiß,
Was kommen muss und soll, das kommt auch wohl.«

Da sprach der Herr: »Du lehrst die Lehrer selbst,
Und weiser ist dein einfach gläubig Herz,
Als Weisheit selbst. Sei zufrieden, nicht
Zu wissen, denn so weißt du wohl den Weg
Des Rechtes und der Pflicht. So blühe fort
Du holde Blume, wachs’ und blüh’ dein Stamm
In friedevollem Schatten! Denn das Licht
Vom Mittagssonnenstrahl der Wahrheit ist
Für zarte Blütenblätter nicht gemacht,
Die unter andern Sonnen erst sich breit
Entfalten sollen, und, in späterer
Gestaltung wiederum geboren, das
Bekränzte Haupt erheben himmelan.
Du, die mich erst verehrte, jetzt verehr’
Ich dich! Du reines Herz, an Weisheit voll,
Doch unbewusst, – so wie die Taube fliegt,
Von Liebe nur geleitet, heimatwärts!
In dir erkenn’ ich klar, warum es noch
Für Menschen Hoffnung gibt, und wo das Rad
Des Lebens man nach Wunsch erfassen kann.
Mit dir sei Fried’ und Trost für alle Zeit!
Wie du vollendest, so geling’ es mir!
Von dem du glaubtest, dass ein Gott er sei,
Er bittet dich, dass du ihm dieses wünschst!«

»Mög’ es dir wohl gelingen!« sagte sie,
Mit ernstem Blick sich neigend auf ihr Kind;
Das streckte seine zarten Hände aus
Nach dem Buddha – wohl erkannte es ihn,
Wissend, wie es der Kinder Art nur kann,
Weit mehr noch, als Erwachsnen Geist errät,
Und verehrte ihn. Doch er stand nun auf,
Erstarkt mit neuer Kraft, wandte seinen
Schritt gleich fort zu einem Ort, wo eine
große Pappelfeig’ wuchs, der Bodhibaum;
(Der sollt’ hinfürder nimmermehr vergehn,
Erhalten stets, verehrt von aller Welt);
Denn unter seinem Laubdach sollte sich
Dem Buddha die Erleuchtung nahn, so wollt’
Es das Geschick, das jetzt der Herr erkannt.
Drum ging er stetig, mit gemess’nem Schritt
Und hoheitsvoll zum heil’gen Weisheitsbaum.
Nun, Welten, freuet euch! Es wandelte
Zum Baum des Heiles hinwärts unser Herr!

Als er in seinen breiten Schatten trat,
Der, wie von Säulen, eingeschlossen war
Von Ästen, die zum Boden sich gesenkt
Und Wurzel dort gefasst, – und überdacht
Mit glitzernd lichten, grünen Wölbungen,
Da merkt’ es wohl die Erd’ und betete
Ihn an, indem sie Graseswogen und
Der Blumen Fülle plötzlich sprießen ließ.
Des Waldes Zweige neigten sich herab,
Ihn zu beschatten; von dem Flusse her
Ein kühles Lüftchen säuselte, erfüllt
Mit Lotosdüften, die ihm zugehaucht
Die Wassergötter; und das Waldgetier
Sah wundernd ihn mit großen Augen an,
Wildschwein und Reh und Panther, fromm gesinnt
An diesem Abend, starrten aus Gebüsch
Und Höhlen ihm ins güt’ge Angesicht.
Die bunte, gift’ge Schlange ringelte
Aus ihrer kalten Kluft sich her und ließ
Die Haube tanzen zu des Herren Ehr’;
Und lichte Falter flatterten umher,
Die Schwingen regend, azur, grün und gold,
Ihm Luft zu fächeln. Selbst die stolze Weih’
Ließ ihre Beute kreischend fahren, und
Es jagte das gestreifte Palm-Eichhorn
Von Stamm zu Stamm dahin, um ihn zu sehn.
Der Webervogel zirpt’ aus seinem Nest,
Das schaukelnd hing am Baume; scheu dahin
Eidechsen huschten, und der Koel9 sang
Sein Jubellied; die Tauben scharten sich;
Selbst das Gewürm erkannte froh das Heil.
Und Stimmen aus der Erd’ und aus der Luft
Vereinten sich zu einem Lobgesang,
Der also tönte für die Ohren, die
Zu hören ihn verstanden: »Herr und Freund!
Heiland, Allliebender! Du hast besiegt
Zorn, Stolz und Lust, den Zweifel und die Furcht,
Du gabst für All’ und Jeden selbst dich hin, –
Geh nun zum Baum! Und die betrübte Welt
wird segnen dich, der du der Buddha bist,
Der ihren Leiden Lind’rung bringen soll.
Geh hin, wir ehren jubelnd dich! Für uns
Bestehe jetzo deinen letzten Kampf,
Erhabner König und Eroberer!
Genaht ist deine Stunde; heute ist
Die Nacht, auf die Jahrtausende geharrt!«

Dann sank die Nacht hernieder, grade als
Der Meister unter jenes Baumes Dach
Sich setzte. Doch der Fürst der Finsternis,
Der Dämon Mara, wusste wohl, dass dies
Der Buddha war, dem das Geschick bestimmt,
Die Menschheit zu erlösen, und dass jetzt
Die Stunde sei, wo er die Wahrheit sich
Erringen sollt’, erlösend alle Welt.
Da bot der Böse seine Scharen auf;
Aus jedem tiefsten Abgrund sammelten
Sich da die Feinde, die im Kampfe sind
Mit Licht und Weisheit, Trishna10, Raga und
Arati, und mit ihnen kam das Heer
Der Leidenschaften, Schrecken, törichten
Gedanken, Lüste, – grausen Dunkels Brut;
Sie alle Buddha hassend und bemüht
Den Sinn ihm zu erschüttern. Niemand doch
Vermag zu sagen, auch der Klügste nicht,
Wie jene Feinde aus dem Höllenschlund
Die Nacht durch kämpften, der Erkenntnis Licht
Von Buddha fern zu halten. Mit dem Dräu’n
Des Sturmes bald, herangeblasen von
Dämonenheeren, so dass aller Wind
Sich dicht zusammenballte zu Gewölk,
Mit Donner und mit blendend grellem Blitz,
Des zack’ge Speere purpurn grimmig aus
Zerspaltnen Himmeln fuhren; bald mit List
Und schönen Worten, säuselnd milder Luft,
Mit Schattenbildern, sinnberückend schön
Und zauberhaft, mit Wollust atmendem
Gesang und Liebesflüstern; oder auch
Mit königlicher Herrschaft lockenden
Versprechungen; mit spött’schem Zweifel bald,
Der alle Wahrheit stempeln will zum Wahn.
Allein ob sichtbarlich und außer ihm
All diese schleichend nahten, oder ob
Mit Lügengeistern in der eignen Brust
Buddha den Kampf bestand, das lass’ ich euch
Zu deuten: – Ich berichte nur, was uns
Berichtet haben Schriften alter Zeit.

Die zehn Todsünden kamen, – mächtigste
In Maras Tross, die Engel böser Tat.
Zuerst die Selbstsucht, Attavāda, kam,
Die wie in einem Spiegel in der Welt
Stets nur beglückt ihr eigen Antlitz sieht,
Und, wenn sie »Ich!« ruft, will, dass alle Welt
Ihr »Ich« im Widerhall entgegnen soll, –
Mag alles untergehn, wenn sie nur bleibt!
»Bist Buddha du«, so sprach sie, »lass in Nacht
Doch andre tappen; ist es nicht genug,
Dass Du – Du bist in alle Ewigkeit?
Steh’ auf und greife nach der Seligkeit
Der Götter, die sich ändern nicht, und nicht
Sich sorgend mühen!« – Doch Buddha sprach:
»Was wahr an deinem Wort, ist niedrig auch,
Was falsch, – verrucht; geh’, äffe solche, die
Sich selber lieben.« Doch nun nahte sich
Der blasse Zweifel, er, der stets verneint,
Die Spötterei, und zischte in das Ohr
Des Meisters: »Alle Dinge sind nur Schein,
Und, zu erkennen ihre Richtigkeit,
Ist selber nichtig; nur dem Schatten jagst
Du nach des eignen Ich; steh’ auf und zieh’
Von hinnen! Keinen bessern Weg gibt’s als
Geduld’gen Spott, und keine Hilfe für
Die Menschenwelt, und keine Möglichkeit
Einhalt zu tun des Lebens Wirbelrad.«
Der Herr erwiderte: »Du hast nicht teil
An mir, du falsche Bisikitcha! Von
Des Menschen Feinden du die listigste.«
Da kam zu dritt die grause Zauberin
Sīlabbat-Paramāsa, welche Macht
Des Aberglaubens dunklem Wahn verleiht,
Schön aufgeputzt in manchen Ländern als
Demüt’ger Glaube, und umgaukelnd stets
Mit frömmelnden Gebräuchen und Gebet
Der Toren Seelen; auch behauptet sie
Die Schlüssel zu bewahren, welche zu
Die Höllen schließen und die Himmel auf.
»Willst du es wagen«, sagte sie, »vom Thron
Zu stoßen unsre Götter, eingesetzt
Durch unsre heil’gen Schriften? Willst du leer
die Tempel machen, stürzend das Gesetz,
Das Priester nährt und Königreiche stützt?«
Doch Buddha sprach: »Was ich nach deinem Wunsch
Erhalten soll, ist Form nur, die vergeht,
Doch frei bestehen bleibt der Wahrheit Licht;
Zurück in deine Nacht mit dir!« Zunächst
Kam näher jetzt in stolzer Sicherheit
ein mutiger Versucher, Kāma selbst,
Der Leidenschaften Herr, der Macht besitzt
Selbst über Götter, allen Liebeswahns
Beherrscher, König in dem Reich der Lust.
Mit Lächeln naht’ er sich dem Bodhibaum,
Den goldnen Bogen haltend, der bekränzt
Mit roten Blumen, auch die Pfeile der
Begehrlichkeit, mit fünffach züngelnden
Ganz feinen Flämmchen an der Spitze, die
Noch schärfer das vom Pfeil getroffne Herz
Verwunden, als die gift’ge Spitz’ es tut.
Und mit ihm kamen zu dem stillen Ort
In Scharen lichte Schatten, himmlisch schön
Von Aug’ und Lippen, sangen liebliche
Gesänge zu der Liebe Preis; dazu
Unsichtbar tönte süßes Saitenspiel.
Es war so zauberisch, dass selbst die Nacht
Zu weilen schien auf ihrer Bahn, um sie
Zu hören, Mond und Sterne lauschend auch
Ihr Kreisen hemmten, während diese von
Verlornen Freuden in des Buddhas Ohr
Lobhymnen sangen, wie ein Sterblicher
Nichts Köstlicheres fänd’ in allen drei
Welten als duftend, hingegeben Lieb
Erfüllt der Schönheit Busen, rosig blüh’nd
Mit Rubinen glüh’nder Liebe; und wie
Er nichts Erhabneres berühren könnt,
Als jene süße Harmonie der Form,
Die in des Reizes Linien erscheint,
Die unaussprechlich, und doch sprechend ist
Von Herz zu Herzen, eingestanden durch
Des Blutes Wallen, angebetet von
Dem Willen, der sie zu erfassen stürmt,
Da er wohl weiß, dass dies das Beste ist,
Dies der wahrhaft’ge Himmel, wo der Mensch
Herr ist und Schöpfer, und den Göttern gleich,
Dies eine Quelle stets erneuter Lust,
Und tausend Leiden wert. Wer fühlte je
Wohl Kummer, wenn ihn weiche Arme fest
Umschlangen und ihm alles Leben schmolz
In sel’gem Ach, und eine ganze Welt
Von Liebe lag in einem heißen Kuss?
So sangen sie, mit weicher Hände Wink
Ihn lockend; Liebe glüht’ in ihrem Blick
In ihrem Lächeln; und mit üpp’gem Tanz
Sah die geschmeid’gen Glieder er sie bald
Entschleiern, bald verhüllen, Knospen gleich,
Die ihre grüne Hülle sprengten und
In eigner Farbe prangen, doch noch nicht
Ihr Innerstes enthüllen. Nimmer sahn
Entzückte Augen solche Anmut je
Ohn’ Gleichen, wie in mitternächt’gem Tanz
Sie Schar für Schar dem Baume schwebten zu, –
Stets Eine schöner als die Vor’ge war;
Sie flüsterten: »Siddārtha! Ich bin dein!
An meinen Lippen labe dich und sieh,
Ob süß ein Kuss von blüh’nder Jugend ist!«
Als nichts bewegte unsers Meisters Sinn,
Schwang Kāma seinen Zauberbogen, – sieh!
Da teilte sich der Tänzerinnen Schar,
Und aus der Menge trat ein Schatten vor,
Die Schönst’ und Lieblichste im ganzen Kreis,
In allem gleichend Schön Yasōdhara.
Aus ihren dunklen Augen leuchtete
ein zärtlich Sehnen, Tränen standen drin;
Verlangend breitete nach ihm sie aus
Die Arme; wie Musik erklang’s, als ihn
Beim Namen drauf der schöne Schatten rief
Und klagend seufzte: »O mein Prinz! Nach dir
Vergeh’ ich fast vor Sehnsucht! Welches Glück
Hast du gefunden wohl, vergleichbar dem,
Das wir im Lustpalast am hellen Strom
Rohini kannten, wo ich all die Zeit,
Manch traurig Jahr betrübt um dich geweint?
Kehr’ wieder mir, Siddārtha! Komm! Ach nur
Die Lippen wieder mir berühre, nur
Ein einzig Mal lass mich an deine Brust,
Dann endet dieser nutzlos bange Traum!
Schau her! Bin ich’s nicht, die du liebtest einst?«
Doch Buddha sprach: »Du Schatten schön und falsch,
Um jener Holden willen, deren Form
Du dir geliehn, ist all dein Tun umsonst.
Dir fluch’ ich nicht, weil teuer die Gestalt
Mir ist, in der du mir erschienest, doch
So wie du bist, ist aller ird’sche Schein.
Verschwinde wieder in dein Nichts!« Darauf
Durchklang den Hain ein greller Schrei, und all
Die liebliche Gesellschaft jäh zerstob
In kleiner Flämmchen irrem Flackertanz
Und schleppend hingezognem Nebelstreif.

Der Himmel verdunkelte sich,
Und während tosend wilder Sturm anhob,
Erschienen grimmigere Sünden, von
Den Zehn die Mächtigsten; Patigha kam,
Des Hasses Göttin, Schlangen dienten ihr
Als Gürtel, sogen aus der schlaffen Brust
Die gift’ge Milch und mischten wütend ihr
Gezisch mit ihrer Herrin Flüchen. Doch
Nur wenig richtete damit sie aus
Bei jenem heil’gen Mann, vor dessen Blick,
So ruhevoll, ihr bittrer Mund verstummt’,
Und ihre schwarzen Schlangen das Gebiss
Zu bergen strebten. Doch es folgt’ alsbald
Ihr Ruparaga nach, die Sinnenlust,
Die Sünde, die aus Gier nach Leben stets
Vergisst zu leben; und die Ehrbegier,
Die stolzre Schwester, folgte ihr zunächst,
Aruparaga, deren Zauber selbst
Den Weisen oft betört, Erzeugerin
Von wilden Taten, Müh’n und Schlachtenlärm.
Voll Hochmut aufgeblasen Mano kam,
Des Stolzes Teufel; schmeichlerisch gesellt’
Sich ihm Uddhachcha, Selbstgerechtigkeit;
Dann auch mit ekler Schar von widrigen
Formlosen Wesen, kriechend Kröten gleich,
Wie Fledermäuse flatternd, – kam die Furcht,
Des Irrtums Herrscherin, – Unwissenheit.
Die ekle Hex’ Avidya, deren Nahn
Die Mitternacht noch dunkler scheinen ließ,
Indes der Berge Wurzeln schütterten
Und wild die Winde heulten, aus dem Schoß
Geborstner Wolken Regenströme sich
Ergossen, untermischt von Blitzen; von
Dem Himmel sanken Sterne nieder, und
Die feste Erde zitterte als ob
Mit Flammen man die offnen Wunden ihr
Versengte; die zerrissne schwarze Luft
War voll von Flügelsausen, Kreischen, Schrei’n,
Von Teufelslarvenspuk, gewaltiger
Furchtbarer Höllenfürsten Angesicht,
Die ihre Legionen hergeführt
Aus tausend Höllen, um den Meister zu
Versuchen.

Doch es achtet’ ihrer nicht
Der Herr, und saß in ruhiger Heiterkeit,
Umschirmt von makelloser Tugend Wall,
Wie’s eine Festung ist durch Zinn’ und Tor;
Der heil’ge Baum auch selbst – der Bodhibaum –
Regt’ in dem Lärmen all sich nicht, und still
Wie in der Mondnacht, wenn kein Zephirwind
Verschüttend einen Tropfen Tau verspritzt,
Erglänzte jedes Blatt. All dies Geschrei
Tost’ außen nur rings um den Schatten hin,
Den seiner Wölbung Äste breiteten.

Doch in der dritten Wache
Lag still die Erde, und in wilder Flucht
Stob jäh davon die grause Höllenbrut.
Da, wie der Mond herabsank, wehte mild
Ein sanftes Lüftchen, und Sammā-Sambuddh11
Erreichte unser Herr; in einem Licht,
Das menschliches Begreifen übersteigt,
Sah er all seiner Leben lange Reih’
In allen Welten, weit zurück, und noch
Viel weiter, dann am allerweitesten,
Fünfhundertfünfzig Leben. Also blickt
Wohl einer, wenn auf Berges Gipfel er
Nach langem Steigen rastet, auf den Weg
Zurück, wie er an jähem Abgrund sich
Vorüber windet und an Schroffen wild;
Durch dichte Wälder, nur ein Fleckchen klein;
Durch Sümpfe, gleißend trügerisch in Grün;
Durch Höhlen, wo er atemlos sich müht’;
Auf schwindelnd steilen Höhen, wo sein Fuß
Beinah gestrauchelt wäre; jenseits schaut
Von sonn’gen Wiesen er den Wassersturz,
Den Teich, die Grotte, – bis weit hinten er
Die Eb’ne in der Ferne Dämmerschein
Erblickt, woher er kam, zu blauen Höhn
Hinanzuklimmen; also schaut’ im Geist
Auch Buddha rückwärts seiner Leben Spur,
In langer Kette, aus Regionen, wo
Der Atem selber niedrig ist, empor
Zu höhern Sphären, immer höher, bis
Dahin wo die zehn großen Tugenden
Nur auf den rüst’gen Klimmer warten, um
Ihn himmelwärts zu führen. Ferner sah
Der Herr auch, wie ein neues Leben stets
Das erntet, was das alte einst gesät;
Und wo des alten Schritt gestockt, da setzt
Das neue wieder an, zieht den Gewinn
Und trägt auch den Verlust. Dann sah er, wie
In jedem Leben alles Gute stets
Noch mehr des Guten zeugt, die üble Tat
Stets frisches Übel; wie der Tod nur bucht
Das Soll und Haben, – seine Rechnung wird,
Sei’s in Verdiensten, sei’s im Gegenteil,
Nach sich’rer Zählung, wo kein Pünktchen fehlt,
Zum Stempel, unbezweifelbar gerecht,
Des neuen Lebens, das aus ihm erblüht;
Und dies enthält als unverlierbar Gut
Tat und Gedanken der Vergangenheit,
Kampf und Triumph, Erinn’rung, Zeichen von
Vergang’nen Leben.

Als die Mitte der
Dritten Wache erreicht, errang der Herr
Abhidjna12 – tiefe Einsicht in die Welt,
Die über diese Sphäre weit hinaus
Zu ungenannten Sphären streifend eilt,
Von Weltsystem zu Weltsystem, wo sich
Bewegen Welten, Sonnen ohne Zahl
In Strahlenharmonien, – Schar für Schar,
Getrennt – und doch verbunden; einheitlich –
Und jede doch für sich; bis dahin, wo
In einem Meer von Saphir schwimmend ruhn
Die Silberinseln, – kein Gestade gibt’s,
Und unergründlich, unvermindert regt
Die Woge rollend dort sich ohne Rast
Im steten Widerspiel von Ebb’ und Flut.
Da sah er jene Herrscher auch des Lichts13,
Die ihre Welten schwebend halten fest
An unsichtbarem Band, er sah, wie sie
Um mächtigere Erden kreisend sich
Gehorsam drehen, wie auch diese dann
Noch höhern Leuchten dienen, Stern für Stern
Sein endlos Strahlenleben glänzend lebt,
Von Mittelpunkten fort zu Kreisen stets
Sich kunstvoll hinbewegend; wie es dort
Kein Äußerstes und keine Grenze gibt.
Dies alles schaut’ er, denn entsiegelt war
Sein Auge; von den Welten allen auch,
Die Kreis um Kreis sich schlangen, was sie von
Den Kalpas, Mahakalpas künden: von
Den Grenzen aller Zeit, die niemand sonst
Erfasst und wüsst’ er zu berechnen auch
Des Ganges Tropfen bis zum Meer vom Quell,
Die keine Sprache zählt; er sah, wodurch
Sie so sich mehren und vergehn; wodurch
Ein jedes in dem Himmelsheer erfüllt
Sein glänzend Leben, dunkelt und vergeht.
Sakwal für Sakwal14, wandelte er so
Durch Höhn und Tiefen, fort riss ihn der Geist
Durch der Unendlichkeiten blaues Meer.
Und hinter all dem Wechsel ward ihm kund, –
Jenseits der Sphären und des glühenden
Antriebs in einem jedem Weltenrund –
Die feste Fügung, schweigsam wirkend, ihr
Will’ Finsternis in Licht verwandelt und
Zum Leben weckt die Toten, Leeres auch
Zur Fülle formt, und was noch ohne Form
Mit Form umgibt, aus Gutem Besseres,
Aus Bess’rem Bestes schafft in schweigendem
Gebot; der zu bitten niemand hat,
Nichts zu verbieten; denn erhaben ist
Ob allen Göttern er, unwandelbar
Und unaussprechlich herrschend: eine Macht,
Die baut, in Trümmer schlägt und wieder baut,
Das All regiert, wie’s in der Tugend Reich
Sich ziemt, das Schönheit, Wahrheit, Nutzen ist.
So erweisen sich als gut die Dinge
All, welch höchster Macht dienen, und schlecht, wenn
Sie widerstreben; ja, der Wurm ist gut,
Wenn seiner Art er folgt; der Habicht gut,
Der blut’ge Beute seinen Jungen bringt;
Der Tautropf und der Stern, sie runden sich,
Und brüderlich gesellt vollbringen sie
Ihr glänzend Tagewerk; und wenn der Mensch
Lebt, um zu sterben nur, so wird im Tod
Er recht zu leben erst beginnen, wenn
Er vorwärts schreitet tadellos die Bahn,
Mit ernstem Willen, nicht zu schaden, nein
Zu helfen allen Dingen groß und klein,
Die von des Lebens Last umfangen sind.
Dies in der dritten Nachtwach’ sah der Herr.

Doch als die vierte Wache kam, da ward
Ihm klar des Leids Geheimnis, wie es das
Gesetz durch Böses stört, wie Dunst und Nass
Des Goldschmieds Feuer dämpfen. Also ward
Das Dukha-Satya15 ihm geoffenbart,
Der »edlen Wahrheitsregeln« erster Spruch:
Wie stets das Leid des Lebens Schatten ist,
Sich regt, sobald das Leben nur sich regt;
Beiseite man es nimmer legen kann,
Legt man das Leben nicht zugleich beiseit,
Mit all den Wechselfällen von Geburt,
Von Wachsen und Verblühn, von Lieb’ und Hass,
Von Freud’ und Schmerz, von Handeln und von Sein.
Und er erkannte, wie es nimmer dem
Gelingen kann, des Lebens traur’ge Lust
Und frohen Kummer abzustreifen, dem
Die Einsicht mangelt, dass dies alles nur
Der Sünde Schlingen sind; doch wer erkennt
Avidyas, der Torheit, Täuschungen,
Macht wirkungslos die Schlingen, und er liebt
Nicht mehr das Leben, sondern trachtet nur
Ihm zu entrinnen. Einem solchen sind
Geöffnet weit die Augen, und er sieht
Wie Täuschung folgt Sankhāra – des Strebens
falsches Ziel, und Beharr’n auf falscher Bahn –
Bidnnān; woraus Nāmarūpa entwickelt sich,
Des äuß’ren Form, was Körperlich und auch
Der Name; diese gibt den Menschen preis
Der Sinnenwelt mit wehrlos offnem Sinn,
Und hilflos spiegelt er, was ihm durchs Herz
An Truggebilden geht; so wächst in ihm
Vedanā – Sinnenleben – trügerisch
In Freuden, furchtbar in des Unglücks Zeit,
In Leid und Lust doch stets die Mutter der
Begehrlichkeit, der Trishna16, jener Durst,
Der mehr und mehr alles Lebende zu
Trinken treibt von der falschen, salz’gen Flut,
Auf der sie treiben: Freuden, Ehrbegier,
Preis, Ruhm und Reichtum, oder Herrschaft auch,
Erob’rung, Liebe, Kleiderpracht, des Mahls
Verfeinte Üppigkeit, ein herrlicher
Besitz, der Stolz auf alten Adels Stamm,
Die Lust des Tages und der heiße Drang,
Zu leben mit den Sünden, die er bringt,
Süß ein’ge, andre bitter. Also löscht
Das Leben seinen Durst mit einem Trank
Von dem der Durst sich doppelt; doch es reißt
Der Weis’ aus seinem Herzen diesen Durst,
Speist nicht die Sinne mehr mit falschem Schein,
Erzieht zur Festigkeit den Geist, dass er
Nicht suchet mehr, noch strebt, noch Unrecht tut.
So trägt er sanft die Übel, die ihm aus
Vergangnen Missetaten nachgefolgt,
Und hält im Zaum die Leidenschaften, dass
Sie Hungers sterben, bis die Summe dann
Am Lebensende, das gesamte Werk
Der Seele – Karma17 – alles was sie tat
Und dacht’, jenes »Selbst«, das sie gewoben,
Am Lebenswebstuhl, wo als Einschlag dient
Der Zeit Unendlichkeit, die unsichtbar
Sich mit den Taten als der Kette kreuzt –
Der Rest von ihm, der dann ins All zerrinnt,
Sündlos und rein geworden; dann bedarf
Er nicht des Körpers noch des Raumes mehr;
Gewinnt er dennoch wiederum Gestalt,
So füllt er sie mit solchem Inhalt aus,
Dass leicht und leichter alle neuen Mühn
Ihm werden, bis sie ganz verschwunden sind.
Und so »beendet er den Weg«; vom Trug
Der Erde befreit, frei von den Skandhas18
Des Fleisches, durchbrach er die Bande kühn
Der Upādānas19, – ist gerettet nun
Vom Wirbelrad des Lebens; er erwacht
Gesund, so wie ein Mensch sich wohl entreißt
Leidvollen Träumen. Bis er größer dann
Als Kön’ge, seliger als Götter wird,
Der trübe Wahn zu leben endet, und
Des Lebens frei, das Leben selber ihm
Entgleitet in die namenlose Ruh’,
Die Freude namenlos, das selige
Nirvāṇa, jene sündenlose Rast,
Die sonder Regung, jenen Wechsel, der
Nicht mehr den Wechsel kennt!

Sieh da! Es sprang
Empor mit Buddhas Sieg das Morgenlicht!
Sieh da! Im Osten flammten auf zuerst
Des schönsten Tages Strahlen, drangen durch
Das fließend schwarze Schleppgewand der Nacht;
Der Morgenstern hoch in des Himmels Blau
Erbleichte schon zu blassem Silber, als
Von ros’gem Glanze leuchtend Streifen auf
Am grauen Morgenhimmel lohten. Fern
Die schatt’gen Hügel sahn die Sonne schon,
Eh’ noch die Welt sie merkte, und geschmückt
Mit Purpur war’n die Gipfel; Blüt’ um Blüt’
Empfand des Morgens warmen Atemzug
Und schloss die zarten Blumenaugen auf.
Es schwebte über glitzernd Wiesengras
Der schnelle Schritt des holden Lichts dahin,
Verwandelte in heitern Edelstein
Die Tränen, die die Nacht geweint, mit Glanz
Die Erd’ erfüllend; stickte goldnen Saum
Um das entschwebende Gewölk des Sturms;
Vergoldete der Palmen Fächerkranz,
Die frohen Gruß ihm wogten; schoss hinein
In Waldes Lichtungen den goldnen Strahl;
Berührte mit dem Zauberstab den Strom,
Dass er rubinenfarb sich kräuselnd wand;
Fand zu der Antilope mildem Aug’
Im Unterholz den Weg und rief ihr zu:
»Der Tag ist da!« Berührte auch im Nest
Manch Köpfchen, das sich unterm Flügel barg,
Leis flüsternd: »Kinder, preist das Licht des Tags!«
Drauf zwitscherten die Vögel all ihr Lied,
Der Koel20 flötete, die Nachtigall,
Der Ajaxflöter pfiff den Morgensang,
Der Honigsauger zirpt und hüpfte froh davon
Um, eh’ die Bienen ausgeflogen sei’n,
Den Honig zu erspähn; es krächzten auch
Die grauen Krähn; es kreischten Papagei’n;
Des grünen Hammerschmiedes, Meister Specht,
Vergnügtes Klopfen klang, des Beos Lied,
Der Tauben endlos Liebesgirren: Ja,
So heilig wirkt’ an jenem Tag des Siegs
Des Morgens Nahen, dass sich nah’ und fern
Auch auf der Menschen Häuser breitete
Ein nie gekannter Friede. Es verbarg
Den Dolch der Mörder, und die Beute ließ
Der Räuber liegen, und der Wechsler gab
Vollwicht’ge Münze; aller Bösen Herz
Ward milde, güt’ge Herzen milder noch,
Sobald nur jenes gottgeliebten Tags
Beginn mit Trost die Erd’ umleuchtete.
Es schlossen Kön’ge, die beim trotz’gen Werk
Des Krieges waren, Waffenstillstand; von
Dem Schmerzenslager sprang der Kranke auf
Mit frohem Lachen; selbst die Sterbenden
Umschwebt’ ein Lächeln, als erkennten sie,
Dass jener sel’ge Morgen war genaht
Aus Quellen, ferner als der fernste Ost.
Auch übers Herz von Schön Yasōdhara,
Die trauervoll an Prinz Siddārthas Bett
Verlassen saß, kam plötzlich Glücksgefühl,
Als ob all ihre Lieb’ und all ihr Leid
Verwandelt werden sollt’ in sel’ge Lust.
So froh war alle Welt, – obgleich sie das
Warum nicht wusste, – dass die Einsamkeit
Der Wüsten selbst verlorne Töne aus
Der Freude Lied durchstrichen, Stimmen von
Den körperlosen Prets21 und Bhuts22, die schon
Vorahnten Buddhas Werk; und Devas in
Der Luft verkündeten: »Vollendet ist’s!
Vollendet!« Und die Priester standen in
Den Straßen mit erstauntem Volk und sahn
Die goldnen Glorien am Himmel ziehn
Und sprachen: »Großes wohl ist heut’ geschehn!«
Auch war in Ran23 und Dschungel jenen Tag
Bei allen Wesen Freundschaft; furchtlos grast’
Ein scheckig Reh, wo eine Tigerin
Die Jungen säugte; zu dem Teiche, wo
Der Rehbock trank, kam auch der Gepard, sich
Den Durst zu löschen; unterm Fels des Aars
Die braunen Hasen strichen unbesorgt
wo scharfes Horn die ruhend’ Feder putzt;
Die Schlange sonnte ihre bunte Haut
Im warmen Strahl, und in der Scheide hielt
Die gift’gen Zähne sie; der Würger ließ
Vorbei den jungen Finken; träumend tief
Eisvögel saßen da, smaragdengrün,
Indes die Fische drunten spielten; selbst
Der Bienenfresser schnappte nicht, ob auch
Ganz nah die Schmetterling’, purpurn, blau, gelb,
In dichten Scharen flatterten rings um
Den Zweig, auf dem er saß; der Geist des Herrn
Gewaltig ruht’ auf Mensch und Tier, dieweil
Er sinnend unterm Bodhibaum noch saß,
Gekrönt mit Sieg, der für die ganze Welt
Gewonnen, und umstrahlt von einem Licht,
Das leuchtender als selbst des Tages Licht.

Und unterm Baume, strahlend, freudig, stark –
Stand er nun auf, hob seine Stimme laut,
Dass jede Zeit und Welt es hört’, und sprach:

Anékajátisangsârang
Sandháwissang anibhisang
Gahakárakangawesanto
Dukkhájátipunappunang.

Gahakárakadithósi;
Punagehang nakáhasi;
Sabhátephásukhábhaggá,
Gahakútangwisang khitang;
Wisangkháhragatang chittang;
Janhánangkhayamajhagá.

Manches Lebens Haus
Bewohnt’ ich – suchend immer Ihn, des Werk
Der Sinne leiderfüllter Kerker sei;
Schwer war mein rastlos Mühn!
Doch jetzt!
Erbauer dieses Tabernakels, – Du!
Dich kenn’ ich! Nimmer sollst du wieder bau’n
Der Schmerzen Wand,
Noch richten auf des Truges Balkendach
Mit frischem Sparrenwerk;
Zertrümmert ist dein Haus, der First zerbrach!
Der Schein nur formte es!
Heil schreit’ ich fort – Befreiung ist mein Teil.

Fußnoten

1. Der vielgestaltige Gott Shiva, dessen Macht sich nach dem Glauben des Volkes über die verschiedensten Dinge und Verhältnisse des Lebens erstreckte, hatte auch eine große Zahl von Namen; es wird von 1.008 Namen berichtet. [back]

2. »Königssohn«. [back]

3. Beiname des Indra. [back]

4. »Götterkönig«, Beiname des Indra. [back]

5. Der Milchsaft eines Schlinggewächses (Aselepias scida), der ausgepresst und vergoren einen berauschenden Trank liefert. Der Soma-Saft ward beim Opfer den Göttern gespendet, als deren Lieblingsgetränk er galt; auch die Brahmanen wussten ihn zu schätzen. [back]

6. Eine Art heiliges Opfergras. [back]

7. Bodhgayā, der moderne Name des Ortes; in der Legende heißt er Uruvela (Pali) oder Urubilva (Sanskrit). [back]

8. Vgl. Anm. 128. [back]

9. Das heilige Gesetz der Veden. [back]

10. Die religiöse Tradition. [back]

11. Das »Buch des Erkennens«. [back]

12. Das »Buch vom rechten Handeln«. [back]

13. Vgl. Anm. 51. [back]

14. Die Flöte. [back]

15. Lakshmi, die Göttin des Glückes und der Schönheit, überhaupt die Personifikation der Weiblichkeit; sie galt als Gemahlin des Vishnu. [back]

16. Das Symbol der Zeugungskraft der Natur, wurde in Form einer Steinsäule oder eines Kegels verehrt. [back]

17. Vgl. Anm. 63. [back]

18. Vgl. Anm. 70. [back]

19. Vgl. Anm. 90. [back]

20. Der Himmel Indras, wo die niederen Götter und die nach ihrem Tode zur Seligkeit gelangten Menschen wohnen. Dieser selige Aufenthalt wird gewöhnlich auf dem Gipfel des Berges Meru gedacht. [back]

21. Der Indische Koel (Eudynamys scolopaceus) zählt innerhalb der Familie der Kuckucke (Cuculidae) zur Gattung Eudynamys. [back]

22. Trishna, Arati und Ragā werden in der Legende die Töchter des Teufels Mara genannt. [back]

23. Der Zustand eines Sammā-Sambuddha ist eine der Stufen der Erleuchtung. [back]