Band 5: Evolution
H. T. Edge
Vererbung und Evolution
Die wissenschaftliche Erforschung der Evolution ist mit dem Studium der Vererbung und der Zellstruktur verwoben. Ersteres bezieht sich auf Tatsachen der Vererbung, wie sie durch statistische Untersuchungen an Menschen und bei der experimentellen Zucht von Tieren und Pflanzen festgestellt wurden. Die Zellbiologie beinhaltet das Studium von Zellen und ihrer Entwicklung. Eine vollständige Besprechung dieser Themen würde viele Bände erfordern; deshalb können wir hier nur eine Zusammenfassung der Hauptpunkte geben.
Im Lauf der Geschichte folgte eine Theorie der anderen, was an sich schon ein Ausdruck von Evolution ist, weil das ein Bild des Wachstums neuer Ideen unter dem sich ändernden Einfluss neuer Tatsachen ergibt. Frühere Theorien, die auf noch unvollständigeren Kenntnissen basierten, veränderten sich allmählich – und zwar mit den neu hinzugekommenen Erkenntnissen. Ein bekanntes Phänomen bei den meisten Untersuchungen ist, dass neue Fakten – anstatt alte Theorien zu festigen und dadurch die Untersuchungen zu vereinfachen – neue Perspektiven eröffnen. Dadurch wird das Problem immer komplexer. Die bedeutsamsten Fragen, nach deren Lösung gesucht wird, sind:
(1) Welchen Einfluss haben diese Untersuchungen auf die Evolutionstheorien? Unterstützen sie diese oder stehen sie dazu im Widerspruch? Man kann die allgemeine Antwort wohl erraten: Die Untersuchungen machen Anpassungen der Theorien notwendig, trotzdem wird oft mit aller Macht an den alten Theorien festgehalten.
(2) Neigt die Vererbung dazu, Arten beizubehalten oder treten neue Arten auf ? Allgemein kann hierzu gesagt werden, dass beide Phänomene nebeneinander existieren: Bestimmte Faktoren neigen dazu, erbliche Merkmale von Generation zu Generation weiterzugeben, und andere bringen Mutationen hervor.
(3) Ist es möglich, dass der erworbene Charakter an die Nachkommen weitergegeben werden kann? Diese Frage ist mit der nächsten eng verbunden.
(4) Sind Variationen bei der Vererbung dem erworbenen Charakter zuzuschreiben oder entstehen sie in den Mikroorganismen auf eine andere Weise ?
Wir wollen noch einmal bei den früheren Vorstellungen von der Evolution innehalten und der Frage nachgehen, welche Auswirkungen spätere Untersuchungen auf sie hatten. Es wurde die Meinung vertreten, dass neue Arten durch allmähliche, geringfügige Mutationen aus den alten Arten hervorgingen. Die neuen Arten gaben dann durch Vererbung ihre Merkmale weiter. Dieser sich über lange Zeitalter erstreckende Prozess resultierte in einer langsam fortschreitenden Evolution – von den einfachsten bis zu den kompliziertesten Formen. Dies erwies sich als eine zu simple und grobe Theorie. In diesem Zusammenhang kann man das Werk von Bateson als historisch wichtig betrachten. Er war Vorsitzender der Jahresversammlung der British Association for the Advancement of Science im Jahr 1914 in Toronto. Dort hielt er eine bemerkenswerte Ansprache, aus der hier einige Zitate folgen. Er unterschied zwischen einem Verbindungsglied und einer Kreuzung. Als Beispiel führte er zwei verwandte Pflanzensorten an: Melandrium rubrum (Tages-Kuckucksblume) und Melandrium Album (Abend-Kuckucksblume), die gleichzeitig vorkommen – zusammen mit weiteren Pflanzen, die eine Anzahl von zwischen den beiden liegenden Kreuzungen darstellen. Gewöhnlich werden diese als Zwischenstadien betrachtet, in Wirklichkeit aber sind sie nichts anderes als Kreuzungen zwischen den beiden Sorten. Bateson sagt:
Die Kenntnis der Vererbung beeinflusste unsere Ansichten über die Variationen derartig, dass einige sehr kompetente Personen sogar bestreiten, dass es Varianten in der früheren Bedeutung überhaupt gibt. Varianten werden als die Basis aller evolutionären Veränderungen betrachtet. Finden wir tatsächlich in der Welt um uns derartige Varianten, die den Glauben an eine gleichförmig fortschreitende Evolution rechtfertigen? Bis vor kurzem würden die meisten Menschen diese Frage zweifellos mit ‘Ja’ beantwortet haben.
Varianten werden dort angetroffen, wo sich eine Artenvielfalt derselben Art ungehindert kreuzen kann. Diese Spielarten besitzen jedoch mehr oder weniger die Charakteristika des ursprünglichen Typus, von dem sie alle abstammen. Dasselbe Ergebnis wird auch beim experimentellen Züchten erreicht. Worauf es ankommt ist, dass die Spielarten nicht durch das Hinzufügen neuer Merkmale entstehen, sondern durch den Verlust bestimmter Merkmale, die in ihrer Gesamtheit in der Elternpflanze vorhanden waren. Bateson weist auch auf die vielen Haushühnerrassen hin, die alle vom ursprünglichen ‘Gallus Ferrugineus’ abstammen. Diese zahmen Hühner sind keine Übergangsformen zwischen der einen und der anderen Rasse – wie die anfängliche Theorie lautete –, sondern sie sind Produkte des ursprünglichen wilden Huhns. Sie besitzen alle eine Anzahl von Faktoren, die in diesem ursprünglichen Tier vorhanden waren – und zwar in unterschiedlichem Ausmaß. Mit anderen Worten, die zahmen Rassen sind Seitenzweige des ursprünglichen Typus.
Der Name von Hugo de Vries ist mit der Mutations-Theorie verbunden. Seine Experimente bezüglich Vererbung bei Pflanzen brachten ihn zu der Schlussfolgerung, dass Veränderungen viel plötzlicher auftreten können, als vorher angenommen wurde. Die früheren Anhänger der Evolutionslehre meinten, dass Veränderungen nur schrittweise auftreten und sich summieren. Aber er entdeckte, dass aus Sämlingen derselben Pflanze einzelne Pflanzen hervorgingen, die sich nicht nur in geringem Maße, sondern manchmal auch gravierend voneinander unterschieden. In einzelnen Fällen konnte der Unterschied so auffallend sein, dass eine der Pflanzen mit Recht als eine vollständig neue Art betrachtet werden konnte. Solch eine plötzlich auftretende Varietät bezeichnet De Vries als eine Mutation.
Wir beschäftigen uns nun mit der Keimplasma-Theorie von Weismann. Die grundlegenden Vorstellungen dieser Theorie haben noch immer Gültigkeit, obschon spätere Untersuchungen der Zelle den Biologen eine andere Sicht bezüglich mancher Einzelheiten boten. Er war der Ansicht, dass in vielzelligen Organismen bestimmte, bei der Ernährung und anderen vitalen Funktionen eine Rolle spielende Zellen, die Struktur und Substanz des Körpers als individuelle Zellen aufbauen und dass sie auch als individuelle Zellen sterben. Andere Zellen wiederum sterben nicht in dieser Weise, sondern vermehren sich durch Teilung, wie im Fall einzelliger Organismen; sie werden von Generation zu Generation weitergegeben. Dies würde erklären, wie die Eigenschaften der Ureltern über Generationen hinweg aufrechterhalten werden und warum bei Züchtungen der Typus erhalten bleibt. Das lässt die Frage offen, ob diese weitervererbten Zellen durch die Umwelt beinflusst werden oder nicht; oder ob die Ursachen für eventuelle Veränderungen, denen sie unterworfen sind, in der Zelle selbst liegen. Durch ein weitergehendes Studium der Zelle mit Hilfe von Rasterelektronen-Mikroskopen sind eine Anzahl genetischer Faktoren erkannt worden. Für unseren Zweck ist jedoch die Feststellung ausreichend, dass einzelne Zellen mit dem Aufbau und der Ernährung des Körpers in Verbindung stehen und andere der Vererbung dienen.
Später stellte Professor Bateson fest, dass wir bei der Beobachtung der wunderbaren Wirkungsweisen der Zelle und der sie zusammensetzenden Teile Beobachtern eines Schöpfungsaktes gleichkämen. Andere behaupteten mit Bezug auf das Erscheinen der Elemente, es gäbe nicht den geringsten Anhaltspunkt dafür, wie diese sich verhalten würden. Die polare Struktur der Zelle, die in bestimmten Stadien wahrnehmbar ist, und die ausstrahlenden Linien, die den Kraftlinien eines Magneten ähnlich sind, deuten stark auf ein zielgerichtetes Handeln hin. In dieser Weise werden die Wissenschaftler durch die Tatsachen gezwungen, sich immer mehr der unvermeidlichen Wahrheit zu nähern, dass ein Mechanismus allein nichts erklärt, Leben und lebendige Wesen jedoch das Ganze bestimmen.
Diese Untersuchungen auf dem Gebiet der Vererbung und der Zellen zeigen uns, dass Veränderungen im Typus sich verhältnismäßig selten und plötzlich ergeben; und dass, gemäß der allgemeinen Regel, jeder Typus seine eigene Art hervorbringt und zeitlichen Veränderungen unterworfen ist, die eine Folge der Kreuzung und der Umwelt darstellen. Das stimmt mit dem Vorhergesagten bezüglich der verschiedenen Arten organischer Wesen überein, die ursprünglich aus Samen hervorgingen, die in einem sehr frühen Stadium ihrer Evolution vom menschlichen Stamm abgeworfenen wurden. Jeder dieser so abgeworfenen Samen verfolgte dann seine eigene unabhängige Evolution – in Übereinstimmung mit seinem speziellen Typus. Aber in jedem dieser evolvierenden Organismen verbirgt sich eine ‘Monade’, bzw. eine Tier- oder Pflanzenseele. Inzwischen entwickelt sie sich und sammelt Erfahrungen durch ihre Berührung mit der Außenwelt. Dadurch erwirbt sie neue Fähigkeiten; diese bleiben jedoch latent und kommen nicht zum Ausdruck, bis die Zeit gekommen ist, wo die äußeren Umstände es gestatten. Und dann tritt eine dieser ‘Mutationen’ oder plötzlichen Veränderungen auf. Das ist die unsichtbare Ursache, die diese Mutationen auslöst. Deshalb ist es leicht einzusehen, weshalb in bestimmten Perioden, wenn die Bedingungen auf der Erde es erlauben, bestimmte Arten sich zu monströsen und riesigen Formen entwickeln, die es heute nicht mehr gibt. Eidechsen verschiedener Form und Größe gibt es den Umständen entsprechend immer noch, die Dinosaurier des Jurazeitalters sind jedoch ausgestorben.
Vererbung geht üblicherweise als ein Prozess vor sich, durch den körperliche und psychische Eigenschaften und Neigungen der Eltern oder Ahnen auf die Nachkommen weitergegeben werden. Das bedeutet im Falle des Menschen, dass das zur Welt kommende Kind diese Eigenschaften und Merkmale erhält, ohne selbst irgendeinen Einfluss darauf ausüben zu können. Die Wissenschaft hat in den letzten Jahren bei der Lösung der Frage, auf welche Weise sich diese Übertragung vollzieht, große Fortschritte gemacht. Eingehende Untersuchungen der Zellstruktur haben zu der Entdeckung der Chromosomen, der Gene und DNS geführt, worin die Träger der Erbfaktoren gesucht werden müssen. Wenn wir auch die Genialität, mit der Gelehrte sich in der ganzen Welt mit diesem Studium beschäftigen, und ihre wichtigen Entdeckungen sehr bewundern – das Rätsel des Lebens und dessen wesentlicher Ursprung bleiben weit von einer Lösung entfernt.
Es ist verständlich und nichtsdestoweniger notwendig, an dieser Stelle anzumerken, dass die Wissenschaft sich bei ihrer Untersuchung mit den materiellen Aspekten der lebendigen Natur beschäftigt und es in den meisten Fällen ablehnt, dass der wahre Mensch ein spirituelles Wesen ist, das nicht bei seiner Geburt als ein neues Produkt entsteht, sondern eine sehr lange Vorgeschichte besitzt. Seine Anwesenheit auf der Erde in diesem Leben ist nur eine Phase seiner langen Pilgerfahrt. Vor dieser Existenz hat er als Mensch bereits viele Male auf der Erde gelebt, hat Erfahrungen gesammelt und an seinem Charakter gearbeitet. In diesem Leben erscheint er deshalb nicht als ein unbeschriebenes Blatt, er bringt vielmehr seinen eigenen Charakter mit, der das vorläufige Ergebnis seiner langen Vorexistenz ist. Auch wenn es richtig ist, dass bestimmte Eigenschaften und Neigungen, die er zeigt, ‘erblich’ sind – also von Eltern oder Ahnen auf ihn übertragen wurden –, sind diese Faktoren streng genommen nicht ursächlich. Das neue Wesen, das seinen eigenen Charakter mitbringt, ‘sucht’ entlang der dafür bestimmten Kanäle jenes Elternpaar, das ihm die Möglichkeiten bietet, im Anschluss an das bisher erreichte Stadium an seiner Evolution weiterzuarbeiten. Die Eltern verschaffen ihm die Umwelt, die Umstände und den materiellen Körper, den er benötigt. Jeder Mensch erbt deshalb sich selbst – seinen eigenen Charakter; und wenn uns diese ‘Erbschaft’ nicht gefällt, gibt es außer uns selbst nichts und niemanden, dem wir das vorwerfen könnten. Was wir in diesem Leben täglich tun, welche ‘Schätze’ wir für uns sammeln, wird bestimmen, was in der Zukunft unser Erbe sein wird. Dies alles ändert nichts an den Ergebnissen und der Bedeutung der fesselnden wissenschaftlichen Forschung. In Wirklichkeit wird noch ein Element hinzugefügt – nämlich der spirituelle Hintergrund, nicht nur des Menschen, sondern auch der Pflanzen und Tiere, in Wirklichkeit des gesamten geoffenbarten Universums in seiner Ehrfurcht einflößenden Verschiedenartigkeit der Formen.