Das Alter des Menschen

Der Gedanke, der Mensch sei an sich schlecht und seine Erziehung sei nicht viel mehr als eine dünne Schale, ist tiefer verwurzelt, als allgemein angenommen wird. Diesem Gedanken zufolge ist der Mensch den ernsthaften Heimsuchungen des Lebens nicht gewachsen, wodurch sein ‘wahres Gesicht’ schnell ans Tageslicht tritt. Ob diese Meinung aus dem religiösen Glauben an den Sündenfall entsprungen ist oder aus der Überzeugung, dass der Mensch aus niedrigeren Wesen evolvierte, ist nicht von Bedeutung. Dass diese Meinung allerdings einen ungünstigen Einfluss auf das allgemeine Benehmen und Denken des Menschen ausgeübt hat, ist eine Tatsache.

Aber der Mensch hat das, was an ihm wertvoll ist und im tiefsten Kern seines Wesens wohnt, nie ganz verleugnen können. Außerdem hat jedes Volk große Menschen hervorgebracht, die mehr ihrer Intuition vertrauten als allgemein üblichen Meinungen und welche die Menschen in Wort und Tat stets an ihre wahre Herkunft und Bestimmung erinnerten.

Auch die Vorstellung, dass der Mensch ursprünglich zögernd und als Statist auf der Bühne erschien und erst vor verhältnismäßig kurzer Zeit anfing, eine bedeutende Rolle zu spielen, gibt ein falsches Bild des großen Evolutionsdramas auf der Erde. Nach der Alten Weisheit war und ist der Mensch auf der Erde eine wichtige Erscheinung, mit der gesamten Verantwortung, die daraus resultiert – auch für die niederen Wesen, die in irgendeiner Weise in verschiedenen Perioden ihren Ursprung im menschlichen Stamm nahmen. In diesem Zusammenhang müssen wir erneut auf die falsche Annahme hinweisen, die Evolution habe sich entlang einer Linie vollzogen – von primitiven bis hin zu den kompliziertesten Formen. Eine logische Folge dieser Ansicht ist, dass die kompliziertesten Erscheinungen auch die jüngsten wären. Das beinhaltet außerdem, dass der heutige Mensch den gebildetsten und intellektuell und moralisch am weitesten entwickelten Menschentypus repräsentiert und dass die uns vorausgegangenen Völker umso weniger zivilisiert waren, je weiter wir in der Geschichte zurückgehen.

Hinsichtlich dieses Gedankens müssen wir bemerken, dass einige moderne Anthropologen anhand von Funden zu der Schlussfolgerung gelangt sind, dass man bezüglich der Abstammung des Menschen von Polygenese und nicht von Monogenese sprechen muss – also nicht von einer Entwicklung aus einem einzelnen Punkt. Das steht mit der archaischen Weisheitslehre in Übereinstimmung.

Die Menschheit bildet den Stamm, aus dem andere organische Formen zu verschiedenen Zeit hervorgingen. Das ist die theosophische Vorstellung, die jedoch nicht als Dogma akzeptiert werden muss, denn die ans Licht kommenden Tatsachen werden diese Lehre mehr und mehr bestätigen. Selbst wenn wir eine Lehre nicht blindlings akzeptieren und immer mit unserem eigenen Unterscheidungsvermögen die Bestätigung suchen müssen, ist es doch hilfreich und spart sehr viel Zeit, wenn wir Seitenwege vermeiden und von Anfang an über den Schlüssel verfügen. Alle Lehrer stellen Thesen auf, die dann zu beweisen sind; damit appellieren sie an die Vernunft und das Vertrauen ihrer Schüler, die bereit sind, diese Behauptungen vorläufig zu akzeptieren – bis die Zeit kommt, in der sie bestätigt werden können.

Die Forschungsergebnisse der Archäologie in Bezug auf den Ursprung weisen mehr auf die Richtigkeit der theosophischen Lehren hin, als auf die gängigen Theorien. Die Evolution verläuft eher zyklisch als in einer durchgehenden, geraden Linie. Aus Ausgrabungen ist ersichtlich, dass sich primitive Völker ihrer Art und Kultur nach von Völkern, die jetzt auf der Erde leben, nicht unterscheiden. Und neben solchen Primitiven gab es, sowohl in der Vergangenheit als auch heute, mächtige Zivilisationen. Die Menschheit ist in Rassen und in endlose kleinere Gruppierungen unterteilt; und von diesen befindet sich jede in einer speziellen Phase ihrer eigenen Rassenevolution. So finden wir heute auf der Erde Rassen, die aufsteigen, andere, die ihren Höhepunkt überschritten haben, während wieder andere im Begriff sind, sich zurückzuziehen.

Es ist nur wenige Jahrzehnte her, dass die Wissenschaft der Spezies Homo – das heißt den direkten Ahnen des jetzigen Menschen – ein Alter von höchstens 500 000 Jahren zugestand. Neue Funde fossiler Überreste brachten die Archäologen dazu, das Alter mit ungefähr 1,6 und später sogar mit 2,6 Millionen Jahren anzusetzen. Dabei blieb es nicht. Denn in den Jahren 1974 und 1975 wurden in Äthiopien und Tansania Funde gemacht, bei denen die betreffenden Forscher ein Alter von etwa 3,75 Millionen Jahren bestimmten.1

Die Schlüsse, die man aus diesen Funden zog, betrafen nicht nur das Alter der Menschen, deren Überreste man studierte, sondern auch deren einstige Lebensumstände. Das Bild des agressiven Wilden, das man sich meistens von unseren Ahnen machte, wurde durch das einer sozialen Gemeinschaft ersetzt, deren Mitglieder Intelligenz und gegenseitige Solidarität bewiesen. Was die Hominiden anbelangt – das ist die viel größere Kategorie aller Formen der menschlichen Ahnen und daher nicht nur der Spezies Homo Sapiens, über die wir gesprochen haben und die als unsere direkten Vorfahren betrachtet werden müssen –, musste man im Lauf der Zeit das Alter wesentlich erhöhen. Man ging von dem Gedanken aus, dass es ein gemeinsames Glied gegeben haben müsse, aus dem die Hominiden und die Affen hervorgegangen sind; und man meinte, dass die Trennung vor ungefähr sechs oder sieben Millionen Jahren stattgefunden haben müsse. Weitere Untersuchungen zeigten jedoch, dass einige Varianten echter Hominiden bereits vor 15, möglicherweise vor 20 oder mehr Millionen Jahren auf der Erde existierten. Die Spezies Homo erschien also viel später auf der Bühne – vor etwa 3 oder 4 Millionen Jahren; sie ist der direkte Urahne des heutigen physischen Menschen, der anatomisch und der Gehirnentwicklung gemäß uns in etwa entspricht. Hier müssen wir allerdings bemerken, dass nicht alle auf diesem Gebiet tätigen Gelehrten dieselben Auffassungen vertreten, weder in Bezug auf die Bedeutung der Funde noch auf deren Alter.

Die ganze Geschichte der kosmischen Evolution, so wie sie die archaische Weisheitslehre widerspiegelt, ist zu komplex, um hier tiefer erörtert zu werden; wir wiederholen deshalb, dass ein Planeten-Manvantara (die Dauer der Lebenszeit eines Planeten) aus sieben großen Zeitaltern besteht, die als Globenrunden bezeichnet werden. Gegenwärtig befinden wir uns in der vierten Runde.

In jeder Globenrunde gibt es sieben Wurzelrassen und wir sind jetzt in der fünften, die vor ungefähr 5 Millionen Jahren begann. Die erste Wurzelrasse erschien vor etwa 132 bis 150 Millionen Jahren. In seiner physischen Form erschien der Mensch vor 18 Millionen Jahren zum ersten Mal auf der Erde; aber vorher existierte er bereits in feinstofflicheren Formen, die astral oder ätherisch genannt werden.

Die Wurzelrassen sind in Unterrassen eingeteilt; und die Unterrassen ihrerseits sind wieder mehrfach unterteilt; die Zivilisationen der verschiedenen Rassen, die heute auf der Erde existieren, vertreten somit kleinere Äste.

Fußnoten

1. Die archäologischen Forschungen befinden sich in einer ständigen Entwicklung. Michael A. Cremo und Richard L. Thompson fassen in ihrem Buch Verbotene Archäologie (Bettendorf’sche Verlagsanstalt, ISBN 3-88498-070-X) zusammen: „ … bleibt die Schlussfolgerung, dass der Gesamtbefund (Fossilien und Artefakte eingeschlossen) sich bestens mit der Ansicht vereinbaren lässt, dass anatomisch moderne Menschen und andere Primaten seit mehreren zehn Millionen Jahren nebeneinander gelebt haben“. [back]