In den alten Zeiten, als die Welt große Zivilisationen kannte, bildete die von uns heutzutage als Psychologie bezeichnete Wissenschaft von der Seele einen Bestandteil des in den Mysterienschulen unterrichteten Wissens, welche zu diesen Zeiten die Hüter einer heiligen Wissenschaft waren. Dieses Wissen umfasste Lehren über das Leben, den Tod, den Menschen und das Universum, Lehren religiöser, philosophischer und wissenschaftlicher Art.

Unsere heutige Wissenschaft hat in den vergangenen hundert Jahren in technischer Hinsicht gewaltige Fortschritte gemacht, auch wenn wir hinzufügen müssen, dass wir nicht wissen, welche Höhen die Wissenschaften der früheren Zivilisationen, die jetzt vom Erdboden verschwunden sind, in dieser Hinsicht erreicht hatten.

Aber im Allgemeinen können wir sagen, dass unsere heutigen Religionen, Philosophien und Wissenschaften – im geistigen Sinne – nur vage Widerspiegelungen der archaischen Kenntnisse der Mysterienschulen darstellen.

Dieses alte System war früher in der ganzen Welt bekannt und wird heute mit verschiedenen Bezeichnungen angedeutet, wie z.B. Weisheitsreligion, Geheimlehre, Esoterische Tradition, archaische Weisheit oder Theosophie. Beweise dafür kann man durch ein vergleichendes Studium der fundamentalen Lehren und der Symbolik aller alten Weltreligionen finden, so auch in der Bibel. Dasselbe trifft auch auf die ehemaligen großen Philosophien zu. In diesem Zusammenhang können wir Pythagoras mit seiner esoterischen Schule in Krotona, Platon mit seiner Akademie in Athen und die Stoiker anführen, zu denen der berühmte Marcus Aurelius zählt. Trotz der verschiedenen Formen ihrer Systeme zeigt sich deutlich, dass sie Lehrer derselben Weisheitsreligion waren. Wer sich dafür interessiert, kann auch in den über die ganze Erde verstreuten Überresten Beweise für das archaische Wissen finden.

Eine der bedeutendsten Lehren dieser Mysterienschulen war die von der siebenfältigen Beschaffenheit des geoffenbarten Universums und des Menschen als dessen Kind. Laut den theosophischen Lehren gründen alle Prozesse der ‘Schöpfung’ auf Zahlen. Die Sieben ist dabei eine Schlüsselzahl. Sie stellt den Grundstein der gesamten Evolution dar, sowohl der materiellen als auch der spirituellen. Wir kennen z.B. die sieben Schichten der menschlichen Haut, die sieben Töne unserer Tonleiter, die sieben Farben des Spektrums, die sieben Schöpfungstage aus der Genesis, die sieben Tage­ der Woche und so weiter. Es ließen sich noch viele Beispiele dieser siebenfachen Einteilung finden; und es ist nur natürlich, wenn wir von der siebenfältigen Konstitution des Menschen sprechen.

Einleitung

In den alten Zeiten, als die Welt grosse Zivilisationen kannte, bildete die von uns heutzutage als Psychologie bezeichnete Wissenschaft von der Seele einen Bestandteil des in den Mysterienschulen unterrichteten Wissens, welche zu diesen Zeiten die Hüter einer heiligen Wissenschaft waren. Dieses Wissen umfasste Lehren über das Leben, den Tod, den Menschen und das Universum, Lehren religiöser, philosophischer und wissenschaftlicher Art.

Unsere heutige Wissenschaft hat in den vergangenen hundert Jahren in technischer Hinsicht gewaltige Fortschritte gemacht, auch wenn wir hinzufügen müssen, dass wir nicht wissen, welche Höhen die Wissenschaften der früheren Zivilisationen, die jetzt vom Erdboden verschwunden sind, in dieser Hinsicht erreicht hatten.

Aber im Allgemeinen können wir sagen, dass unsere heutigen Religionen, Philosophien und Wissenschaften – im geistigen Sinne – nur vage Widerspiegelungen der archaischen Kenntnisse der Mysterienschulen darstellen.

Dieses alte System war früher in der ganzen Welt bekannt und wird heute mit verschiedenen Bezeichnungen angedeutet, wie z. B. Weisheitsreligion, Geheimlehre, Esoterische Tradition, archaische Weisheit oder Theosophie. Beweise dafür kann man durch ein vergleichendes Studium der fundamentalen Lehren und der Symbolik aller alten Weltreligionen finden, so auch in der Bibel. Dasselbe trifft auch auf die ehemaligen großen Philosophien zu. In diesem Zusammenhang können wir Pythagoras mit seiner esoterischen Schule in Krotona, Platon mit seiner Akademie in Athen und die Stoiker anführen, zu denen der berühmte Marcus Aurelius zählt. Trotz der verschiedenen Formen ihrer Systeme zeigt sich deutlich, dass sie Lehrer derselben Weisheitsreligion waren. Wer sich dafür interessiert, kann auch in den über die ganze Erde verstreuten Überresten Beweise für das archaische Wissen finden.

Eine der bedeutendsten Lehren dieser Mysterienschulen war die von der siebenfältigen Beschaffenheit des geoffenbarten Universums und des Menschen als dessen Kind. Laut den theosophischen Lehren gründen alle Prozesse der ‘Schöpfung’ auf Zahlen. Die Sieben ist dabei eine Schlüsselzahl. Sie stellt den Grundstein der gesamten Evolution dar, sowohl der materiellen als auch der spirituellen. Wir kennen z. B. die sieben Schichten der menschlichen Haut, die sieben Töne unserer Tonleiter, die sieben Farben des Spektrums, die sieben Schöpfungstage aus der Genesis, die sieben Tage der Woche und so weiter. Es liesen sich noch viele Beispiele dieser siebenfachen Einteilung finden; und es ist nur natürlich, wenn wir von der siebenfältigen Konstitution des Menschen sprechen.

In der Bibel lesen wir, dass Paulus den Menschen in drei Elemente einteilt: in Körper, Seele und Geist. Dies stellt eine Vereinfachung der siebenfältigen Einteilung dar, was auch im Folgenden erläutert wird. Paulus war ein Initiierter der Mysterienschulen der alten Weisheitsreligion, und er kannte das dort gelehrte vollständigere System. Es war und ist aber einem in die Mysterien Initiierten nicht erlaubt, alles zu veröffentlichen.

Obschon die christliche Theologie diese Dreifaltigkeit akzeptiert, sagt sie nur wenig über das Wesen der Seele und den Unterschied zwischen Seele und Geist. Auch in der Psychologie, die doch die Wissenschaft der Seele ist, werden hauptsächlich unsere physiologischen mentalen Tätigkeiten, unsere Emotionen, Ängste, die Triebe der leidenschaftlichen Natur usw. studiert, während den wahren geistigen Aspekten des Menschen zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet wird. Dabei bilden diese den zentralen Kern und die Quelle seines Wesens. Bei manchen großen Psychologen, wie zum Beispiel bei Professor Jung, kann eine Änderung der Ansichten bemerkt werden. Sie entdeckten, dass – solange man die menschliche Seele nur als einen Komplex halb-physiologischer Reaktionen betrachtet – dies bei weitem nicht das ganze Gebiet des inneren Lebens des Menschen umfasst. Allmählich sickert die Erkenntnis durch, dass dieser höhere Aspekt des menschlichen Bewusstseins eine weitaus größere Bedeutung hat.

Die Monade

Damit wir die zusammengesetzte Natur des Menschen und seine sieben Prinzipien erklären können, muss als erstes eine kurze Skizze davon gegeben werden, was die Theosophie über die Evolution zu sagen hat.

Nach der Weisheitsreligion bedeutet Evolution ‘sich Entfalten’, ‘sich Entwickeln’; mit anderen Worten, es ist ein Prozess, in dem Qualitäten oder Eigenschaften, die latent und unsichtbar in der inneren Natur eines jeden Wesens verborgen liegen, in zunehmendem Maße zur Offenbarung kommen und tätig werden. Wenn ein Samen noch nicht gekeimt hat, sind seine Eigenschaften noch unsichtbar und nur latent vorhanden. Aber wenn die Zeit und die Umstände geeignet sind, beginnen die latenten Eigenschaften sich zu entwickeln und zu entfalten; und sie werden sichtbar. So bringt z. B. eine Eichel zuerst einen zarten Sprössling zum Vorschein und wird schließlich zu einer hoch gewachsenen, majestätischen Eiche.

Alle Organismen, das heißt alle Lebewesen – Pflanzen, Tiere, Menschen – wachsen aus einem Samen. Bei den Menschen und den meisten Tieren sind diese Samen so klein, dass man sie mit dem bloßen Auge nicht wahrnehmen kann. Und trotzdem kann jede dieser äußerst kleinen vitalen Zellen zu einem 1,80 Meter großen Menschen mit all seinen komplexen Fähigkeiten oder zu einem riesigen Elefanten mit seinen hochspezialisierten Organen heranwachsen.

Wie ist es möglich, dass ein mit dem bloßen Auge nicht sichtbarer Same – auf magisch anmutende Weise – z. B. zu einem genialen Menschen, zu einem großen Musiker oder Erfinder heranwächst? Warum liegt dieses Gesetz der Entwicklung von innen nach außen, vom Unsichtbaren zum Sichtbaren, der Evolution zugrunde? Das rührt daher, dass dem Herzen eines jeden Samens ein Element oder Prinzip innewohnt, das wir die lebende ‘Geist-Seele’ nennen. Diese ‘Geist-Seele’ ist ein Funken der universalen Geist-Seele und wird in modernen theosophischen Schriften als ‘Ātman-Buddhi’ bezeichnet. Durch den Drang dieser unsichtbaren Geist-Seele nach Selbstausdruck beginnt der Kern eines Organismus sich auszudehnen und entfaltet seine eigenen Kräfte durch die Entwicklung von Fähigkeiten und Funktionen – von innen nach außen. Natürlich wird dieser Organismus durch den Einfluss der Umgebung und des Milieus genährt und unterstützt. Wäre jedoch dieser lebendige, spirituelle Drang nicht in dem Kern vorhanden, würde die Saat nicht aufgehen und keine Früchte tragen. Tote Saat wächst nicht, wie günstig die Lebensbedingungen und das Milieu auch sein mögen. Entdeckungen jüngeren Datums auf dem Gebiet der Archäologie und der Anthropologie haben dazu beigetragen, dass die ultramoderne Wissenschaft ihre Evolutionstheorien nicht länger auf die sichtbaren und äußeren Formen der Natur beschränkt. In diesem Zusammenhang kann man ohne weiteres davon ausgehen, dass weitere wissenschaftliche Untersuchungen auf dem Gebiet der Evolution und der Psychologie sowie der Parapsychologie allmählich zu einer Bestätigung der diesbezüglichen theosophischen Lehren führen werden. Denn nicht nur der Körper, sondern auch der Verstand und die Seele eines Wesens sind jeweils einem eigenen Evolutionsprozess unterworfen. Wenn die Evolution ein Naturgesetz ist, bleibt von der Wirksamkeit dieses Gesetzes nichts ausgeschlossen. In jedem Partikel der Materie ist ein Funke des einen, universalen, unvergänglichen LEBENS eingeschlossen. Dieser Funke wird in der Theosophie die Monade genannt. ‘Monade’ ist ein Wort, das dem Griechischen entlehnt wurde. Es bezeichnet eine Einheit, eine Unteilbarkeit. Diese Monade ist ein Punkt, ein Zentrum vollständigen, individualisierten, nicht zerstörbaren Bewusstseins, das, wie bereits gesagt, seinen Ursprung im zentralen universalen LEBEN hat. Solch eine Monade lebt im Kern eines jeden Organismus, vom Atom bis zum Stern.

Aber diese Monaden befinden sich auf sehr unterschiedlichen Stufen der Evolution. Beispielsweise ist die Monade eines Atoms aus dem Mineralreich weit weniger evolviert oder entfaltet als eine Monade, die auf ihrer aufsteigenden evolutionären Reise der Selbstentwicklung das Pflanzen- oder Tierreich erreicht hat. Die Monade im Zentrum eines Menschen ist unermesslich höher entwickelt als die beiden zuletzt genannten Reiche. Sie hat nach äonenlanger, immer weiter fortschreitender Selbstentwicklung sämtliche Stadien der Materie in den niederen Naturreichen durchwandert und ist schließlich an dem Punkt angelangt, wo sie ihre eigenen schlummernden intellektuellen und spirituellen Fähigkeiten bis zu einem so hohen Grade entwickelt hat, dass sie sich als ein menschliches Wesen offenbaren kann.1

Dem Kern eines jeden physischen Atoms wohnt eine Monade inne. Das physische Atom ist der äußere Körper oder das Vehikel, dessen sich die Monade bedient und mittels dessen sie sich zum Ausdruck bringt. Wenn die Monade ein chemisches Atom beseelt, beginnt sie ihre Reise am Fuße der evolutionären Leiter. Und sie wandert über unzählige Zeitalter hinweg von einem Naturreich zum nächsten und folgt dabei dem Pfad, der sie in immer höhere Stadien der Evolution führt.

Wir können diesen Prozess teilweise nachvollziehen, wenn wir das Wachstum einer Pflanze beobachen. Hinter, über oder in jeder Pflanze befindet sich das, was wir eine ‘Pflanzen-Monade’ nennen könnten, mit anderen Worten eine spirituelle Monade, die ihre evolutionäre Reise durch das Pflanzenreich unternimmt. Ein kleiner Same wird in die Erde gelegt. Sobald die richtigen Umstände eintreten, ‘erwacht’ die schlummernde oder latente Energie, die darin eingeschlossen liegt; und ein Prozess beginnt, in dem der Same aus der Erde heraus ein Pflanzen-Vehikel für sich selbst aufbaut. In ähnlicher Weise formt die Monade für sich selbst immer höhere Vehikel, während sie durch das Elemental-, Mineral-, Pflanzen-, Tier- und Menschenreich aufwärts schreitet, um schließlich in menschlichem Gewand zur Blüte zu kommen.

Es sind die Monaden, die durch ihre Tätigkeit nicht nur die Evolution hervorbringen, sondern auch selbst das Material der Evolution bilden. Die Monaden von hohem, mittlerem und niedrigem Entwicklungsgrad beseelen und erbauen alle für uns sichtbaren und unsichtbaren Manifestationen von Leben – spiritueller, intellektueller, psychischer und physischer Art. Sie folgen dabei dem spirituellen Drang, der im Herzen einer jeden Monade existiert, dem ursprünglich in der zentralen universalen Quelle des Lebens ausgelösten Drang.

Diese Monaden formen durch ihren inneren Lebensdrang, ihre Aktivitäten und die sich allmählich entfaltenden Wesensmerkmale die unsichtbaren Teile der Natur – die unsichtbare Welt, die von unvorstellbar größerem Umfang und Ausmaß ist, als die sichtbare. Hier, in diesen inneren Reichen, wirken die unzähligen Scharen unsichtbarer Monaden, die also die Ursache der sichtbaren Evolution sind.

Bevor wir zur Betrachtung des Menschen und seiner siebenfältigen Konstitution übergehen, müssen wir folgende Frage beantworten: ‘Worin liegt der Zweck dieser ganzen monadischen Evolution von einem Naturreich ins andere, von einer Ebene zur anderen?’ Die Antwort lautet wie folgt: Jede große solare Evolutionsperiode wird in den theosophischen Lehren als ein Manvantara bezeichnet. In dieser solaren Periode, oder dem Manvantara, tritt die Monade den Anfang ihrer Reise als ein nicht-selbstbewusster Gottesfunke an. Und das Ziel ihrer Reise durch alle Lebensformen in diesem solaren Manvatara ist, dass sie zu einem vollständig selbstbewussten, göttlichen Wesen heranreift. Wenn das Ende dieser solaren Periode kommt, wird eine Monade, die ihre Evolution erfolgreich vollendet hat, Kenntnisse aus eigener Erfahrung über sämtliche Lebensformen besitzen – sie wird in der Tat all diese Lebensformen in diesem Manvantara gewesen sein. Sie wird sich am Ende mit Hilfe von höher evolvierten Wesen die Fähigkeit angeeignet haben, selbstbewusst all diese Erfahrungen zu verstehen, zu assimilieren und zu benutzen. So wird sie in dem Manvantara, das sie gerade durchlief, ein selbstbewusster Gott, ein Meister der Weisheit und des Lebens. In einem nachfolgenden solaren Manvantara wird die Monade ihre Erfahrungen fortsetzen, um noch höhere Stufen der Evolution und des Wissens zu erreichen.

Die Monade im Innersten eines jeden von uns ist bereits weit auf ihrem Weg vorangekommen, ein solcher selbstbewusster Gott zu werden. Und das bedeutet natürlich, dass wir alle, die wir in Wirklichkeit – auch wenn wir uns dessen nicht bewusst sind – unsere eigene Monade sind, dazu bestimmt sind, am Ende des Sonnenmanvantaras, das wir jetzt durchlaufen, als herangereifte, alles verstehende Götter hervorzugehen.

Einer der schönsten Aspekte dieser Lehre ist, dass wir, indem wir diese evolutionäre Leiter des Seins hinaufsteigen, die evolutionären Möglichkeiten sämtlicher Atome und Wesen wachrufen und stimulieren, mit denen wir auf allen Erfahrungsebenen in Berührung kommen. Es ist ein Gesetz des Universums – mit anderen Worten, es ist im Wesen aller Dinge eingeschlossen –, dass wir selbst nicht höher steigen können, ohne alle anderen mehr oder weniger mitzuziehen.

Was das hinsichtlich unserer moralischen Verantwortung bedeutet, darüber sollten wir uns alle Gedanken machen.

Die höhere Triade

Der Mensch selbst ist nicht nur eine Monade, die sich eines materiellen Körpers bedient. Er ist das Produkt verschiedener Evolutionslinien, vereint in der zusammengesetzten Natur, die uns allen so vertraut ist. Eine Monade könnte unmöglich direkt durch einen menschlichen Körper wirken. Die Monade ist reines Geist-Bewusstsein, der Körper aber aus grober Materie gebildet, die zu dicht und zu träge ist, um der Monade direkt als Arbeitsfeld dienen zu können. Sie würde den Körper sozusagen verzehren, ebenso wie elektrischer Strom den Körper vernichten kann. Deshalb sind vermittelnde Elemente zwischen der Monade und dem Körper notwendig. Diese Elemente müssen von einer ätherischeren und spirituell empfindlicheren Natur sein als die physische Materie, da sie als ‘Transformatoren’ fungieren müssen. Sie müssen die spirituellen Energien der Monade umsetzen und in den materiellen Organismus leiten. Dann kann die leitende Kraft der Monade durch die Erfahrungen in der menschlichen Existenz unsere Evolution beseelen und regeln. Man muss ebenso bedenken, dass die Monade, die durch einen Menschen wirkt, unendlich viel weiter evolviert und mächtiger ist als die verhältnismäßig unentwickelte Monade, die sich zum Beispiel in Form eines Atoms in einer Pflanze zum Ausdruck bringt.

Das Denken stellt eine dieser ätherischeren Formen der Energiesubstanz dar, welche die Monade als Vehikel benutzt, um ihre Energien auf unser irdisches Gebiet zu transformieren. Das Denken ist eine ganz bestimmte Linie, entlang derer sich die menschliche Evolution vollzieht. Unser Denkvermögen entwickelt sich fortwährend entlang seiner eigenen Linien, während unser Körper nach seinem speziellen Muster wächst und sich entwickelt. Die Evolution unseres Denkens vollzieht sich parallel zur geistigen Evolution der Monade ‘darüber’ und auch parallel zur Evolution des Körpers und seiner vitalen Energien ‘darunter’. Das Denkvermögen ist das Bindeglied zwischen Körper und Monade.

Das war es, was der Apostel Paulus meinte, als er die Natur des Menschen in Körper, Seele und Geist einteilte. Die Seele ist das Bindeglied in der Konstitution des Menschen; und eine der wichtigsten Funktionen dieser Seele oder dieses vermittelnden Teils unseres Wesens ist unter anderem die des Verstandes oder des Intellekts, der seinerseits auch wieder höhere und niedere Aspekte hat.

Alles, was wir als Menschen sind, verdanken wir letztlich der monadischen Essenz, die das Innerste einschließt. Unsere spirituelle Intelligenz, unsere Instinkte für edles Denken, für freundliches und brüderliches Handeln, die Impulse des Mitleids, die unser Herz erfüllen, die Liebe, die uns so ziert, die erhabensten Intuitionen, derer unsere Natur fähig ist – alles das leitet sich von der Monade ab und findet dort seine Wurzeln. …

Nun ist die Seele, ebenso wie die Monade, in Wirklichkeit eine zusammengesetzte Wesenheit. Sie ist lediglich die einkleidende oder psychomentale Hülle einer Monade, die durch jene besondere Phase ihrer immerwährenden Wanderschaft in bestimmter Zeit und durch den hierarchischen Raum geht. Die Ausdrucksform dieser Monade auf irgendeiner Ebene ist eine Seele. Die Seele wirkt ihrerseits durch ihr eigenes, ätherisches oder physisches Vehikel.

– G. DE PURUCKER, Quelle des Okkultismus, II:57/58

Woher stammen diese Elemente im Menschen? Wie bereits erklärt, hat die Monade ihren Ursprung im universalen kosmischen Leben oder dem allgegenwärtigen Geist und ist seine Emanation. In einem gewissen Sinn ist der Mensch sein unsterbliches Wurzelprinzip selbst. Aber was ist der Ursprung des Denkvermögens?

Das Denkvermögen ist in der Monade latent als Prinzip vorhanden. Da die Monade dem zentralen Feuer des kosmischen Geistes entspringt, das alle Dinge in sich enthält, bewahrt sie in sich selbst alle Möglichkeiten. Jeder Teil enthält in der Potenz alles, was das Ganze enthält. Ein Funke hat dieselbe Natur wie die Flamme, aus der er entstand. Ein Tropfen des Ozeans ist im Kleinen all das, was der Ozean ist. Hieraus folgt, dass jede Monade, als Teil des kosmischen Ganzen, alle Elemente, Potenzen und Möglichkeiten in sich enthält, welche die Evolution während der Lebensdauer unseres Universums zur Entwicklung bringen kann. Aber zu Beginn dieser universalen Lebensperiode sind die genannten Potenzen lediglich latent vorhanden; oder sie befinden sich in einem schlummernden, unentwickelten Zustand. Während die Äonen verstreichen und die Monade ihre evolutionäre Pilgerfahrt fortsetzt und sich aus den unsichtbaren spirituellen und ursächlichen Welten ‘nach außen’ in die sichtbare Welt der Formen und Folgen begibt, werden die latenten Potenziale – mineralische, pflanzliche und tierische – allmählich entfaltet und entwickelt. Schließlich kommt der Zeitpunkt, an dem die Monade das Stadium erreicht hat, in dem sie sich in das Kleid des Menschseins hüllen kann. Alle niedrigeren Fähigkeiten sind vollkommen entwickelt und jetzt ist der Punkt für die Evolution entlang der mentalen und intellektuellen Linien erreicht.

Vor Millonen von Jahren unserer Evolution fand das statt, was H. P. Blavatsky in der Geheimlehre als die Inkarnation der Mānasaputras bezeichnet. Wie bereits erklärt, steht die Monade weit über der menschlichen Ebene – zu hoch sogar, um in der Konstitution des Menschen das intellektuelle Prinzip zur Tätigkeit erwecken zu können. Das war der Grund, weshalb das manasische oder denkende Prinzip anfangs noch immer ‘schlief’. Dieser Umstand wird von W. Q. Judge in seinem Buch Das Meer der Theosophie folgendermaßen erklärt:

Die Evolution entwickelte die niederen Prinzipien und schuf schließlich die Gestalt des Menschen, mit einem Gehirn, das eine bessere und größere Kapazität aufwies als die jeden anderen Tieres. Dieser menschenförmige Mensch war jedoch noch kein denkender Mensch. Er benötigte das fünfte Prinzip, das Denkvermögen, das Wahrnehmungsvermögen, damit er die volle Trennung vom Tierreich herbeiführen und die Fähigkeit des Selbstbewusstseins erlangen konnte.

– S. 74

Der Intellekt des Wesens, das in diesem Moment beinahe ein Mensch war und von seiner Monade überschattet wurde, hatte deshalb einen Funken, einen Impuls nötig, um zu erwachen und sich seiner selbst bewusst zu werden.

Dieser ‘Funke’ oder erweckende Impuls wurde jenen evolvierten menschlichen Vehikeln der Monade von den ‘Söhnen des universalen Denkens’ überbracht. Sie werden in der Esoterischen Tradition die Mānasaputras oder die ‘Söhne des Denkens’ genannt. Diese Wesen, die Mānasaputras, bilden eine Hierarchie, Reihe oder Klasse von spirituellen Wesenheiten. Sie vollendeten ihre intellektuelle Evolution in einem längst vergangenen Zyklus. Die höchsten dieser Mānasaputras sind deshalb in ihrer Evolution so weit vorangeschritten, dass sie den Status von kosmischen Göttern erreicht haben. Sie sind große Bewusst-Seine, welche die Hierarchie des intellektuellen Selbstbewusstseins in unserem Universum bilden und darstellen. Als große Hierarchie oder Gruppe sind sie Mahat oder das universale Denkvermögen, gemäß H. P. Blavatskys Bezeichnung in der Geheimlehre.

Es waren die Mānasaputras oder die Söhne des kosmischen Denkens, die sozusagen den Funken, den schöpferischen Impuls überbrachten, der das Denkvermögen im menschlichen Vehikel erweckte, das inzwischen von der Monade für diesen Zweck entwickelt worden war. Dies erinnert an die bekannte griechische Legende von Prometheus, der das Feuer der Götter stahl und es den Menschen brachte. Daraufhin wurde er von Zeus zur Strafe an einen Felsen gekettet.

Dieser Prozess hat etwas mit dem Anzünden einer Kerze gemeinsam. Es kann keine Flamme entstehen, wenn der Brennstoff nicht so vorbereitet wurde, dass man die Kerze anzünden kann. Beim ‘Entflammen’ des Denkvermögens im evolvierten menschlichen Vehikel könnte man den Menschen mit einer Kerze vergleichen. Er hatte ein psychologisches Vehikel oder Instrument, das von der Monade entwickelt worden war, die ihn in langen Äonen überschattete. Auch die Naturkräfte trugen dazu bei, dass – als die Zeit reif war – der kreative ‘Lichtblitz’ durch die Mānasaputras gegeben werden konnte, um eine Flamme auflodern zu lassen, die nie mehr ausgelöscht werden kann. So wurde das, was nur der Form nach ein Mensch war, jetzt wirklich zu Manas, dem Denker. Und dieses denkende Prinzip verband die Monade mehr oder weniger direkt mit der tierischen Natur, wodurch die Evolution des Menschen enorm beschleunigt wurde.

Wie bereits gesagt wurde der Mensch zum wirklichen Menschen. Aber wodurch unterscheidet sich der Mensch vom Tier? Durch die Vernunft, das Vermögen zu denken, zu argumentieren und zu planen. Der Mensch wird nicht wie das Tier lediglich durch den Instinkt geleitet. Er ist selbstbewusst. Das Ego ist in ihm stark entwickelt, der Teil, der erkennt: ‘Ich bin ich und niemand anders. Ich bin ich selbst, nicht meine Umgebung. Ich bin getrennt von allen anderen Dingen. Ich bin imstande, diese anderen Dinge zu beeinflussen und sie meinen eigenen Zielen unterzuordnen und kann so meine Umgebung kontrollieren. So kann ich meiner Bestimmung die Form geben, die am besten zu mir passt.’

Nur der Mensch verfügt über die Kraft des selbstbewuss-ten, freien Willens. Er hat die Fähigkeit, frei zu wählen. Und diese Fähigkeit resultiert aus dem Manas, dem Ego, dem selbstbewussten Denker, den die Mānasaputras in ihm erweckten. Wenn das aber so ist, woher kommt es, dass der Mensch, zumindest gegenwärtig, die Kraft seines freien Willens über sich selbst und sein Schicksal nicht besser zum Ausdruck bringen kann? Die Widerstände, die einem freieren Gebrauch unseres Willens im Wege stehen, sind karmischer Natur und also eine Folge unseres eigenen Handelns in der Vergangenheit. Wir werden in der Ausübung unseres freien Willens nur scheinbar durch äußere Einflüsse behindert. Tatsächlich sind wir selbst und die Folgen unseres Handelns die Ursache dafür.

Die Kenntnis des karmischen Gesetzes kann wesentlich dazu beitragen, das Problem zu lösen. Manas, das Denkprinzip, ist in seinen höheren Aspekten ein Teil von dem, was wir die ‘Höhere Triade’ im Menschen nennen. Aber bevor wir mit dem Studium der beiden weiteren Prinzipien beginnen, die zu dieser höheren Triade gehören, betrachten wir zunächst einmal die gesamte zusammengesetzte Konstitution des Menschen.

Für die Beschreibung der verschiedenen Aspekte unserer siebenfachen Konstitution werden Sanskritausdrücke benützt. Dies ist notwendig, weil in den modernen Sprachen keine geeigneten Ausdrücke zur Verfügung stehen. Die westliche Wissenschaft, Religion und Philosophie haben die Kenntnis der metaphysischen und spirituellen Tatsachen des Seins seit so langer Zeit vergessen, dass die Bezeichnungen für diese höheren und niederen Bewusstseinszustände sich nicht entwickelten. Im Osten jedoch wurde die geheime Wissenschaft oder Esoterische Tradition am Leben erhalten. Deshalb gibt es im Sanskrit alle korrekten und notwendigen Bezeichnungen, um die sieben Prinzipien der menschlichen Konstitution auf einfache Art verständlich zu machen. Ein anderer Grund für die Verwendung des Sanskrit besteht darin, dass wir die Worte international verwenden können und sich dadurch lange Beschreibungen vermeiden lassen. Im folgenden Diagramm deuten die Klammern auf die gegenseitigen Zusammenhänge und einige Wechselbeziehungen hin.

Höhere Triade { Ātman
Universales Selbst
} Die Monade
Buddhi
Spirituelles Selbst
Manas
Denkvermögen
} Persönlichkeit
Niedere Vierheit { Kāma
Wunschprinzip
Prāṇa
Lebensprinzip
   
Linga-Śarīra
Astralkörper
   
Sthūla-Śarīra
Physischer Körper
   

Aus diesem Diagramm können wir ersehen, dass das, was wir die Monade genannt haben, zweifältig ist – zusammengesetzt aus zwei Prinzipien, Ātman und Buddhi. Und trotzdem haben wir immer von der Monade als von einer Einheit von Bewusstsein gesprochen. Wenn man aber einmal begreift, was diese zwei Prinzipien sind, wird man auch ihre untrennbare Existenz in der menschlichen Evolution verstehen.

Das Sanskritwort Ātman bedeutet Selbst. Jedes Wesen, wie klein oder groß auch immer, ist ein Selbst. All diese vielen Myriaden von Selbsten sind aus dem einen kosmischen Selbst hervorgegangen, dem universalen Ātman oder dem kosmischen Leben, so wie Funken einer Flamme entspringen. Es gibt ein Selbst oder◊√ Ātman unseres Universums; diesem Ātman entnahm das lebenspendende Bewusstsein unseres Sonnensystems sein individuelles Ātman; und so immer weiter, die majestätische Leiter der evolvierenden Wesen hinab, bis wir zum Menschen kommen. Aus dem Ātman des Menschen sind die Funken aller Wesen in den unter uns stehenden Reichen entsprungen, auch die der Atome, Elektronen und Elementale, monadische Selbste, die letzten Endes auf das universale Ātman oder auf das Selbst des Universums zurückgehen.

An der Wurzel des Wesens des Menschen wohnt sein Ātman, das ICH BIN, sein Selbst – die Erkenntnis, dass er existiert, dass er lebt. Diese Empfindung des ICH BIN ist universal. Sie ist bei allen Wesen gleich. Sie ist universal in allem, was ist, weil das innerste spirituelle Bewusstsein eines jeden Organismus ein integraler Teil des universalen Selbstes oder Ātman ist, so wie der Tropfen ein integraler Teil des allumfassenden Ozeans ist. Jeder Tropfen ist dem Wesen und der Zusammensetzung nach jedem anderen Tropfen und dem Ozean selbst gleich.

Dieses ICH BIN ist für den Suchenden manchmal schwer zu verstehen, wenn er noch niemals darüber nachgedacht hat. Wir sind alle vertraut mit dem Ego, das eigentlich alles vergegenwärtigt, was wir von uns selbst wissen. Wir sind sozusagen durchdrungen von dem Bewusstsein, dass wir anders sind als all die anderen. Wir können vielleicht eine Ahnung davon haben, was gemeint ist, wenn wir ein sehr kleines Kind betrachten. Oder wir können es in uns selbst erfahren, wenn wir am Morgen erwachen, wenn wir uns bewusst sind, dass wir leben und uns behaglich fühlen, aber noch nicht auf die schwierigen Seiten des täglichen Lebens eingestellt sind.

Ātman, das Bewusstsein von ICH BIN in jedem von uns, ist universal und deshalb anders als das Ego oder Manas, dem die Empfindung ‘Ich bin ich’ entspringt. Dieses Ego-Bewusstsein ist in jedem Menschen verschieden, während, wie gesagt, das reine Selbstbewusstsein, die Empfindung zu leben und tätig zu sein, in allen Geschöpfen gleich ist – und zwar sowohl in menschlichen als auch in anderen Wesen. Wenn einmal dieses ‘Selbstbewusstsein’, das universalen Ursprungs ist und die Grundlage eines jeden Wesens bildet, allgemein akzeptiert wird, wird das zu wahrer spiritueller Bruderschaft führen und unsere höchsten, spirituellen Fähigkeiten zur Entfaltung bringen.

Wir haben bereits darauf hingewiesen, dass Ātman, das Herz der Monade, zu weit über der menschlichen Ebene liegt, um hier direkt wirken zu können. Deshalb ist das erste Vehikel oder Gewand, womit er sich bekleidet, Buddhi. Das Wort Buddhi enthält den Gedanken des Erwachens. Die buddhische Fähigkeit im Menschen führt zu Erkenntnis, zum Schauen ‘in’ die Dinge, weil sie ihn erweckt oder sich seiner selbst bewusst macht. Etwas davon kann man bei all denjenigen beobachten, die sich allgemein um das Wohlergehen der Menschheit kümmern, die für die oft erschreckenden Umstände, in denen sich die Menschen manchmal noch befinden, ein Auge haben, und die nicht nur für ihre eigenen Belange leben. Der Mensch, der angefangen hat nachzudenken, der Fragen stellt und begonnen hat zu suchen, erwacht, besonders wenn sein Interesse für seine eigenen Probleme sich unaufhaltsam in das Interesse für die Probleme anderer verwandelt.

Buddhi als Prinzip in uns ist spirituelles Bewusstsein auf der höchsten Ebene, das auf der menschlichen Evolutionsleiter existiert. Vom universalen Standpunkt Ātmans aus betrachtet, ist Buddhi ein Gewand, ein Schleier oder Vehikel, das aus einer ursprünglichen Substanz besteht. Aber diese ‘Substanz’ ist dem Göttlichen so ähnlich, dass sie – mit unserem verhältnismäßig groben Denkvermögen betrachtet – reines Bewusstsein ist. Deshalb können wir Buddhi als spirituelles Bewusstsein umschreiben.

Im Okkulten Wörterbuch erklärt Dr. de Purucker dieses Prinzip folgendermaßen:

Buddhi ist das Prinzip oder Organ im Menschen, das ihm spirituelles Bewusstsein verleiht. Es bildet den Träger für den höchsten Teil des Menschen – für Ātman. Buddhi ist eine Fähigkeit im Menschen, die sich als Verstehen, Urteilsvermögen und Unterscheidungskraft äußert, und bildet einen untrennbaren Schleier, ein untrennbares Gewand des Ātman.

– S. 35

Der Gebrauch des Wortes ‘untrennbar’ erklärt, weshalb wir von unserem Standpunkt aus gesehen von der Monade als von einer Einheit sprechen können.

Buddhi ‘transformiert’ die Energien von Ātman und leitet sie weiter zu Manas, dem Ego. Vom Standpunkt des Ego ist Buddhi tatsächlich ein universales Prinzip. Sie ist deshalb der Sitz oder das Organ der unpersönlichen Liebe, ‘der Liebe zu allen Wesen’, die göttlich ist. Und in demselben Sinn ist Buddhi der Ursprung des menschlichen Gewissens, sein Gefühl für Rechtschaffenheit und Pflicht. Das Gewissen wurzelt in unserem Pflichtgefühl gegenüber anderen. Es ist gleichzeitig eine Empfidung für das, was richtig ist. Das Richtige ist das Universale – das, was ein jeder tun müsste, um in Übereinstimmung mit dem spirituellen Gesetz und der spirituellen Ordnung zu handeln. Das Ego ist eigensinnig – sucht sich selbst und geht seinen eigenen Weg. Buddhi befähigt uns dazu, unsere egoistischen Gefühle und Taten dem universalen Guten unterzuordnen.

Ein Studium der höheren Triade mit ihren verschiedenen Aspekten und ihrer tatsächlichen Verbindung zu unseren täglichen Problemen wäre ein ungemein wichtiger Beitrag zur Psychologie. Denn die alte Weisheit lehrt uns, wie wir die fast unbegrenzten spirituellen Kräfte, die in dieser höheren Triade existieren, finden und verwirklichen können. Sie zeigt uns, wie wir lernen können, mit diesen Kräften unsere niedere, tierische, selbstsüchtige Natur zu beherrschen, etwas, was viel nützlicher und inspirierender ist, als sich in der ‘Libido’ und anderen Nebenpfaden in den Tiefen der menschlichen Natur auszuleben. Und in dem Maße, in dem man sich in dieses Studium vertieft, lernt man den wesentlichen und wichtigen Unterschied zwischen dem spirituellen und dem persönlichen Willen kennen – eine Erkenntnis, die von unschätzbarem Wert ist. Hierauf werden wir noch näher eingehen.

Die niedere Vierheit

Die bisherigen Ausführungen betrafen die Prinzipien Ātman und Buddhi, sowie Manas, das Ego. Es folgt eine nähere Betrachtung der Seite der menschlichen Natur, mit der wir vertrauter sind – den Prinzipien, aus denen unsere niedere Vierheit zusammengesetzt ist. Diese ‘Niedere Vierheit’ besteht aus den vier Prinzipien Kāma (Wunschprinzip), Prāṇa (Lebenskraft), Linga-Śarīra (Astralkörper) und Sthūla-Śarīra (Physischer Körper). Diese vier bilden zusammen das Vehikel, worin das Ego, überschattet und geführt von Ātman-Buddhi, sich auf der Erde wiederverkörpert – oder reinkarniert.2

 

 

Kāma (Wunschprinzip)

 

Das Sanskritwort Kāma bedeutet Verlangen. Der erste Eindruck könnte sein, dass Kāma zu den niedersten menschlichen Eigenschaften gehört, aber das ist nicht notwendigerweise der Fall.

Kāma ist die antreibende Kraft in der Konstitution des Menschen. An sich ist sie farblos, weder gut noch schlecht. Erst der Gebrauch, den das Denkprinzip und die Seele davon machen, bestimmen die Qualität. Kāma ist der Sitz der lebendigen elektrischen Impulse, Wünsche und Bestrebungen von ihrer Energieseite aus gesehen. Gewöhnlich jedoch, obwohl es göttliches und infernalisches Kāma gibt, wird dieses Wort fast ausschließlich und zu Unrecht oft nur auf üble Begierden beschränkt.

– G. DE PURUCKER: Okkultes Wörterbuch, S. 76

In der Bhagavad-Gītā sagt Krishna, der das personifizierte Selbst des Kosmos ist, zu seinem Schüler Arjuna:

… in allen Geschöpfen bin ich das durch Moral gelenkte Verlangen …

– VII:11

Beim Durchschnittsmenschen beschränkt sich die Begierde üblicherweise auf rein persönliche Interessen, und sie ist dann auch nicht von besonders erhabener Art. Wir können die Reichweite dieses Prinzips einigermaßen verstehen, wenn wir einen Vergleich zwischen dem Verlangen von Jesus oder Buddha anstellen, die sich den Nöten der Welt in Mitleid widmeten, und den Begierden eines ‘Gangsters’. Diese Beispiele stellen selbstverständlich extreme Aspekte des menschlichen kāmischen Prinzips dar.

Beim Durchschnittsmenschen sind die Begierden weder besonders hoch, noch sehr niedrig entwickelt. Es ist das Werk der Evolution, die uns durch viele Zyklen der Erfahrung lehrt, die Qualität unserer Begierden anzuheben, denn diese Begierden haben selbstverständlich großen Einfluss auf die Entwicklung des Charakters und dadurch auch auf die Evolution. Leider nutzen wir aus Unwissenheit und Selbstsucht die vitalen Kräfte der Begierde und des Willens zu oft zugunsten des eigenen Vorteils, ohne die Rechte und das Wohlergehen anderer zu beachten. Damit schaffen wir Disharmonie, und früher oder später müssen wir die Folgen daraus erleiden. Da unser Universum auf dem Fundament der Ethik basiert, lernen wir meistens durch Leiden.

 

 

Prāṇa (Lebenskraft)

 

Prāṇa bedeutet Lebensprinzip – Vitalität. Es bildet das psycho-elektrische Feld, das sozusagen vom Organismus begrenzt wird, so wie die Luft in der Lunge. Prāṇa erhält die astral-physischen Organismen aller Wesen am Leben und lässt sie wachsen. Es durchdringt den Astralkörper und den physischen Körper – von der Geburt an bis zum Tod – fortwährend mit neuen Strömen vital-magnetischer Energien.

Der Tod eines Organismus wird an erster Stelle durch den andauernden Verschleiß durch die prāṇischen Energien verursacht, die ihn durchströmen und am Ende seine Zerstörung bewirken. Sowohl der Tod als auch der Schlaf werden nicht durch einen Mangel an Lebenskraft, sondern durch deren Überschuss verursacht.

Tatsächlich ist es so, dass nicht ein Mangel an Vitalität den physischen Tod und seinen Zwillingsbruder, den Schlaf, verursacht, sondern vielmehr ein Überschuss an prāṇischer Aktivität. …

Es wurde oft gesagt, dass jedes Individuum einen bestimmten begrenzten Vorrat an Vitalität besitzt, und dass, wenn dieser erschöpft ist, der Mensch sterben muss. Gemeint ist, dass der vital-astral-physische Organismus als eine zusammengesetzte Wesenheit nicht nur eine gewisse Widerstandskraft gegenüber den Strömen des prāṇischen Lebens, die durch ihn fließen, besitzt, sondern er hat auch seine eigene kohäsive Kraft, die aus den Prāṇas der einzelnen Moleküle und Atome stammt, die in ihrer Vereinigung den Körper bilden. …

… In der Tat beruht der Tod, der durch ein Übermaß an Vitalität verursacht wird, und ebenso das In-den-Schlaf-fallen des Menschen auf der Tatsache, dass die Lebensatome des Körpers einen Punkt erreicht haben, wo deren Widerstand dahinschwindet oder abnimmt wie im Schlaf. Daher kommt es, dass die Lebensatome in einem Moment als Erbauer oder Erhalter und in einem anderen als Zerstörer – in einem gewissen Sinn sogar als Erneuerer – funktionieren.

– G. DE PURUCKER, Quelle des Okkultismus, III: S. 92, 93

 

 

Linga Śarīra (Astralkörper)

 

Der Astralkörper ist der Modellkörper oder das Muster, nach dem der materielle Körper gebildet wird. Er ist eine Art Matrize oder Gussform aus ätherischem Stoff, worin die Atome des materiellen Körpers ihren Platz finden. Üblicherweise wird er heute Astralkörper genannt.

Dies ist der allgemein gebräuchliche Ausdruck für den ‘Modellkörper’, den Linga-Śarīra. Er ist nur wenig feinstofflicher als der physische Körper und bildet in der Tat das Modell oder Gerüst, um das herum der physische Körper aufgebaut ist und aus dem der physische Körper in gewissem Sinn hervorgeht, entsprechend dem Wachstumsprozess. Er ist der Träger des Prāṇa oder der Lebenskraft und enthält daher auch alle Kräfte, die mittels des prāṇischen Stroms von den höheren Teilen der menschlichen Konstitution herabfließen. Der Astralkörper geht zeitlich dem physischen Körper voraus und bildet das Muster, nach dem der physische Körper aufs genaueste, Atom für Atom, geformt wird. In einer Hinsicht kann man den physischen Körper eine Ausscheidung, Ablagerung oder einen Niederschlag des Astralkörpers nennen. Der Astralkörper ist in gleicher Weise seinerseits nur ein Niederschlag des Aurischen Eies.

– G. DE PURUCKER, Okkultes Wörterbuch , S. 17

Dieses astrale Modell, das sozusagen von Prāṇa durchströmt wird, erhält unsere physische Identität. Die Wissenschaft hat erkannt, dass die den physischen Körper bildende Materie etwa alle sieben Jahre völlig ausgetauscht wird. Jeden Tag verlieren wir Atome, die durch andere ersetzt werden. Deshalb sind wir heute in materiellem Sinne andere Wesen als vor etwa zehn Jahren. Woher kommt es, dass ein Körper trotz dieses niemals versiegenden, ein Leben lang andauernden Stroms von aus- und eingehenden Atomen dennoch seine eigenen charakteristischen Strukturen behält? Dieses Wunder geht auf die Funktionen des Modellkörpers zurück, der innerhalb des materiellen Körpers existiert und der – Molekül um Molekül und Zelle um Zelle – seine Form bewahrt, wodurch sogar Narben, Missbildungen oder Falten bestehen bleiben. Er steuert die physische Materie, indem er die Zellen und Nervensysteme kontrolliert und jedem Element den ihm entsprechenden Platz zuweist. Er ist ein feinstofflicheres Ebenbild des physischen Körpers, zumindest von seiner äußeren Form her.

Einen weiteren Aspekt hebt W. Q. Judge hervor:

Der Astralkörper trägt die wirklichen Organe der äußeren Sinneswerkzeuge in sich. In ihm liegen die Kräfte des Sehens, Hörens, Riechens, Schmeckens und der Tastsinn. …

Das Meer der Theosophie, S. 61

… Bei einem Menschen jedoch, der immer noch sein Bein fühlt, das ihm chirurgisch entfernt wurde, oder seine amputierten Finger noch spürt, liegt dies daran, dass die Astralglieder durch die Operation nicht betroffen wurden. Der Betroffene hat daher das Gefühl, diese Glieder befänden sich noch immer am Körper. Messer und Säuren können das Astralmodell nicht verletzen. In den ersten Stadien seines Wachstums können Gedanken und Vorstellungen jedoch wie Säuren und geschliffener Stahl wirken.

– Ebenda, S. 60

Der Astralkörper oder Linga-Śarīra besteht aus astraler Materie oder Substanz, die zum Astrallicht – oder zu Ākāśa gehört, dem dafür in der Theosphie verwendeten technischen Ausdruck. Ākāśa ist, wie alles andere auch, von siebenfältiger Natur. Seine höchsten oder innersten Ebenen sind die Heimat unserer höheren Prinzipien. Seine niederen und gröberen Bereiche umgeben und durchdringen unsere Erde, und wir nennen diesen Bereich das Astrallicht. Wir können das Astrallicht nicht sehen, weil wir die dazu notwendigen astralen Sinnesorgane nicht entwickelt haben.

Medien oder Hellseher können einen schwachen Schimmer davon wahrnehmen. Dieser sternenhaften Lichtausstrahlung verdankt es seinen Namen ‘astral’. Sensitive Menschen haben die astralen Sinne teilweise entwickelt. Aber die sogenannten Visionen der Hellseher stellen nur selten mehr dar als einen flüchtigen Blick in die niederen Bereiche des Astrallichtes. Diese Bereiche sind der Erde am nächsten und umgeben sie. Sie enthalten ein Chaos von Bildern und Einflüssen, die durch unbeherrschte und oft negative Emotionen, Gedanken und Begierden der Menschen auf und in der astralen Materie erregt werden. Daher sind diese ‘Visionen’ nicht nur trügerisch, sondern im Allgemeinen auch gefährlich.

Im Augenblick des Todes, wenn die Geist-Seele alle niederen Prinzipien ‘loslässt’, beginnen diese zu zerfallen. Der Astralkörper trennt sich dann vom physischen Körper, aber er verlässt ihn nicht, weil beide zusammen gehören. Und in dem Maße, wie der physische Körper zerfällt, geht auch der Astralkörper langsam in Auflösung über.

Das menschliche Leben auf Erden ist nur eine Station auf der Reise eines sich ständig entfaltenden bewussten Ego, des sich wiederverkörpernden Ego durch die physische Sphäre, und der Tod ist lediglich die Fortsetzung dieser Reise aus der Sphäre des irdischen Daseins in eine andere. Der physische Tod wird zu einem sehr großen Teil dadurch herbeigeführt, dass das sich entfaltende Feld des menschlichen Bewusstseins sich über das Fassungsvermögen des Körpers hinaus ausbreitet, der dieses Bewusstsein enthält. Der Körper fühlt dann die dieserart auf ihn ausgeübte Beanspruchung und altert allmählich, um schließlich wie ein abgetragenes Gewand beiseite gelegt zu werden. Kurze Zeit bevor das Ende eintritt, fangen die inneren Prinzipien der niederen Vierheit an, sich auf ihren eigenen Ebenen zu trennen, und der Körper antwortet automatisch auf diese beginnende Trennung. Dadurch tritt der physische Verfall des Alters ein. Dieser Punkt ist von großer Bedeutung, denn er zeigt, dass nicht der physische Tod die Auflösung der Verbindung der niederen Element-Prinzipien verursacht. Im Gegenteil, der Körper stirbt, weil diese niederen unsichtbaren Kräfte, Substanzen und Energien – insgesamt gesehen, das innere und kausale Leben der menschlichen Vierheit – bereits begonnen haben, sich zu trennen, und der physische Körper sich mit der Zeit natürlich und unvermeidlich anschließt.

– G. DE PURUCKER, Quelle des Okkultismus, III:91

 

 

Sthūla-Śarīra (Physischer Körper)

 

Hinsichtlich des physischen Körpers, oder Sthūla-Śarīra, gibt es einige interessante Tatsachen, welche von der Theosophie immer gelehrt wurden, die aber auch der Wissenschaft nicht verborgen blieben. Eine dieser Tatsachen besteht darin, dass die physische Materie größtenteils aus ‘Löchern’ besteht. Würden wir die gesamte unseren scheinbar festen Körper aufbauende Materie zu einer kompakten Masse komprimieren, wäre er nicht größer als ein Stecknadelkopf!

Der Körper ist also, obschon er richtig Sthūla-Śarīra oder der ‘grobe Körper’ genannt wird, in Wirklichkeit schaumartig – leerer Raum, ungefähr wie ein Schwamm. Dies ist eines der vielen Paradoxa oder scheinbaren Gegensätze, denen wir überall in der Natur begegnen und die das Studium ihrer Prozesse so interessant machen. Je gröber eine Substanz scheint, desto schaumartiger ist sie in Wirklichkeit, und deshalb ist sie um so illusorischer.

Daraus folgt, dass die wirklichen Dinge, die unvergänglichen Dinge, für unsere Sinne nicht wahrnehmbar sind. Wir sehen nicht einmal die physische Materie, sondern nur den Teil des Lichtspektrums, das die Körper nicht absorbieren sondern reflektieren und sie so unserem physischen Auge sichtbar machen.

Der physische Körper illustriert noch eine andere fundamentale spirituelle Tatsache im Kosmos. Er ist ein geeignetes Beispiel für das Gesetz der Analogie: „Wie oben – so unten“. Mit anderen Worten, der materielle Körper, der – was seine Substanz, seinen Bau und seine Wirkungen anbelangt – dem universalen, kosmischen Leben entspringt, ist selbst ein Miniatur-Universum. Darum kann die Kenntnis der in den physischen Körpern stattfindenden Prozesse die unsichtbaren, spirituellen Welten im Lichte der archaischen Lehren der Theosophie entschleiern und illustrieren. H. P. Blavatsky sagt darüber:

Analogie ist das leitende Gesetz in der Natur, der einzig wahre Ariadnefaden, welcher uns durch die unentwirrbaren Pfade ihres Reiches zu ihren ersten und letzten Geheimnissen führen kann.

The Secret Doctrine, II:153

Wenn wir die Funktion des Nervensystems und des Blutkreislaufes betrachten, den atomaren Aufbau der Zellen und viele andere Tatsachen, verschafft uns das Gesetz der Analogie einen wundervollen Schlüssel zum besseren Verständnis der tieferen Lehren über den Bau und die Wirkungen der unsichtbaren und ursächlichen Welten. Es mag so scheinen, als ob der Körper ein großes Hemmnis für spirituelle Erfahrung wäre, aber wenn er den Platz bekommt, der ihm zusteht, und wenn er in intelligenter Weise beherrscht und gebraucht wird, kann er seine fundamentale Rolle in unserer Evolution wahrnehmen. Der Körper passt genau zum gegenwärtigen Evolutionsstadium und verschafft uns die Gelegenheit, im menschlichen Leben täglich wichtige Lektionen der Erfahrung und Entwicklung durchzumachen. Die Beziehung zwischen physischem Körper und unserer Evolution kann man von zwei Seiten betrachten:

1) Er ist der Mittler zwischen den geistig-spirituellen Prinzipien und der physischen Ebene der Natur, in deren Bereichen wir die notwendigen Erfahrungen machen können und die daraus resultierende Entwicklung schöpfen. Ohne die vollständige Kenntnis der Natur in göttlicher, spiritueller, mentaler, emotionaler, vitaler, astraler und physischer Hinsicht könnte der Mensch niemals die vollständige Evolution all seiner Fähigkeiten erreichen.

2) Der physische Körper ermöglicht es dem eigentlichen Menschen, der menschlichen Monade, sich mit der ganzen Welt, mit allen anderen auf ihr befindlichen Geschöpfen, physisch, psychisch und mental auszutauschen. Dabei beeinflusst der eigentliche Mensch natürlich auch unmittelbar die physischen Atome des eigenen Körpers. Und dieser dynamische Einfluss unterstützt oder behindert unbewusst die Evolution der gesamten Schöpfung, und ganz besonders die der Lebensatome seines eigenen Körpers. Wir dürfen nicht vergessen, dass im Herzen eines jeden Atoms eine Geist-Seele oder Monade wohnt, die ihren Drang zur Entfaltung und zum Wachstum durch dieses Atom zum Ausdruck bringt. Die Auswirkungen des Willens und des Verlangens des Menschen auf diese sich entwickelnden Lebensatome sind ungeheuer groß und gerade darum haben wir eine besondere Verantwortung für unseren physischen Körper.

Kāma-Manas – die Persönlichkeit

Unser alltägliches Selbst, mit dem wir leben und von dem wir glauben, dass wir es durch und durch kennen, nennt man die Persönlichkeit. Aber gerade von diesem Element der Persönlichkeit wissen wir so wenig. Und dies gilt nicht nur für den gewöhnlichen Menschen, sondern auch für viele Gelehrte. Denn einige der populärsten Erklärungen der psychologischen Natur des Menschen gründen auf den Untersuchungen der niederen physiologischen Seite der menschlichen Psyche oder Seele.

Das ganze Drama des menschlichen Lebens, das im Kampf der Kräfte des Guten und Bösen in uns zum Ausdruck kommt, rankt um die Persönlichkeit. Woher kommt das? Die Antwort zeigt sich in dem Diagramm auf Seite 25. Es rührt daher, dass die Persönlichkeit dual, zweifältig, ist. Sie ist eine Zusammensetzung, die sich aus der Tatsache ergibt, dass das Denkprinzip, das denkende Ego, sich mit Kāma vermischt, unseren Wünschen und Leidenschaften. Kāma ist oft egoistisch und leidenschaftlich beschaffen. Aber dennoch kommt im Leben fast eines jeden Menschen auch höheres Kāma zum Ausdruck, und zwar dann, wenn nicht nur die persönlichen Interessen für das Verhalten und Denken maßgebend sind, sondern der Wunsch nach Linderung der menschlichen Nöte anderer an erster Stelle steht.

Kāma-Manas oder die Persönlichkeit ist das Instrument, das Vehikel, mittels dessen die Monade mit ihren spirituellen, vorwärtstreibenden Einflüssen und Energien sozusagen eine Art von ‘Fernsteuerung’ zustandebringt. Jegliche Evolution wird von dem anspornenden Einfluss und den aus der Monade stammenden Energien, die sich durch unsere weniger spirituellen Prinzipien nach unten oder nach außen ausgießen, verursacht. Sollte die Monade sich zurückziehen, wie es beim Tod geschieht, dann zerfallen die niederen Prinzipien der Konstitution und der Mensch zieht sich von der irdischen Bühne zurück.

Die sich in unserer Persönlichkeit manifestierenden Wünsche und Leidenschaften –unser kāmisches Prinzip oder unsere tierische Natur – wurden auf unserer Reise oder Pilgerschaft durch die niederen Reiche der Natur gebildet und entwickelt. Wenn wir auf der Erde reinkarnieren, Leben auf Leben, bringt sich auch dieses kāmische Prinzip wieder zum Ausdruck. Auf der anderen Seite steht unser Denkvermögen, das sich durch Äonen hindurch entwickelte und schließlich von den Mānasaputras zur Tätigkeit erweckt wurde. Aus ihm entwickeln wir Fähigkeiten wie Intuition, Willenskraft, Vorstellungskraft, Vernunft, den schöpferischen Intellekt und dergleichen, während sich gleichzeitig auch die Instinkte und Begierden des tierischen oder kāmischen Selbstes weiter entfalten. Sie entwickeln sich gerade deshalb weiter, weil sie auf dynamische Weise mit Manas verbunden sind. So sind sie heute stark in uns, auf uns selbst gerichtet und erheben ihre eigenen Forderungen. Das ist die Wurzel des seit der Erweckung des Denkprinzips tobenden Krieges zwischen den spirituellen und den tierischen Kräften in unserer Natur, wie es in so treffender Weise in der Bhagavad-Gītā zum Ausdruck gebracht wird. Das niedere, kāma-manasische Selbst treibt immer zu Leidenschaft, Kampf und Egoismus an. Das höhere manasische Ego, inspiriert durch Ātman-Buddhi, strebt durch zahllose Inkarnationen hindurch allmählich eine spirituelle Herrschaft an.

Auf diese Weise werden die niederen und materiellen Prinzipien zur Selbstentfaltung inspiriert oder angespornt und allmählich von materiellen in spirituelle Energien transformiert und weiterentwickelt. Denn das Ziel des Lebens und das Bestreben der Evolution ist es, das Sterbliche zum Unsterblichen anzuheben.

So erkennen wir, dass in unserem gegenwärtigen Evolutionsstadium die Natur des Menschen sozusagen zwischen dem Nachgeben und dem Beherrschen des Selbstes schwankt, zwischen dem Tierischen und dem Göttlichen in der menschlichen Natur. Und dieser Zustand des Individuums spiegelt sich selbstverständlich in der großen Masse wider. Der gegenwärtige Zustand unserer Welt veranschaulicht diese Situation deutlich. Einerseits werden die Völker durch Ideale des Friedens, internationale Bruderschaft und Zusammenarbeit getrieben und andererseits spielen Habgier, Unwissenheit und die laute Stimme selbstsüchtiger nationaler Interessen eine große Rolle. Gerade diese Umstände wurden von den großen Lehrern vorhergesehen, den Mahātmas, die mit Hilfe von H. P. Blavatsky die Theosophische Gesellschaft gründeten. Zur gleichen Zeit schenkten sie uns aufs Neue das Wissen, das die Geist-Seele befähigen wird, durch die höhere Natur des Menschen zu wirken, um den letztendlichen Sieg über Selbstsucht und Hass zu erringen. Die unpersönliche Liebe bringt die Genesung von allem Übel, sowohl im persönlichen Leben als auch in jeder Gemeinschaft. Mit ‘unpersönlich’ ist die selbst-vergessende Liebe gemeint.

Aber sie ist noch mehr, denn sie bedeutet Liebe für alle Wesen, wie niedrig oder wie erhaben sie auch sein mögen, ob sie uns feindselig gesinnt sind oder ob sie unseren Herzen nahestehen. Indem wir Kāma-Manas überwinden und zum Schweigen bringen – die auf uns selbst gerichtete, anspruchsvolle Persönlichkeit – entwickeln wir Verständnis, Liebe und Wissen, was uns Glück und Frieden bringt. Durch eine liebevolle Haltung werden wir besser verstehen und verzeihen und Irritation, Kritik und Verbitterung werden von uns abfallen. Was auch immer geschehen mag, wir werden einen anderen niemals belästigen oder uns herzlos benehmen, sondern stets versuchen zu helfen. Schließlich werden wir beginnen, unsere Feinde zu verstehen und ihnen zu verzeihen – was das höchste Glück bedeutet. Indem wir unsere Sympathien allmählich ausbreiten, reicht unsere Liebe weiter und umfasst nicht nur unser eigenes Land, sondern alle Völker, und so werden wir schließlich zu einer Kraft des Guten in der Welt.

In der höheren Natur des Menschen liegen tatsächlich wunderbare Kräfte verborgen – schöpferische Kräfte, wovon wir auch heute schon einen schwachen Schimmer in der intuitiven Vorstellungskraft und einem beherrschten Willen wahrnehmen. Wir erkennen sie auch in den selbstlosen Impulsen im Inneren unseres Herzens – Impulse, die uns zu großartigen humanitären Aufgaben anspornen – sowie in all den Träumen, den Visionen und dem Drang zum Spirituellen, der jetzt schon beginnt, sich in der menschlichen Rasse zu entfalten. Aber diese Samen, die zu wunderbaren Fähigkeiten heranwachsen müssen, werden und können nicht keimen, solange unsere ganze Aufmerksamkeit und all unsere Wünsche ausschließlich sachlichen Interessen, egoistischem Vergnügen und dem Versuch gewidmet sind, alle anderen zu übertrumpfen oder jemanden auszustechen. Selbstverständlich erwartet keiner, dass wir die notwendigen materiellen Interessen vernachlässigen oder ihnen entsagen; aber durch unsere innere Einstellung, etwas ändern zu wollen, können wir jede Chance nutzen, um denjenigen Aspekt Kāmas zu fördern, den wir als göttliche Begierde bezeichnen.

Der Wunsch, unsere Familie oder unsere Freunde selbstlos zu unterstützen, das Allgemeinwohl zu fördern und jenen zu helfen, die sich in Schwierigkeiten befinden oder in Not geraten sind – dieser Wunsch entspringt der spirituellen Monade im Menschen, Ātman-Buddhi. Ihr Licht wird allmählich die dunkle Seite des kāmischen Prinzips erhellen; das göttliche Kāma wird aktiv werden und das niedere Manas wird sich dereinst mit ihm vereinigen. Die Dualität wird überwunden und die zwei werden zu einem perfekten Vehikel verschmelzen, einer leuchtenden Persönlichkeit, durch die die spirituelle Monade, unser innerer Gott, seine Energien in unser menschliches Herz ausschütten kann.

Der Mensch – das Kind eines siebenfältigen Universums

Das Universum selbst hat eine siebenfältige Konstitution. Eine der wichtigsten Lehren der Theosophie ist die Erkenntnis, dass das, was wir vom wirklichen Universum wahrnehmen, nicht mehr als sein Äußeres oder sein stofflicher Aspekt ist. Die übrigen sechs Aspekte sind unsichtbar für uns. Ihre Materie ist von ätherischerer Art als die uns vertraute, mit höheren und feineren Schwingungszahlen. Wir können sie nicht wahrnehmen, weil wir die dafür notwendigen ätherischen Sinne oder feineren Wahrnehmungsorgane nicht entwickelt haben. Deshalb sind sechs Siebtel des großen Organismus von Mutter Natur für uns immer noch verborgen. Auch in der Struktur des Lichts gibt es Bereiche – wie Ultraviolett auf der einen und Infrarot auf der anderen Seite –, deren Frequenzen entweder zu hoch oder zu niedrig sind, um durch unser Sehvermögen wahrgenommen zu werden. Aber trotzdem haben sie einen großen Einfluss auf unsere Gesundheit und auf andere Bereiche in der Welt der materiellen Ursachen. Die Tatsache, dass alle Dinge durch innere, unsichtbare Kräfte und Impulse angetrieben werden, können wir sogar in der physischen Welt um uns herum erkennen. Ist das Leben und Wachstum einer Blume oder eines Baumes – die mit der Verteilung von Säften und Farbveränderungen usw. einhergehen – für uns nicht ebenso unsichtbar, abgesehen von den äußeren Wirkungen? Und wird ein Stein nicht durch die Kräfte von Anziehung und Abstoßung der Atome und Elektronen zusammengehalten, welche die unsichtbare Seite seiner Struktur bilden? Diese Tatsache, dass das physische und äußere Wesen sozusagen ‘von innen in Gang gehalten wird’, können wir ein Gesetz nennen, weil es überall in der Natur herrscht.

Diese inneren und unsichtbaren Reiche sind die ursächlichen oder schöpferischen Welten. Aus ihnen geht das physische Universum hervor. Die Natur, so wie wir sie um uns herum wahrnehmen, ist nur der physische Organismus in all seinen Aspekten, durch den die inneren Reiche der schöpferischen Evolution wirken. Aber die Natur ist viel mehr. Sie sollte eigentlich die Universalnatur genannt werden, die folgendermaßen definiert ist:

… die „Universalnatur“ . . . beinhaltet die spirituelle und materielle Natur mit all den zahllosen hierarchischen Ebenen, die dazwischen liegen, einschließlich den sichtbaren und unsichtbaren Welten, den göttlichen, spirituellen, intellektuellen, ätherischen, astralen und physischen Wesen.

– G. DE PURUCKER:The Esoteric Tradition, I:4.

Das Vorhergehende wird mit der Hilfe eines uns vertrauten Beispiels leichter verständlich. Denken wir an diejenigen, die uns am liebsten und teuersten sind. Was wir von ihnen sehen können, ist ihre physische Erscheinung, sowie ihr Tun und Lassen. Aber das ist der unwichtigste Aspekt dessen, was sie uns bedeuten. Es ist ihr komplexes inneres Selbst, das wir lieben. Wir lieben sie, weil ihr Intellekt, ihr Temperament oder ihre moralische Haltung uns fesselt. Dies alles zusammen macht den Menschen aus. Jemand, der uns bei einer ersten Bekanntschaft in körperlicher Hinsicht hässlich erschien, kann uns durch seinen noblen und menschenfreundlichen Charakter schließlich den Eindruck der Schönheit vermitteln. Und ein anderer, der uns anfangs durch äußerliche Schönheit fesselte, kann uns am Ende zuwider sein, wenn wir feststellen müssen, dass er oder sie von egoistischer und grausamer Natur ist. So ist es auch mit der Welt um uns herum. Sie besteht aus inneren Kräften und unsichtbaren schöpferischen Energien, welche die Realität bilden und deren physische Natur nichts weiter ist als das Äußerliche oder die Form.

Es besteht ein direkter Zusammenhang zwischen den unsichtbaren sechs Teilen der Konstitution eines Menschen und den unsichtbaren sechs Teilen der Konstitution der Natur. In beiden Fällen ist der physische Aspekt der niederste oder das siebte Prinzip – der Körper oder Sthūla-Śarīra. Genau wie wir unseren Körper der Erde entnehmen und unsere Vitalität indirekt von der physischen Sonne erhalten, entnehmen wir unsere unsichtbaren sechs Prinzipien den unsichtbaren sechs Prinzipien der Universalnatur.

‘Aber’, wird jemand vielleicht einwenden, ‘vorher wurde gesagt, dass wir all unsere Prinzipien von der Monade herleiten. Die Monade, sagten Sie uns, bringt Buddhi hervor, ihre Hülle oder ihr Kleid spirituell-intellektueller Substanz. Dann erzeugt Buddhi Manas, Manas entfaltet Kāma, und so weiter nach unten, entlang der siebenfältigen Leiter des Seins. Und nun sollte der Mensch seine Prinzipien von den sieben Prinzipien der Natur herleiten? Liegt hier nicht ein Widerspruch?’

Dies ist nicht der Fall, denn es verhält sich genauso wie beim Menschen. Was hat den größten Einfluss auf die Entwicklung des Menschen – sein angeborener Charakter oder das Milieu, in dem er geboren wurde? Am Ende müssen wir zugeben, dass – obschon die Umgebung von sehr großer Bedeutung ist – tatsächlich der Charakter als gestaltende Kraft maßgebend ist. Wäre es anders, so könnte es niemals vorkommen, dass Menschen, die in Armut oder in Elendsvierteln geboren wurden, sich zu den Spitzen des Erfolgs hocharbeiten. Der bekannte Ausdruck vom ‘Self-made-man’ verdankt seine Herkunft der Tatsache, dass die wirklich führende Kraft im Leben eines Menschen in ihm selbst liegt. Wenn diese Kraft stark genug ist, kann sie durch die Umgebung nicht ausgeschaltet werden.

Unsere eigenen charakteristischen Prinzipien entspringen unserer spirituellen Individualität, der Monade. Aber diese Prinzipien unterliegen selbstverständlich auch dem Einfluss der Prinzipien der Natur. Eine Eichel kann nur eine Eiche erzeugen. Aber die Eichel wird genährt durch Wasser, Luft und durch chemische Bestandteile des Bodens. Später nimmt sie für den Aufbau der Zellen und die Produktion von Farbe in den Blättern und Blüten die Sonnenvitalität in sich auf. Auch der Mensch, der göttliche Same des Universums, entzieht seine Nahrung den ihn umgebenden sieben Prinzipien der Natur. Der Astralkörper kann nicht von der Erde ernährt werden, sondern nur von seinen eigenen Elementen, die in den niedersten astralen Ebenen enthalten sind. So ist es entlang der ganzen Lebensleiter. Jedes Prinzip entnimmt das, wovon es erhalten wird, den entsprechenden Ebenen der unsichtbaren sechs höheren Prinzipien der Natur.

All unsere Prinzipien sind zweifältig. Nicht zweifältig in dem Sinne, dass sie aus zwei Teilen bestehen, wie eine Dose mit Deckel, sondern aus zwei Teilen, die auf die gleiche Art und Weise funktionieren wie eine elektrische Ladung, die einen positiven und einen negativen Pol hat. Jedes Prinzip hat eine energetische, das heißt eine positive Bewusstseinsseite und eine substantielle oder negative Seite. Durch letztere ist das Bewusstsein, das seine Existenz der Monade entnimmt, imstande, in den niederen Bereichen des Seins zu wirken. Die Bewusstseinsseite ist spirituelle Elektrizität, die der Lebenskraft der Monade entnommen wird. Die materielle Seite wird durch die magnetische Anziehung dieser Lebenskraft hervorgebracht – aus dem Reservoir der Lebensatome von den entsprechenden Prinzipien in der siebenfachen Natur.

Wir müssen auch bedenken, dass die Monade selbst ein wesentlicher Teil der integralen Natur ist. Sie ist eine Emanation oder Ausstrahlung des Wurzel-Bewusstseins unseres Universums, des kosmischen Selbstes, und sie bringt ihre homogene Energie durch ihr unmittelbares Vehikel, Buddhi, zum Ausdruck. So wie wir unsere physische Energie indirekt der Sonne entnehmen, so entnehmen wir unser spirituelles Leben indirekt über die Monade den spirituellen Energien der Universalnatur. Hier könnte man noch hinzufügen, dass die Sonne und alle Planeten ebenfalls siebenfältig sind.

Dieses Thema ist eines der fesselndsten aller theosophischen Lehren und ist aufs engste mit der großartigen Bestimmung des Menschen und seinen Erfahrungen und Abenteuern in den inneren Welten verknüpft. Aber es würde uns zu weit führen, wenn wir dieses Thema hier ausführlich behandeln würden. Hierzu verweisen wir den Leser auf die weiterführende theosophische Lieteratur.

Eine neue Psychologie auf der Grundlage einer sehr alten Lehre

Der Wert einer jeden Idee zeigt sich in ihrer praktischen Anwendbarkeit bei Schwierigkeiten im menschlichen Leben. Kann sie uns helfen, den Charakter zu entwickeln und zu stärken? Liefert sie einen Beitrag zu befriedigenderen menschlichen Verhältnissen, indem sie das Verständnis für unseren Mitmenschen erweitert und es dadurch ermöglicht, ihm zu helfen? Ermöglicht sie es uns, eine Situation besser zu beherrschen und unser Schicksal zu lenken? Für eine gesunde und brauchbare Psychologie ist das Wissen von und die Einsicht in die zusammengesetzte Natur eines Menschen die erste Voraussetzung.

Die Psychologie ist eine der populärsten Themen unserer Zeit. Nicht nur für Fachleute, sondern auch für die Gesellschaft im Allgemeinen ist es offensichtlich, wie groß ihre Bedeutung und ihr Einfluss in der Praxis des täglichen Lebens ist. Ausdrücke wie ‘Verkaufspsychologie’, ‘Massenpsychologie’ usw. sind klare Hinweise darauf, welche Bedeutung den Kenntnissen von den Grundprinzipien der menschlichen Natur zugemessen wird, um auf einem bestimmten Gebiet Erfolge zu erzielen. Der Gebrauch von kommerziellen und politischen Wahlparolen vielerlei Art, mit der Absicht, damit einen Kunden- oder Konsumentenkreis zu schaffen, kann hier als Beispiel dienen.

Würde ein Mensch sich nur einen Tag lang gut beobachten, dann würde er über die Vielfalt von Stimmungen, Trieben und Charakterneigungen staunen, die in all seinen Gedanken und Handlungen ans Licht kommen. Und es würde ihn gleichfalls wundern, dass er so furchtbar wenig von dem weiß, was in seinem Innersten vorgeht. Er würde sich bewusst werden, dass er fast ganz und gar der Willkür des sich fortwährend ändernden Bewusstseinsstroms ausgeliefert ist, auf dem er sich in mehr oder weniger heikler Weise treiben lässt – heikel, weil er in Unkenntnis über die Ursache oder die Bedeutung dieser Widersprüchlichkeiten in ihm selbst ist.

Dass wir zusammengesetzte Wesen sind, wird aus der beinahe vollständigen Diskontinuität der menschlichen Natur ersichtlich. Damit ist gemeint, dass der Durchschnittsmensch nicht imstande ist, über einen längeren Zeitraum eine Linie des Denkens, Fühlens und Wollens anhaltend zu verfolgen. Das deutet darauf hin, dass in seiner Konstitution mehrere widersprüchliche Elemente vorhanden sind. Diese Elemente hindern ihn daran, denselben Gedankengang oder die gleiche Gemütsverfassung über einen längeren Zeitraum beizubehalten. Es ist also verständlich, dass, wenn wir diese widersprüchlichen Elemente nicht kontrollieren können – sie nicht miteinander in Harmonie zu bringen und nicht zu lenken lernen – sie in unserem Leben immer eine wilde und ungestüme Rolle spielen werden. Aber müssen wir, um sie bezwingen zu können, nicht erst wissen, welcher Art sie sind und woher sie kommen?

Wie können wir Einblick in unsere psychische Natur gewinnen und den wirkenden Kräften Richtung geben? Hier, in dieser zweifältigen Persönlichkeit, wird der Kampf um die Evolution des menschlichen Wesens zu etwas Höherem ausgetragen. Es ist der Kampf zwischen dem Persönlichen und dem Göttlichen. Er wogt hin und her, und einmal wird die Persönlichkeit durch ihre Verbundenheit mit Kāma herabgezogen, aber dann wieder durch ihre Vereinigung mit dem höheren Manas angehoben und geläutert.

H. P. Blavatsky liefert in The Key to Theosophy [Der Schlüssel zur Theosophie] eine sehr klare und vollständige Analyse dieser dualistischen Psychologie der menschlichen Natur. Sie spricht von den Strahlen des göttlichen Denkens, die, wenn sie begrenzt werden oder inkarniert sind, als individualisierte Wesenheiten duale Eigenschaften annehmen, und zwar:

(a) … die ihnen innewohnende, essentielle Charakteristik des nach dem Himmlischen strebenden Denkvermögens (dem höheren Manas), und b) die menschliche Eigenschaft des Denkens oder des von der Vernunft beherrschten tierhaften Überlegens mit der Überlegenheit des menschlichen Gehirns, das zu Kāma tendierende niedere Manas.

– S. 184

Wir müssen diese beiden Elemente anhand des täglichen Lebens in uns selbst kennenlernen. Wir müssen lernen, wie wir die beiden durch ihre Tätigkeit in der Praxis voneinander unterscheiden und das höhere Manas in uns entwickeln können und in welcher Weise wir seinen niederen kāma-manasischen Aspekt in ein Instrument oder Vehikel umwandeln können, das vom höheren Manas benutzt werden kann. Solange wir diese Kenntnis nicht besitzen und nicht selbstbewusst anwenden können, sind wir nicht nur der Willkür unserer Gemütsverfassungen und Schwächen ausgeliefert, sondern wir werden auch auf die Stimmungen und Schwächen anderer Leute falsch reagieren.

Selbstbewusstsein bedeutet Selbsterkenntnis. Manas als der Denker hat die Fähigkeit, sich seiner selbst als eines einzelnen individuellen Wesens bewusst zu sein, das sich durch Charakter und Eigenschaften von allen anderen Wesen unterscheidet. Daraus folgt wiederum, dass wir uns unserer Beziehung zu unserer Umgebung und zu den anderen bewusst sind – was uns die anderen bedeuten und wie wir reagieren sollten.

Mit dem Selbstbewusstsein taucht zum ersten Mal der freie Wille des Menschen auf. Durch das Erkennen seiner selbst wird er sich seiner Fähigkeit bewusst, sich entwickeln zu können und seine Umstände und Beziehungen zu nutzen, um seine eigenen Wünsche und Ziele zu verwirklichen. Hier, in diesem Bereich des Selbstbewusstseins, vollzieht sich der Kampf der Dualität unserer Natur. Wenn wir das einmal erkannt haben, können wir unseren Willen entweder für die egoistischen, persönlichen Zwecke unserer niederen Natur nutzen, oder ihn dem schweigenden, aber niemals verstummenden Ruf unseres höheren Manas unterordnen. Der Kampf der menschlichen Evolution konzentriert sich auf diesen Punkt.

In dem Maße, in dem der Mensch vorwärtsschreitet, lernt er, seine niedere kāmische Natur zu beherrschen und sie in den Dienst des höheren Manas zu stellen. Sollte ihm das nicht gelingen, bedeutet dies einen Rückschritt. Wenn er seinen selbstbewussten freien Willen dazu benutzt, andere zu schädigen oder lediglich sich selbst zu begünstigen, dann schafft er Karma, das Leiden und Misserfolg mit sich bringt. Dennoch bieten ihm gerade diese Leiden und diese Misserfolge die Chance, zu lernen und sich allmählich zu entwickeln. Schließlich erlangt die Persönlichkeit nach vielen Leben die Erkenntnis, dass sie nur Frieden und Glück erwerben kann, indem sie sich mit dem höheren Manas verbindet.

Erst wenn wir diesen Punkt erreichen, lernen wir wahre Freiheit kennen. Das Wissen um die von der Theosophie gelehrte spirituelle Psychologie bringt uns zu der Überzeugung, dass der Wille erst wirklich frei sein wird, wenn er dem Wohlergehen anderer untergeordnet wird. Ein Mensch, dessen Handlungen aus egoistischen, animalischen Instinkten resultieren, ist ausschließlich auf sich selbst fixiert. Er leidet, weil er sich der Furcht, dem Neid und mancherlei Formen der persönlichen Frustrationen aussetzt – und sich dabei lediglich einbildet, frei zu sein.

In dem Maße, wie wir unseren freien Willen bewusst ausüben und auf das Wohlbefinden anderer richten, erfahren wir eine Erweiterung unseres Horizontes. Denn diese Geisteshaltung bedeutet, dass wir die Persönlichkeit auf das Licht und die Kraft des höheren Manas richten, wodurch wir unsere ganze niedere Natur dem Göttlichen unterstellen. Der Grund dafür liegt in der Natur von Buddhi und Ātman. Wie bereits erklärt, ist Ātman der Strahl des kosmischen Universalen Selbstes, das im tiefsten Innern eines jeden von uns wohnt. Es ist in uns allen identisch und deshalb die Grundlage der Universalen Bruderschaft. Ātman ist reines, göttliches Bewusstsein, das eins ist mit der universalen Quelle, aus der es entspringt.

Buddhi ist das göttliche Vehikel des Universalen Bewusstseins. Es ist eine Emanation von Ātman und deshalb besitzt Buddhi etwas von der universalen Natur Ātmans. In dem buddhischen Prinzip liegen alle Universalkräfte Ātmans eingeschlossen – unpersönliche Liebe für alle Geschöpfe, Genialität in ihrer höchsten und göttlichsten Form und Intelligenz in ihrer glänzendsten und abstraktesten Kraft.

Wenn wir darüber nachdenken, verstehen wir, dass – wenn jemand sich stärker dem höheren Manas zuwendet und auf seine Gebote der Liebe, des Erbarmens und der Hingabe zum Universalen und Wirklichen hört – er sich selbst unter den Einfluss der beseelenden Kraft des buddhischen Glanzes stellt. Diese buddhische Herrlichkeit strahlt wie eine göttliche Gegenwärtigkeit über die Natur und Tätigkeiten des höheren Manas aus. Dieses Licht ist immer anwesend. Unsere Persönlichkeit ist jedoch so oft von einem dichten Nebel der Selbstsucht und kleinlichen Eigeninteressen verdunkelt, dass die reinen Strahlen dieses buddhischen Glanzes nicht bis in das Bewusstsein vordringen können.

Aber wenn diese Nebel durch freiwillige Selbstdisziplin vertrieben werden, kann Manas sich ungehindert Buddhi zuwenden. Es wird nicht länger völlig von dem Versuch in Anspruch genommen, die ablenkenden Kämpfe von Kāma-Manas zu kontrollieren. Wenn dieser glückliche Moment gekommen ist, wird die buddhische Kraft der unpersönlichen Liebe – die Anregung des göttlichen und schaffenden Intellekts – den ganzen niederen Menschen beseelen. Unvermutete Fähigkeiten und Kräfte werden in der bislang beschränkten Persönlichkeit zur Entfaltung kommen. Fast täglich werden Friede und Glück zunehmen, ebenso wie die Fähigkeit, den Mitmenschen zu helfen und eine Stütze zu sein. Das ist der Grund, weshalb Rechtschaffenheit und Selbstlosigkeit sich buchstäblich und wahrhaftig selbst belohnen. Aus demselben Grund kann die Ausübung von Bruderschaft und die spirituelle Disziplinierung des menschlichen Willens zu einer großartigen Erweiterung des Bewusstseins führen. Die Menschen, die in dem erhabenen Licht des buddhischen Glanzes leben, sind auf dem Wege, zu Göttern in Menschengestalt zu werden. Vergleicht man dieses System der wahren spirituellen Psychologie mit anderen Systemen, dann zeigt sich schnell, wieviel tiefer der Einblick ist, den wir durch die spirituelle Psychologie von uns selbst bekommen können und wieviel mehr Licht sie auf die uns umgebende komplizierte Welt der Menschen wirft.

Der nächste Abschnitt, den wir den Fundamentals of the Esoteric Philosophy (S. 151) von G. de Purucker entnehmen, kann in diesem Zusammenhang aufschlussreich sein. Er sagt, dass das Wort Psychologie

… in unserer Zeit und in den Kreisen der westlichen Wissenschaft gewöhnlich benutzt wird, um ein mehr oder weniger dunkles, zum größten Teil von Zweifeln und Hypothesen getrübtes Studium anzudeuten, das auf Annahmen beruht, die wenig mehr sind als eine Art mentaler Physiologie, praktisch nicht mehr als das Wirken des Gehirn-Verstandes in dem niederen astral-psychischen Apparat des menschlichen Denkvermögens. Aber in unserer Philosophie wird, wie wir wissen, das Wort Psychologie als etwas ganz anderes und in edlerer Bedeutung angewandt: Wir könnten es Pneumatologie oder die Wissenschaft vom Studium des Geistes nennen, weil alle inneren Fähigkeiten und Kräfte des Menschen letzten Endes dem Geist entspringen. Doch da dieses Wort Pneumatologie ungebräuchlich ist und Verwirrung stiften könnte, bleiben wir bei dem Wort Psychologie. Wir meinen damit das Studium des inneren Menschen, das Untereinanderverbundensein seiner Prinzipien oder Energie- und Kraftzentren – das, was der Mensch in seinem Inneren in Wirklichkeit ist.

Die Theosophie bietet dieses psychologische System mit der Gewissheit und in dem Bewusstsein an, dass der Mensch – der es auf sich selbst und die Probleme des täglichen Lebens anwendet – seinen höchsten praktischen Wert entdecken wird. Es ist kein neues System. Es wurde vor vielen Jahrhunderten auf den immer existierenden und unveränderlichen Gesetzen des Universums gegründet, wovon wir Menschen – unsere Natur, Probleme und Evolution – ein untrennbarer Teil sind. Es ist ein System, das nicht auf Experimenten beruht. Es wurde von den ‘Sehern und Weisen der Jahrhunderte’ entwickelt, erprobt und so unfehlbar gemacht, wie es auf dieser Welt nur möglich ist. G. de Purucker sagt:

Die wahren Seher aber, die großen Lehrer der Menschheit, sind zuverlässige und relativ unfehlbare Führer, sofern ihre eigenen erwachten spirituellen und intellektuellen Fähigkeiten und Eigenschaften ausreichen, denn sie sind auf zwei Wegen oder Weisen in die tiefsten Geheimnisse des Geistes und der Materie vorgedrungen. Danach haben sie für ihre weniger evolvierten Gefährten des Menschengeschlechts ihr relativ unfehlbares Wissen aufgezeichnet. Die eine Weise ihres Vordringens war die Untersuchung der unauslöschlichen Aufzeichnungen des Astrallichts, welche die Darstellung der gesamten Evolution vom ersten Aufdämmern der Zeiten an enthalten. Die zweite geschieht durch Einweihung, durch die man, zumindest in den höchsten Einweihungen, dem eigenen inneren Gott gegenübertritt. … Göttliche Weisheit und alles nur mögliche menschliche Wissen sind im Bewusstsein der inneren Göttlichkeit eingehüllt. …

Es gibt also zwei Quellen der großen Kraft und Weisheit der Seher und Weisen oder höheren Mahātmas: Erstere kommt aus dem Inneren, aus der inneren Kraft und Weisheit, die während vergangener Zeitalter in vielen früheren menschlichen Inkarnationen in verschiedenen Teilen der Welt gewonnen wurde, wodurch das menschliche Ego zur selbsterkennenden Einheit mit dem inneren Gott erweckt wird. Zweitens von ‘außen’ her, wenn man so sagen darf – obwohl das Wort ‘außen’ strenger Kritik ausgesetzt ist –, durch Einweihung, verbunden mit einem sich ständig erweiternden Grad der Empfänglichkeit als Mitglied der großen Bruderschaft hoher Eingeweihter. So kommt es, dass die geheimsten Mysterien der Natur jenen in zunehmendem Maße enthüllt werden, die einmal den Zustand und die spirituelle Stufe der Mahātmas erreicht haben.’

– G. DE PURUCKER, The Esoteric Tradition, S. 1041-2

Das einzig Neue an diesem sehr alten System ist seine heutige Formulierung in menschlicher Sprache mit einigen notwendigen Anpassungen an die zeitgemäße Ausdrucksweise. Es gründet heute, wie schon seit jeher, auf der Existenz des kosmischen Gesetzes, das den Menschen, wie auch das ihn umgebende Universum, als ein siebenfältiges Wesen offenbart. Ferner zeigt dieses System uns den einzigen Weg zum Glück – Harmonie in Denken, Wort und Tat, mit dem universalen Herzen der unpersönlichen Liebe, in dem wir alle spirituell leben, uns bewegen und unser Dasein haben.

Fußnoten

1. Dieser Vorgang ist deshalb spiritueller Art. Der Unterschied zwischen diesem Vorgang und den materialistischen, darwinistischen Evolutionstheorien wird in Man in Evolution von G. de Purucker umfassend erläutert. [back]

2. Siehe Band 2 dieser Reihe: Reinkarnation. [back]