12 – Die Mysterienschulen von heute

Niemals lässt die Bruderschaft der Großen die Menschheit im Stich. Der Pulsschlag des ewigen Herzens des Mitleids durchdringt alles. Das Zurückziehen der Mysterienschulen aus dem Bewusstsein der Öffentlichkeit bedeutet keinesfalls, dass die immerwährende Unterstützung durch die Mahatmas zurückgezogen wurde. Auch heute finden sich überall auf der Welt Mysterienzentren, wie H. P. Blavatsky schreibt, denn „die Geheime Verbindung ist immer noch lebendig und so aktiv wie eh und je“ (Isis, II: 100). Mit peinlicher Sorgfalt von ihren Beschützern behütet, ist die genaue Lage dieser Schulen nicht zu entdecken, außer von den Würdigen; dennoch ist ein geheimnisvoller Schleier nicht gleichbedeutend mit einem Synonym für die Nicht-Existenz.

Wenn das Herz aufhört, Blut in den Kreislauf zu pumpen, wenn die Organe ihre lebenspendene Flüssigkeit aus dem Herzen nicht mehr erhalten – bleibt der physische Körper dann lebendig und funktionstüchtig? Genauso verhält es sich mit dem spirituellen Körper der Erde, dessen mystisches Herz Śambhala ist und aus dessen Herzkammern das esoterische Lebensblut der Bruderschaft in die organischen Zentren hervorfließt. Jedes Mysterienzentrum ist ein organischer Brennpunkt, jeder Mensch eine lebendige Zelle. Alle schulden dem zentralen Herzen spirituelle Treue. Ist die Schlussfolgerung logisch, dass das Herz vergebens schlägt? Ist es logisch daraus zu schließen, dass die Organe ohne das Herz funktionieren? Solche Schlussfolgerungen sind gegen die Vernunft und die Erfahrung.

Es gibt daher drei Arten der Verbreitung des esoterischen Lebensstromes:

(1) Durch die exoterischen und esoterischen Mysterien. Die exoterischen oder Kleineren Mysterien werden „gegenwärtig zum Großteil durch die verschiedenen Aktivitäten der theosophischen Bewegung repräsentiert, die selbst als eine Bewegung exoterisch ist“ (SOP, S. 637). Die esoterischen oder Größeren Mysterien sind – durch die Last der Materie, welche das Bewusstsein der Welt blind macht – gegenwärtig wesentlich sorgfältiger gehütet. Bezeichnenderweise sind gerade wegen des anwachsenden Bedürfnisses nach Licht und Wahrheit „die esoterischen Gruppen der Mysterienschulen heute vielleicht zahlreicher, als sie es tausende Jahre lang waren, …“ (ebenda).

Diese Tatsache ist von weitreichender Bedeutung für die Wahrheitsuchenden. Sobald die Kraft und Macht der alten Weisheit die Zitadelle des Herzens einnimmt, kann man nicht nur durch den Kontakt mit den exoterischen Mysterien ernsthaften spirtuellen Auftrieb empfangen, sondern – noch wichtiger – man stellt sich in die direkte Linie der Inspiration aus den esoterischen Mysterien, den Wohnsitzen oder organischen Zentren der Bruderschaft.

(2) Durch organische Brennpunkte von nationaler Ausdehnung. Im Kreislauf der spirituellen Einflüsse befinden sich alle Länder in magnetischer und sympathischer Schwingung mit Śambhala. Jedes große Land hat seine esoterischen Zentren:

So mag ein kleines Land wie die Niederlande das Zentrum einer geheimen Mysterienschule sein, deren Verzweigungen und Einfluss sich über halb Europa erstrecken könnten. … Und doch hat jede einzelne nationale Einheit des Globus ihre eigenen geheimen, spirituellen Beschützer, die als eine Körperschaft ein wahres esoterisches Zentrum bilden. Wir können sie die Okkulten Wächter eines Volkes nennen. So hat Britannien einen, Deutschland hat einen, ebenso Russland, gleichermaßen die Schweiz, Frankreich, Italien, Spanien, Portugal, China, Indien, Japan, die Vereinigten Staaten, Mexiko, Kanada, Brasilien usw., usw., usw.

– ebenda

Diese nationalen okkulten Wächter mischen sich nicht in politische Angelegenheiten ein; ihre Arbeit ist „rein spirituell, moralisch, intellektuell und gänzlich wohltätig und tatsächlich universal und ist den intuitiven Gemütern der verschiedenen Rassen eine stille Führung“ (ebenda, S. 638).

(3) Der dritte Kanal für esoterische Arbeit ist einer der faszinierendsten und doch am wenigsten erkannten: jener der Erhaltung des Wissens von Zeitalter zu Zeitalter.

Es gibt tatsächlich Gruppen, deren einzige Aufgabe die Bildung von okkulten Initiationszentren ist, Vorbereitung von Schülern für die esoterische Arbeit in der Welt und für den Schutz der unbezahlbaren Schätze – das Erbe der Menschenrasse, sowohl intellektuelle als auch materielle Schätze.

SOP, S. 637

Weder vergeuden die Generationen von Sehern etwas, noch gehen die großen Philosophie- und Religionssysteme in der Dunkelheit der dahinschwindenden Zeitalter verloren. Alles, was von essenziellem spirituellem Wert ist, wird in den geheimen Archiven des Planeten aufbewahrt:

Es gibt über die gesamte Welt verstreut eine Handvoll nachdenklicher und zurückgezogener Schüler, die ihr Leben fern von allem Weltenlärm in Verborgenheit zubringen, ganz dem Studium der großen Probleme der physischen und spirituellen Universen hingegeben. Sie haben ihre geheimen Aufzeichnungen, in denen die Früchte der Arbeit der Gelehrten der langen Reihe von Einsiedlern bewahrt sind, deren Nachfolger sie sind. Das Wissen ihrer frühen Vorfahren, der Weisen von Indien, Babylonien, Niniveh und dem königlichen Theben; die Legenden und Überlieferungen, die von Meistern wie Solon, Pythagoras und Plato in den Marmorhallen zu Heliopolis und Saïs erläutert wurden; Traditionen, deren Wahrheiten bereits zu ihrer Zeit den dichten Schleier der Vergangenheit durchdringen zu schienen – alles dies und noch mehr ist auf unzerstörbarem Pergament aufgezeichnet und mit sorgfältiger Obhut von Adept zu Adept überliefert worden.

Isis, I: 557-8

Eines Tages werden würdige Forscher die verlorenen Schlüssel entdecken, und Mysterium um Mysterium wird gelöst werden; Tempel werden ausgegraben werden; die Geheimnisse der Initiationskammern enthüllt werden; die okkulte Geschichte des Planeten und der Menschenrassen entfaltet werden. Wann? Zur festgesetzten Stunde, eine Stunde, die nicht nach Lust und Laune festgesetzt ist, sondern dann kommen wird, wenn das dritte Auge – jetzt „sehr sorgfältig verborgen und unerreichbar“ – sich in einer esoterischen Geburt erneut öffnen wird.

Purucker zufolge hat das Oberhaupt dieser verborgenen Zentren seine Heimat in Śambhala, mit Zweigen in Syrien, Mexiko, Ägypten, den Vereinigten Staaten und Europa, von denen jeder „der Mutter-Gruppe der Okkulten Hierarchie in Śambhala unterstellt ist“ (SOP, S. 637).

In den Mahatma Briefen wird von Meister M eine wunderbare Beschreibung von einem geheimen Zufluchtsort gegeben, wo sich sein Bruder und Freund KH für weitere Initiationen in die Stille begibt. Die Meister, wenngleich uns weit überlegen, sind immer noch Menschen – großartig menschlich, aber dennoch menschlich – und müssen weitere Prüfungen ablegen, aber solche Initiationen sind von überirdischem Charakter. Über die Prüfung seines Kollegen schreibt M:

Zwei Tage danach, als seine [KHs] ‘Klausur’ beschlossen war, bat er mich beim Abschied: „Wirst du über mein Werk wachen, wirst du darauf achten, dass es nicht in Trümmer fällt?“ Ich versprach es. Was würde ich ihm in dieser Stunde nicht versprochen haben! An einem bestimmten Platz, der Außenstehenden nicht genannt werden darf, befindet sich ein Abgrund, der von einer zerbrechlichen Brücke geflochtenen Grases überbrückt wird, darunter schäumt ein tobender Wildbach. Das mutigste Mitglied Ihrer Alpenvereine würde es kaum wagen, den Übergang zu versuchen, denn sie hängt wie ein Spinngewebe da und scheint morsch und unpassierbar zu sein. Aber sie ist es nicht; wer den Versuch wagt und Erfolg hat – was der Fall ist, wenn es richtig ist, dass er zugelassen wird –, kommt in eine Bergschlucht von unübertrefflicher landschaftlicher Schönheit – an einen unserer Orte und zu einigen unserer Leute, von dem europäische Geographen nichts wissen oder aufgezeichnet haben. Einen Steinwurf entfernt von der alten Lamaserie steht der alte Turm, in dessen Innerem Generationen von Bodhisattvas zur Reife gelangt sind. Dort ist es, wo ihr lebloser Freund jetzt ruht …

– Brief xxix, S. 219

Dort, in diesem Heiligtum, sind „Generationen von Bodhisattvas zur Reife gelangt“, und eine ihrer esoterischen Aufgaben ist die Erleuchtung der Menschheit. Dieses starke Netzwerk okkulter Vitalität fließt in unaufhörlichem Rhythmus entlang der unsichtbaren Arterien und Venen des spirituellen Körpers unserer Erde durch all das Herzeleid und den Kummer der Welt. So tief ist das Mitleid der Bruderschaft, so unermüdlich ihre Arbeit, dass sie – solange nicht der Herzschlag auch des letzten Menschen in Harmonie mit dem Herzschlag der Großen Bruderschaft pulsiert – ihre Aufgabe nicht niederlegen wird.