Band 1: Was ist Theosophie?
Charles J. Ryan
Die Frage, was Theosophie ist, kann auf verschiedene Weise beantwortet werden. Allgemein gesprochen kann man sagen, dass sie die Kenntnis des Wissens darstellt, das die Evolution der gesamten Natur umfasst, und dass sie in ferner Vergangenheit durch große Denker, Philosophen, Menschheitslehrer oder Religionsgründer verbreitet wurde, die sie auf systematische Weise formulierten. Sie wurde auch die alte Weisheitsreligion genannt, welche einst in jedem Land des Altertums bekannt war und die das geistige Erbe der Menschheit ist.
H. P. Blavatsky, die Gründerin der Theosophischen Gesellschaft, wählte im Jahr 1875 das Wort Theosophie für die moderne Wiedergabe der alten Weisheit. Dieses Wort ist griechischen Ursprungs und bedeutet ‘Gottes-Weisheit’ oder Weisheit hinsichtlich göttlicher Dinge. Es steht in Verbindung mit philosophischen Schulen wie jenen der Kabbalisten, der Gnostiker und der Neoplatoniker, welche die Gottheit als das Eine Leben ansehen, aus dem sich alles offenbart und womit sich schließlich alles wieder vereinigen soll.
Im Alexandrien des dritten Jahrhunderts gründete der Inspirator des Neoplatonismus, Ammonius Saccas, eine eklektische theosophische Schule, welche die vielen Formen religiöser und philosophischer Wahrheiten des Westens und des Ostens in einem System zusammenbringen sollte. In der gleichen Tradition strebte H. P. Blavatsky danach, ‘alle Religionen, Sekten und Völker in einem gemeinschaftlichen, auf den ewigen Wahrheiten basierenden ethischen System miteinander zu versöhnen’. In ihrem bedeutendsten Werk, Die Geheimlehre, beschreibt sie das Weltall als einen lebenden Organismus, der aus Bewusstsein auf vielen Ebenen besteht, die alle miteinander verbunden und voneinander abhängig sind, wobei jeder Lebensfunke seine göttlichen Möglichkeiten in aufeinanderfolgenden Leben zur Entfaltung bringt. Auf dieser gegenseitigen Verbundenheit von Mensch und Kosmos gründet sich der Begriff der Universalen Bruderschaft, welche den Menschen dazu anregt, mehr von sich für das Wohl aller zu geben.
Weiter erklärt sie, ‘dass die [in ihrem Werk] erwähnten Lehren … weder ausschließlich zu der hinduistischen, der zoroastrischen, der caldäischen oder der ägyptischen Religion gehören, noch zum Buddhismus, dem Islam oder der jüdischen Lehre des Christentums. Die Geheimlehre ist die Essenz von allen.’
Grundlage der Theosophie ist die Idee, dass es eine universale Wahrheit gibt, die in verschiedenen Formen im Bewusstsein der Menschheit wach gehalten wird – dazu zählen die Religionen, die Traditionen und Überlieferungen der Völker der Welt – bis hin zu den Märchen. Die Suche nach dieser universalen, göttlichen Wahrheit und Weisheit ist ein individueller Pfad, den jeder ausschließlich in seiner eigenen Verantwortung und ohne äußere Vermittler zu wählen berechtigt ist. Verantwortlich sind wir nur uns selbst gegenüber – und dem karmischen Gesetz.
Doch wie können wir diese universale Wahrheit finden? Mit diesem Gedanken beschäftigt sich dieser Titel und beleuchtet die Vorstellungen der Theosophie aus unterschiedlichen Perspektiven.
Theosophische Perspektiven
Band 1: Was ist Theosophie?
Frei überarbeitet nach Charles J. Ryan
© 1997 Theosophischer Verlag der Stiftung der Theosophischen Gesellschaft Pasadena, Eberdingen
Prüfe dich selbst; erkenne, daß Göttlichkeit in dir wohnt, nenne sie, wie es dir gefällt. … Prüfe deine eigenen inneren Bestrebungen, und du wirst erkennen, daß herrliche Dinge in dir sind. Sie sind das Wirken deines inneren Gottes, deiner spirituellen inneren Sonne.
Das ist die Botschaft der großen Weisen und Seher aller Zeiten. …
Die Theosophische Gesellschaft hat dieselbe alte Lehre abermals übermittelt … von diesem lebendigen Feuer in deiner Brust, sie spricht von der Einheit mit allem, was ist und von deiner Verwandtschaft mit allem, was besteht; denn wahrhaftig, du bist eng verwandt mit den Göttern, welche die Herrscher, Berater und Regenten des Universums sind.
– G. de Purucker: Questions We All Ask
Einleitung
Die Frage, was Theosophie ist, kann auf verschiedene Weise beantwortet werden. Allgemein gesprochen kann man sagen, daß sie die Kenntnis des Wissens darstellt, das die Evolution der gesamten Natur umfaßt, und daß sie in ferner Vergangenheit durch große Denker, Philosophen, Menschheitslehrer oder Religionsgründer verbreitet wurde, die sie auf systematische Weise formulierten. Sie wurde auch die alte Weisheits-Religion genannt, welche einst in jedem Land des Altertums bekannt war und die das geistige Erbe der Menschheit ist.
H. P. Blavatsky, die Gründerin der Theosophischen Gesellschaft, wählte im Jahr 1875 das Wort Theosophie für die moderne Wiedergabe der alten Weisheit. Dieses Wort ist griechischen Ursprungs und bedeutet ‘Gottes-Weisheit’ oder Weisheit hinsichtlich göttlicher Dinge. Es steht in Verbindung mit philosophischen Schulen wie jenen der Kabbalisten, der Gnostiker und der Neoplatoniker, welche die Gottheit als das Eine Leben ansehen, aus dem sich alles offenbart und womit sich schließlich alles wieder vereinigen soll. Im Alexandrien des dritten Jahrhunderts gründete der Inspirator des Neoplatonismus, Ammonius Saccas, eine eklektische theosophische Schule, welche die vielen Formen religiöser und philosophischer Wahrheiten des Westens und des Ostens in einem System zusammenbringen sollte.
In der gleichen Tradition strebte H. P. Blavatsky danach, ‘alle Religionen, Sekten und Völker in einem gemeinschaftlichen, auf den ewigen Wahrheiten basierenden ethischen System miteinander zu versöhnen’. In ihrem bedeutendsten Werk, Die Geheimlehre, beschreibt sie das Weltall als einen lebenden Organismus, der aus Bewußtsein auf vielen Ebenen besteht, die alle miteinander verbunden und voneinander abhängig sind, wobei jeder Lebensfunke seine göttlichen Möglichkeiten in aufeinanderfolgenden Leben zur Entfaltung bringt. Auf dieser gegenseitigen Verbundenheit von Mensch und Kosmos gründet sich der Begriff der Universalen Bruderschaft, welche den Menschen dazu anregt, mehr von sich für das Wohl aller zu geben.
Weiter erklärt sie, ‘daß die [in ihrem Werk] erwähnten Lehren … weder ausschließlich zu der hinduistischen, der zoroastrischen, der caldäischen oder der ägyptischen Religion gehören, noch zum Buddhismus, dem Islam oder der jüdischen Lehre des Christentums. Die Geheimlehre ist die Essenz von allen.’
Um zu begreifen, was die Herkunft dieser alten Weisheit ist, müssen wir uns ein umfassenderes Bild des Menschen und seines Platzes in der Natur formen. Eine der bedeutendsten Ideen der alten Weisheit ist der Gedanke der Evolution, einem auch in unserer Zeit vertrauten Begriff. Sie muß tatsächlich in einem umfassenderen Rahmen betrachtet werden, als bisher geschehen. In Kapitel VII wird dieses Thema behandelt. Wir wollen uns im Moment mit der Feststellung begnügen, daß der Kosmos mehr Leben und mehr lebende Wesen umfaßt, als unsere stofflichen Sinne wahrnehmen können. Die Kette der Wesenheiten von den Mineralien, Pflanzen, Tieren und Menschen muß sowohl nach unten, als auch nach oben erweitert werden, was bedeutet, daß die Menschheit nicht die Spitze der Evolution darstellt, sondern daß über ihr Reiche von Wesen in höheren Evolutionsstufen existieren, und daß sich unterhalb von ihr Reiche von Wesen befinden, die in ihrer Evolution unter den Mineralien stehen. Ob sie sichtbar oder unsichtbar sind, ist dabei ohne Belang. Es ist bekannt, daß unsere Sinne in ihrem Wahrnehmungsvermögen sehr begrenzt sind.
Das Wissen, welches die Menschheit besitzt, hat sie durch Erfahrung erworben. Im Vergleich mit uns, haben die Wesenheiten, welche auf einer geistigen Stufe über den Menschen stehen, eine viel tiefergehendere Weisheit erworben und verfügen über umfassendere Kenntnisse der Natur und des Menschen als wir. Sie sind die Bewahrer der Alten Weisheit, von der sie der Menschheit durch ihre uns unter verschiedenen Namen bekannten Vertreter oder Botschafter einen Teil bekannt machen, wenn die Zeit dafür reif ist. Erscheinungen wie Jesus, Buddha, Krishna, Śankarachāryā und viele andere gehören zu der Bruderschaft der Weisen, die sich für die Menschheit verantwortlich fühlt und sie unterstützt, wo immer dies möglich ist. Madame Blavatsky war die Botschafterin für unsere Zeit, die im Auftrag ihrer Lehrer, geleitet von dieser eben erwähnten Bruderschaft, einen Teil der Alten Weisheit in ihren Büchern zusammentrug.
Sie nennt in ihrer Geheimlehre drei fundamentale Grundsätze, welche die Grundlage der Alten Weisheit darstellen. Der erste ist das Bestehen eines überall anwesenden, ewigen, grenzenlosen und unveränderlichen Prinzips, welches die unerkennbare Ursache von allem ist und dem kein anderer Name gegeben werden kann als TAT.
Der zweite Grundsatz beinhaltet, daß das Weltall der Bereich ewiger, niemals endender zyklischer Bewegung ist, voller Offenbarungen des zyklischen Lebens, wodurch Sterne, Planeten und andere Himmelskörper erscheinen und wieder als ‘Funken der Ewigkeit’ verschwinden. Das heißt, daß Milchstraßensysteme, Sonnen, Planeten, Menschen, Tiere und Pflanzen fortwährend im Streben nach Vervollkommnung geboren werden und sterben.
Der dritte Grundsatz handelt von der fundamentalen Gleichheit aller Wesen und der notwendigen Pilgerschaft eines jeden Wesens durch den Zyklus der Wiedergeburten. Das gibt allen die Gelegenheit, durch einen langen Zyklus von Erfahrungen auf sämtlichen Ebenen Kenntnisse aus erster Hand zu erwerben, von den geistigsten bis hinunter zu den materiellsten.
Das Unsichtbare manifestiert sich in der Dualität von Geist und Materie in aufeinanderfolgenden Zyklen von Aktivität und Ruhe – über kosmische, solare oder der Erde entsprechende Zeiträume, bis hin zu den uns vertrauten Perioden von Schlafen und Wachen. Ein Beispiel des universalen zyklischen Wirkens ist die Evolution der menschlichen Seele durch wiederholte Inkarnationen in einem menschlichen Körper auf der Erde, die von Perioden der Ruhe in einem geistigen Zustand abgelöst werden.
Im Osten wird dieser Prozeß richtigerweise als der Große Atem bezeichnet. In den Zeiten des Ausatmens erwachen die Götter; Hierarchien ungezählter Abstufungen geistiger und anderer Wesen werden aktiv. Beim Einatmen vollzieht sich der Prozeß in entgegengesetzter Richtung: das geoffenbarte Weltall kehrt, bereichert an Erfahrung, zum ‘Vater’ zurück.
Der Mensch auf der Erde ist ein Lebensatom des Göttlichen, das in die stoffliche Welt hinabstieg, um Erfahrungen zu sammeln und als ein Pilger den Weg zur Quelle zurück zu suchen. In einem bestimmten Stadium seiner Entwicklung vollzieht sich ein innerliches Erwachen, und dann ist der Pilger in der Lage, bewußt den Pfad zu betreten, der zu dem Gott im Inneren führt. Der einzige Weg, diesen Pfad zu finden ist, das Persönliche zu überwinden und nach den Eingebungen des inneren Gottes zu handeln, das heißt, ein von Selbstsucht freies Leben des Mitleids und der Bruderschaft zu führen. Diese Botschaft der Liebe wurde in allen Jahrhunderten durch die der Menschheit Vorangegangenen verkündet. In Johannes 13,34 sagt Jesus: ‘Ein neues Gebot gebe ich euch, daß ihr einander lieb habt.’
In seinem Buch Fragen, die wir alle stellen drückte G. de Purucker dies folgendermaßen aus:
Liebe ist das Bindemittel im Weltall; sie hält alle Dinge an ihrem Platz und unter ihrer ewigen Obhut; ihre wirkliche Natur ist himmlischer Friede, ihr Kennzeichen ist kosmische Harmonie, die alles durchdringt, die grenzenlos, unvergänglich, nicht endend, ewig ist … Liebe ist eine beschützende Kraft; Liebe ist mächtig, sie durchdringt alles; und je unpersönlicher sie ist, desto höher und mächtiger ist sie. Sie kennt keine Grenzen in Raum und Zeit, denn sie ist das fundamentale Wirken der Natur, das Grundgesetz der Natur, und sie ist das universale Band der Einheit zwischen allen Dingen.
– Levensfragen [Lebensfragen] (niederl. Ausgabe), S. 113/114
Diejenigen, welche den Pfad des Mitleids gegangen sind, die sich von jeder Spur persönlicher Selbstsucht gereinigt haben und lebende Verkörperungen der Liebe und Weisheit geworden sind, sind die Meister der Weisheit, des Mitleids und des Friedens, auch Mahatmas genannt. Sie haben die Wahrheit der fundamentalsten Lehre der Weisheits-Religion, die Einheit des Menschen mit dem Weltall, zur lebenden Wirklichkeit gemacht. Sie haben das Göttliche, den inneren Gott in sich selbst gefunden. Sie waren und sind die wirklichen Inspiratoren der Theosophischen Bewegung, ebenso wie von anderen wahren geistigen Bewegungen auf der Erde.
Wer ist der Mensch?
- Der physische Körper
- Der Astral- oder Modellkörper
- Prāna oder das Lebensprinzip
- Kāma und der Kāma-Rūpa
- Manas
- Ātman und Buddhi
Die Frage, wer und was wir sind, ist die bedeutendste Frage, mit der sich der Mensch beschäftigen kann und worauf er eine Antwort sucht.
Viele betrachten sich als ein Wesen, dessen Existenz mit der Geburt begann und die mit dem Tod ein definitives Ende findet. In diesem Bild formt der menschliche Körper in all seinen Aspekten und mit all den Funktionen, die mit ihm in Zusammenhang stehen, den vollständigen Menschen. Andere wiederum glauben an die Anwesenheit eines bleibenden Prinzips, einer Seele oder eines Geistes, welches dem Menschen bei der Geburt teilhaftig wird und das den Tod überdauert. Wieder andere, darunter die Theosophen, betrachten das bleibende Prinzip im Menschen als ewig beständig –nicht allein in der Zukunft, sondern auch in der Vergangenheit –, das heißt, daß es in jedem Menschen, wie auch in jedem anderen Wesen, einen beständigen Kern gibt, die Quelle seiner Existenz, welcher sich periodisch verkörpert. Alle sichtbaren Formen auf der Erde, Menschen, Tiere, Pflanzen bis hin zum Mineral, sind Äußerungen oder Verkörperungen einer inneren Kraft, eines inneren Kerns, der beständig ist und sich zeitlich der Formen bedient, um darin Erfahrungen zu sammeln. Darauf beruht der heute allgemein bekannte Gedanke der Reinkarnation, worauf wir später zurückkommen.
In seinem Buch Bewußtsein ohne Grenzen sagt James A. Long auf Seite 209 folgendes: ‘Wer ist der Mensch? Wenn wir uns, angefangen von unserem göttlichen Wesenskern bis zur äußersten Hülle, dem physischen Körper, selbst kennen würden, hätten wir das Geheimnis des Lebens in all seinen Phasen gelöst. Was glauben Sie wohl, warum das Orakel von Delphi seine Antwort in diese schon unvergänglichen Worte gefaßt hat – Erkenne dich selbst! Warum wurden sie über dem Portal des Apollotempels eingemeißelt, wenn nicht als eine tägliche Mahnung, daß sich zuerst selbst bemeistern muß, wer die Geheimnisse der Natur meistern will?
Wenn wir behaupten, der Mensch sei zum Teil Atom, zum Teil Milchstraße, kommen wir der Wahrheit so nahe wie Paulus, als er den Korinthern sagte, es gäbe im Menschen einen ,,natürlichen Leib“ (Psyche) und einen ,,geistigen Leib“ (Pneuma), und daß der erste Adam ,,zu einer lebendigen Seele wurde, und der letzte Adam zum Geist, der da lebendig macht“ (1. Kor. 44,45). Ziemlich oberflächlich bezeichnen wir uns als aus Körper, Seele und Geist zusammengesetzt, wissen aber damit in Wirklichkeit nichts anzufangen. Tatsächlich sind wir weit mehr als das; Verstand, Intuition, Verlangen und alle möglichen Eigenschaften bilden den Menschen.’
Die dreiteilige Einteilung des Menschen, wie sie oben beschrieben wird, finden wir u. a. im Neuen Testament (s. 1. Thess. 5,23). Sie kann als verkürzte Ausgabe der Alten Lehre über die siebenfältige Natur des Menschen angesehen werden, worauf in der Theosophie erneut die Aufmerksamkeit gelenkt wird.
Obwohl es möglich ist, die Aspekte des menschlichen Bewußtseins auf verschiedene Arten zu unterteilen und diese siebenfältige Klassifikation keine Regel darstellt, die nicht angetastet werden darf, ist sie für den Neuling leicht verständlich und bietet ihm den Vorteil, daß sie mit dem siebenfältigen Muster, das wir in der Natur vielfältig wahrnehmen, übereinstimmt. Wir finden die Zahl Sieben in den Hauptfarben des sichtbaren Spektrums, das wir alle vom Regenbogen her kennen; im periodischen System der Elemente, bekannt als das Gesetz Mendelejews; in den Schwangerschaftsperioden und bei Krankheiten; in den siebenfältigen Oktaven des Klanges, und in vielen anderen Erscheinungsformen. Es ist wie Plato sagt: ‘Gott geht mathematisch ans Werk’ (Siehe Plutarch, ‘Symposiacs’ VIII, 2). Die allgemeine Übereinstimmung der Zahl mit der religiösen Symbolik ist von großer Bedeutung, und dem tieferen Sinn des siebenfältigen Wirkens der Natur wird in der Theosophischen Literatur viel Aufmerksamkeit geschenkt.
Auch im alten Ägypten und Indien wird die siebenfältige Konstitution des Menschen als eine wohlbekannte Tatsache angesehen. Die sieben Bestandteile der menschlichen Konstitution können vielleicht am besten als die verschiedenen Kontaktpunkte beschrieben werden, die zwischen dem bleibenden Mittelpunkt im Menschen und den ‘Gebieten’ oder Graden der Substanz und des Bewußtseins im Universum bestehen, welche sich vom Etherischsten oder Geistigsten bis zum Grobstofflichsten hin erstrecken. Der bleibende Mittelpunkt, oder die Monade (vom griechischen Wort für ‘Einheit’) bekleidet sich sozusagen mit Gewändern oder Gefährten, die von der gleichen Natur sind wie die Ebenen, in welche sie eintritt, bis sie den stofflichen Körper auf der Erde erreicht und dort als eine neue Persönlichkeit geboren wird. Diese Persönlichkeit wird so mit dem beschränkten Gehirn-Bewußtsein verknüpft, daß die grenzenlosen Bereiche der höheren Wahrnehmung verschlossen werden, so daß nur die Allerwenigsten in den Momenten geistiger Inspiration ein seltsames Glühen empfinden.
Es ist nicht richtig, die sieben Prinzipien als gesonderte Wesenheiten im gewöhnlichen Sinne des Wortes oder als ‘sieben Seelen’ zu sehen. Sie haben sich rund um den bleibenden Kern oder die monadische Individualität verwoben und formen zusammen den gesamten Menschen, wenn auch nur in seltenen Fällen von einem vollkommenen Gleichgewicht die Rede ist.
Es gibt kein besseres Bild des vollkommenen Menschen als die sieben Strahlen des Spektrums, die zu reinem weißen Licht verschmelzen, wenn sie sich auf harmonische Weise zu einem Ganzen vereinigen.
Die folgende Übersicht stellt die sieben Prinzipien dar. Die oberen drei stellen die mehr geistigen und bleibenden Prinzipien dar, während die unteren vier die eher vergänglichen sind:
Sanskritbezeichnung | |
1. Geist | Ātman |
2. Spirituelle Seele | Buddhi |
3. Menschliche Seele | Manas |
4. Tierische Seele | Kāma |
5. Lebenskraft | Prāna |
6. Astral- oder Modellkörper | Linga-Śarīra |
7. Physischer Körper | Sthūla-Śarīra |
Die Sanskritausdrücke sind deshalb aufgeführt, weil sie in der theosophischen Literatur häufig vorkommen und ihnen meistens der Vorzug gegeben wird.
Der physische Körper
Über den physischen Körper braucht nur wenig gesagt zu werden, außer, daß er nicht aus toter Materie besteht – es gibt keine tote Materie.
Die Vorstellung von „toter Materie“ – tot im Sinne von unbeweglich, wenn nicht durch fremde Kraft bewegt – wird von der Wissenschaft nicht mehr gelehrt: Jedes Atom ist ein Brennpunkt intensiver Aktivität, und einige bedeutende Wissenschaftler behaupten sogar, daß jeder Punkt im „Raum“ voller Leben pulsiert – eine wahrhaftig theosophische Lehre.
‘Materie’ kann als die universale Lebensessenz in ihrem passiven oder empfangenden Aspekt betrachtet werden, welche sich in voller Tätigkeit als ‘Energie’ äußert. Der menschliche Körper ist aus einer harmonischen Verbindung von Teilen zusammengesetzt, alle aus unzähligen winzigen Zellen aufgebaut, von welchen jede mit Leben und eigenem Bewußtsein ausgestattet ist. Jede Zelle besteht aus kleineren Lebenselementen, die gemäß der Theosophie zu klein sind, als daß wir sie mit unseren physischen Sinnen wahrnehmen könnten, selbst nicht mit Hilfe von Instrumenten, die wirksamer sind als jedes Mikroskop. Der anscheinend untätige physische Körper ist also eine enorme Anhäufung von lebenden Wesen vieler Grade und Gruppierungen und ist nach dem Prinzip der aufsteigenden Hierarchien aufgebaut; dieses Prinzip beherrscht das gesamte Universum. Ein alter philosophischer Aphorismus sagt: „Wie oben, so unten“, und selbst unser niederstes Prinzip, der physische Körper, spiegelt das Universum wider.
Der Astral- oder Modellkörper
Der Astral- oder Modellkörper ist für das gewöhnliche physische Auge nicht sichtbar; aber er kann unter bestimmten Bedingungen oder von gewissen sensitiv veranlagten Menschen gesehen werden. Allgemein gesprochen ist er ein schattenhaftes Doppel des physischen Körpers, das aus einer etwas feineren Substanz besteht. Genauer gesagt, ist der physische Körper das Duplikat des astralen, denn dieser ist das Modell oder das Muster, in welches die ständig wechselnden physischen Atome eine Zeitlang eintreten und es dann wieder verlassen.
Wenn der Astralkörper auch ätherisch erscheint, so ist er doch während der gesamten Inkarnation außerordentlich stark und fest. Ohne die Unterstützung dieses halbfesten Modells könnte der Körper weder seine äußere Form, noch die persönlichen Besonderheiten wie Mutter- und Geburtsmale beibehalten. Der Grund für die unüberwindlichen Probleme der Psychologen bei ihren Untersuchungen ist der, daß sie die Existenz des Astralkörpers ignorieren.
Die Kenntnis vom astralen Doppel räumt das Problem der Beziehung zwischen Geist und Körper aus; der Astralkörper stellt die Verbindung dar; er ist ein Transformator, um einen sinngemäßen Begriff aus der Elektrizität zu benützen, der die höheren Schwingungen auf die niederen ‘heruntertransformieren’ kann. Er ist außerordentlich plastisch und sensitiv und reagiert sofort auf Gedanken und Gefühle. Er leitet sie zum physischen Körper weiter und erzeugt in ihm sogar sichtbare Wirkungen. Jeder weiß, daß überschwengliche Freude oder heftiger Zorn sogar töten kann, und die Stigmata oder Zeichen von den Wunden Christi, die sich an den Körpern bestimmter religiöser Fanatiker entwickeln, sind das Ergebnis von Eindrücken im Astralen, hervorgerufen durch starke mentale Konzentration. Hypnotische Experimente liefern andere Beispiele. Es werden auch Fälle berichtet, bei welchen Verletzungen des Astralkörpers, wenn dieser von seiner schützenden physischen Hülle gelöst wurde, sichtbare Anzeichen auf dem physischen Körper hinterlassen haben. Umgekehrt kann der Körper durch die astrale Verbindung auch auf die geistigen Prinzipien einwirken.
Der Astralkörper wird vor der Geburt geformt; seine Eigenarten werden genau nach den Ursachen festgelegt, die das Ego in vergangenen Inkarnationen geschaffen hat. Seine plastische und sensitive Konstitution befähigt ihn, auf die mentalen und emotionalen Samen zu reagieren, die in der neuen Inkarnation ins Leben treten. Auf diese Weise werden wir mit einem Körper in Übereinstimmung mit unseren Verdiensten ausgestattet.
Der Ausdruck ‘Astralkörper’ wird oft ungenau benützt, um verschiedene Untergliederungen des halb-materiellen inneren Körpers zu bezeichnen, die psycho-magnetischen Zentren miteingeschlossen, durch welche die vitalen Kräfte strömen.
H. P. Blavatsky sagte sehr wenig über diese Einzelheiten, wies aber klar darauf hin, daß es für Menschen wie uns, die sich im Anfangsstadium der spirituellen Entwicklung befinden, nicht ratsam ist, diesen Dingen Beachtung zu schenken. Es ist viel bedeutender, unser Denken und unser Bestreben zu reinigen und gemäß spiritueller Regeln zu handeln. Wenn wir uns selbst und andere nur mit psychischen Wundern blenden, wird der Mensch nur in Verwirrung gebracht, und die Gefühle egoistischer Natur nehmen zu. Das Studium der psychischen Kräfte ist dann angebracht, wenn es sich um vollkommene, wirklich unpersönliche Menschen handelt, die nicht darauf aus sind, ihre Begierde nach dem Okkulten zu befriedigen, und die für den Unterricht und die Unterweisung durch einen wirklichen Lehrer als Schüler würdig sind.
Der wahre Schüler der Theosophie wird vor allem aufgefordert, sein Denken und seine Wünsche zu reinigen und nach spirituellen Richtlinien zu arbeiten, indem er versucht, jenen, die sich noch in dunkler Unwissenheit befinden, den Weg zu einem höheren Leben aufzuzeigen. Es kann sie nur verwirren, wenn man sie mit psychischen Wundern blendet, und es steigert das Gefühl der Selbstsucht.
Nach dem Tode des physischen Körpers lösen sich die astralen Bestandteile langsam in ihre Elemente auf, während die emotional-mentalen Prinzipien mehr oder weniger bewußt bleiben, bis zur endgültigen Trennung, welche ‘der zweite Tod’ genannt wird.
Prāna oder das Lebensprinzip
Prāna ist ein Sanskrit-Wort und bedeutet ‘Atem’, das erste, was für das physische Leben notwendig ist; aber es hat auch andere verwandte Bedeutungen. In der theosophischen Einteilung der Prinzipien bedeutet es die Lebenskraft, welche durch den Astralkörper tätig ist und entspricht in diesem Sinne Jīva, der göttlichen Monade oder Jīvātman, dem Meer des universalen Lebens, das alles durchdringt. Das Wort ‘Element’ ist passender, wenn man von Prāna spricht, da es nicht exakt ein spezielles Vehikel der Monade ist wie der Astralkörper. Der physische und der astrale Körper bestehen natürlich nicht aus untätiger oder toter Materie. Jedes Lebensatom ist von seiner eigenen Energie durchdrungen, aber wenn es durch die formativen Prinzipien wirkt, dann ist Jīva oder die universale Lebenskraft während der physischen Lebenszeit sozusagen abgesondert und kehrt nach dem Tode in das große Sammelbecken zurück, von dem sie einst ausging.
Der physische Körper kann mit einem Gewebe verglichen werden, bei dessen Herstellung der Astralkörper die Kette ist und Prāna das Weberschiffchen, das den Faden führt. Die Zusammenarbeit der beiden stellt das Gewebe her.
Prāna kann von einem gewissen Standpunkt aus als aufbauende Vitalität angesehen werden, die antreibende Kraft. Dr. de Purucker nennt sie den ‘elektrischen Schleier’ oder das ‘elektrische Feld’, das sich im einzelnen als Vitalität manifestiert (vgl. The Esoteric Tradition, S. 950).
Kāma und der Kāma-Rūpa
Kāma bedeutet ‘Verlangen’ und Kāma-Rūpa ist der ‘Wunschkörper’. Kāma ist das Gleichgewichtsprinzip im Menschen, das vierte Element, wenn man von oben oder von unten zählt (vgl. Tabelle). Wir sind ebenso damit ausgestattet wie die Tiere, aber im Menschen sind die leidenschaftlichen Instinkte durch die Vorstellungskraft gesteigert und intensiviert. Wenn die niedere Natur des Menschen nicht von der höheren kontrolliert wird, ist sie instinktiv, selbstsüchtig und unausrottbar mit dem materiellen, sinnlichen Leben verwurzelt. Dieser Durst nach Leben, Trishnā genannt, kommt aus Kāma. Er führt uns immer wieder und wieder zur Geburt zurück; er ist nicht ein Antrieb des ‘fleischlichen Körpers’, der nur ein passives Instrument ist. Wenn das Verlangen jedoch von der höheren Natur kontrolliert und edlen Zwecken unterworfen wird, ist es ein bedeutendes Werkzeug zum Guten. Ohne jede Art von Verlangen würden wir kümmerlich dahinvegetieren.
Die tierische Seele des Menschen wird oft mit den höheren Prinzipien verwechselt. Das kommt hauptsächlich daher, daß der intelligente Teil des Menschen mit dem vergänglichen materiellen Gehirn und den Nervenströmen gleichgesetzt wird, und daß der wahre, unsterbliche Mensch hinter den täuschenden Erscheinungen unbekannt ist.
Das Wunsch-Element ist universal und auf allen Ebenen aktiv. Die sichtbaren und unsichtbaren Welten wurden „durch das aufsteigende Verlangen in der Unbekannten Ersten Ursache“ erzeugt, natürlich ein Verlangen der subtilsten, spirituellen Art. Im höchsten menschlichen Aspekt stehen Aspiration und selbstlose Hingabe für das Verlangen; wenn es auf das Selbst gerichtet ist, herrscht es in den niedrigsten Aspekten vor und degradiert den Menschen bis unter das Tier, weil er dann seinen Verstand zu unedlen Zwecken mißbraucht. Das ist die Bedeutung der Kreuzigung von Christus am Kreuze der Materie. Das, was beim Tier nur einfach und natürlich ist, weil das entwickelte, selbstbewußte Denken fehlt, bedeutet beim Menschen eine Erniedrigung.
Manas
Manas, oder das Denkvermögen, ist das wesentliche menschliche Element, gewöhnlich das Fünfte Prinzip genannt; es bildet die Verbindung zwischen der mittleren Dreiheit und dem überschattenden spirituellen Strahl und der Elternmonade. Diese Dreiereinteilung ist praktisch und anregend, wenn auch nicht fest und unumstößlich; sie bestätigt die bekannteste Tatsache unserer inneren Erfahrung. Jeder Mensch weiß, daß wir mitten in uns eine selbstbewußte Persönlichkeit besitzen, welche durch höhere oder niedere Kräfte in uns selbst beständig in entgegengesetzte Richtungen gezogen wird. Dieser Konflikt ist eine auffallende Tatsache im Leben und er hat einen Sinn, wenn er auch schmerzlich sein kann, denn er stellt die einzige Methode dar, wie wir unseren Weg zu Weisheit und Befreiung finden können.
Die künftige Evolution des Menschen hängt von seiner Fähigkeit ab, das in seiner Mitte stehende selbstbewußte Ego von den Begrenzungen der Persönlichkeit zu befreien und es durch Selbstbeherrschung und die unwiderstehliche Kraft der unpersönlichen Liebe zur Vereinigung mit der inneren Göttlichkeit zu erheben. Daher ist Manas die Verbindung zwischen dem Gott und dem Tier im Menschen. Was Gut und Böse betrifft, ist es selbst eigentlich farblos, hat aber durch die Ausübung des Willens die Macht der Wahl. Durch die höheren und niederen Wünsche – unpersönliche und persönliche – wird es in entgegengesetzte Richtungen gezogen und dabei dual. Der in der Theosophie verwendete Ausdruck ‘Höheres Ego’ steht allgemein für Manas, wenn es durch Buddhi, die spirituelle Seele, erleuchtet wird. Das niedere Selbst ist der Teil von Manas, der unter der Herrschaft der mehr tierischen Impulse steht. Das Höhere Selbst entspricht Weisheit, Liebe, Harmonie und Intuition – kurz der Unpersönlichkeit. Die Persönlichkeit entspricht berechnender Selbstsucht, dem kalten, urteilenden Gehirn-Verstand und der Hingabe an die Sinneslust.
Für Menschen, die mit der Theosophie noch nicht vertraut sind ist es vielleicht am schwierigsten, die Darlegungen über das höhere und das niedere Manas zu verstehen, dennoch sind sie außerordentlich wichtig, denn sie zwingen uns, uns selbst auf sehr reale Weise ins Gesicht zu sehen. In gewisser Weise ist Manas das Schlachtfeld, auf dem unsere Zukunft entschieden wird. Das wird viele Inkarnationen dauern, aber für diejenigen, die unbeirrbar nach Vervollkommnung streben, wird die Zeit sehr verkürzt.
In seinem Buch Das Meer der Theosophie (Kapitel 7, S. 75-76) schreibt William Quan Judge folgendes:
Manas oder der Denker ist das reinkarnierende Wesen, das Unsterbliche, das alle Ergebnisse und Werte der verschiedenen auf der Erde und anderswo gelebten Leben in sich speichert. Manas wird in seiner Natur dual, sobald es sich mit einem Körper verbindet. Weil das menschliche Gehirn ein höheres Organ ist, wird es von Manas benützt, um aus Voraussetzungen Schlußfolgerungen zu bilden. Das unterscheidet auch den Menschen vom Tier, denn das Tier handelt automatisch nach sogenannten instinktiven Impulsen, während der Mensch den Verstand gebrauchen kann. Dieser Verstand ist der niedrigere Aspekt des Denkers oder des Manas und nicht, wie manche angenommen haben, die höchste und beste Begabung des Menschen. Der andere, in der Theosophie viel höher bewertete Aspekt des Manas ist der intuitive Aspekt, der unabhängig vom Verstand erkennt. Das niedere und rein Intellektuelle steht dem Prinzip des Verlangens am nächsten und unterscheidet sich dadurch von seinem anderen Aspekt, der eine Anziehung zu den oberen, geistigen Prinzipien hat. Wenn also ‘der Denker’ völlig im Intellekt aufgeht, ergibt sich für den ganzen Menschen eine abwärts gerichtete Tendenz: denn der isolierte Intellekt ist kalt, herzlos, selbstsüchtig, weil er nicht durch die beiden anderen Prinzipien, Buddhi und Ātman, erleuchtet wird.
Im Tierreich kommt Manas nur schwach zum Ausdruck; dort gibt es weder Selbstbewußtsein noch Voraussicht, noch bewußte berechnende Entscheidung, wenn auch einige der höheren Tiere Anzeichen des Fortschritts zeigen, besonders jene, die in enger Beziehung zum Menschen stehen. Es ist jedoch nicht ratsam, ihre Intelligenz vorzeitig zu entwickeln, weil damit der natürliche Ablauf ihrer Evolution gefährdet wird. Zwischen dem Tier- und dem Menschenreich besteht ein großer Unterschied. Der Mensch ist mehr als ein höher entwickeltes Tier im Sinne Darwins. Das tierische Denken hat sich noch nicht zum selbstbewußten menschlichen Verstand herangebildet. Der Mensch besitzt ein eigenes Licht, welches ihn seit einem bestimmten Zeitpunkt in der Entwicklung seiner niedrigeren Körper erleuchtet. Das selbstbewußte Manas ist das kennzeichnende Merkmal des Menschen. Es hat sich nicht durch natürliche Selektion oder auf eine andere Art aus dem Tier entwickelt. Der wirkliche Mensch, das höhere Manas, überschattet seine niederen Prinzipien oder steht sozusagen neben ihnen. Während Manas spiritueller wird und sich mit dem sechsten Prinzip, Buddhi, vereinigt, wird der Mensch zu mehr als einem Menschen – er wird ein selbstbewußter Gott. Manas kann als schöpferisches Prinzip betrachtet werden, als der Widerschein des Kosmischen Schöpfergeistes.
Ātman und Buddhi
Göttliches Ātman oder die Monade, und Buddhi oder die spirituelle Seele, sind die einzigen beständigen Prinzipien im Menschen; genau genommen manifestieren sie sich nicht als Teile der gewöhnlichen Persönlichkeit, sondern sie überschatten sie. Das Buddhi-Prinzip ist nur im vollkommenen Adepten voll manifestiert. Wir lesen in dem Buch The Mahatma Letters to A. P. Sinnet:
Die höchste Kraft wohnt in Buddhi; latent – wenn sie nur mit Ātman verbunden ist – aktiv und unauflösbar, wenn sie durch die Essenz von „Manas“ galvanisiert ist, und wenn sich nichts von der Schlacke des letzteren mit dieser reinen Essenz vermengt und sie durch seine begrenzte Natur niedergezogen wird.
– Brief 59, S. 341
Der große Lehrer, Buddha, bezeichnete das Sechste Prinzip, Buddhi, als das Feuer, welches im Ewigen Licht brennt. Es ist der ungeoffenbarte Geist, der die Dinge der göttlichen Welt ohne Schleier sieht.
H. P. Blavatsky schreibt, wenn sie von Ātman, der „Einen Realität“ spricht:
Wir sagen, daß der Geist (der „Vater im Verborgenen“ von Jesus) oder Ātman nicht das persönliche Eigentum von jemandem ist, sondern die göttliche Essenz, die keinen Körper und keine Form besitzt, die unsichtbar und unteilbar ist, das was nicht besteht und doch ist, wie die Buddhisten von Nirvana sagen. Die Sterblichen werden von dieser Essenz lediglich überschattet; das, was in sie eingeht und den ganzen Körper durchdringt, sind nur ihre allgegenwärtigen Strahlen, oder das Licht, das durch Buddhi, ihr Vehikel und die direkte Emanation, ausgestrahlt wird.
– The Key to Theosophy, S. 101
Um es nun aber dem menschlichen Intellekt deutlicher begreiflich zu machen: wenn jemand anfängt, den Okkultismus zu studieren und das ABC des menschlichen Mysteriums zu ergründen, nennt der Okkultismus dieses siebente Prinzip (Ātman) die Synthese des sechsten und gibt ihm die spirituelle Seele, Buddhi, zum Vehikel. Nun aber birgt letzteres ein Mysterium, in welches niemand eingeweiht werden darf, mit Ausnahme unwiderruflich vereidigter Chelas, oder jenen, denen ein unumwundenes Vertrauen geschenkt werden darf.
– The Key to Theosophy, S. 119-120
Ātman zu begreifen übersteigt unser Vorstellungsvermögen; das Buddhi-Prinzip kann man sich nur sehr vage vorstellen. Wir können versuchen, uns letzteres als wunderbaren, strahlenden Glanz des spirituellen Lichtes auszumalen, welcher nach und nach das gereinigte Manas durchdringt. Buddhi ohne Manas ist für uns nicht selbstbewußt und kann nicht auf den mentalen Ebenen tätig sein, aber wenn die beiden vereinigt sind, ist der Mensch mehr als ein Mensch. Der so erreichte spirituelle Zustand übersteigt die Begrenzungen der Persönlichkeit, wie wir sie verstehen, in unendlichem Ausmaß und es ist klar, daß das Gemüt von jeder Spur von Egoismus unbedingt gereinigt werden muß, um ihn zu erlangen. Das geschieht durch langes, fortgesetztes Bemühen während vieler Inkarnationen.
Wir müssen unsere Brüder lieben und den Gott in uns entdecken. Dies ist der einzige Weg zum Herzen des Universums. Deshalb beruht die Mitgliedschaft in der Theosophischen Gesellschaft auf der Überzeugung von der universalen Bruderschaft und nicht auf einem Glaubensbekenntnis oder Dogma. Die Prinzipien oder Elemente in der zusammengesetzten Natur des Menschen werden manchmal als drei ineinandergreifende Unterteilungen dargestellt: Die obere, die mittlere und die niedere oder sterbliche Dreiheit, wie in folgender Tabelle dargestellt:
{ | Ātman | Geist, der Innere Gott, die Göttliche Monade. | ||
Obere Dreiheit | Buddhi | Strahl, der von Ātman ausgeht. | ||
{ | Manas | Menschliche Seele mit ihren höheren und niederen Aspekten. | ||
Mittlere Dreiheit | Kāma | Das Wunschprinzip. | ||
{ | Linga-Śarīra | Astral- oder Modellkörper. | ||
Untere Dreiheit | Prāna | Lebenskraft. | ||
Sthūla-Śarīra | Physischer Körper. |
Der Linga-Śarīra (Astralkörper), das Bindeglied zwischen der unteren und der mittleren Triade, kann als die Seele der unteren Dreiheit oder als der Körper der mittleren Dreiheit betrachtet werden.
Reinkarnation
Die Reinkarnation ist eine sehr alte, über die ganze Welt verbreitete Lehre. Sie stellt im Rahmen des allgemeinen Gesetzes der Wiederverkörperung einen besonderen Fall dar. Dieses Gesetz betrifft nicht nur die menschlichen Wesen, sondern auch die Planeten, Sonnen und Universen.
Es ist noch nicht so lange her, daß Reinkarnation für die westliche Welt eine neue und fremdartige Vorstellung war, wenn sie auch in der östlichen Welt allgemein bekannt war. In der öffentlichen Presse wurde der Gedanke lächerlich gemacht und mit der irrigen Vorstellung der Transmigration ins Tierreich vermischt, was die Theosophie ablehnt. Die Theosophische Lehre besagt: „Einmal ein Mensch, immer ein Mensch“, bis ein noch höherer Zustand erreicht ist. Die Arbeit von H. P. Blavatsky hat das westliche Denken so stark verändert, daß die Reinkarnation bereits von unzähligen Menschen angenommen wurde, die erkannten, daß sie die einzige vernünftige Erklärung für die Rätsel des Lebens darstellt, insbesondere für die Ungleichheiten der Geburt und der Erziehung. Die Reinkarnation wird jetzt in der Literatur von allen fortgeschrittenen Denkern ernsthaft dargestellt; sie wurde zu einem beliebten Thema und kommt auch in Radio- und Fernsehsendungen zur Sprache.
Als H. P. Blavatsky dem Westen die Reinkarnationslehre brachte, gab sie uns eine neue Einstellung zum Leben, einen neuen Schlüssel zur göttlichen Natur des Menschen, eine verständliche Erklärung der Evolution. Die Reinkarnationslehre kann mit wenigen Worten so umrissen werden, daß der Mensch viele Male als ein menschliches Wesen auf Erden zu leben hat. Die Bedingungen jeder Inkarnation sind das natürliche Resultat der Ursachen, die in früheren Leben gelegt wurden. Zwischen den Verkörperungen erfreut sich die höhere Natur in einem subjektiven Zustand eines glückseligen Intervalls der Ruhe und des Friedens. Wenn die Evolution des Menschen auf diesem Globus bis zu ihren höchsten Grenzen fortgeschritten ist, wird er zu höheren Sphären weitergehen.
Diese konzentrierte Erklärung könnte ohne die klare Bezeichnung dessen, was mit „Mensch“ gemeint ist, irreführen. Es wurde bereits gesagt, daß der Mensch ein zusammengesetztes Wesen ist, in seinen höheren Elementen beständig, doch in seinen niedrigeren sterblich. Der höhere spirituelle Teil erschafft, wenn er inkarniert ist, sozusagen eine vorgetäuschte, zeitgebundene Persönlichkeit mit dem Empfinden „Ich bin ich“.
In dieser ‘Persönlichkeit’ leben wir gewöhnlich, obgleich Funken des höheren unsterblichen Bewußtseins, welche unsere hohe Abstammung bezeugen, den Schleier durchdringen, je nachdem, wie wir geistig fortschreiten.
Es ist nicht ganz richtig zu sagen, daß die gegenwärtige Persönlichkeit, das Alltagsbewußtsein des Selbst, früher gelebt hat oder wieder leben wird. Die Natur ist zu weise, zu barmherzig, um uns zu gestatten, diese Persönlichkeit mit ihren Begrenzungen, ihren Schwächen und vor allem mit den unglücklichen Erinnerungen, für immer mit uns herumzuschleppen. Glücklicherweise verändern wir uns ständig, wir wachsen und lernen. Das Wort „Persönlichkeit“ (von persona, Maske) beschreibt das vorübergehende Instrument gut, welches vom Höheren Selbst hervorgebracht wurde, um Erfahrungen in dieser Welt zu sammeln. Aber die Persönlichkeit wird nicht unbedingt vernichtet. Während sie kämpft und leidet und sich reinigt, bekommt sie immer mehr Licht von oben und nähert sich dem Bild des ‘Vaters’ an. Selbst wenn die Persönlichkeit irgendeines Lebens weit davon entfernt ist, rein zu sein, sind ihre edleren Eigenschaften und Erinnerungen nie verloren, sondern sie werden beim Tod in das Innere des wahren Menschen eingezogen. Was stirbt, ist das, was nicht wert ist, erhalten zu werden.
Viele akzeptieren den Gedanken an ein zukünftiges Weiterbestehen der Seele, wenn jedoch im Menschen wirklich ein unsterblicher Teil existiert, kann man sich fragen, ob diese Unsterblichkeit (oder Unendlichkeit – was dem entspricht) sich nur in eine Richtung erstreckt. Kann Unsterblichkeit einen Anfang haben? Diese Frage kann nur auf der Grundlage einer Präexistenz beantwortet werden, und das führt zu dem Gedanken, daß wenn die Seele von einem mehr ätherischen Zustand in dieses physische Leben herabstieg, sie dies auch zu einem früheren Zeitpunkt getan haben kann, dem universalen Wissen der Periodizität oder der zyklischen Evolution Gehör schenkend.
Das menschliche Leben ist ein kontinuierlicher Prozeß, und die Periode zwischen den Inkarnationen, wenn die Seele in weniger stoffliche Verhältnisse zurückkehrt, kann mit der uns so vertrauten Unterbrechung des Schlafes verglichen werden. Die Reinkarnation in einer körperlichen Form ist nur ein besonderes Beispiel des universellen, kosmischen Prinzips der Periodizität oder des zyklischen Wissens, welches überall wirksam ist und worauf der früher erwähnte zweite Grundsatz der Alten Weisheitslehre hinweist.
Uns allen sind die Kreisläufe von Tag und Nacht, von Wachen und Schlafen, vom Wechsel der Jahreszeiten und ihrer Wirkungen vertraut; der Aufstieg und Fall von Nationen; die Schwankungen des Marktes; die Mondphasen; die größeren astronomischen Zyklen und viele andere im Menschen-, Tier- und Pflanzenleben. Der Mensch als Seele ist keine Ausnahme von dem großen Gesetz, und sein Voranschreiten durch Inkarnationen auf Erden, das mit den Ruhepausen auf spirituellen Ebenen abwechselt, ist nur ein Teil der größeren und erhabeneren Kreisläufe.
Wenn der physische Körper abgenutzt ist, wenn seine Partikel eine Zeitlang zerstreut sind und der höhere Teil der gereinigten Persönlichkeit in das Wahre Selbst zurückgezogen ist, dann ist die Verbindung des menschlichen Ego zur Erde keineswegs gelöst. Es ist für die Vergangenheit verantwortlich, es hat viele unvollendete Aufgaben zurückgelassen, und es hat noch nicht einmal einen Bruchteil der in einer verkörperten geistigen Wesenheit schlummernden göttlichen Möglichkeiten verwirklicht. Die Menschheit als eine Rasse befindet sich noch – mit sehr wenigen Ausnahmen – in ihrer Kindheit und wird in diesem Zustand bleiben, bis ihre wirkliche Göttlichkeit in ihrer Fülle offenbart wird. Die menschliche Persönlichkeit, wie wir sie heute kennen – die Maske des eigentlichen Menschen –, ist nur ein dürftiges Abbild des herrlichen Wesens, das er einst sein wird. Reinkarnation ist die einzig mögliche Methode für eine solche Evolution.
Aber nach dem „unsteten Fieber des Lebens“ sind Ruhe und Erholung notwendig; und das reinkarnierende Ego wird in Kāma-Loka, der Welt des Verlangens, gereinigt, indem alle niederen Elemente abgeworfen werden. Befreit von allem, was es durch Anziehung an die Erde bindet, durchschreitet es den ‘zweiten Tod’ und geht in die Ruhe und Glückseligkeit von Devachan ein. Die Leidenschaften, Fehler und die leidvollen Erinnerungen vergehen mit dem Körper. In diesem Zustand des hohen spirituellen Bewußtseins bleibt es annähernd hundertmal so lange, wie die letzte Verkörperung dauerte, in Abhängigkeit vom Charakter des Individuums. Dann beginnt in Übereinstimmung mit dem zyklischen Gesetz eine neue Inkarnation. Wir bekommen eine „neue Gelegenheit“, um die Vergangenheit auszugleichen, bis wir unsere Lektion der spirituellen Erkenntnis gelernt haben.
Wir können vor den Verantwortlichkeiten dieses Lebens nicht in einen ewigen Himmel der Glückseligkeit entfliehen, sondern müssen unsere Aufgabe in einer erneuten Existenz auf der Erde zu Ende führen. Jedesmal bekommen wir erneut die Gelegenheit, für das Wohl der großen menschlichen Familie zu arbeiten, zu welcher auch wir gehören. Sobald ein gewisses hohes Stadium spiritueller Entwicklung erreicht ist, erübrigt sich die Inkarnation auf der Erde; dann erwartet uns der unaussprechliche Segen Nirvānas (nir aus, vāna geblasen); die Seele wird frei, und Inkarnation wird dann zu einer Frage der freiwilligen Entscheidung. Man kann sich nichts Edleres vorstellen, als freiwillig auf Nirvāna zu verzichten, um zurückzukehren und der Menschheit auf ihrem mühevollen Weg zu helfen. Das ist das Ideal der vollkommenen Liebe, welches einzelne der würdigsten, erhabensten Seelen, welche die Erde kannte, erreichten.
Karma
Reinkarnation ist die natürliche Methode, durch welche die Seele lernt, und sie schließt folgerichtig die Tatsache mit ein, daß wir die Ergebnisse unserer Handlungen in früheren Leben auf uns nehmen müssen. „Ernten die Menschen Weintrauben von Dornensträuchern oder Feigen von Disteln?“ fragte Jesus in der Bergpredigt, als er das Gesetz von Karma lehrte.
Karma ist essentiell das Gesetz, das Ursache und Wirkung ausgleicht, das die gestörte Harmonie „auch noch nach vielen Tagen“ wiederherstellt. Wir können nicht bestreiten, daß in der materiellen Welt das Gesetz von Ursache und Wirkung herrscht, aber dieses Gesetz erstreckt sich noch weiter auf alle Gebiete der Existenz. Unfehlbar wirkt es sich aus – sei es bei einer liebe- oder mitleidsvollen Tat oder bei einer haßerfüllten oder grausamen Tat, aber auch beim Herunterfallen eines Steines. Es wäre abscheulich, in einer Welt zu leben, in der man nicht darauf vertrauen kann, daß die Natur auf konsequente Weise wirkt.
Ein sehr wichtiger Gesichtspunkt von Karma ist die Tatsache, daß eine Zeitspanne von anscheinend ‘schlechtem’ Karma – Leiden und Prüfungen – in Wirklichkeit kein Unglück sein muß, sondern eine großartige Gelegenheit für den Menschen darstellt, edle Eigenschaften zu entwickeln. „Gold wird im Feuer geläutert“. ‘Gutes’ Karma ist das, was die Seele für ihre Entwicklung braucht, selbst wenn wir es mitunter als schwer und unangenehm empfinden. Es heißt, daß das innere Selbst manchmal den steinigen Weg wählt, um seinen Fortschritt zu beschleunigen. Selbst die äußere Persönlichkeit handelt so, wenn sie die Notwendigkeit dazu erkennt. Der menschliche Wille kann immer Neues verursachen, was die Auswirkung des Vorausgegangenen wiederum beeinflußt.
Es mag unvermeidbar sein, daß man physisch leiden muß; doch entsprechend der Art, wie das Leiden angenommen wird, ist die Wirkung auf den Charakter gut oder schlecht. Es gibt auch Fälle, in denen sich treue Seelen freiwillig für andere hingeben und wo dieses Handeln unvermeidbar zu äußerem Leiden führt. Doch dieser Schmerz ist nicht durch bösen Vorsatz hervorgerufen, sondern durch das Gegenteil. In seinem Buch Bewußtsein ohne Grenzen sagt James A. Long:
Die Leute sprechen manchmal von gutem und schlechtem, von angenehmem und unangenehmem Karma. Für mich gibt es so etwas wie gutes oder schlechtes Karma nicht, denn die Ereignisse, die Auswirkungen unserer Gedanken und Handlungen, sind alle nur Gelegenheiten. Das ist der Schlüssel. Karma als Gelegenheit gibt jedem die gleiche Entwicklungsmöglichkeit. Darin sehe ich keine schwer zu tragende Last. Wir müssen lediglich unsere Reaktionen auf unsere Umstände abstimmen und diesen mit den richtigen Einstellungen begegnen. Wenn wir uns aber unklugerweise gegen die sogenannten unangenehmen Lebensereignisse auflehnen, dann verlängern wir die Wirkungen der falschen Handlungen immer weiter, bis wir schließlich aufwachen und erkennen, daß wir nur gegen uns selbst rebellieren.
Es ist unwichtig, wieviel Leiden wir in diesem Leben auf uns nehmen müssen – unser Karma wird nie schwerer sein, als wir tragen können. Suchet einen Menschen mit schwerer karmischer Bürde, und ihr werdet eine starke Seele finden. Der Mensch, der wirkliche Qualen erleidet, ist eine Seele, die sich kraft der Stärke ihres höhergeistigen Strebens das Recht erwarb, ihr ‘Metall’ durch und durch prüfen zu lassen.
– Seite 28-29
Wir wissen alle, daß sich der Mensch mit Sicherheit einen Knochen brechen wird, wenn er von einer Klippe herunterstürzt, aber nicht geklärt ist, warum einige Menschen ‘wunderbarerweise’ ohne Verletzung davonkommen. Viele von uns kennen solche Vorfälle aus unserem eigenen Umkreis oder aus der nächsten Umgebung. Andererseits haben viele Menschen ‘außerordentliche’ Unfälle erlitten, die sich unter Bedingungen ereigneten, in denen keinerlei Gefahr zu drohen schien.
Die Wissenschaft bejaht die unumstößliche Tatsache, daß physikalische Ursachen entsprechende physikalische Wirkungen hervorbringen; und die alltägliche Beobachtung bestätigt, daß wilder Hafer, in der Jugend gesät, im Alter eine Ernte von Schwierigkeiten hervorbringt – wenn der Sämann lange genug lebt. Aber wenn nicht? Entkommt er dann, ohne bezahlen zu müssen?
Nein, die Natur ist gerecht und sorgt dafür, daß ein Ausgleich in einer anderen Inkarnation stattfindet. Die Ernte wird dort eingefahren, wo die Samen gesät wurden. Dadurch, daß die Lehre von Reinkarnation und Karma im Westen größtenteils verschwunden war, wurde das natürliche intuitive Gefühl dafür, daß das, was der Mensch zeit seines Lebens verursacht hat, eine Auswirkung haben muß, von der Lehre eines ewigen Jenseits des Glücks oder Schmerzes verdrängt. Glücklicherweise haben diese Begriffe mit der Zeit ihre scharfen Grenzen verloren.
Die Vertreter der Theorie vom einmaligen Leben, welche über die offensichtliche Ungerechtigkeit bei der Zuteilung von Möglichkeiten oder Gelegenheiten beim Eintritt in diese Welt nachdachten, brachte dieses Problem zur Verzweiflung. Wir werden nicht nur in eine bestimmte Familie, in eine Nation und Rasse, in eine gute oder schlechte Umgebung, gesund oder krank oder behindert geboren, sondern wir beginnen mit einem eindeutig moralischen und intellektuellen Charakter, der nicht so leicht verändert werden kann, auch nicht mit großer Anstrengung. Einige begünstigte Menschen bekommen jede mögliche Hilfe, um ein edles Leben zu führen; andere werden in Elend und Verbrechen hineingeboren und erhalten nur Fußtritte. Die allgemeine und gänzlich unwissenschaftliche Meinung besagt, das sei alles eine Sache von Zufall oder Glück. Das bedeutet einfach, daß die Lösung des Problems als hoffnungslos aufgegeben wurde. Geht man nur von einem einzigen Leben aus, ist es in der Tat so; das ist schlimm, es ist blasphemisch, denn es würde bedeuten, daß die Welt nicht durch Gesetze geleitet wird, sondern durch ein verrücktes Flickwerk von „Wirkungen“ ohne angemessene Ursachen.
Wie verändert sich das Bild, wenn wir die Lehre von Reinkarnation und Karma kennenlernen, wie wohltätig und geordnet wird das Leben! Bis jetzt haben wir nur die Rückseite des Wandteppichs betrachtet und nichts als ungeordnete Flecken und lose Fadenenden gesehen. Wenn uns klar wird, daß unser Schicksal in unseren eigenen Händen liegt, daß wir nicht nur für die Taten der Vergangenheit bezahlen, sondern daß wir uns unsere eigene Zukunft unter dem unbeirrbaren Gesetz von Karma gestalten, und daß wir uns auf absolute Gerechtigkeit verlassen können – was echtes Mitleid ist –, dann ändert sich unsere gesamte Haltung dem Leben gegenüber. Wir erkennen nicht nur in der physischen Welt Gesetz und Ordnung, sondern ebenso, daß die Natur eine Einheit ist und daß dieselben Prinzipien auf allen Ebenen wirken: mental, physisch und spirituell. Das Gesetz wirkt bei den kleinsten Ereignissen in unserem Leben ebenso zwingend wie beim Fallen eines Steines oder bei der Wirkung von chemischen Substanzen. Wir wiederholen: Das menschliche Leben ist ein Kontinuum, und die Verbindung zwischen den Inkarnationen ist Karma, das Gesetz des Ausgleichs zwischen Aktion und Reaktion. Im Sanskrit bedeutet das Wort ‘Handlung’.
Ein anderer wichtiger Aspekt von Karma und Reinkarnation ist, wie die Frage der Vererbung erklärt wird, wie das Auftauchen großer Genies oder wie sich Entartungen bei gesunder Elternschaft erklären lassen.
In dem Buch Man in Evolution von Dr. G. de Purucker lesen wir auf Seite 227:
‘Es ist die Anziehungskraft, welche die Menschen zusammenbringt. Sobald das Wesen bereit ist, zu reinkarnieren, wird es psychomagnetisch, instinktiv, wenn Sie möchten, zu seiner Familie, zu seinem Mutterleib hingezogen, der mit seinen Schwingungen am besten übereinstimmt. Durch Nachdenken und Reflexion, durch Studium und Untersuchung, soll es Ihnen deutlich werden, daß Sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu jener Familie, zu jener Umgebung, hingezogen werden, die Ihnen jene Schwingung anbietet, die der Ihren am meisten entspricht. Ihre Schwingung hat weniger Schwierigkeiten, mit der Familie zu synchronisieren als mit einer anderen. Charaktere verkörpern sich daher in Familien, die mit dem Charakter des reinkarnierenden Egos übereinkommen. Und das ist die wirkliche Ursache für die Übereinstimmung von Charakteren in einer Familie. Es sind nicht die Eltern, die ihrem Kind die kennzeichnenden Eigenschaften geben. Es ist das Kind, das diese Eigenschaften in sich trägt, und das durch die übereinstimmenden Schwingungen zu den Eltern hingezogen wird, die ihm einen Körper geben, der bestens dafür geschaffen ist, den Charakter, den es in potentia schon besitzt, auszudrücken; und auf diese Weise bleibt der allgemeine Charaktertypus der Familie bewahrt, wenn er auch fortlaufenden Veränderungen unterliegt.’
Das Hervorbringen einer bestimmten Persönlichkeit durch Vererbung ist die natürliche Methode, wodurch das wirkliche Selbst das beste mentale und physische Instrument für sein zukünftiges Erdenleben bekommt. Es wird selbstverständlich so lange angezogen, bis die Umstände, worin sein Karma sich auswirken kann, am effektivsten sind; jedoch beherrschen sie nicht notwendigerweise das gesamte Gebiet. Nicht alle Samenkörner, die in einem Leben gesät wurden, können im nächsten Leben geerntet werden; etliche müssen noch so lange warten, bis für sie die rechte Zeit gekommen ist. Die Erblichkeit jedoch, oder was gewöhnlich hierunter verstanden wird, ist nicht das beherrschende Element in unserem Leben, wenn es stimmt, was H. P. Blavatsky sagt:
„Es ist obendrein unbezweifelbar, daß in dem Falle menschlicher Inkarnationen das Gesetz des rassischen oder individuellen Karmas die untergeordneten Triebe der Vererbung, seiner Dienerin, über den Haufen wirft.“
– Die Geheimlehre, Bd. II, S. 1881
Die eigentliche beherrschende Kraft ist der Mensch selbst, der seine Zukunft mit jeder Handlung und mit jedem Gedanken bestimmt. Man sollte Karma nicht als äußeres Schicksal betrachten oder als etwas, das wir gegen unseren Willen hinnehmen müssen. Unser Karma ist das, was wir für uns selbst bereitet haben, was wir selbst in unseren Charakter eingebaut haben.
Auf jeden Fall sollte man Karma weder als Strafe für Sünden noch als Belohnung für Tugenden betrachten, die von einer alles beherrschenden ‘Vorsehung’ zugeteilt werden. Es ist die Konsequenz, die unfehlbar einer Handlung folgt, ‘wie das Rad dem Huf des Zugtieres folgt’ (Dhammapada, Vers 1). Was auch immer ‘Vergebung der Sünden’ bedeuten mag, es besagt nicht, daß die Folgen ausgelöscht werden. In der Geheimlehre sagt H. P. Blavatsky:
‘Denn das einzige Gesetz von Karma – ein ewiges und unveränderliches Gesetz – ist unbedingte Harmonie in der Welt des Stoffes, so wie sie es ist in der Welt des Geistes. Nicht Karma ist es daher, das belohnt oder bestraft, sondern wir belohnen oder bestrafen uns selbst, je nachdem ob wir entweder mit, mittels oder gemäß der Natur wirken, indem wir den Gesetzen, von denen Harmonie abhängt, gehorchen – oder sie brechen.’
– Bd. I, S. 704-7052
Nach dem Tod
Der Tod ist nicht der ‘König der Schrecken’, sondern ein freundlicher Befreier, eine segensreiche Befreiung für den Geist. Er ist an sich schmerzlos und das Tor zur Ruhe und zu unaussprechlicher Seligkeit. ‘Tod ist Geburt’ in einem sehr realen Sinne. Er ist ein völlig natürlicher Vorgang, notwendig für die Evolution des Menschen über die Zyklen des Erden-Lebens hinweg; er ist so notwendig wie der Schlaf, dem er auf mehr als eine Weise gleicht.
Der Tod ist jedoch keine endgültige Befreiung; er ist nicht das, was die östliche Philosophie als ein Überqueren oder Erreichen des ‘Anderen Ufers’ bezeichnet. Das ist ein dichterischer Ausdruck für die Tatsache, daß die Erkenntnis des inneren Gottes erreicht ist, das Resultat, das man sich durch viele Tode und Geburten erkämpft hat. Es ist der Zustand hoher Adeptschaft.
Die Menschen, welchen die inneren Bereiche der Natur wie ein Buch offenliegen, die durch spirituelle Entwicklung und Initiation den Schleier in vollem Bewußtsein durchdrungen haben, gaben uns einen allgemeinen Überblick über die Stufen des Fortschritts und des Freiwerdens nach dem Tod, einen Überblick, der logisch, wissenschaftlich und in Übereinstimmung mit unseren Idealen ist.
Kurz gesagt, sind die wichtigsten Einzelheiten diese: nachdem der verbrauchte physische Körper abgelegt wurde, zerfällt der halb-physische Astralkörper, Linga-śarīra, und es folgt ein Prozeß der Vorbereitung, in dem das menschliche Ego allmählich von den niedrigeren, weltlichen und alltäglichen Wünschen befreit wird. Das Niedere Manas durchschreitet sozusagen einen Prozeß, in dem es gereinigt wird, so ähnlich wie Metall durch Hitze von der Schlacke befreit wird. Das Kāma-Prinzip schwindet als aktive Kraft mit den niedrigen Erinnerungen der vergangenen Persönlichkeit dahin. Manchmal ist dieses Prinzip so stark und die Verbindung so eng, daß es lange Zeit als trügerische oder Pseudo-Persönlichkeit, Kāma-Rūpa genannt, zurückbleiben kann. Aber das wahre menschliche Ego schreitet vorwärts und läßt das Abbild oder den Rückstand der früheren Persönlichkeit, ihrer spirituellen Qualitäten beraubt, zurück, auch wenn diese zeitweise ein gewisses Maß an Bewußtsein und sogar Gedächtnis beibehalten mag.
Das wirkliche Menschliche Ego oder die Monade ist von den niedrigen leidenschaftlichen Elementen befreit oder technisch ausgedrückt, es ist durch den ‘Zweiten Tod’ gegangen und geht in den devachanischen Zustand ein, wo es uneingeschränkte Glückseligkeit in einer ‘Himmels-Welt’ genießt, der subjektiven Schöpfung der höchsten spirituellen Gedanken und Bestrebungen ‘im Busen der Göttlichen Monade’.
‘Denn welche Träume auch immer im Todesschlaf kommen mögen …’
– SHAKESPEARE, Hamlet, III. Akt, 1. Szene
Das geläuterte menschliche reinkarnierende Ego erfährt in seinem eigenen devachanischen Zyklus ein völliges Erwachen zu spirituellem Bewußtsein, einen Höhepunkt und einen Abstieg in einen Zustand der Lethargie, welcher der nächsten Verkörperung auf Erden vorausgeht. Die karmischen Samen beginnen zu keimen, während der Zyklus seine Runde vollendet; dann erblickt ein neugeborenes Kind das Licht des vertrauten irdischen Tages.
Im Augenblick des Todes, vor der Bewußtlosigkeit, die der Vorbereitung für das Devachan vorausgeht, entrollt sich vor dem inneren Auge des Ego ein vollständiges Panorama des vergangenen Lebens. Jedes Ereignis wird in seinem richtigen Zusammenhang gesehen. Alle Handlungen und Gedanken werden von uns selbst beurteilt, und es wird deutlich, daß selbst die geringsten davon unter das unpersönliche Walten der ausgleichenden Gerechtigkeit von Karma fallen. Auch vor der Wiedergeburt entrollt sich ein ähnliches Bild von den Bedingungen, die das menschliche Ego in der kommenden Inkarnation antrifft – was es sich selbst durch seine eigenen Handlungen und Gedanken bereitet hat. Alles wird deutlich gezeigt. Wenn daher die äußere Persönlichkeit, die nichts von den vergangenen karmischen Ursachen weiß, in der bevorstehenden Inkarnation das Unglück verflucht, das ihr beharrlich auf den Fersen blieb, und sich bitter über das Mißgeschick beschwert – so beklagt sich der innere Mensch nicht, denn er weiß, es ist die Ernte früherer Saaten. Wenn wir den Schlüssel zum Wissen finden und lernen, nach innen zu schauen, werden wir dies alles erkennen und ungeachtet äußerer Mißgeschicke Frieden haben. Die Menschen, die über die Tiefschläge des Lebens nicht klagen, haben schon ein intuitives Wissen davon, wenn sie auch vielleicht ihre Gefühle nicht analysieren können.
Außergewöhnliche Fälle und abweichende Umstände im nachtodlichen Zustand können an dieser Stelle nicht besprochen werden. Einen sehr wichtigen Vorgang, der nach dem Tod des Körpers und im devachanischen Zustand des menschlichen Egos stattfindet, können wir in diesem Zusammenhang aber nicht übergehen. Das menschliche Ego selbst wird dadurch nicht bewußt beeinflußt, denn der Prozeß betrifft ausschließlich die höhere Monade, das essentielle Selbst, aus dem das menschliche Ego oder die Monade hervorging, als sie ihre letzte Inkarnation begann und zu der sie zu ihrer Ruhe und spirituellen Erholung zurückkehrt.
Dieser besondere Prozeß besteht in der Wanderung der spirituellen Monade von einem Planeten der sogenannten ‘Sieben Heiligen Planeten’ zum anderen, wenn sie dem Pfade folgt, der als die Äußere Runde bekannt ist. In dieser Äußeren Runde sammelt die höhere Monade Erfahrungen hinsichtlich der Formen von Leben und Materie, die sich von jenen unterscheiden, welche sie auf der Erde kannte, die aber für ihren eigenen Fortschritt notwendig sind. Obwohl die menschliche Monade oder das Ego im Busen der höheren Monade ruht, hat es keinen Anteil an diesen Erfahrungen, die ihm nicht zugänglich sind, bis es eine weit höhere Stufe erreicht hat. Die menschliche Monade bleibt in ihrer devachanischen Seligkeit, während das spirituelle Elter eine Zeitlang auf jedem der ‘Heiligen Planeten’ verweilt.
Übereinstimmend warnen die großen Seher und Weisen aller Zeitalter nachdrücklich vor der Praktik, die Schatten der Verstorbenen zurückzurufen. G. de Purucker sagt in The Esoteric Tradition, S. 761:
‘Nachdem der physische Körper abgeworfen wurde und das Reinkarnierende Ego von der Anziehung der stofflichen Sphäre befreit ist, bleibt es für eine bestimmte Zeit in den niederen Ebenen oder Reichen des Astrallichts, und schließlich findet der ‘Zweite Tod’ statt, d. h., das Reinkarnierende Ego wirft seinen Kāma-Rūpa ab, die mehr oder minder exakte Kopie in Gestalt und Erscheinung des Menschen wie er war, als er noch auf der Erde lebte. Daher spricht man davon, daß die niederen Reiche des Astrallichts buchstäblich überhäuft sind mit einer großen Anzahl solcher Kāma-Rūpas oder Formen und Gestalten, und jede von ihnen ist eine mehr oder weniger perfekte Kopie des früher auf der Erde lebenden Wesens. Diese Kāma-Rūpas oder astralen Überbleibsel, die Schatten oder astralen Bildnisse der Wesen, die auf der Erde gelebt haben, sind die ‘Spukgeister’ oder Trugbilder, von welchen in der Esoterischen Philosophie gesprochen wird. Sie sind alle seelenlos, sind lediglich ‘Hüllen’, weil das Reinkarnierende Ego, das seinen Kāma-Rūpa früher als ein Bindeglied zwischen sich selbst und dem physischen Körper benutzte, nun von seinem Kāma-Rūpa befreit und auf seinem Weg ins Devachan ist.’
Die Theosophie leugnet nicht, daß viele Phänomene der spiritistischen Sitzungen echt sind. Tatsächlich begann H. P. Blavatsky ihre Arbeit in der Öffentlichkeit bei den Spiritisten, weil sie wußte, daß diese für psychische Phänomene aufgeschlossener waren als die damaligen Wissenschaftler oder Theologen; sie hoffte, daß sie das Licht begrüßen würden, das die Östliche Philosophie auf dieses gesamte Gebiet wirft.
Gemäß der Alten Weisheit ist es völlig ausgeschlossen, daß die spirituellen Egos sich jemals ‘materialisieren’; abgesehen von Ausnahmefällen stammen die Mitteilungen, die der Mensch empfängt, von dem Kāma-Rūpa oder der Pseudo-Persönlichkeit, die sich noch nach dem Kontakt mit der irdischen Ebene sehnt, wenn sie auch nur eine ‘Hülle’ ist, aus der sich die höhere Triade wie ein Schmetterling aus seinem Kokon zurückgezogen hat.
Eine weitere Verwirrung, die sehr häufig vorkommt, entsteht durch die Possen von Naturgeistern oder Elementalen, welche die verblassenden gespenstischen Schatten beleben und die abgeschiedene Persönlichkeit vortäuschen können, wie sie sich oft höhnisch rühmen. Jene Wesen werden als Elementale bezeichnet,
‘die einen Zyklus evolutionären Wachstums beginnen und sich im elementalen Zustand ihres Wachstums befinden. Es ist ein vereinfachender, verallgemeinernder Ausdruck für alle Wesen, die in ihrer Entwicklung unter den Mineralien stehen.’ …
‘Ein Elemental ist ein Wesen, das in unserem Universum die niederste Ebene oder die niederste Welt, den untersten Grad oder die unterste Stufe der aufsteigenden Lebensleiter dieses Universums betreten hat. Diese Lebenstreppe beginnt in jedem Universum auf seiner untersten Stufe und endet für jedes Universum auf seiner höchsten Stufe – auf der des universalen, kosmischen Geistes. Daher wandert das Elemental bei seinem Aufstieg auf der Lebensleiter vom elementalen Zustand durch alle Reiche des Seins, geht durch den menschlichen Zustand, wird übermenschlich, halbgöttlich – ein Halbgott – und wird dann ein Gott. Auf diese Weise betraten auch wir Menschen zuerst dieses gegenwärtige Universum.
Jede Menschenrasse auf der Erde hat an diese Scharen elementaler Wesen geglaubt, von denen einige sichtbar sind wie die Menschen, die Tiere und die lebenden Pflanzen, während andere unsichtbar sind. Die unsichtbaren Wesen erhielten verschiedene Namen: Feen, Naturgeister, Poltergeister, Alben, Heinzelmännchen, Wichtelmänner, Nixen, Trolle, Kobolde, weiße Frauen, Faune, Satyre, Devas, Dschinns usw.’
– Okkultes Wörterbuch, G. de Purucker, S. 48
Man muß sich ganz klar darüber werden, daß die astrale Welt, besonders in ihren zugänglicheren Bereichen, von feinen Täuschungen erfüllt ist, in denen sich der nicht geschulte Forscher, wie intelligent er auch sein mag, wie in einem Irrgarten schnell verliert. Die Türe, einmal geöffnet, ist schwer zu schließen; das haben viele zu ihrem Schaden erfahren, wenn sie unwissend in den sogenannten ‘okkulten Künsten’ herumgepfuscht haben oder versuchten, die niederen physischen Kräfte zu entwickeln, die fälschlicherweise spirituell genannt werden.
In der westlichen Welt vermutet man kaum, daß das menschliche Wesen von einem so vielfältigen ‘Bewußtseinsstrom’ gebildet wird; und noch weniger kennt man die ‘Geographie’ der unsichtbaren Ebenen.
Wir tun gut daran, die astrale Ebene jenen zu überlassen, welche die Aufgabe haben, die dortigen Täuschungen zu untersuchen; jenen, die die notwendige Schulung der Selbstkontrolle und der Selbsterkenntnis durchgemacht haben, die nicht lediglich danach streben, die intellektuelle Neugier zu befriedigen, und die durch den starken Schutz der unpersönlichen Liebe behütet werden. Für uns befindet sich unsere Schule der Erfahrung hier und jetzt, in den Ereignissen des täglichen Lebens.
Das bedeutet natürlich nicht, daß man das gesammelte Wissen und die Lehren über das Thema des Psychismus und die Gesetze, die diesen Erscheinungen zugrunde liegen, nicht studieren sollte. W. Q. Judge sagt:
‘Unsere Philosophie erklärt die bereits verfügbaren Tatsachen und zeigt deutlich, daß zuerst die Tugenden und edlen Charakterstärken entwickelt werden müssen, bevor wir auch nur einigermaßen imstande sind, uns praktisch mit psychischen Kräften zu beschäftigen. Gleichzeitig kann sie dazu beitragen, dem gesamten Aberglauben bezüglich der vielen sich täglich ereignenden paranormalen Erscheinungen zuvorzukommen und damit abzurechnen, indem sie die zusammengesetzte Natur des Menschen hinreichend erklärt.’
– The Theosophical Forum, Aug. 1894
Der zeitweilige Trost, der den Trauernden durch die angeblichen Verbindungen gespendet wird und auf Kosten des Mediums geht, wird reichlich durch die von der Theosophie erklärten Übel aufgewogen. Wenn wir unsere verstorbenen Freunde wirklich lieben, dürfen wir nicht versuchen, sie auf diese irdische Ebene zurückzuholen, von der sie zu dem unaussprechlichen Frieden Devachans aufgestiegen sind. Selbst der Kāma-Rūpa, die Hülle, sollte nicht wiederbelebt und mit ‘scheinbarem’ Leben und Intelligenz ausgestattet werden. Es ist ein Verbrechen gegen den wohltätigen Prozeß des Loslösens von der Natur.
Es ist besser, daß wir unsere Freunde ihren natürlichen Weg empor und nach innen beschreiten lassen, darauf vertrauend, daß wir sie sicherlich erneut treffen werden, wenn wir sie wirklich lieben, denn Liebe zieht Liebe an. In den östlichen Ländern wird das Zurückrufen der Schatten als ungehörig und schlimm betrachtet, und die mit der Mediumschaft verbundenen Gefahren sind nur zu gut bekannt.
Wir sind jedoch von den Freunden, die wir im Leben liebten, nicht gänzlich getrennt, selbst jetzt nicht. Es besteht die Möglichkeit einer sehr realen Verbindung zwischen unserem und ihrem spirituellen Ego. Das geschieht im Schlaf, wenn wir von den Begrenzungen der niederen Persönlichkeit befreit sind und unser besseres Selbst, das Höhere Manas, sich in hochspirituelle Bereiche zurückzieht. Es ist auch sehr selten, daß man sich beim Aufwachen an eine Spur von einer derartigen Verbindung erinnern kann, wenn auch ein Gefühl zurückbleiben kann, daß man ein wunderbares Erlebnis gehabt hat. Solche Erfahrungen haben jedoch nichts mit den Banalitäten der gewöhnlichen spiritistischen Sitzung oder mit den astralen Untersuchungen der parapsychologischen Forschung zu tun.
Die Großen Lehrer sagen uns, daß wir – um das Leben zu kennen – den Tod kennen müssen, und daß das ‘Abenteuer des Lebens’ in seiner Gesamtheit die Intervalle zwischen den Inkarnationen einschließt, denn der Tod des zeitweiligen Vehikels ist für das wahre Ego nur eine Tür zu neuen Erfahrungen. Die Abenteuer des Spirituellen Egos können aber von jenen verstanden werden, die zu hohem spirituellem Bewußtsein emporgestiegen sind und durch Einweihung den Schleier durchschritten haben. Die anderen können nur den äußeren Rand des Wissens berühren.
Der Adept und das Medium befinden sich an entgegengesetzten Polen; der erstgenannte kann nicht durch unbekannte Kräfte oder Wesen beherrscht werden; seine Schulung entwickelt die positiven, gottähnlichen Eigenschaften. Er ist ein Meister des Lebens, kein passiver Vermittler, der selbst die Gesetze der halbmateriellen, astralen Bereiche nicht kennt.
Theosophie und Wissenschaft
Als H. P. Blavatsky dem Westen die Theosophie brachte, kritisierte sie die materialistischen Begrenzungen der führenden Wissenschaftler heftig und bot eine philosophische Betrachtung der Natur an. Ihre Lehren erschienen den führenden Wissenschaftlern jedoch so ungewöhnlich und unkonventionell, daß sie diese allgemein ignorierten. Die Wissenschaft befaßte sich damit, das westliche Denken von den kirchlichen Bindungen zu befreien und alles, was nach spirituellen Idealen aussah, wurde von ihr abgelehnt. Heute hat sich das geändert. Eine große Anzahl, vielleicht die Mehrzahl ihrer grundlegenden physikalischen Lehren, werden von den führenden Denkern entweder völlig angenommen oder sie werden ernsthaft erörtert und erforscht. Dieser Wandel wurde von H. P. B. vorhergesehen als sie feststellte, daß die Geheimlehre der Zeitalter, die von ihr in dem gleichnamigen Werk in großen Zügen dargestellt wurde, im zwanzigsten Jahrhundert anerkannt werden würde.
Es bedarf keiner Beweise, daß im Laufe dieses Jahrhunderts bedeutende Entwicklungen eintraten, welche die Tür zu weniger mechanistischen Interpretationen weiter öffneten, wodurch die Wissenschaft die Gelegenheit bekam, sich von dem groben Materialismus zu entfernen. Sachverhalte, die früher durch das wissenschaftliche Denken verneint wurden, wie beispielsweise die Existenz der Astralebenen und die Anwesenheit eines geistigen Prinzips hinter der stofflichen Erscheinung, sind nun Gegenstand ihrer Untersuchungen.
Die Theorien über die Zusammensetzung der Materie stellen ein bedeutendes Beispiel dafür dar, wie sich die gängige wissenschaftliche Auffassung durch den Einfluß der Alten Weisheit verändert hat. Es liegt noch nicht sehr weit in der Vergangenheit zurück, daß man das Atom als das kleinste und unteilbare Element annahm, aus dem aller Stoff besteht. Dieser Gedanke unterlag einer gewaltigen Veränderung. Von dem Atom, von dem durch wissenschaftliche Untersuchung mit modernen Hilfsmitteln bewiesen werden kann, daß es teilbar ist und aus Teilchen besteht, bleibt wenig ‘Stoffliches’ übrig. Es stellte sich heraus, daß die Bestandteile der Materie vielmehr ‘nicht-stoffliche’ Strukturen besitzen. In seinem Buch Der kosmische Reigen schreibt Fritjof Capra in Kapitel 15:
‘Die Untersuchung der subatomaren Welt im zwanzigsten Jahrhundert hat den aus sich selbst heraus dynamischen Charakter der Materie enthüllt. Sie hat bewiesen, daß die Bausteine des Atoms, die subatomaren Teilchen, dynamische Modelle sind, die nicht als isolierte Wesenheiten, sondern als Teilstücke eines unaufteilbaren Netzwerks von Wechselwirkungen bestehen. Die Wechselwirkungen umfassen einen unaufhaltbaren Energiestrom, der in sich das Austauschen von Teilchen manifestiert; ein dynamisches Wechselspiel, in dem unaufhörlich Teilchen geschaffen und vernichtet werden, in einer fortdauernden Variation von Energiemodellen. Die Wechselwirkungen zwischen den Teilchen bringen die stabilen Strukturen hervor, die zusammen wieder die materielle Welt formen; aber auch die Strukturen bleiben nicht statisch, sondern oszillieren in rhythmischen Bewegungen. So verkehrt das gesamte Universum in unaufhaltsamer Bewegung und Aktivität; in einem fortdauernden kosmischen Energiereigen.’
In ihrem bereits 1888 erschienenen Werk Die Geheimlehre (Band I, 565 f.) schreibt H. P. Blavatsky:
‘Das Atom ist elastisch, folglich ist das Atom teilbar, und muß aus Teilchen oder Unteratomen bestehen. Und diese Unteratome? Sie sind entweder nicht-elastisch, und in einem solchen Falle sind sie dynamisch ohne Bedeutung; oder sie sind auch elastisch, und in diesem Falle sind sie ebenfalls der Teilbarkeit unterworfen. Und so fort ins Unendliche. Aber die unendliche Teilbarkeit der Atome löst die Materie in einfache Kraftzentren auf, d.h. sie schließt die Möglichkeit aus, die Materie als objektive Substanz vorzustellen.’
Vor einigen Jahren machte Semyon Kirlian in Rußland eine Entdeckung, die, wie zu erwarten ist, für die Heilkunde und die Landwirtschaft von Nutzen sein kann. Er fand eine Möglichkeit, die Biolumineszenz (Licht, das durch lebende Organismen hervorgebracht wird) zu fotografieren, welche die gesamte lebende Materie als eine Sonnenkorona umschließt. Seine eigene Hand, die auf diese Weise fotografiert wurde, sah aus wie ‘die Milchstraße an einem Himmel voller Sterne. Vor einem Hintergrund in Blau und Gold vollzog sich in der Hand etwas, das einem Feuerwerk ähnelte.’3 Bei weiteren Untersuchungen ergab sich, daß eine Münze aus Metall von einer anhaltenden Glut umgeben ist, während das frische Blatt einer Pflanze ein schillerndes Bild von flimmernden und schimmernden Funken aufzeigte. Wenn das Blatt verwelkt, wird das Licht statischer, bis die Energie-Impulse sterben. Großes Aufsehen erregte die Entdeckung, daß ein Blatt einer kranken Pflanze ein völlig anderes Bild zeigte als ein augenscheinlich identisches Blatt einer gesunden Pflanze, obwohl noch keine stofflichen Anzeichen von Krankheit erkennbar waren. Kirlian und seine Frau bemerkten zu ihrer Überraschung, daß das gleiche auch bei Menschen stattfindet, das heißt daß der Astralkörper Krankheiten anzeigt, bevor sie erscheinen: ‘Es schien so, daß lebende Dinge zwei Körper besäßen . . . Der Energiekörper schien nicht nur eine Ausstrahlung des stofflichen Körpers zu sein. Der stoffliche Körper schien auf die eine oder andere Weise widerzuspiegeln, was im Energie-Körper stattfand.’4
Ein weiterer Gesichtspunkt, den wir hier zur Sprache bringen wollen, ist der Unterschied, der früher zwischen Energie und Masse oder Kraft und Materie gemacht wurde. ‘Fester Stoff’ besitzt nach heutiger Auffassung eine Anhäufung von elektrischen Ladungen; das harte und unteilbare Atom scheint eine Welt starker Kräfte zu sein, die sich ständig in Bewegung befinden – eine theosophische Auffassung.
Auch die Evolutionstheorie darf nicht unbeachtet bleiben. Jeder denkt unmittelbar an Darwin, der im Jahre 1859 sein berühmtes Buch über den Ursprung der Arten herausgab.
Obwohl Darwins Evolutionstheorie lediglich die physische Umwandlung ohne intelligentes Ziel oder Leitung erklärte, war seine Arbeit doch insofern wertvoll, als daß sie dogmatischen Aberglauben auflöste und den Gedanken der Evolution im Gegensatz zur einmaligen Schöpfung allgemein populär machte. Aber sie war einseitig. Sie übersah die innere, unsichtbare aber sehr reale Essenz, die ihren Weg nach außen und vorwärts erzwingt und materielle Formen in höhere Zustände umwandelt, so daß jede Lebensform besser geeignet wird, die Kraft der Monade oder des Geistes zu offenbaren, wie sie sich aus dem unerschöpflichen Vorrat im Inneren entfaltet oder evolviert. Die Formen sind wie eine Leiter, auf welcher der wahre Bergsteiger emporklettert; die Sprossen sind nicht der Kletterer. Der Mensch ist ein Atom des Göttlichen Lebens, das zu voller selbstbewußter Göttlichkeit aufwärts steigt. Er ist durch viele Zustände der Materie gegangen, die weniger dicht waren als der physische Zustand. Diese ätherischen Zustände verlangten Körper von ähnlicher Art. Die Spuren hiervon liegen in dem Komplex der bereits besprochenen ‘Prinzipien’ verborgen. Die Transformationen des Embryos im Stadium vor der Geburt spiegeln einige davon kurz wider.
Die darwinistische Lehre der Abstammung des Menschen vom Affen liegt im Widerstreit mit dem theosophischen Gedankengut, daß nämlich die menschliche Rasse, als ein Ganzes betrachtet, die ursprünglichste aller Säugetierstämme auf der Erde ist, und daß die Affen teils vom Menschen, teils von tierähnlichen Wesen abstammen. Es ist interessant, auf den Anthropologen Louis Leaky zu hören, der darauf hinweist, daß die Abspaltung des Menschen von seinem ‘nächsten Zweig, dem Affen’ vor mindestens 20 Millionen Jahren stattfand. Daß er über den Affen als ‘Zweig’ des Menschen spricht, gibt seine Überzeugung – wie auch die Überzeugung anderer Anthropologen – wieder, daß sich der Mensch niemals aus einem Affen-Vorfahren entwickelte, sondern daß sowohl die Hominiden als auch die Pithekoiden aus einem gemeinsamen, noch unidentifizierten, Wurzelstamm entstanden.
In seinem Buch Nicht von den Affen [Not from the Apes, 1972] schreibt der finnische Anthropologe Björn Kurten, daß die Primatenfossilien selbst unmißverständlich davon zeugen, daß der Mensch niemals vom Affen abstamme, und daß es exakter sei zu sagen, daß die Affen und Menschenaffen von früheren Vorfahren des Menschen abstammten.
Auch Professor Björn Hupten von der Universität in Helsinki äußerte sich in diesem Sinne. In dem Magazin Daily Pilot, Orange County, Kal. vom 23. Oktober 1971, schreibt er:
‘Wir sollten uns selbst fragen können, ob es nicht die Affen waren, die von den Vorfahren der Menschen abstammten, anstelle der gegensätzlichen These.’
Schließlich wollen wir hier einige Zitate von Dr. Harlow Shapley5 anfügen. Er führte uns nicht nur zu den Grenzen neuer Gebiete und erweiterte unseren Horizont des Universums über die Milchstraße hinaus, er vertrat auch eine Auffassung von Evolution, die den gesamten Bereich des Kosmos bis zu den entlegensten Winkeln miteinbezog. Er sprach von der Injektion des ‘Bewußtseins’ in den Lebensprozeß, sozusagen als Stachel des Wachstums. Eine seiner Aussagen lautet wie folgt:
‘Die Menschheit ist aus Sternenstoff gemacht und wird durch universale Gesetze beherrscht. Der Faden der kosmischen Evolution läuft sowohl durch ihre Geschichte als auch durch alle Fasern des Universums – den Mikrokosmos der atomaren Konstruktionen, die molekularen Formen mikrokosmischer Organismen und den Makrokosmos höherer Organismen, von Planeten, Sternen und Milchstraßen. Die Evolution in den Systemen der Milchstraße und im Menschen setzt sich beständig noch weiter fort – und den Zweck können wir nur vage vermuten.’
– The View from a Distant Star
Mit dem Vorhergehenden haben wir auf eine deutliche Tendenz der Wissenschaft verwiesen, zu den ursächlichen Gebieten vorzudringen und sich nicht länger auf die äußere Natur zu beschränken, weil der Mensch in zunehmendem Maße erkennt, daß die äußere Natur lediglich die Manifestation innerer spiritueller Kräfte darstellt.
Theosophie und Wissenschaft sind keine getrennten, nebeneinander stehenden Größen. Die Wahrheit ist eins, sowohl religiös, philosophisch als auch wissenschaftlich.
Theosophie ist archaische Weisheit. Sie kleidet Natur, Struktur, Ursprung, Bestimmung und das Wirken des kosmischen Universums und aller darin lebenden Wesen in die menschliche Sprache. Die Wissenschaft, die versucht, das Leben und alle Naturerscheinungen zu erklären, sucht auf ihre Weise schließlich nach derselben Wahrheit. Wir schließen mit einem Zitat des östlichen Weisen Patañjali:
‘Das Universum, das sichtbare und das unsichtbare eingeschlossen … existiert für die Erfahrung der Seele und für ihre Befreiung.’
– Yoga Aphorismen, Yoga Sūtra, II, 18
Theosophie und Evolution
Wir können uns die Erde als den Wohnort des Menschen, der Tiere und der Pflanzen vorstellen, oder als einen Himmelskörper, der mit vielen anderen um die Sonne wandert und einen Teil des großen Milchstraßensystems ausmacht. Im ersten Fall sehen wir die Länder und Seen vor uns, die Berge und Ozeane, den schneebedeckten Nord- und Südpol, und vielleicht wandern unsere Gedanken weiter, unter die Oberfläche, zu den Stoffen, die wir zu unserem Nutzen ausgraben. Im zweiten Fall leben wir auf einem kleinen Globus, der seine Achsenrotation und Wanderung um die Sonne vollbringt und, verglichen mit einigen anderen Himmelskörpern, nicht mehr ist als eine Anhäufung von Materie.
Wir bleiben meist nicht bei der Aussage stehen, daß das, was wir Erde nennen nichts anderes ist als der materielle Aspekt, der äußere Körper, in welchen die Erde als Ganzes mindestens ebenso einbezogen ist wie der Mensch. Die übrigen Aspekte des Planeten befinden sich auf einer Ebene, zu welcher unsere äußeren Sinne keinen Zugang haben, wo sich aber in Wirklichkeit all jene Elemente befinden, welche die innere Struktur des Planeten formen. Planeten und Sonnen sind ebenso Offenbarungen der lebendigen Natur wie Menschen, Tiere und Pflanzen, von denen wir einst glaubten, daß sie die einzigen Wesen seien, die ‘lebendig’ genannt werden können.
In der theosophischen Philosophie spricht man häufig von einer ‘Planetenkette’, wenn von einem Planeten die Rede ist, weil ein Planet, und so auch die Erde, nicht ein einzelnes Wesen ist, sondern ein Organismus von sieben Globen. Nur einer dieser Globen befindet sich auf der Ebene, auf welcher wir heute als materielle Wesen tätig sind und auf welcher wir mit unseren gewohnten Sinnen wahrnehmen können. Unsere vertraute Erde ist nur ein Globus einer Kette von sieben Globen, die zusammen den ganzen Planeten, die Erdkette, formen. Die anderen sechs Globen befinden sich auf höheren Ebenen und sind daher für uns nicht wahrnehmbar.
‘Höhere’ Ebenen müssen wir uns nicht als Ebenen irgendwo über uns vorstellen, denn die Ebenen, und so auch die Globen, durchdringen einander.
Die sieben Globen der Erde sind der Wirkungsbereich und Lebensraum eines Stromes unzähliger menschlicher und anderer Monaden, die darauf ihre Evolution vollbringen.
Auf jedem Globus vollzieht sich diese Evolution in sieben aufeinanderfolgenden großen Wurzelrassen, von denen jede ihre Möglichkeit der Entfaltung bietet. Wenn auf einem bestimmten Globus die sieben Wurzelrassen durchlaufen wurden, und die Wesen, die ein Teil davon waren, alle ihnen möglichen Erfahrungen gemacht haben, rückt der Monadenstrom zum nächsten Globus vor, der wiederum seine eigenen Entwicklungsmöglichkeiten in sieben großen Wurzelrassen bietet. Siebenmal zirkuliert der Strom der Monaden um die sieben Globen; man nennt dies die sieben Runden, wonach die ‘Erdkette’ das Ende ihrer Existenz erreicht hat und schließlich als ein toter Körper in Auflösung übergeht, womit natürlich für das menschliche Begriffsvermögen sehr lange Zeitperioden gemeint sind. Wir Menschen befinden uns augenblicklich auf dem vierten Globus der Erdkette (dem materiellsten), in der fünften Wurzelrasse des Globus und in der vierten Runde.
In den ersten drei Runden war der Mensch kaum mehr als eine schattenhafte Andeutung dessen, was er geworden ist; es würde jedoch den Umfang dieses Büchleins sprengen, das Thema weiter zu erörtern. Wir müssen uns auf die Vierte Runde, in der wir uns jetzt befinden, beschränken. Leichter verständlich gesagt, vollzieht sich die Evolution in diesen sieben großen Wurzelrassen.
Jede Wurzelrasse ist – mit ihren zahlreichen Unterrassen und Verzweigungen – praktisch selbst eine Menschheit mit ihrer eigenen speziellen Entwicklung und Umgebung. In der Mitte jeder Wurzelrasse treten große geologische Veränderungen auf. Aus der gegenwärtigen Wurzelrasse beginnt die Entwicklung der nachfolgenden, so daß die Wurzelrassen einander überlappen.
Selbst in der Vierten Runde trat die Schar der menschlichen Monaden anfangs in sehr nebelhaften und ätherischen Formen auf, den heutigen physischen Körpern durchaus nicht ähnlich. Da die Monaden Manas oder das Denken noch nicht evolviert hatten und die Geschlechter in dieser ersten Wurzelrasse der Vierten Runde noch nicht getrennt waren, waren sie wenig mehr als ein vager Schatten der späteren Menschheit.
Die Erste Rasse entwickelte sich nach und nach auf ihre eigene Weise, dann machte sie der Zweiten Rasse Platz, die mehr substantieller Natur war; diese ging in die Dritte über, die an ihrem Ende ziemlich materiell war. Damals wurde die gegenwärtige Art der Fortpflanzung zur Regel, und die Morgendämmerung der Zivilisation brach an.
Auf die Dritte Wurzelrasse folgte die Vierte, eine hoch intelligente, aber träge materialistische Menschheit. Sie bewohnte großenteils weite Länder, die jetzt vom Atlantischen Ozean bedeckt sind. Durch intellektuelle Entwicklung wurden große Fortschritte gemacht, doch die spirituelle Evolution ging nur langsam voran. Ungefähr in der Hälfte der Vierten Rasse wurde unsere gegenwärtige Fünfte Rasse geboren; aber sie vermehrte sich nur sehr langsam, bis die Atlantische Zivilisation durch geologische Katastrophen, die sich im großen Maßstab ereigneten, praktisch völlig verwüstet wurde. Die moderne Wissenschaft beginnt nun, einen sehr kleinen Einblick in die frühere Geschichte der Fünften Wurzelrasse zu erhaschen, der einzigen Rasse, die uns bekannt ist, denn von den früheren Rassen und ihren ‘Welten’, wie man ihre Umgebung bezeichnen könnte, wurde fast jede Spur ausgelöscht.
In fernen zukünftigen Zeiten werden auch wir verschwinden und der Sechsten Rasse Platz machen, einer viel höher entwickelten Menschheit; und diese wiederum der Siebten Rasse, in der die Menschen fast wie Götter auf der Erde wandeln werden. Zudem sind wir jetzt auf dem nach oben führenden Bogen, denn der tiefste Punkt wurde etwa in der Mitte der Atlantischen Periode erreicht.
Wenn auch fast jede greifbare Spur der archaischen Rassen verschwunden ist, wurden doch Überlieferungen von ihrer Existenz und ihrem Charakter bewahrt. Man findet sie in den verschiedenen heiligen Büchern des Ostens, einschließlich der Bibel; diese sind unverständlich, wenn sie wörtlich genommen werden, aber sie bieten echte und wertvolle Mitteilungen für diejenigen, die den Schlüssel zu ihrer wahren historischen Bedeutung haben. H. P. Blavatsky widmete viele Kapitel ihrer Geheimlehre der Interpretation dieser historischen Allegorien.
Obgleich die Alte Weisheit sehr zuverlässig die Evolution lehrt, eine Evolution im umfangreichsten Sinne, welche sowohl den Kosmos als auch den Menschen betrifft, verwirft sie jede Theorie, die rein mechanistisch ist und sich nur mit dem sterblichen Körper befaßt, dabei aber das wirklich Evolvierende, die Monade oder den Geist im Menschen, ignoriert.
Die Evolution vollzieht sich nicht in einer aufsteigenden geraden Linie. Die Monade stieg aus ‘ätherischen’ Zuständen herab und trat allmählich in einen dichteren Zustand ein; schließlich benützte sie in Übereinstimmung mit dem niedersten Teil des Zyklus physische Formen. Wenn der Mensch wieder aufsteigt und in ätherischere Bereiche zurückkehrt, werden seine körperlichen Formen auch umgewandelt werden. Die Monade, Buddhi, und auch Manas sind keine ‘Nebenprodukte’ eines fleischlichen Gehirns; noch weniger sind sie das Ergebnis ‘natürlicher’ Evolution der niederen Tiere. Die Menschenaffen haben tatsächlich sowohl menschliches als auch tierisches Blut in ihren Adern, aber sie sind nicht unsere Vorfahren. Man kann den Ursprung der Anthropoiden praktisch bis zu frühen und entarteten menschlichen Anfängen zurückführen; sie sind das Produkt von Rassenmischung.
Da die Frage vom Ursprung des menschlichen Körpers derartig kompliziert ist und die Existenz der Menschenaffen eine solche Verwirrung verursacht, kann es nicht verwundern, daß die Wissenschaft sie nicht gelöst hat. Dieses Thema wird von H. P. Blavatsky ausführlich behandelt. Obwohl die Evolution in der Theosophie eine fundamentale Rolle spielt, wies H. P. B. nie mit Nachdruck darauf hin, daß sie nicht als bloße Transformation von körperlichen Formen durch stets komplizierter werdende Organismen betrachten werden darf, welche durch mechanisch wirkende Naturgesetze verursacht wird. Während das Ego in der äußeren Hülle Erfahrungen sammelt, entfalten sich neue, verborgene Kräfte im Innern, und das physische Vehikel verändert sich ganz natürlich. Der Körper besitzt keinen Selbstzweck, sondern er ist das Instrument, durch das sich die sich entwickelnden Kräfte des inneren Menschen zum Ausdruck bringen. Die menschliche Evolution reflektiert in ihrem zyklischen Vorgehen die größere kosmische Evolution.
An dieser Stelle muß noch etwas über die Hilfe gesagt werden, welche der evolvierenden Menschheit von spirituellen Intelligenzen aus höheren Ebenen angeboten wird; von Intelligenzen, die weiter vorangeschritten sind und die in den sich entwickelnden Menschen inkarnieren oder diese überschatten. Es ist ein universales, okkultes Gesetz, daß sich das Höhere sozusagen opfert, um dem Niedrigeren zu helfen, seine latenten Möglichkeiten zu entwickeln. Dies bezieht sich auf andere Reiche ebenso wie auf das menschliche Reich. Bei der Menschheit geschah dies, als gegen Ende der Dritten Rasse der gegenwärtigen Vierten Runde das Denkvermögen erwachte. Die Alten Überlieferungen berichten diese sehr wichtige evolutionäre Tatsache; ohne dieses Geschehen kann die wahre Entwicklung des Menschen nicht verstanden werden.
Selbstverständlich blieben viele Aspekte dieses Themas unbesprochen, so zum Beispiel die Herkunft und Bestimmung der Tiere, die Evolution und Involution des Menschenreiches, geologische Zeitspannen, geistige, intellektuelle und psychomentale Entwicklung, die Embryologie als Prüfstein und geologische Überreste. Diese und andere Themen werden ausführlich in den Büchern Dr. G. de Puruckers Man in Evolution und The Esoteric Tradition behandelt.
Theosophie und Psychologie
Die Psychologie, als die Wissenschaft der Seele, des Geistes oder des Bewußtseins, entwickelte sich aus der Philosophie und ist daher ursprünglich eine philosophische Psychologie. Gewöhnlich betrachtet man Aristoteles als ihren Gründer, auch wenn es vor ihm viele weise Griechen gab, die sich mit dieser Thematik beschäftigt hatten, war er der erste, der seine Ideen systematisch in seinen vielen Werken niederschrieb. Aristoteles lebte von 384 bis 322 v. Chr. und stand in enger Verbindung mit Plato. Seine Lehre betrifft das Leben von Menschen und Tieren.
Weil erkannt wurde, daß die Seele und der Geist unfaßbar sind, trat diese philosophische Psychologie allmählich in den Hintergrund, und es wurde dem Menschen und seinem Verhalten mehr Beachtung geschenkt, wodurch die Verhaltenspsychologie oder der Behaviorismus entstanden, was nicht heißen soll, daß man die Seele des Menschen immer in Abrede stellte.
Das Verhalten des Menschen fließt selbstverständlich aus seinem Charakter hervor, aus allen Elementen seiner inneren Natur, den psychischen, mentalen und geistigen Facetten. Die wahre Psychologie muß daher die Wissenschaft der unsichtbaren Konstitution des Menschen sein und alle Erscheinungen umfassen, die bei normalen als auch abnormalen Menschen zum Ausdruck kommen.
Worauf es bei den verschiedenen Auffassungen in der Psychologie häufig ankommt ist, ob man den Menschen als ein überwiegend physisches Wesen ansieht, oder als geistige Entität, die sich eines physischen Körpers als Mittel eines zeitlichen Ausdruckes bedient. Die Theosophie akzeptiert nachdrücklich letzteres und verwirft den Gedanken, der noch immer eine wichtige Rolle spielt, daß der Mensch von Natur aus verdorben ist oder in Sünde geboren wurde; es macht keinen Unterschied, ob der Gedanke auf einer bestimmten christlichen Sichtweise oder auf der Auffassung beruht, daß ein Mensch nicht mehr als ein weiter entwickeltes Tier ist. Zum Glück gibt es auch Psychologen, die eine andere Meinung zum Ausdruck bringen. Carl Rogers beispielsweise geht von der angeborenen Güte des Menschen aus und sagt, daß, wenn wir negative Eigenschaften wie beispielsweise Haß und Egoismus aufzeigen, wir diese erlernt haben. Ein anderer Psychologe, der 1970 verstorbene Abraham Maslow, erklärte, daß der Mensch mehr ist als nur seine Instinkte oder Reaktionen aufgrund von Erfahrungen und daß der Mensch als Ganzes studiert werden muß. Er war es, der sagte, daß Psychologen ihre Untersuchungen nicht auf Menschen richten müssen, die scheiterten oder geistig gestört sind, sondern auf die besten Vorbilder der Menschheit. Er widersetzte sich auch der Tatsache, daß bestimmte Psychologen ihre Ansichten auf aus Tierversuchen gewonnene Ergebnisse gründen, wodurch typische menschliche Eigenschaften wie Selbstaufopferung, Liebe, Schönheitssinn usw. nicht in die Betrachtung miteinbezogen werden. Wenn man den Menschen ausschließlich nach seinem Verhalten in einem bestimmten Moment beurteilt, kann das in vielen Fällen nur einer Verurteilung gleichkommen. Aber eine Momentaufnahme ist kein vollwertiger Maßstab. Ein Mensch ist ein Bewußtseinsstrom und muß in seiner Ganzheit betrachtet werden und nicht, was in einer bestimmten Periode, mitbestimmt durch karmische Einflüsse, äußerlich sichtbar wird.
Gegenwärtig wird viel über ‘Selbstverwirklichung’ gesprochen, was bedenklich ist, da der Mensch unter dem ‘Selbst’ wenig mehr versteht als die gewohnten emotionalen Impulse oder Äußerungen aus dem Alltagsdenken. Selbstverwirklichung hat jedoch eine tiefe Bedeutung, da der Mensch sie auch in bezug auf den inneren, göttlichen Kern erlangen muß, was sich aber heute bei den meisten von uns im Alltagsleben noch kaum offenbart. Später soll sie die ganze persönliche Natur umfassen und mehr aus dem Menschen machen, als die jetzt bekannte Alltagspersönlichkeit darstellt.
Häufig versucht man, die Wirkungen des Bewußtseins durch das zu erklären, was man von außen wahrnimmt, dann hat man es aber gewöhnlich mit der niederen Persönlichkeit zu tun. Die Theosophie fängt innen an: sie zeigt, wie man die Schlupfwinkel der eigenen Persönlichkeit mutig erforscht, denn der Schlüssel zur Erkenntnis liegt in der Selbstdisziplin. Das ist äußerst praktisch, und wenn der Mensch die Lehren befolgt kann er seinen eigenen Weg zum Herzen des Universums finden.
Der intellektuelle Aspekt der Theosophie ist von großer Bedeutung, aber ihr Studium muß immer auf eine unpersönliche, spirituelle Entwicklung zum Wohle der anderen ausgerichtet sein. Aber das ist nur ein Aspekt des großen Werkes: das Enthüllen des inneren Gottes, des ‘Bereiches der Unsterblichkeit’ in uns. Die Bedeutung des Wissens über Karma und Reinkarnation kann kaum überschätzt werden, aber wonach wir zuallererst streben müssen, ist die Rückerinnerung an unser göttliches Selbst, was bedeutet, daß wir uns vom Gefühl befreien müssen, wir seien von ihm getrennt. Wir müssen lernen, das separate niedere Selbst nicht weiter zu betonen, damit wir den Sinn und die Schönheit erkennen, unpersönlich zu sein. Das ist das wirkliche Studium der Psychologie. Die Offenbarungen der Selbsterkenntnis verleihen die Kraft, anderen zu helfen. Wenn die niederen Wünsche umgewandelt sind, wenn ein Mensch so unpersönlich geworden ist, daß er Beleidigungen bereitwillig vergibt, wenn er bei allen Gelegenheiten aus edelsten Motiven handelt, dann kann er die Probleme der anderen verstehen, und seine Intuition wird so stark werden, daß er genau weiß, was er in allen Fällen tun muß. Das ist kein leeres Versprechen, es ist ein bekanntes, eindeutiges Resultat der aufrichtigen Bemühung, das Leben, das von Jesus und Buddha gepredigt wurde, zu leben. Ihre Ratschläge waren äußerst praktisch. Dr. de Purucker deutet dies in seinem Buch Goldene Regeln der Esoterik (S. 162) an und sagt:
‘Dieser Wunsch nach unpersönlichem Dienen läutert das Herz, erhellt den Geist und löst die Knoten der niederen Selbstheit, so daß sich Herz und Geist öffnen und für die Weisheit empfänglich werden.’
In der Stimme der Stille sagt H. P. Blavatsky:
‘Selbst-Erkenntnis ist das Kind liebevoller Taten.’
Die wahre Psychologie, derer wir alle bedürfen, ist ein Prozeß der Selbstdisziplin, und nicht nur jene, die an den Universitäten Psychologie studieren, brauchen sie.
Es mag einigen seltsam erscheinen, daß das kostbarste Wissen, das der Mensch erwerben kann, nur durch eine unpersönliche Lebensweise erlangt werden kann, die stets auch auf das Wohl der gesamten Menschheit ausgerichtet sein muß. Dennoch ist es durchaus vernünftig, weil alles Wissen im Bereich des inneren Gottes liegt, dessen Lebensgesetz die Liebe ist. Es ist der Weg, auf dem die großen Meister der Weisheit und des Mitleids ihr Ziel erreicht haben. Ihre gereinigte Persönlichkeit behindert das innere Licht nicht mehr. Wie es ein orientalisches Sprichwort ausdrückt: ‘Die Lampe und der Docht sind rein.’
Die Lehrer der Menschheit
Nachdem, was bereits gesagt wurde, ist es nicht schwierig zu verstehen, daß bestimmte Menschen der Verwirklichung ihrer inneren göttlichen Natur weit näher gekommen sind als andere – einer Verwirklichung, auf die sich die gesamte menschliche Rasse in ihrer Evolution hinbewegt.
Unter den Fortgeschritteneren befinden sich einzelne, die selbst die besten und intelligentesten Menschen unter uns weit überflügeln. Sie sind die Blüte ihres Zeitalters. Sie sind als Retter, Welten-Lehrer, Weise, Mahatmas, Eingeweihte oder Meister der Weisheit bekannt.
Aus der Geschichte kennen wir einzelne solcher weit fortgeschrittener Menschen wie Gautama Buddha, Jesus, genannt Christus, Pythagoras, Krishna, Lao-Tse und viele andere. Sie gehören zu einer Vereinigung oder Bruderschaft, die seit undenklichen Zeiten existiert, und die immer noch so aktiv ist wie eh und je. In gewissen Intervallen sendet diese Bruderschaft einen Boten aus, um das Wissen der Alten Weisheit über den Menschen und die Natur wachzurufen.
H. P. Blavatsky war einer dieser Boten, durch Studium und Schulung darauf vorbereitet, der Westlichen Welt ein wenig über den erhabenen Orden mitzuteilen und von den notwendigen Vorbedingungen, um ihm beizutreten. In ihrer Stimme der Stille beschreibt sie den steinigen und dornigen Weg, der zu Frieden und Weisheit führt, wo eine große Belohnung gewiß ist – die Macht, der Menschheit zu helfen und ihr zu dienen. Das Geheimnis des Erfolges im ‘Weißen Okkultismus’ heißt: „Zu leben, um der Menschheit zu dienen, ist der erste Schritt. Der zweite ist, die sechs glorreichen Tugenden auszuüben. … So wirst du in Harmonie sein mit allem, was lebt; liebe die Menschen, als wenn sie deine Brüder wären, Schüler des einen Lehrers, die Söhne der einen süßen Mutter.“
Die Adepten, welche die Theosophische Gesellschaft gründeten, stehen immer in engem Kontakt mit dem Boten, der sie in der äußeren Welt vertritt.
Es ist offensichtlich kühn zu behaupten, daß eine derartige Vereinigung von Wächtern der Rasse existiert, die unbekannt ist, außer für wenige; es ist trotzdem wahr, und warum sollte es überraschen, wenn wir klar erkennen, was die Evolution wirklich bedeutet? Warum sollten wir gewöhnlichen Menschen das Höchste darstellen, was die Natur hervorbringen konnte – sie hatte über Millionen von Jahren die Gelegenheit, es besser zu machen – und selbst unter den uns bekannten Völkern und Individuen bestehen enorme Unterschiede. Man vergleiche einen afrikanischen Pygmäen mit einem Einstein. Der hohe Adept ist die seltene Blüte einer Rasse, einer außergewöhnlichen Entwicklung, aber in der Zukunft wird dieser Typus so normal sein wie der durchschnittlich anständige Mensch es heute ist.
Der Osten hat immer von den Adepten gewußt, aber im Westen haben nur die ursprünglichen Rosenkreuzer, die Platoniker des siebzehnten Jahrhunderts und einzelne mystische Philosophen zu verschiedenen Zeiten auf ihr Dasein hingewiesen, bis H. P. Blavatsky kam und sie öffentlich als ihre Lehrer und Inspiratoren erklärte.
Die Adepten sind die Wächter und Beschützer des heiligen Wissens; um dieses unversehrt zu bewahren, können sie sich nicht ungehindert mit der Welt verbinden, sondern müssen abgesondert leben. Da ihre Arbeit großenteils auf inneren Ebenen des Denkens und Handelns geschieht, wäre die Öffentlichkeit für sie kaum von Vorteil, sondern eher von Nachteil; sie wären überall behindert. Sie haben kein Verlangen danach, ihre Existenz einer skeptischen Öffentlichkeit zu beweisen.
Der Weg zur Weisheit öffnet sich jedoch für diejenigen, welche die Menschheit lieben und aus dem reinen Verlangen, ihren Brüdern bei der Suche nach dem Weg zu helfen, ihre persönlichen Wünsche opfern. Sie kennen das Paßwort; sie wissen, wie man richtig anklopft. Die Großen Lehrer suchen immer nach jenen, in denen sie einen Strahl des Christuslichtes oder des buddhischen Glanzes entdecken. Diese werden sie zur rechten Zeit treffen; wie bald, das hängt ganz von ihnen selbst ab. Ob man das Licht empfangen wird, hängt davon ab, wie aufrichtig der Wunsch ist, das Empfangene an andere weiterzugeben. Deshalb gibt es keinen anderen Schlüssel zur Theosophie als Bruderschaft – den Nächsten zu lieben wie sich selbst, das ist der oberste Grundsatz der Theosophischen Gesellschaft.
Einige wohlmeinende Leute sagen, daß wir keine äußeren Helfer oder Lehrer brauchen, weil Erleuchtung aus dem Inneren kommt. Tatsächlich ist das Licht im Innern, aber haben wir es gefunden? Warum sollten wir einen Führer auf dem Wege zurückweisen, auf dem Pfad, den wir betreten möchten?
Nach der Theosophie ist der wahre Lehrer (im Sanskrit Guru) nicht ein Gelehrter, der eine große Menge an Wissen überträgt – das kann ein gutgeschriebenes Buch auch –, er vermittelt vielmehr eine neue Einstellung; er ist buchstäblich ein Führer, der den Weg zeigt. Wir selbst müssen diesen Weg gehen; wir selbst müssen unsere Arbeit tun. Aber auch in den Dingen des täglichen Lebens benötigt der Unerfahrene Hilfe, ehe er allein stehen kann; wieviel mehr bei einer Bemühung, welche die Entschlußkraft, den Mut und die moralische Stärke außerordentlich auf die Probe stellt? Es ist richtig, jedes System zurückzuweisen, das einen leichten Weg verspricht, einen ‘Königsweg’, aber das ist kein Grund dafür, den Rat derer zurückzuweisen, welche den Weg ‘schon vorher gegangen sind’ durch ‘die enge Pforte’ und entlang dem ‘schmalen Pfad, der zum Leben führt’. Sie kennen die Fallgruben am Wege und die richtige Zeit, um zu helfen. Selbst H. P. Blavatsky sagte, sie hätte nie das unsichtbare ‘Ich bin’ in sich gänzlich erwecken können ohne die Leitung eines Meisters. Sie macht das in einem Brief sehr deutlich, der in der Zeitschrift Der Pfad (Band X, S. 367), veröffentlicht wurde.
‘Aber ich bin genug Okkultist, um zu wissen, daß wir, bevor wir den Meister in unserem eigenen Herzen und das siebte Prinzip gefunden haben, einen äußeren Meister brauchen.’
Und weiter:
‘… Mein Meister (der lebende) … ist ein Erretter, der uns anleitet, den Meister in uns selbst zu finden.’
Ist es möglich, mit den Meistern der Weisheit in Berührung zu kommen? Ja, wenn die Bedingungen günstig sind. Die erste Bedingung – unüberwindbar für so viele – ist das Motiv. Ist es Neugierde, wie löblich sie auch immer sein mag, vom gewöhnlichen Standpunkt aus, oder ist es der aufrichtige Wunsch, sich selbst und die Welt, ohne Rücksicht auf den selbstsüchtigen Wunsch nach persönlichem Gewinn, spirituell zu fördern? Ist der Wunsch, anderen zu helfen, größer als der Wunsch, Hilfe zu erhalten? Wenn dem so ist, werden die Meister dir auf halbem Wege entgegenkommen, weil sie immer nach Mitarbeitern für die Armee der unpersönlichen, ergebenen Streiter für das menschliche Wohl suchen. Werde wie sie, und sie werden dich von selbst erkennen. Wie Dr. de Purucker sagt:
‘Ich wiederhole die Worte der großen Seher und Weisen aller Zeiten: Klopft an, und wenn ihr es richtig tut, wird euch aufgetan werden. Fragt, und wenn ihr richtig fragt, selbstvergessen und nur hungrig nach Licht, nach Wahrheit, so werdet ihr empfangen. … Selbstvergessenheit ist das Klopfen, das geheimnisvolle Klopfzeichen an der Türe zum Einweihungsraum im Tempel.’
– Questions We All Ask, S. 35, 193
Ein wichtiger Hinweis darauf findet sich in einem Brief von einem Meister (K. H.), der die Theosophische Gesellschaft gründete:
‘… Der Gedanke bewegt sich schneller als der elektrische Strom, und Ihr Denken wird mich finden, wenn es von einem reinen Impuls ausgesandt wird, so wie das meine Ihren Sinn finden wird. … Wie der Bergsteiger von seinen Gipfeln aus jedes Licht in dem dunklen Tal sieht, so wird jeder helle Gedanke, den Sie in Ihrem Geist hegen, funkelnd aufleuchten, mein Bruder, und die Aufmerksamkeit Ihres entfernten Freundes und Korrespondenten auf sich ziehen. Wenn wir so unsere natürlichen Verbündeten in der Schattenwelt entdecken – in Eurer Welt und der unseren außerhalb der Grenzen – und es unser Gesetz ist, uns jedem solchen zu nähern, wenn auch nur der schwächste Schimmer des echten Thatagata-Lichtes in ihm ist –, wieviel leichter ist es dann für Sie, uns anzuziehen.’
– The Mahatma Letters to A. P. Sinnett, Brief 45, S. 267-268
Theosophie und Mythologie
Es ist für Theosophen wichtig, die Mythologie zu studieren, aber unsere Einstellung dazu unterscheidet sich in gewissen Aspekten von jener der allgemeinen Schulmeinungen. Diese nehmen an, daß die Menschheit – obwohl sie eine Million oder mehr Jahre alt ist – bis vor ein paar tausend Jahren noch gänzlich barbarisch war, und daß selbst bei hohen Zivilisationen keinerlei Urteilsvermögen bestand und die lächerlichsten Geschichten ohne Nachprüfung akzeptiert wurden. Der Glaube an Magie, an die Mythen der Götter und Halbgötter, an Feen und entkörperte Geister jeder Art – das alles wurde, von der Höhe unserer wissenschaftlichen Errungenschaften aus, als seltsame und amüsante ‘Volkskunde’ betrachtet. Geschichten von der Schöpfung des Universums und der Menschen, von der Sintflut, von göttlichen und halbgöttlichen Herrschern und Lehrern, von Goldenen Zeitaltern und ähnlichem, waren natürlich von Dichtern und Träumern erfunden, um die Frage nach der Kindheit der Menschheit zu befriedigen. Jeder vernünftige Grund für die Verehrung von Sonne, Mond oder Sternen muß nur in dem Bemühen gesehen werden, die Fruchtbarkeit zu steigern. Die Götter waren die Personifikationen von Naturerscheinungen wie Blitz, Regen oder Dämmerung; Furcht war die Grundlage der Religion. Stellenweise sind wir im Prinzip anderer Meinung, wenn wir auch zugeben, daß in der Theorie der ‘Volkskunde’ ein kleiner Bruchteil von Wahrheit steckt. Bestimmte Volkserzählungen und Mythen sind reine Phantasie, und das meiste der ‘Magie’ ist Hokuspokus – aber durchaus nicht alles.
Der Mythos war jedoch eine alte Form zu lehren. Durch die Märchen, Parabeln oder Symbole drückte man sehr viel aus – es war eine Form des Lehrens, die leicht behalten werden konnte. Der Mythos von Prometheus, der das Feuer der Götter stahl, um es den Menschen zu bringen, auf daß sie als selbstbewußte Wesen den Pfad geistiger Evolution verfolgen konnten, ist sehr bekannt. Die Erzählung der Bibel, in der Adam und Eva den Apfel vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse essen, verfolgt den gleichen Zweck. Auch andere Mythen, wie zum Beispiel die von Prajāpati, dem vedischen Gott, und Osiris, der ägyptischen Gottheit, weisen auf die menschliche Entwicklung und die Rückkehr des Menschen ins Universum zu der unendlichen Quelle hin, aus welcher alles hervorkommt.
Durch das Studium der Theosophie können wir einsehen, daß die wichtigsten Kosmogonien, Mythologien, und die halb-historischen Legenden des Altertums das Werk wohl instruierter Lehrer waren, von Eingeweihten, denen es gestattet wurde, bestimmte Wirkungen des Naturgesetzes in allegorischer Form darzubieten. Die vollständige Bedeutung der Allegorien konnte nur denjenigen mitgeteilt werden, die vorbereitet und geeignet waren.
Abgesehen von einer gewissen absichtlichen Verwirrung, die nur erzeugt wurde, um das tiefere Wissen zu verbergen, für das der Profane nicht vorbereitet war, schlichen sich im Verlauf der Jahrhunderte völlig irreführende Entstellungen ein. Es kann nicht verwundern, daß der moderne Gelehrte mit materialistischen oder theologischen Neigungen wenig Sinn für die verborgene Bedeutung der entstellten Überreste der Alten Weisheit hat und auf Seitenpfaden wandert, die ins Leere führen. Selbst die Volkskunde, die Mythologie und die Zeremonien der primitiven Volksstämme, armselige Überreste von höheren Zivilisationen, können ohne den Schlüssel, den die Theosophie gebracht hat, sehr wenig lehren.
Die Legenden über die Schöpfung, über gefallene Engel und über Riesen sind Lichtstrahlen, die von der Weisheits-Religion herrühren. H. P. B. sagt, daß der Mythos oder das Symbol nicht nur einen, sondern sieben Schlüssel besitzt. Indem sie diese gebrauchte, demonstrierte sie in ihren großen Werken, daß die Geschichte von der Evolution des Kosmos, der Welt und des Menschen in undeutlicher Form in den Mythologien, Epen und halb-historischen Legenden der frühen Völker enthalten ist. Die großen Religionen, wie sie sich heute darbieten, beschäftigen sich hauptsächlich mit der Beziehung zwischen ‘Gott’ und dem Menschen, um eine Form der Anbetung und einen Moralkodex aufzustellen; in den Allegorien und historischen Überlieferungen, auf welchen sie jedoch beruhen, sind die wichtigsten Lehren der Theosophie mehr oder weniger deutlich mitgeteilt – Lehren wie die über die Reinkarnation, die ‘Sieben Prinzipien’, die Hierarchien der Götter und anderer Wesen; und auch die über die Evolution der Menschheit durch die Runden und Rassen.
In den Mysterien hinter den exoterischen Religionen wurden die höheren Lehren jenen, die es verdienten, ihrem spirituellen Grad entsprechend gegeben. Die weitverbreiteten Legenden von Menschen, Göttern oder göttlichen Helden wie Buddha, Jesus, Krishna (in vielen Verkörperungen), Osiris-Horus, Herkules, Mithra und vielen anderen, haben eine viel tiefere Bedeutung als es die Erzählungen erkennen lassen, wenn sie auch wahrscheinlich alle auf dem Leben wirklicher Personen beruhen. Von einem anderen Standpunkt aus stellen die Geschichten die Ausbildung, die Prüfungen und schließlich die glorreiche Erleuchtung des erfolgreichen Kandidaten für die Größeren Mysterien dar, soweit das mitgeteilt werden kann, ohne verbotene Dinge zu enthüllen.
In der Theosophischen Literatur, besonders in der Geheimlehre, wird der Thematik der wahren Herkunft der Mythologie viel Aufmerksamkeit gewidmet.
Theosophie und Religion
Religiöse Gefühle der Verehrung für alles, was größer ist als das persönliche Selbst, beruhen auf der wirklichen Anwesenheit eines göttlichen zentralen Selbstes, von dem die Persönlichkeit lediglich eine schwache und verzerrte Reflektion ist. Theosophie ist die universale ‘Religion’, die das ausdrückt. Sie ist die Mutter der verschiedenen großen Religionen, die die Welt kennt – die verschiedenen Aspekte der Wahrheit, die ihren Aufstieg, ihren Niedergang und Fall hatten. Sie ist den Schülern der Theosophie bekannt als die Weisheits-Religion, die Geheime Lehre, die Esoterische Philosophie, Ātma-Vidyā usw. Sie anerkennt oder verehrt keinen vermenschlichten Gott mit persönlichen Begrenzungen – keinen alleinherrschenden Regenten des Universums, von dem der Mensch unabhängig oder getrennt ist. Ihre Vorstellung von Ewigkeit übersteigt selbst das höhere Verständnis der Persönlichkeit bei weitem.
Neben anderen ehemaligen Autoritäten der christlichen Kirche erkannte der Kirchenvater Augustinus das hohe Alter und die Wahrheit der ursprünglichen Weisheits-Religion, der Theosophie. Er sagt:
‘Dies ist zu unserer Zeit die Christliche Religion, sie zu kennen und ihr zu folgen ist die sicherste und verläßlichste Heilkraft. Aber dieser Name ist nicht der Name der Sache selbst; denn das, was jetzt Christliche Religion genannt wird, war den Alten tatsächlich bereits bekannt, auch fehlte sie zu keiner Zeit seit Anfang des Menschengeschlechtes bis zur Zeit, als Christus ins Fleisch kam; von da an begann man die wahre Religion, die vorher existiert hatte, die Christliche zu nennen.’
– Retractiones. I, XIII
Der Gedanke, daß ‘die wahre Religion’ immer bestand, ist eine reine theosophische Lehre.
Das Christentum, der Buddhismus, der Hinduismus, der Zoroastrianismus, der Mithraismus, der Taoismus, die ägyptischen, griechischen und römischen Religionen usw. haben bestimmte fundamentale Lehren miteinander gemeinsam. Begriffe wie Trinität, Dualität, das Auftreten einer Jungfrau Maria, von Göttern, Halbgöttern und Heilanden; Gedanken wie Karma oder, in anderer Form dargestellt, das Wissen über Ursache und Wirkung, das Bestehen von Mysterienschulen und Einweihungen, deuten auf eine alte Weisheits-Religion hin, die jenen ausführlicher gelehrt wurde, die darauf vorbereitet waren.
Die grausamen Verfolgungen, die gewisse historische Perioden in Verruf brachten, hätten sich nicht ereignen können, wenn die Fanatiker den Kern der Wahrheit innerhalb der äußeren Schale der verschiedenen sich bekämpfenden Bekenntnisse erkannt hätten.
Wir dürfen auch nicht in den Fehler verfallen, daß wir Theosophie als ein künstliches System betrachten, das aus sorgfältig ausgewählten Teilen der Welt-Religionen zusammengesetzt wurde. Theosophie ist die ursprüngliche Basis, gefügt aus den Erfahrungen sehr großer Intelligenzen – initiierter Seher, die tief hinter den äußeren Schleier der Illusion vorgedrungen sind, der die Realität vor unserem Blick verbirgt; Seher, welche die mystischen Geheimnisse der unsichtbaren Welt erschauen konnten. Leider wurden die Offenbarungen der Weisen – durch die Schwächen der menschlichen Natur – nach und nach durch Dogmen und starken Aberglauben verdunkelt.
Es gab eine Zeit, in der in den meisten Ländern ein intoleranter Skeptizismus herrschte, besonders in der Westlichen Welt. Mit der Ausbreitung des wissenschaftlichen Forschens und der Zunahme des Wissens, schienen viele alte Glaubensbekenntnisse unhaltbar zu werden. Leider blieben sie aber häufig ohne befriedigenden Ersatz.
Die Notwendigkeit, die Menschen wieder auf die alte Philosophie aufmerksam zu machen, war daher niemals so groß wie heute.
Die Lehren der Theosophie fänden wenig Widerhall, wenn sie nicht dem inneren spirituellen Menschen eingeprägt wären. Da sie tatsächlich nur eine äußere Formulierung dessen darstellen, was innen vorhanden ist, ist es nicht überraschend, daß sie vielen Menschen schon beim ersten Hören vertraut erscheinen.
Wie schon gesagt, die Theosophie hat immer ihre Wächter und Bewahrer gehabt, und von Zeit zu Zeit wurden vom Zentrum der Weisheit, das immer bestand, Boten entsandt, um ihre Lehren in verschiedenen Teilen der Welt wiederzubeleben. Auf diese Weise entstanden die großen Religionen; zuerst waren sie rein und stark. Sie wurden nicht aus primitivem Aberglauben entwickelt, sondern waren definitive Offenbarungen. Wenn sie älter werden, entarten sie, und ein neuer Bote aus der ursprünglichen Quelle muß die vernachlässigten ethischen Lehren neu darlegen, soweit die Verhältnisse der menschlichen Natur und des Universums es zulassen. Manchmal waren die Bemühungen der Großen Lehrer darauf gerichtet, philosophische Schulen zu gründen, wie die von Pythagoras oder Plato, Konfuzius oder Lao-tse, oder die Indischen Schulen. Ihr inspirierender Einfluß wird von der Geschichte anerkannt.
Das Wort Theosophie ist nicht neu, sondern wird gebraucht für die Beschreibung der Schulen des gnostischen Denkens, des neuplatonischen Ideensystems, der kabbalistischen Hierarchie der Lehren und ebenso für das Streben und Suchen der Feuerphilosophen, Rosenkreuzer, Alchemisten und im England des 17. Jahrhunderts für die Cambridge Platonisten. In Skandinavien gab es bedeutende Männer wie Tycho Brahe, der durch seine Untersuchungen Johannes Keppler half, das heliozentrische Weltbild neu zu entdecken. Bedeutende Männer und Frauen, von denen sich viele im theosophischen Strom befanden, wirkten sowohl einzeln – als erleuchtete Menschen – als auch in Gruppen zusammen.
Was die Theosophie und die Religionen anbelangt, so können wir den Christlichen Glauben als Beispiel für die Tätigkeit der Boten ansehen. Wie der heilige Augustinus richtig bemerkte, war das Christentum keine neue Offenbarung, sondern die Wiedergeburt der Alten Weisheits-Religion, die schon immer existiert hatte. Die Wahrheit kann sich nicht selbst widersprechen. Die Göttliche Inspiration oder der Geist der Erleuchtung kam durch Jesus, den Christus, herab, um die uralte Geschichte erneut zu verkünden und das Verständnis der uralten Geschichte zu beschleunigen. Wenn er auch in einem speziellen Sinne ein Sohn Gottes war – ein Avatara, um den Sanskritausdruck zu gebrauchen6 –, lehrte er doch eindringlich, daß alle Menschen Söhne Gottes sind, – mehr noch, ‘ihr seid Götter’, – und daß ‘ihr größere Werke vollbringen werdet’. Die Menschheit hatte es dringend nötig und sie hat es immer noch nötig, daß sie an ihre innere Göttlichkeit erinnert wird, die durch das ‘Fleisch’ verdunkelt wurde.
Die Göttlichkeit des Menschen ist die wichtigste Theosophische Lehre aller Boten der großen Spirituellen Loge. Die Evolution kann nicht vorangehen und ihre erhabene Bestimmung erfüllen, bis das anerkannt ist. Jesus zeigte den Weg, um das zu erreichen; den einzigen Pfad. Er lehrte keine Dogmen, er verfaßte keine Form der Anbetung. Er wiederholte die Goldene Regel aller Zeiten: Liebe, Brüderlichkeit, Vergeben, Selbstvergessen.
Leider dauerte es jedoch nicht lange, bis diese Lehre verdunkelt wurde und eine offizielle Religion mit obligatorischen Glaubensartikeln, zeremoniellen Ritualen und einer politisch-klerikalen Organisation errichtet wurde. Die Römischen Kaiser übernahmen sie und machten sie zu einem Werkzeug der hohen Politik. Die vitalen Impulse der ursprünglichen Lehren bewahrte die Kirche durch die Jahrhunderte, aber ihre spirituelle Kraft wurde durch Streitereien über den toten Buchstaben, und durch Meinungsverschiedenheiten dogmatischer Sekten, wie auch durch schreckliche Verfolgungen und Religionskriege, die so oft ihre Geschichte entehrten, außerordentlich geschwächt. Der spirituelle Einfluß der wenigen wahren Mystiker, die durch ein großes Maß an Selbsterkenntnis erleuchtet waren, wie Dionysius Areopagita, Eckhart, Boehme, Henry More usw., hebt sich wie ein silberner Faden vom dunklen Hintergrund ab.
Der Mystiker Jakob Boehme beispielsweise schreibt in seinem Neunten Brief: ‘Denn das Buch, in dem alle Mysterien liegen, ist der Mensch selbst: er selbst ist das Buch des Seins aller Wesen, er ist das Gleichnis der Göttlichkeit. Das große Arcanum liegt in ihm selbst; das Enthüllen dessen kommt allein dem Göttlichen Geist zu.’ Ihre einfachen Lehren von der Seelenweisheit waren wohl verdächtig und wenig populär, aber sie entlasten die gesamte Ära vom Vorwurf völliger Unfruchtbarkeit.
Mit anderen Religionen war es großenteils dasselbe. Sie begannen mit den einfachen Wahrheiten, die von einem inspirierten Boten gebracht wurden, dann degenerierten sie in Formalismus und Aberglauben, wenn es auch nicht immer zu Verfolgung und Blutvergießen kam. Das wesentliche Ziel – den Menschen zur Erkenntnis seiner eigenen inneren Göttlichkeit zu erwecken – wurde beiseite geschoben, wenn nicht gänzlich ignoriert.
Theosophie in der Bibel
Da die hebräischen Schriften den Menschen des Westens bekannter und besser zugänglich sind als die anderen heiligen Bücher des Ostens, wollen wir zum Abschluß auf einige Theosophische Lehren darin hinweisen, die gewöhnlich von den Theologen – vielleicht unbewußt – übersehen werden, die aber als Beispiel dafür dienen können, daß die Theosophie in allen heiligen Schriften der Erde enthalten ist.
Die Göttlichkeit des Menschen in seiner wahren inneren Natur wird im Neuen Testament deutlich gelehrt, und doch wurde dieser herrliche Gedanke, der denkbar größte Aufruf zu einem edlen Leben und zum Glück für die ganze Menschheit in den Hintergrund gedrängt; die niedrigere Natur, die reine Persönlichkeit, wurde als der wahre Mensch angesehen. Die Westliche Menschheit wurde belehrt, sie sei ‘in Sünde geboren’ und brauche einen äußeren Erlöser. Die Theosophie erneuert die majestätische Lehre des wahren Christentums – ‘Ihr seid Götter; ihr seid allzumal Kinder des Allerhöchsten’ (Psalm 82, 6); das wurde von Jesus zustimmend zitiert, als er sich gegen die Juden verteidigte (Johannes 10, 34). Viele Passagen in der Bibel lehren das Gesetz von Karma. Paulus sagt ausdrücklich (Galater 6, 7):
‘Was der Mensch sät, das wird er ernten.’
Was die Reinkarnation anbelangt, die von den Kirchen abgestritten oder ignoriert wurde, so war sie im Altertum der allgemeine Glaube, wie er es noch heute im Osten ist. Daher brauchen wir nicht überrascht zu sein, wenn wir Hinweise finden, daß sie wie in Offenbarung 3, 12 und an anderen Stellen eine anerkannte Lehre war. In der Offenbarung lesen wir das Folgende: ‘Wer überwindet, den will ich machen zum Pfeiler in dem Tempel meines Gottes, und er soll nicht mehr hinausgehen.’
Bestimmte Teile der Bibel stellen die Evolution der Natur und des Menschen in Allegorien dar, die für den Studierenden der Mythologien, der von der Theosophie geleitet wird, genügend transparent sind. Ein Beispiel sind die beiden allgemein bekannten Schöpfungsgeschichten in der Genesis, die sich derartig widersprechen, daß die heutige Kritik, sogar in den Kirchen, sie als ernsthafte Beiträge zur Erkenntnis ablehnt. Man hält sie für dichterische Ergüsse, Vermutungen von einfachen Menschen; von den Bearbeitern ohne Rücksicht auf einen Plan und einen Zusammenhang zusammengefügt.
Wenn wir jedoch den Theosophischen Schlüssel anwenden, dann finden wir eine ganz andere Erklärung. Die beiden Geschichten widersprechen sich nicht und sind auch keine kindlichen Volkssagen. Jede Geschichte stellt einen anderen Entwicklungsabschnitt dar. Der Adam der ersten Erzählung ist nicht der Adam der zweiten. Der erste Bericht gibt eine sehr abgekürzte Darstellung der ersten drei Runden und eines Teiles der Vierten Runde, bis in der Dritten Rasse Manas, der Verstand, zu wirken begann und die Trennung der Geschlechter stattfand. Die geistige Trägheit der frühen Rassen, bevor das Denken erweckt wurde, wird im zweiten Kapitel der Genesis durch den tiefen Schlaf von Adam dargestellt, die Trennung der Geschlechter durch die Erschaffung von Eva aus seiner Rippe. Der Garten Eden, die Bäume des Lebens und der Erkenntnis, die Versuchung durch die Schlange usw., sind einfach gleichnishafte Darstellungen von Tatsachen der Evolution. Sie sind in verschiedener Gestalt in anderen Alten Lehren zu finden, aber die Theosophie hat den Schlüssel dazu.
Am Schluß sollte noch einmal wiederholt werden, daß die Theosophie nicht aus Bruchstücken Alter Religionen und Philosophien besteht, die mit modernen evolutionären Ideen künstlich vermischt wurden – etwas künstlich Zusammengebrautes – Theosophie ist die Formulierung der Weisheit Großer Seher und Weiser, die vor Zeiten hinter den Schleier der Natur drangen, spirituell, psychisch und physisch. Von Zeit zu Zeit wurden auf verschiedene Weise einzelne Offenbarungen gegeben, aber die volle Erkenntnis wurde immer für die Wenigen zurückgehalten, so wie es die Natur der Sache verlangt.
‘Die Geheimlehre ist die angehäufte Weisheit der Zeitalter … . Sie ist die ununterbrochene Aufzeichnung, die sich über Tausende von Generationen von Sehern erstreckt, deren einzelne Erfahrungen dazu dienten, die Überlieferungen der Lehren von höheren und erhabeneren Wesen, die über die Kindheit des Menschengeschlechtes wachten, … zu prüfen und zu bewahren.’
– Die Geheimlehre, I, S. 293.
Als Vorbereitung für den neuen Zyklus, der jetzt heraufdämmert, wurde H. P. Blavatsky beauftragt, von diesen Dingen offener zu sprechen, dem Westen das Wissen von der Existenz der Meister zu bringen und die Schlüssel zu dem Wissen zu geben, das nie vorher mitgeteilt wurde. Diese Schlüssel sind unentbehrlich für jene, denen das spirituelle Wohl der Menschheit am Herzen liegt.
Die Theosophische Gesellschaft und ihre Ziele
Im Jahre 1875 wurde die Theosophische Gesellschaft von Helena Petrovna Blavatsky gegründet, einer Russin von hohem gesellschaftlichem Rang. Sie hatte die Aufgabe, die Theosophie an den Westen zurückzugeben und dadurch einen soliden Grundstein für die Bruderschaft der Menschen zu legen. Zu ihrer Zeit befand sich die westliche Zivilisation vor allen Dingen durch den zunehmenden Materialismus in Gefahr, der zum Teil seine Ursache in den gewaltigen Entdeckungen der Wissenschaft fand, die jede geistige Interpretation des Lebens in Mißkredit brachte. Es war ihr Auftrag, diesem durch die Verbreitung der Theosophie entgegenzusteuern. Nicht nur die Wissenschaft, sondern auch die Religion war von Natur aus materialistisch: auf der einen Seite ‘blinde Kraft’, und auf der anderen Seite starrer dogmatischer Formalismus. Kurze Zeit vor der Gründung der Theosophischen Gesellschaft schreibt Lord Lytton (ein englischer Staatsmann und Schriftsteller):
‘Wohin wir unseren Blick auch richten, die Quellen des rein geistigen Lebens scheinen allesamt in vertrockneten und trüben Rinnsalen versiegt zu sein oder nur schwach zu tröpfeln … überall wo die großen Belange der Menschheit auf dem Spiel stehen, wird die Geisteshaltung der Menschheit demgegenüber durch eine verzweifelte Übermüdung oder eine heftige anarchistische Ungeduld gekennzeichnet. Und das ist um so mehr zu bedauern, weil dies von einer kurzsichtigen materialistischen Aktivität begleitet wird. Wir leben in der Tat in einer materialistischen Zeit.’
– Aus: Fortnight Review, 1871
H. P. B. war ihrer Aufgabe im besonderen durch ihre Intelligenz gewachsen, ihren Mut und das alles übertreffende Verlangen, etwas von der schweren Leidenslast der Welt abzuwenden. Sie verfügte über Kräfte, die sie dazu befähigten, den Beweis der theosophischen Lehre zu liefern, daß der Mensch viel größere Kräfte in seinem Inneren besitzt als er vermutet. Nach langem Umherirren auf der ganzen Welt kam sie mit besonderen Mitgliedern einer tibetanischen Loge von Eingeweihten in Berührung, die sie auf das Werk vorbereiteten, das auf sie wartete. Sie wußte sehr wohl, daß sie all das aufgeben mußte, was den meisten Menschen teuer ist, und daß sie mit der bitteren Feindschaft der Mächte von Vorurteil und Reaktion rechnen mußte. Doch sie zögerte nicht. Ungeachtet der Tatsache, daß sie sowohl die gröbsten als auch subtilsten Formen der Verfolgung auf sich nehmen mußte und ständig falsch verstanden und interpretiert wurde, gelang es ihr, die Theosophie weit und breit bekanntzumachen und eine aktive Gesellschaft ernsthafter Schüler und Mitglieder zu gründen. Ihre Lehren haben das Denken dieser Zeit bereits stark beeinflußt, und im Laufe dieses Jahrhunderts haben Wissenschaft, Philosophie und Religion bedeutende Änderungen hinnehmen müssen, die damit in Verbindung stehen.
H. P. B. wies die Behauptung immer zurück, daß sie die theosophischen Lehren erfand. Immer wieder erklärte sie ihren Schülern, daß sie ihren Meistern zu danken habe, den Beschützern des heiligen Wissens. Es war ihre Aufgabe, dieses Wissen in einer Form anzubieten, das für den Westen annehmbar war.
In ihrem Vorwort zur Geheimlehre schreibt sie:
‘Diese Wahrheiten werden in keinem Sinne als eine Offenbarung vorgebracht; noch beansprucht die Verfasserin die Stellung einer Enthüllerin einer jetzt zum erstenmal in der Weltgeschichte veröffentlichten mystischen Lehre. Denn der Inhalt dieses Werkes findet sich in Tausenden von Bänden zerstreut, in den Schriften der großen asiatischen und alten europäischen Religionen, verborgen unter Hieroglyphe und Symbol, und wegen dieser Verhüllung bisher unbeachtet gelassen. Nunmehr wird der Versuch gemacht, die ältesten Lehrsätze zu sammeln und aus ihnen ein harmonisches und unzerstückeltes Ganzes zu machen. Nur insofern ist die Schreiberin besser daran als ihre Vorgänger, daß sie nicht zu persönlichen Spekulationen und Theorien ihre Zuflucht zu nehmen brauchte. Denn dieses Werk ist eine teilweise Darlegung dessen, was ihr selbst von weiter vorgeschrittenen Schülern gelehrt wurde, nur in einigen Einzelheiten ergänzt durch die Ergebnisse eigenen Studiums und Beobachtens . . .
Hingegen ist es vielleicht wünschenswert, unzweideutig festzustellen, daß die in diesen Bänden, wenn auch noch so fragmentarisch und unvollständig enthaltenen Lehren weder der indischen, der zoroastrischen, der chaldäischen oder der ägyptischen Religion, noch dem Buddhismus, Islam, Judentum oder Christentum ausschließlich angehören. Die Geheimlehre ist die Essenz von allen. Die in ihrem Anbeginn aus ihr entsprungenen verschiedenen religiösen Systeme werden nunmehr in ihr ursprüngliches Element zurückgeleitet, aus dem jedes Mysterium und Dogma entsprossen ist, sich entwickelt hat und ins Sinnliche herabgezogen worden ist.’
– Band I, S. XXIV-XXV
In der Einleitung zu diesem Werk erklärt sie:
‘Dem Publikum im allgemeinen und den Lesern der Geheimlehre möchte ich wiederholen, was ich von jeher betont habe und was ich jetzt in die Worte Montaignes kleide:
„Meine Herren, ich habe hier nur aus gepflückten Blumen einen Strauß gemacht, und nichts eigenes hinzugefügt als den Faden, der sie verbindet.“
– Band I, S. 29 (dtsch. Ausgabe)
Weil ihr Werk hauptsächlich das Ziel verfolgt, der westlichen Zivilisation einen neuen geistigen Impuls zu geben, bekam sie den Auftrag, in Amerika zu beginnen, wohin sie 1873 reiste. Am 17. November 1875 gründete sie in New York die Theosophische Gesellschaft, zusammen mit Colonel H. S. Olcott, W. Q. Judge und anderen. Ihr weiteres Leben widmete sie der Verbreitung der Theosophie durch persönlichen Unterricht, dem Schreiben von Büchern, der Herausgabe von Zeitschriften und der Gründung von Logen in vielen Ländern. Sie starb im Jahr 1891 in London. In den 16 Jahren ihres öffentlichen Wirkens bekam die Gesellschaft viele Mitglieder, wurden nationale und lokale Zentren auf der ganzen Welt gegründet, und eine große Fülle an Literatur wurde herausgegeben. Im Jahr 1888 publizierte sie ihr größtes Werk, Die Geheimlehre, die von gewissen Wissenschaftlern, Philosophen und auch anderen Menschen mit bemerkenswertem Interesse aufgenommen wurde. Dennoch blieb diese Teilnahme auf einen ziemlich kleinen Kreis beschränkt. Das änderte sich maßgeblich, was mit der Prophezeiung H. P. B.s übereinstimmt, daß das 20. Jahrhundert ein tieferes Verständnis für die Lehren der Alten Weisheit mit sich bringen würde.
Eines der bedeutendsten Ziele der Theosophischen Bewegung ist es, einen Kern der universalen Bruderschaft zu bilden, das heißt das Praktizieren eines Prinzips, dessen Wurzeln in der Ordnung der Natur liegen, in der organischen Einheit der menschlichen Rasse, in stofflichem und vor allem geistigen Sinne. Die Menschheit ist in Wirklichkeit eine große Familie, und allein unsere Blindheit verhindert, daß wir diese Tatsache erkennen und dementsprechend handeln. Die Menschheit ist ein organisches Ganzes, die Menschen sind die Zellen, die es ausmachen, und das Unrecht, das dem einzelnen zugefügt wird, schadet dem Ganzen. Diese Erkenntnis im Leben eines jeden Individuums, mit allem, was sie beinhaltet, ist die einzige Basis, worauf eine wirkliche Zivilisation aufgebaut werden kann. Bruderschaft ist eine Tatsache in der Natur und die Natur wird uns schließlich zwingen, dies zu akzeptieren und in Übereinstimmung damit zu handeln.
Alle Menschen, die guten Willens sind, müssen für sich selbst erkennen, daß das fundamentale Gesetz des Universums Liebe und Harmonie ist, und daß jener, der sie verletzt, gegen den Strom schwimmt. Der innere Mensch weiß das und sehnt sich danach, die äußere Persönlichkeit, die wir zu Unrecht für unser wahres Selbst halten, zu erleuchten. Wir können unsere Evolution vorantreiben, indem wir unser Herz öffnen; unser Schicksal liegt in unseren eigenen Händen, und wir müssen lernen, bewußt mit der göttlichen Intelligenz im Universum zusammenzuarbeiten.
Eng verbunden mit dem Gedanken der menschlichen Bruderschaft ist der Gedanke der göttlichen Natur des Menschen. Dies ist kein vages oder frommes Gefühl, sondern eine Wahrheit, die in allen Jahrhunderten von den größten Denkern gelehrt wurde – von jenen, die über eine durchdringende Intuition und Wissen verfügen.
Es herrscht jedoch noch die Auffassung, daß der Mensch lediglich ein Tier ist, ausgestattet mit etwas mehr Intelligenz, und daß er nach einem Leben auf der Erde endgültig verschwindet. Wie könnte jemals ein solch erhabenes Ideal der Bruderschaft auf einer solchen Grundlage erbaut worden sein? Ohne Zweifel gibt es viele theoretische Materialisten, die einen unbändigen Drang fühlen, sich für andere aufzuopfern, und ihre edlen Taten sind ein lebender Beweis für den Einfluß des höheren spirituellen Selbstes, so sehr sie dessen Existenz auch leugnen.
Nicht nur überzeugte Materialisten stellen den inneren Gott in Abrede; bestimmte Gruppen westlicher Theologen lehren noch immer, daß der Mensch im wesentlichen verdorben ist; daß er ‘in Sünde geboren ist’, obwohl Jesus sagte: ‘Das Königreich Gottes ist in uns’ (Lukas 17,21) und Paulus die ‘Botschaft der großen Freude’ verkündigte: ‘Wisset ihr nicht, daß ihr der Tempel Gottes seid und daß der Geist Gottes in euch wohnt?’ (I. Kor. 3,16). Wenn der Geist in jedem Menschen wohnt, muß die Bruderschaft, wie sie hier dargelegt wird, eine Tatsache sein, und dann ist die Vorstellung des Sonderseins die ‘große Ketzerei’.
Die innere Gottheit ist nicht etwas, das man ‘verlieren’ kann oder was auf kunstvolle Weise zustande kommen kann. Sie muß verwirklicht, zu einer lebendigen Kraft gemacht werden. ‘Wenn die Lampe gereinigt ist und der Docht gekürzt, kann das Licht durchscheinen.’ Wir müssen das selbst vollbringen.
Das wahre menschliche Ego ist in seinem tiefsten Inneren ein geistiges Wesen, ein göttliches Mysterium, und es liegt in seinem Vermögen, sich selbst zu finden. Diese sehr alte Lehre, die es wert ist, wiederholt zu werden, ist das Fundament, auf dem wir bauen können. Neben dem bedeutendsten Ziel, der Bildung einer aktiven Bruderschaft, strebt die Theosophische Gesellschaft danach, die Kenntnis über die Gesetze zu verbreiten, die dem Universum zugrunde liegen und anzudeuten, daß die essentielle Einheit von allem, was existiert, auf der Grundlage der Natur basiert.
Weiter ermuntert sie zum Studium der alten und modernen Religionen, von Wissenschaft und Philosophie. In der heutigen Zeit hat die vergleichende Religionswissenschaft eine große Bedeutung und die Entwicklungen von Wissenschaft und Philosophie werden von einem viel breiteren Publikum verfolgt, als dies früher der Fall war. Das letzte Ziel betrifft die Untersuchung der Kräfte, die dem Menschen angeboren sind. Man sollte vielleicht meinen, daß in der heutigen Zeit, in der psychische Fähigkeiten, und die Methoden, sie zu erwecken, derartig großen Zuspruch genießen, dieses Ziel beginnt, vollständig zu seinem Recht zu kommen. Das muß aber in Wirklichkeit ein Mißverständnis sein, denn das Ziel ist es nicht, psychische Kräfte zu entwickeln, sondern die zum Wesen des Menschen gehörenden Kräfte zu untersuchen. Über diesen Sachverhalt schreibt Dr. G. de Purucker in seinem Buch Studies in Occult Philosophy, S. 379/380, und wir beschließen hiermit das letzte Kapitel:
‘Psychischen Praktiken und sogenannten Phänomenen nachzujagen und ihnen Energie und Fähigkeiten zu widmen, läuft in Wirklichkeit auf eine beklagenswerte Verschwendung wertvoller Zeit hinaus. Die Konzentration auf diese Dinge kehrt die innere Maschinerie des Bewußtseins sozusagen einfach um und schaltet die psychische Maschine in den Rückwärtsgang, um einen heute leicht verständlichen Ausdruck zu gebrauchen. Man geht eher rückwärts als vorwärts. Diese okkulten Künste sind leicht zu praktizieren, wenn man erst einmal ihre Geheimnisse kennt, und sie sind leicht zu entdecken. Die Ursachen dieser psychischen Phänomene, wie Hellsehen, Gedankenlesen, das fehlbare und oft trügerische Hellhören, sind noch leichter herauszufinden. Es sind psychische Resultate, die jedoch nur zu dem Bewußtsein unserer menschlichen Zwischennatur gehören – und das Schlimmste ist, daß gerade sie die Gemüter der heutigen Menschen zu faszinieren scheinen… Vergleichen wir diese Praktiken mit der schlichten Größe der Lehren der alten Weisen und Seher, der Meister des wahren Okkultismus der alten Zeiten: Mensch, erkenne dich selbst, denn in dir liegen alle Geheimnisse des Universums und des Schicksals. Wir selbst sind das Universum, und sein Schicksal ist das unsrige, so wie unser Schicksal das Seine ist.
Das Selbst, das göttliche, spirituelle Selbst in uns, ist der Weg, dem wir folgen müssen, wenn wir danach streben, zum ‘Herzen’ des Universums zu gelangen. . . Seine Mitmenschen und er sind in der Essenz das gleiche, ja, er und das ganze Universum sind essentiell sogar eins. Das ist Okkultismus. Diese Lehre enthält die Geheimnisse der verborgenen Dinge, die Wissenschaft der Dinge, die geheim sind. Das ist die Bedeutung von Okkultismus.’
Fußnoten
1. Deutsche Ausgabe, Froebe Übersetzung [back]
2. Deutsche Ausgabe, Froebe Übersetzung [back]
3. Parapsychologische Ontdekkingen achter het Ijzeren Gordijn [Parapsychologische Entdeckungen hinter dem Eisernen Vorhang], s. Ostrander en L. Schroeder, 1979. [back]
4. Ebenda. [back]
5. Amerikanischer Astronom und Direktor des Harvard Observatoriums in Cambridge, USA, 1885-1972 [back]
6. Das Wort Avatara bedeutet das Herabsteigen eines göttlichen Wesens …, das Überschatten oder genauer ausgedrückt, die Erleuchtung eines großen und edlen Menschen durch eine Göttlichkeit, durch einen Gott. …
Jesus war ein Avatara, eine Manifestation in der Form eines menschlichen Wesens, durch einen Gott, eine Göttlichkeit, – eines der spirituellen Wesen, die unseren Teil des Sternen-Universums überwachen.’
– G. de Purucker, Questions We All Ask, Serie I, Nr. 15, S. 226-7 [back]