Nach dem Tod

Der Tod ist nicht der ‘König der Schrecken’, sondern ein freundlicher Befreier, eine segensreiche Befreiung für den Geist. Er ist an sich schmerzlos und das Tor zur Ruhe und zu unaussprechlicher Seligkeit. ‘Tod ist Geburt’ in einem sehr realen Sinne. Er ist ein völlig natürlicher Vorgang, notwendig für die Evolution des Menschen über die Zyklen des Erden-Lebens hinweg; er ist so notwendig wie der Schlaf, dem er auf mehr als eine Weise gleicht.

Der Tod ist jedoch keine endgültige Befreiung; er ist nicht das, was die östliche Philosophie als ein Überqueren oder Erreichen des ‘Anderen Ufers’ bezeichnet. Das ist ein dichterischer Ausdruck für die Tatsache, daß die Erkenntnis des inneren Gottes erreicht ist, das Resultat, das man sich durch viele Tode und Geburten erkämpft hat. Es ist der Zustand hoher Adeptschaft.

Die Menschen, welchen die inneren Bereiche der Natur wie ein Buch offenliegen, die durch spirituelle Entwicklung und Initiation den Schleier in vollem Bewußtsein durchdrungen haben, gaben uns einen allgemeinen Überblick über die Stufen des Fortschritts und des Freiwerdens nach dem Tod, einen Überblick, der logisch, wissenschaftlich und in Übereinstimmung mit unseren Idealen ist.

Kurz gesagt, sind die wichtigsten Einzelheiten diese: nachdem der verbrauchte physische Körper abgelegt wurde, zerfällt der halb-physische Astralkörper, Linga-śarīra, und es folgt ein Prozeß der Vorbereitung, in dem das menschliche Ego allmählich von den niedrigeren, weltlichen und alltäglichen Wünschen befreit wird. Das Niedere Manas durchschreitet sozusagen einen Prozeß, in dem es gereinigt wird, so ähnlich wie Metall durch Hitze von der Schlacke befreit wird. Das Kāma-Prinzip schwindet als aktive Kraft mit den niedrigen Erinnerungen der vergangenen Persönlichkeit dahin. Manchmal ist dieses Prinzip so stark und die Verbindung so eng, daß es lange Zeit als trügerische oder Pseudo-Persönlichkeit, Kāma-Rūpa genannt, zurückbleiben kann. Aber das wahre menschliche Ego schreitet vorwärts und läßt das Abbild oder den Rückstand der früheren Persönlichkeit, ihrer spirituellen Qualitäten beraubt, zurück, auch wenn diese zeitweise ein gewisses Maß an Bewußtsein und sogar Gedächtnis beibehalten mag.

Das wirkliche Menschliche Ego oder die Monade ist von den niedrigen leidenschaftlichen Elementen befreit oder technisch ausgedrückt, es ist durch den ‘Zweiten Tod’ gegangen und geht in den devachanischen Zustand ein, wo es uneingeschränkte Glückseligkeit in einer ‘Himmels-Welt’ genießt, der subjektiven Schöpfung der höchsten spirituellen Gedanken und Bestrebungen ‘im Busen der Göttlichen Monade’.

‘Denn welche Träume auch immer im Todesschlaf kommen mögen …’

– SHAKESPEARE, Hamlet, III. Akt, 1. Szene

Das geläuterte menschliche reinkarnierende Ego erfährt in seinem eigenen devachanischen Zyklus ein völliges Erwachen zu spirituellem Bewußtsein, einen Höhepunkt und einen Abstieg in einen Zustand der Lethargie, welcher der nächsten Verkörperung auf Erden vorausgeht. Die karmischen Samen beginnen zu keimen, während der Zyklus seine Runde vollendet; dann erblickt ein neugeborenes Kind das Licht des vertrauten irdischen Tages.

Im Augenblick des Todes, vor der Bewußtlosigkeit, die der Vorbereitung für das Devachan vorausgeht, entrollt sich vor dem inneren Auge des Ego ein vollständiges Panorama des vergangenen Lebens. Jedes Ereignis wird in seinem richtigen Zusammenhang gesehen. Alle Handlungen und Gedanken werden von uns selbst beurteilt, und es wird deutlich, daß selbst die geringsten davon unter das unpersönliche Walten der ausgleichenden Gerechtigkeit von Karma fallen. Auch vor der Wiedergeburt entrollt sich ein ähnliches Bild von den Bedingungen, die das menschliche Ego in der kommenden Inkarnation antrifft – was es sich selbst durch seine eigenen Handlungen und Gedanken bereitet hat. Alles wird deutlich gezeigt. Wenn daher die äußere Persönlichkeit, die nichts von den vergangenen karmischen Ursachen weiß, in der bevorstehenden Inkarnation das Unglück verflucht, das ihr beharrlich auf den Fersen blieb, und sich bitter über das Mißgeschick beschwert – so beklagt sich der innere Mensch nicht, denn er weiß, es ist die Ernte früherer Saaten. Wenn wir den Schlüssel zum Wissen finden und lernen, nach innen zu schauen, werden wir dies alles erkennen und ungeachtet äußerer Mißgeschicke Frieden haben. Die Menschen, die über die Tiefschläge des Lebens nicht klagen, haben schon ein intuitives Wissen davon, wenn sie auch vielleicht ihre Gefühle nicht analysieren können.

Außergewöhnliche Fälle und abweichende Umstände im nachtodlichen Zustand können an dieser Stelle nicht besprochen werden. Einen sehr wichtigen Vorgang, der nach dem Tod des Körpers und im devachanischen Zustand des menschlichen Egos stattfindet, können wir in diesem Zusammenhang aber nicht übergehen. Das menschliche Ego selbst wird dadurch nicht bewußt beeinflußt, denn der Prozeß betrifft ausschließlich die höhere Monade, das essentielle Selbst, aus dem das menschliche Ego oder die Monade hervorging, als sie ihre letzte Inkarnation begann und zu der sie zu ihrer Ruhe und spirituellen Erholung zurückkehrt.

Dieser besondere Prozeß besteht in der Wanderung der spirituellen Monade von einem Planeten der sogenannten ‘Sieben Heiligen Planeten’ zum anderen, wenn sie dem Pfade folgt, der als die Äußere Runde bekannt ist. In dieser Äußeren Runde sammelt die höhere Monade Erfahrungen hinsichtlich der Formen von Leben und Materie, die sich von jenen unterscheiden, welche sie auf der Erde kannte, die aber für ihren eigenen Fortschritt notwendig sind. Obwohl die menschliche Monade oder das Ego im Busen der höheren Monade ruht, hat es keinen Anteil an diesen Erfahrungen, die ihm nicht zugänglich sind, bis es eine weit höhere Stufe erreicht hat. Die menschliche Monade bleibt in ihrer devachanischen Seligkeit, während das spirituelle Elter eine Zeitlang auf jedem der ‘Heiligen Planeten’ verweilt.

Übereinstimmend warnen die großen Seher und Weisen aller Zeitalter nachdrücklich vor der Praktik, die Schatten der Verstorbenen zurückzurufen. G. de Purucker sagt in The Esoteric Tradition, S. 761:

‘Nachdem der physische Körper abgeworfen wurde und das Reinkarnierende Ego von der Anziehung der stofflichen Sphäre befreit ist, bleibt es für eine bestimmte Zeit in den niederen Ebenen oder Reichen des Astrallichts, und schließlich findet der ‘Zweite Tod’ statt, d. h., das Reinkarnierende Ego wirft seinen Kāma-Rūpa ab, die mehr oder minder exakte Kopie in Gestalt und Erscheinung des Menschen wie er war, als er noch auf der Erde lebte. Daher spricht man davon, daß die niederen Reiche des Astrallichts buchstäblich überhäuft sind mit einer großen Anzahl solcher Kāma-Rūpas oder Formen und Gestalten, und jede von ihnen ist eine mehr oder weniger perfekte Kopie des früher auf der Erde lebenden Wesens. Diese Kāma-Rūpas oder astralen Überbleibsel, die Schatten oder astralen Bildnisse der Wesen, die auf der Erde gelebt haben, sind die ‘Spukgeister’ oder Trugbilder, von welchen in der Esoterischen Philosophie gesprochen wird. Sie sind alle seelenlos, sind lediglich ‘Hüllen’, weil das Reinkarnierende Ego, das seinen Kāma-Rūpa früher als ein Bindeglied zwischen sich selbst und dem physischen Körper benutzte, nun von seinem Kāma-Rūpa befreit und auf seinem Weg ins Devachan ist.’

Die Theosophie leugnet nicht, daß viele Phänomene der spiritistischen Sitzungen echt sind. Tatsächlich begann H. P. Blavatsky ihre Arbeit in der Öffentlichkeit bei den Spiritisten, weil sie wußte, daß diese für psychische Phänomene aufgeschlossener waren als die damaligen Wissenschaftler oder Theologen; sie hoffte, daß sie das Licht begrüßen würden, das die Östliche Philosophie auf dieses gesamte Gebiet wirft.

Gemäß der Alten Weisheit ist es völlig ausgeschlossen, daß die spirituellen Egos sich jemals ‘materialisieren’; abgesehen von Ausnahmefällen stammen die Mitteilungen, die der Mensch empfängt, von dem Kāma-Rūpa oder der Pseudo-Persönlichkeit, die sich noch nach dem Kontakt mit der irdischen Ebene sehnt, wenn sie auch nur eine ‘Hülle’ ist, aus der sich die höhere Triade wie ein Schmetterling aus seinem Kokon zurückgezogen hat.

Eine weitere Verwirrung, die sehr häufig vorkommt, entsteht durch die Possen von Naturgeistern oder Elementalen, welche die verblassenden gespenstischen Schatten beleben und die abgeschiedene Persönlichkeit vortäuschen können, wie sie sich oft höhnisch rühmen. Jene Wesen werden als Elementale bezeichnet,

‘die einen Zyklus evolutionären Wachstums beginnen und sich im elementalen Zustand ihres Wachstums befinden. Es ist ein vereinfachender, verallgemeinernder Ausdruck für alle Wesen, die in ihrer Entwicklung unter den Mineralien stehen.’ …

‘Ein Elemental ist ein Wesen, das in unserem Universum die niederste Ebene oder die niederste Welt, den untersten Grad oder die unterste Stufe der aufsteigenden Lebensleiter dieses Universums betreten hat. Diese Lebenstreppe beginnt in jedem Universum auf seiner untersten Stufe und endet für jedes Universum auf seiner höchsten Stufe – auf der des universalen, kosmischen Geistes. Daher wandert das Elemental bei seinem Aufstieg auf der Lebensleiter vom elementalen Zustand durch alle Reiche des Seins, geht durch den menschlichen Zustand, wird übermenschlich, halbgöttlich – ein Halbgott – und wird dann ein Gott. Auf diese Weise betraten auch wir Menschen zuerst dieses gegenwärtige Universum.

Jede Menschenrasse auf der Erde hat an diese Scharen elementaler Wesen geglaubt, von denen einige sichtbar sind wie die Menschen, die Tiere und die lebenden Pflanzen, während andere unsichtbar sind. Die unsichtbaren Wesen erhielten verschiedene Namen: Feen, Naturgeister, Poltergeister, Alben, Heinzelmännchen, Wichtelmänner, Nixen, Trolle, Kobolde, weiße Frauen, Faune, Satyre, Devas, Dschinns usw.’

Okkultes Wörterbuch, G. de Purucker, S. 48

Man muß sich ganz klar darüber werden, daß die astrale Welt, besonders in ihren zugänglicheren Bereichen, von feinen Täuschungen erfüllt ist, in denen sich der nicht geschulte Forscher, wie intelligent er auch sein mag, wie in einem Irrgarten schnell verliert. Die Türe, einmal geöffnet, ist schwer zu schließen; das haben viele zu ihrem Schaden erfahren, wenn sie unwissend in den sogenannten ‘okkulten Künsten’ herumgepfuscht haben oder versuchten, die niederen physischen Kräfte zu entwickeln, die fälschlicherweise spirituell genannt werden.

In der westlichen Welt vermutet man kaum, daß das menschliche Wesen von einem so vielfältigen ‘Bewußtseinsstrom’ gebildet wird; und noch weniger kennt man die ‘Geographie’ der unsichtbaren Ebenen.

Wir tun gut daran, die astrale Ebene jenen zu überlassen, welche die Aufgabe haben, die dortigen Täuschungen zu untersuchen; jenen, die die notwendige Schulung der Selbstkontrolle und der Selbsterkenntnis durchgemacht haben, die nicht lediglich danach streben, die intellektuelle Neugier zu befriedigen, und die durch den starken Schutz der unpersönlichen Liebe behütet werden. Für uns befindet sich unsere Schule der Erfahrung hier und jetzt, in den Ereignissen des täglichen Lebens.

Das bedeutet natürlich nicht, daß man das gesammelte Wissen und die Lehren über das Thema des Psychismus und die Gesetze, die diesen Erscheinungen zugrunde liegen, nicht studieren sollte. W. Q. Judge sagt:

‘Unsere Philosophie erklärt die bereits verfügbaren Tatsachen und zeigt deutlich, daß zuerst die Tugenden und edlen Charakterstärken entwickelt werden müssen, bevor wir auch nur einigermaßen imstande sind, uns praktisch mit psychischen Kräften zu beschäftigen. Gleichzeitig kann sie dazu beitragen, dem gesamten Aberglauben bezüglich der vielen sich täglich ereignenden paranormalen Erscheinungen zuvorzukommen und damit abzurechnen, indem sie die zusammengesetzte Natur des Menschen hinreichend erklärt.’

The Theosophical Forum, Aug. 1894

Der zeitweilige Trost, der den Trauernden durch die angeblichen Verbindungen gespendet wird und auf Kosten des Mediums geht, wird reichlich durch die von der Theosophie erklärten Übel aufgewogen. Wenn wir unsere verstorbenen Freunde wirklich lieben, dürfen wir nicht versuchen, sie auf diese irdische Ebene zurückzuholen, von der sie zu dem unaussprechlichen Frieden Devachans aufgestiegen sind. Selbst der Kāma-Rūpa, die Hülle, sollte nicht wiederbelebt und mit ‘scheinbarem’ Leben und Intelligenz ausgestattet werden. Es ist ein Verbrechen gegen den wohltätigen Prozeß des Loslösens von der Natur.

Es ist besser, daß wir unsere Freunde ihren natürlichen Weg empor und nach innen beschreiten lassen, darauf vertrauend, daß wir sie sicherlich erneut treffen werden, wenn wir sie wirklich lieben, denn Liebe zieht Liebe an. In den östlichen Ländern wird das Zurückrufen der Schatten als ungehörig und schlimm betrachtet, und die mit der Mediumschaft verbundenen Gefahren sind nur zu gut bekannt.

Wir sind jedoch von den Freunden, die wir im Leben liebten, nicht gänzlich getrennt, selbst jetzt nicht. Es besteht die Möglichkeit einer sehr realen Verbindung zwischen unserem und ihrem spirituellen Ego. Das geschieht im Schlaf, wenn wir von den Begrenzungen der niederen Persönlichkeit befreit sind und unser besseres Selbst, das Höhere Manas, sich in hochspirituelle Bereiche zurückzieht. Es ist auch sehr selten, daß man sich beim Aufwachen an eine Spur von einer derartigen Verbindung erinnern kann, wenn auch ein Gefühl zurückbleiben kann, daß man ein wunderbares Erlebnis gehabt hat. Solche Erfahrungen haben jedoch nichts mit den Banalitäten der gewöhnlichen spiritistischen Sitzung oder mit den astralen Untersuchungen der parapsychologischen Forschung zu tun.

Die Großen Lehrer sagen uns, daß wir – um das Leben zu kennen – den Tod kennen müssen, und daß das ‘Abenteuer des Lebens’ in seiner Gesamtheit die Intervalle zwischen den Inkarnationen einschließt, denn der Tod des zeitweiligen Vehikels ist für das wahre Ego nur eine Tür zu neuen Erfahrungen. Die Abenteuer des Spirituellen Egos können aber von jenen verstanden werden, die zu hohem spirituellem Bewußtsein emporgestiegen sind und durch Einweihung den Schleier durchschritten haben. Die anderen können nur den äußeren Rand des Wissens berühren.

Der Adept und das Medium befinden sich an entgegengesetzten Polen; der erstgenannte kann nicht durch unbekannte Kräfte oder Wesen beherrscht werden; seine Schulung entwickelt die positiven, gottähnlichen Eigenschaften. Er ist ein Meister des Lebens, kein passiver Vermittler, der selbst die Gesetze der halbmateriellen, astralen Bereiche nicht kennt.