Die Masken Odins
Elsa-Brita Titchenell
1 – Mythen – eine Zeitdokumentation
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Zu den faszinierendsten Dingen über Mythen gehört der Anschein, daß sie dauerhafter seien als das Leben. Anonym und zeitlos scheinen sie in einer universalen Rumpelkammer unerschaffen zu existieren und darauf zu warten, entdeckt zu werden. Ihre Botschaft ist so ewig wie der grenzenlose Raum, so alldurchdringend wie die Energien, die den kosmischen Staub in Spiralen und atomare Welten in die organisierten Formationen, die größere Welten sind, herumwirbeln. Es kann nur eine Wahrheit existieren, eine allumfassende Wirklichkeit, die das allgemeine Eigentum der Menschheit ist. Sie hat immer existiert, und sie besteht noch heute. Aus dem weißen Licht dieser ursprünglichen Wahrheit strahlen die Mythologien und Schriften der Welt hervor, und, obwohl das Licht noch vorhanden ist, wird es durch unzählige menschliche Meinungen (minds) in die Spektralfarben teilweisen Wissens und verschiedener Glauben gebeugt. Trotzdem können wir in ihnen durch Vergleiche der verschiedenen Mythologien in ihnen die Wahrheit, die aus ihnen emporsteigt, noch erkennen.
Unter den vielen Äußerungen der alten Überlieferungen in verschiedenen Teilen des Globus finden wir, daß die altnordischen Edden Wissenschaft und Philosophie von hohem Rang enthalten, ein abgerundetes Wissen, das auch die Religion für einige lang vergessene Völker bildete, die dem Zeitalter der Wikinger, niemand weiß wie lange, vorausgegangen sein müssen. Wenn wir sie nach den Gedanken beurteilen, die sie in ihre Erzählungen aufnahmen, so schlossen sie in ihr Weltbild ein Bewußtsein von vielen der Kräfte und Mächte ein, die wir durch verschiedene Namen kennen, und die durch die Wissenschaft während des letzten Jahrhunderts wiederentdeckt worden sind. Wenn man bedenkt, daß die altnordische Tradition, obwohl sie in wichtigen Punkten auf eine unbekannte Vorgeschichte zurückdatiert, durch die wilde Welt der Wikinger-Krieger hindurchgehen mußte und sich zweifellos auf eine buntere Palette in der Beschreibung der Abenteuer der Götter und Riesen als ursprünglich benutzt, stützen mußte, ist es bemerkenswert, wieviel tiefe Philosophie für uns heute noch wahrnehmbar ist.
Viele Generationen, die die Geschichte erzählten und wiedererzählten, ermangelten des Verständnisses ihrer Bedeutung. Für sie dienten die Geschichten lediglich dazu, sich die langen dunklen Nächte zu vertreiben und die Himmel und die Erde mit Göttern und Helden zu bevölkern. Wenn sie die alten Überlieferungen beiläufig für spätere, empfänglichere Generationen bewahrten, wer kann sagen, ob dies nicht ein Ziel der Mythenschreiber war?
Es ist wahrlich ein Wunder, daß diese Gesänge und Geschichten überhaupt nicht zu existieren aufhören, wenn wir uns überlegen, wie wenige unserer Bestseller selbst das Jahr ihrer Veröffentlichung überleben. Wenn die Mythen nur banale wirkliche oder erfundene Ereignisse aufzeichneten, würden sie schon lange vorher vergessen worden sein. Ihre Langlebigkeit muß sich auf eine eingebaute Beständigkeit gründen, die auf einem Boden der Realität ruht, ganz unabhängig von klimatischen und regionalen Eigenschaften, die ihre Färbung den Geschichten verleihen. Die meisten Menschen sind mit einer Fülle von klassischen Erzählungen, Heldengeschichten und den Mythologien verschiedener Menschengruppen vertraut. Wir lernen sie als Kinder, und als Eltern geben wir sie weiter ohne zu fragen, woher sie gekommen sind, einfach weil sie interessant sind und wir uns an ihnen erfreuen. (Und doch hat das eigentliche Wort „Mythe“ die Bedeutung von etwas nicht Echtem, ohne jegliche Basis bekommen.) Durch gesprochene Worte seit Zeitaltern übermittelt und gesungen von Menschen, die unglaubliche Mengen von Versen auswendig lernen mußten, ist es fraglich, ob jene Barden weniger genau waren als das geschriebene Wort. Wir alle wissen, wie vehement Kinder gegen jede Änderung im Wortlaut der klassischen Märchen protestieren. Vielleicht erkennen sie instinktiv, daß diese Geschichten heilig sind und gegen eine Abwandlung geschützt werden müssen.
Nicht alle Mythen sind natürlich gleich bedeutungsvoll. Manche sind nur unterhaltsam; andere deuten sachliche Wissenschaft an, wenn auch in einem ungewohnten Dialekt abgefaßt, während Fachgebiete, die wir als diskret und getrennt betrachten – Astronomie, Biologie, Anthropologie, Psychologie, Physik – als ein integriertes Ganzes behandelt werden. Anspielungen auf lange vergessene Geschichten sind für uns bedeutungslos; jedoch bewahren Mythen, die sich mit Themen beschäftigen, die zeitlose und universale Anwendung finden – die Schöpfung von Welten, astronomische Ereignisse, Naturgeschichte – für Zeitalter Wissenschaft, Philosophie und Religion. Und sie tauchen aus der Dunkelheit wieder auf, wann immer eine Generation für ihre Botschaft empfänglich ist.
Da jede Mythologie, die von den ältesten Überlieferungen abstammt, dieselbe große Kosmogonie wiedergibt und ebenso Instruktionen für ein ethisches Leben in ihrem eigenen unverwechselbaren Code vermittelt, können wir jenen Code durch Vergleichen verschiedener Systeme entziffern. Ohne eine solche Entzifferung bleiben viele Erzählungen, archäologische Funde, Legenden, Opern und Mythen bar jeglicher Bedeutung, ein Einband ohne Buch, ein Rahmen, der eine leere Leinwand umgibt. Wenn wir aber nach der inneren Botschaft in den Mythen suchen, können wir in der Tat feststellen, daß sie eine wertvolle Zeitdokumentation sind – nicht voll von Dingen aber voll von Weisheit, die in Gestalt von Geschichten unser Erbe alles dessen intakt hält, was dauernden Wert besitzt.
Die Sprache der Mythen
Die Mythologie ist nicht lediglich eine Sammlung von Geschichten; sie ist eine Sprache. Wie andere Sprachen verwendet sie Symbole, um Ideen entsprechend den gebräuchlichen Assoziationen zu vermitteln: Symbole wie „oben“ , „hoch“, „erhaben“ geben den Begriffsumfang von Dingen an, die edel und erhebend sind, und „unten“, „niedrig“, Dinge, die unedel und unerwünscht sind.
Eine in der Edda häufig gefundene Symbolart ist die „Kenning“.1 Man glaubte, daß, wenn sie einem Fremden ihren wirklichen Namen nannten, dies gleichbedeutend war, ihm Macht über sie zu geben, und deshalb wurde ein beschreibender Beiname, eine Kenning, vorgezogen. Um die Edda zu verstehen, müssen wir daher die Etymologie von Namen prüfen, denn häufig wird das ein Schlüssel für die Rolle liefern, die durch einen Charakter in einer besonderen Situation gespielt wird. Wir haben versucht, die Kennings so zu übersetzen, wie sie erscheinen, um dadurch dem Leser eine Gelegenheit zu geben, ihre Bedeutung für sich selbst zu erkennen. Häufig wird auch eine Kenning benutzt, um die Aufmerksamkeit auf den besonderen Aspekt einer Person oder eines Objekts zu lenken, die gerade sachdienlich ist.
Zum Beispiel, als die vom Lebensbaum gefallene jammernde Idun weinend auf dem Boden liegt, erzählt die Ballade, wie „Tränen von ihres Kopfes Schilder fallen“. Dies mit „von ihren Augen“ zu übersetzen, würde natürlich erlaubt sein, würde aber das Gedicht seines auffälligen Reizes berauben. Ebenso wird der Lebensbaum, Yggdrasil, selten zweimal auf die gleiche Weise benannt. Er kann „der Lebensträger“, „der Schattenspender“, „der Bodenabdecker“, „die edle Esche“, „Odins Pferd“ oder „Odins Galgen“ (auf dem er gekreuzigt wird) genannt werden.
Die nordischen Mythen machen auch von Wortspielen Gebrauch, die eine höchst effektive und ausgeklügelte Lehrmethode sein können. Ein hervorragendes Beispiel ist die Erzählung von Cinderella, deren genauer Titel einen Reichtum an Weisheit enthält. Sie ist die französische Cendrillon (Aschenbrödel) und die englische Little Polly Flinders (die in der Asche saß). Es ist eine zu gut bekannte Erzählung, als daß sie wiederholt zu werden braucht, und die Symbologie ist ganz klar. Kurz, das verwaiste Kind, wird von der bösen Stiefmutter und ihrer Teufelsbrut versklavt: Die menschliche Seele, die ihren Kontakt mit dem Vater im Himmel verloren hat, gelangt unter die Macht der niedrigeren Seite der Natur, mit der sie nicht wirklich verwandt ist. Beachten Sie, daß es eine Stiefmutter ist, nicht ein wahrer Elternteil, die den Bösewicht spielt. Ihrer eigentlichen Stellung entfremdet, arbeitet die Seele daran, ihre rechtmäßige Stellung wiederzugewinnen. Durch Reinheit und Tugend erstrebt sie die Hilfe ihrer guten Fee, der spirituellen Seele. Viele Erzählungen verwenden dieses Thema von einer geheimnisvollen Fee und Verleiherin von Gaben, die später die feineren, durch Verdienst entfalteten Qualitäten einer Seele darstellen. Diese Elfenkraft, die die menschliche Seele mit ihrer göttlichen Quelle vereinigt, ist der Kanal (die Elfe), die ihrem Kind alle erstrebten spirituellen Talente übermittelt.
Die nordische Cinderella wird Askungen – (ask Asche + unge Kind), „das Aschenkind“ genannt. Sie ist ein Schößling der „edlen Esche“, Yggdrasil, des Lebensbaumes, der die Welten mit allen ihren Lebensformen auf seinen Zweigen trägt. Alle Lebewesen sind Kinder der kosmischen Esche, vom winzigsten bis zum größten Teilchen. Mehr noch, jeder von uns ist nicht nur ein Glied des kosmischen Baumes, sondern selbst ein Lebensbaum.
Das Aschenkind wird auch zyklisch aus seinem früheren Selbst, wie der Phönix, wiedergeboren. Es besteht auch eine Verbindung mit Gullweig, „dem Durst nach Gold“, der den bewußten Geist drängt, das „Gold“ der mystischen Alchemisten – die Weisheit – zu suchen. Von Gullweig wird gesagt, daß sie „dreimal verbrannt und dreimal wiedergeboren wurde, doch sie lebt noch immer“ (Völuspá 22).
Wenn Askungen ás-kunnigr geschrieben wird, enthüllt es weitere Bedeutungen dieses vielseitigen Ausdrucks: zuerst „Gott -verwandt“ – d. h. von göttlicher Abstammung; und wieder „Gott-Kenntnis“ – Kenntnis der Göttlichkeit; und auch „Wissen wie ein Gott“ – göttliche Weisheit besitzen; und auch „den Göttern bekannt“. Jede von diesen könnte die vortreffliche Seele beschreiben, die menschliche Vollkommenheit erlangt hat. Eine weitere Bedeutung taucht auf, wenn wir das Wort ás-kungen teilen: dies bedeutet „der König von Aesir“ und läßt darauf schließen, daß der Herrscher der Götter dem verwaisten, heimatlosen Kind in der Geschichte innewohnt. So vermittelt der Titel dieses Märchens durch ein geniales Wortspiel eine reiche Philosophie.
Viele Interpreten haben den Teil hervorgehoben, der bei rassischen Wanderungen in den mythischen Geschichten eine Rolle spielte, und zweifellos repräsentiert Odin, dessen Abenteuer und Führerschaft in Geschichtsform weiterleben, ein früheres Volk, möglicherweise aus einer der tieferen Schichten von Troy, wie von mehr als einem Mythologen vorgebracht wird. Trotzdem erlaubt dieses aber auch andere Anwendungen der Sagen – astronomische, psychologische und spirituelle. Dasselbe gilt für andere Arten göttlichen Charakters. Das ganze Pantheon stellt in der Natur – und in uns – existierende Eigenschaften dar. Und sie haben offensichtlich eine vitale Bedeutung nicht nur für unsere irdischen Reiche, sondern sie beeinflussen auch die Lebensqualität im ganzen Sonnenreich.
Die wirksame Vermittlung von Ideen erfordert drei Faktoren: erstens, die zu vermittelnde Botschaft; zweitens, die Mittel des Ausdrucks, die zur Übermittlung benutzt werden; drittens, ein verstehendes Gemüt (mind), das sie zu empfangen bereit ist. Daraus folgt, daß mythische Schriften sich auf ein immerwährendes Allgemeinwissen und wiederkehrende Ereignisse stützen muß, um ihre Wahrheiten zu illustrieren. Daher treten Dinge, die in der öffentlichen Denkweise (mind) auftauchen, durch die Mythen in Erscheinung: Krieg und Kämpfe treten deutlich sichtbar hervor, weil diese allzu häufig ein vertrauter Teil der menschlichen Szene waren. Außerdem schildern sie lebhaft den Konflikt, der in der Seele eines Individuums stattfindet, das mit der Verfolgung innerer Ziele und hoher Ideale angefangen hat. Diese Förderung des menschlichen Fortschritts auf ein edleres Format ist ein großer Teil dessen, was die Heldengedichte zu ermutigen vorhaben.
Die Heldengeschichten
Die Heldengeschichten der Eddalieder haben einen auffallenden Doppelcharakter. Sie sind quasi historisch aber auch legendär, und sie beschäftigen sich mit einer verschwenderischen Fülle von Ereignissen, die eine große Anzahl von Charakteren in ein Gewebe von Verschwörungen und Gegenschlägen, Fehden und Täuschungen verknüpfen. Viele der zusammenhängenden Begebenheiten sind so kompliziert und ihre Helden so zahlreich, daß das Auffinden des Fadens der Geschichten eine Herausforderung selbst für die hingebungsvollsten Genealogen ist. Jedoch, mit dem Hintergrund der mythischen Methodik können wir einen Schimmer des Lichtes erkennen, der auf ein Muster hinweist, das der Entwicklung der frühesten Menschenrassen, ihrer Eigenschaften, ihrer Lebensart und ihrer Mittel der Ausbreitung entspricht.
Die theosophische Philosophie reiht den Menschen unter die Schöpfer unserer Welt vom ersten Anfang an ein, als er und der Globus selbst noch nicht aus physischer Substanz bestanden wie wir ihn (den Globus) jetzt kennen, sondern als er sich noch sehr langsam aus einem ursprünglichen Nebel verdichtete. Die Namen der frühesten Helden geben uns eine interessante Bestätigung davon, wenn sie klar erkennbare Gruppen der Menschheit während jener Bildungsstufen repräsentieren. Wenn ihre Heldentaten ein Weg sind, um den Fortschritt dieser frühen Rassen zu symbolisieren, dann können wir unsere Herkunft aus amorphen, wolkigen, zarten Geschöpfen zu gelantineartigen und schließlich fleischigen Wesen verfolgen; aus geschlechtslosen zu androgynen, zu zweigeschlechtigen Organismen; und aus nicht denkenden, träumenden, unbewußten Triebwesen zu gradweise erwachenden Intelligenzen. Die Prototypen der Menschen wurden von den erfahreneren Reichen der niedrigsten Götter geführt und gelehrt, zu planen, zu kultivieren und zu ernten, Gegenstände zu gestalten, Werkzeuge anzufertigen, und im Laufe der Zeit selbständig und unabhängig zu werden. In den Heldengeschichten können wir durch die Art und Weise, in der die Charaktere aufeinander einwirken, sehen, wie die Lebensformen sich über enorme Zeitlängen wandelten und dabei auch die Zusammensetzung des Globus veränderten. Menschliche und nichtmenschliche Stämme folgten einander in regelmäßiger Folge. Sie konkurrierten um Lebensraum und Lebensfähigkeit mit Antagonisten und Verwandten. Sie lösten einander ab und brachten durch mehrere Verbindungen verschiedene Nachkommen zur Verkörperung. Einige waren weder menschlich noch tierisch, sondern eigenartige weiche Kreaturen, die unerwartete und unkritisch akzeptierte Handlungen vollbrachten.
Die Heldengedichte mit der Vorgeschichte der Menschheit in Zusammenhang zu bringen, würde die Entwirrung der vielen ineinander verflochtenen Fäden der Erzählungen verlangen – ein ungeheures Unterfangen ohne Sicherheit einer korrekten Interpretation oder Konsequenz. Die langatmige Saga von Sigurd Fáfnesbane (Fáfnirs Fluch) ist für jene fernen Äonen vielsagend. Die germanische Version ist wohlbekannt als ein Teil des Nibelungen-Zyklusses.
Der Name Nibelungen oder Niflungar im Altnordischen, bedeutet „Kinder des Nebels“ (nifl Nebel). Stark an die „Söhne des Feuernebels“ in der Geheimlehre erinnernd, scheinen auch diese Kräfte zu sein, die als Mittel beim Ins-Dasein-Bringen der ursprünglichen Welt dienten. Den Niflungar folgten die Völsungar, was „Kinder des völsi (Phallus)“ bedeutet, eine viel spätere Menschheit, die sich inzwischen durch sexuelle Methoden zu vermehren begonnen hatte – eine Entwicklung, die die Theosophie in die dritte und nachfolgende Menschheit2 einordnet.
In der Saga sind zahlreiche Fehden eingestreut, die offensichtlich Bezug nehmen sowohl auf eine Reihenfolge von Rassen, Zweigrassen und kleineren Stämmen als auch auf verschiedene Arten eines elementaren Bewußtseins, das für die Völker in den frühen Stadien des Lebens unseres Planeten charakteristisch ist. Die Geschichte enthält eine Unzahl von Betrug und Rache, blutigen Fehden, die sich über Generationen erstrecken. Alles dieses wird in dem objektiven, urteilslosen, erzählenden Stil geschildert, der eines der Kennzeichen ursprünglicher Mythologie ist. Würdigungen sind das Gebiet der Erdichtung und spiegeln den vorübergehenden Sittenkodex eines Zeitalters wider; mythische Darstellungen zeichnen die Ereignisse ohne Lob oder Tadel auf.
Verborgen hinter der Symbolik dieser Erzählungen mit ihren vielen Abschweifungen können wir durch den Reichtum an Anekdoten den zeitalterlangen Schwung der frühen Entwicklung unseres Planeten erkennen, als seine Materie sich noch verdichtete und alle Naturreiche sich noch im Entstehungsprozeß befanden. Anwachsende Substantialität und Formenvielfalt gewährten die Mittel für die physische Evolution. Diese rief aber auch den Impuls hervor, der dazu führte, daß die Entfaltung der Spiritualität verzögert wurde. Vor dem Wendepunkt wurde diesem gütig durch ein Ereignis entgegengewirkt, das als das Kommen von Rig aufgezeichnet, als ein Strahl des Gottes Heimdal, „der hellglänzende Áse“, in drei aufeinanderfolgenden Stufen in die Menschheit (s. Das Rig-Lied) eintrat. Unsere Abstammung ist daher dreimal göttlich. Wir sind auch wie Sigurd (Fáfnesbane) gott-gelehrt, und wie er durch die Tücken der Materie getäuscht, müssen wir das Schwert, das wir ererbt haben, ausbessern und wiederherstellen: den Willen, durch den die Illusion überwunden und die schlafende Walküre in der Seele erweckt wird.
Wissenschaft in der Edda
Um die Erwähnungen von Tatsachen und Artefakten in Legenden und mythischer Überlieferung zu erkennen, müssen wir mit den Dingen, auf die sie sich beziehen, vertraut sein. Es bedarf eines Technikers derselben Art, um die Beschreibung der technischen Erfindung eines anderen zu erkennen, und es bedarf der Kenntnis eines Naturphänomens, um seine Beschreibung in der Mythe wiederzuerkennen. Erwähnungen der Elektrizität, des Magnetismus oder der Leitfähigkeit in den Mythen gingen an den Gelehrten der frühen Jahrhunderte, die wenig oder nichts von solchen Dingen wußten, unbemerkt vorbei; daß die „geflügelten Wagen“ und „Federflügel“ der Edda – wie die „Himmlischen Wagen“ im Sanskrit der Hindu Mahābhārata und Rāmāyana3 – können Flugvorrichtungen beschrieben haben, die der Anerkennung entgangen sind, ehe wir uns der Luftfahrt zuwandten. Da wir jetzt Flugzeuge routinemäßig benutzen, können wir, wenn wir wollen, starke Hinweise finden, daß nicht nur Luftreisen, sondern auch der Van-Allen-Gürtel, das Magnetfeld der Erde, schwarze Löcher und QSOs4 den Schöpfern der Mythen bekannt waren. Wir müssen noch lernen, welche erstaunlichen Kräfte von einigen Erbauern gigantischer Monumente und Pyramiden angewandt wurden, und wie sie die tonnenschweren Felsblöcke bewegten und sie mit juwelengleicher Präzision an so weit verbreiteten Plätzen wie Ägypten, Peru, Britannien und Kambodscha bearbeiteten.
Astronomen des Altertums sind fast sicher, daß viele, wenn nicht alle der Henges von Britannien – Stonehenge ist eines unter Hunderten und sicher am besten bekannt – erbaut und zum Studium der Bewegungen von Himmelskörpern benutzt wurden. Die Ausrichtung von Dolmen wurde wahrscheinlich benutzt, um unter anderen Dingen Eklipsen zu berechnen, etwas, das eine verfeinerte langfristige Beobachtung und präzise Berechnung erfordert. Von einigen dieser Konstruktionen wird angenommen, daß sie Universitäten für andere Studienzweige beherbergten. Sowohl die Alte als auch die Neue Welt enthalten Reste einer Vielfalt von Vorrichtungen: Hügel, Steinkreise, Medizinräder, Felszeichnungen und Gebäude, die dazu dienten, Sterne und Planeten in eine Linie zu bringen. Skandinavien und Britannien sind reich an geheimnisvollen Steinkreisen, Miniaturen der besser bekannten Henges, die aus in runder oder ovaler Formation aufgestellten Stelen gebildet sind. Meine Freunde und ich pflegten in einem solchen „Steinschiff“ auf einem Hügel auf einer Insel im Baltikum zu spielen. Wir fanden nach wochenlangem graben, daß die Steine, die nur etwa 50 cm hoch herausragten, so tief eingegraben waren, daß wir sie unmöglich hin- und herbewegen konnten. Dem Rasenstück nach zu schließen, das sich bis fast zu ihrer Spitze angesammelt hatte, mußten sie ein beträchtliches Alter haben (andere Steinschiffe sind wahrscheinlich spätere Begräbnisstätten der Wikinger; es herrschte der Brauch, ein totes Oberhaupt an Bord seines Schiffes zu legen, es in Brand zu setzen und brennend auf das Meer zu schicken, eine Gewohnheit, die durch die Beisetzung mit Gütern, Schiff und allem abgelöst wurde.) Ältere Steinkreise sind so aufgestellt, daß sie Sichtmarkierungen für Sonnenwenden, Tag- und Nachtgleichen, Nebensonnen (jene mysteriösen Reflexionen auf beiden Seiten einer aufgehenden oder untergehenden Sonne), und möglicherweise dazu noch ausgeklügelte Beobachtungen, wie der heliakische Aufgang5 gewisser Sterne.
Viele Dinge, die in den Mythen absurd oder widersprüchlich scheinen, sind erklärbar, wenn wir unseren Standpunkt umkehren: Anstatt auf ihre Autoren als Nichtwisser herabzusehen und auf das Universum vom materiellen Standpunkt aus zu schauen, können wir den Kosmos als eine Ausdrucksweise des Lebens und von Leben, als einen lebenden zusammengesetzten Organismus betrachten, der unvorstellbare Bewußtseinsbereiche und unendliche Grade von Substanzen enthält. Heute betritt eine wachsende Zahl von Wissenschaftlern den Bereich der Philosophie. Sie räumen ein, daß die menschliche Rasse ein immanenter Teil eines universalen Lebenssystemes ist. Ein neues Textbuch über Astronomie enthält das Folgende:
Die Astronomie lehrt, daß wir Geschöpfe des Universums, Kinder der Sterne, Nachkommen der interstellaren Wolken sind. Wir sind Produkte der kosmischen Evolution. Vielleicht sind wir des Universums Art und Weise, sich seiner selbst bewußt zu werden. Sie und ich und die anderen lebenden Geschöpfe im Kosmos – wenn wir in den Raum blicken, sehen wir die Quelle von uns selbst. Und diesen weit geöffneten Räumen fügen wir Hoffnung, Furcht , Imagination und Liebe hinzu.6
Die Altnordischen Mythen betrachten Sonne, Mond und Planeten als die Wohnsitze, die die „wohltätigen Kräfte“ für sie zum Bewohnen gebildet haben. Einigen dieser Häuser, die auf einer Reihe von „Schelfen“ – verschiedene Grade der Substanzen – aufgestellt sind, werden Namen wie Bredablick (weite Sicht), Himmelsberg, Lidskjälf (Schelf des Mitgefühls),7 Sökvabäck (tiefer Fluß) und andere suggestive Beinamen gegeben. Offensichtlich ist es unmöglich, in menschlichen Ausdrücken die übernatürlichen Sphären der Götter zu beschreiben, aber wir können annehmen, daß die stellaren und planetarischen Sphären, die wir am Himmel sehen, die sichtbaren Körper ihrer Gottheiten sind, das heißt, der bewußten Energien, jede einzelne mit ihrer deutlichen Individualität. Die Mythen, die sich mit diesen „Göttern“ und „ Göttinnen“ und mit ihren Schelfen und den Hallen beschäftigen, die sie für sich selbst darauf gebaut haben, geben den Eindruck einer Familie: eine Gruppe verwandter Individuen mit ausgeprägten Charakteren und Veranlagungen. Sie wirken aufeinander ein, reagieren aufeinander und verhalten sich im allgemeinen so, wie man es von den Mitgliedern einer Familie erwarten kann, die sich gut benehmen.
Obwohl die Mythenerzähler diese „wohltätigen Kräfte“ als die mächtigen Beweger der Sphären verehrten, gibt es in dem frühesten Brauchtum der Verehrung im modernen Sinne des Wortes keinen Hinweis darauf. Es gibt eine Erkenntnis ihrer „Verehrungswürdigkeit“ als universale Kräfte, die allmählich aus früheren „riesigen“ Welten übergegangen sind und die uns auf dem evolutionären Pfad vorausgingen sind, wobei sie den Weg der menschlichen Bestimmung für zukünftige Äonen markieren. Die Gottheiten sind nicht auf die sichtbaren Sonnen- und Planetenwelten begrenzt, die sie repräsentieren. Ihre Reichweite ist weit ausgedehnter, etwas, was wir heute auf dem physikalischen Feld kennen: Raumsonden haben gezeigt, daß ein Planet von einer Hülle aus magnetischem Plasma derart gewaltig umgeben ist, daß der sichtbare Globus mit einem Baseball an der Spitze eines Kleinluftschiffes verglichen worden ist. Der mächtige Sonnenwind strömt Fluten von Plasma aus, die sich mit den planetarischen Magnetosphären vermischen, wobei sie auf der Tageslichtseite (der Sonnenseite) abgeflacht und auf der Nachtseite weit in den Raum getrieben werden.
Trotz unterschiedlicher Ausdrucksweise beschrieben die moderne Wissenschaft und die alten Mythen das Sonnensystem auf sehr ähnliche Weise: Die Mythen als ein hierarchisches Wesen, in dem Ströme von Lebensenergien – die Lebensflüsse der Edda – von Haus zu Haus fließen, wobei die göttlichen Energien (Bewußtheiten) in ein Netzwerk aus Leben und Bewegung verknüpft werden; die Physik als einen Riesenorganismus, in dem Gravitationseffekte Gezeiten hervorrufen und auf unerklärliche Weise die Wachstumszyklen auf Erden beeinflussen. Auf einer noch größeren Skala stellt man fest, daß Galaxiengruppen und Supergalaxien einer Wechselwirkung ausgesetzt und durch die Gravitation miteinander verbunden sind. Die Mythen scheinen die Natur wahr wiederzugeben, indem sie das Sonnensystem als eine riesige Zusammensetzung beschreiben, in der sichtbare und unsichtbare Welten jedem Austausch der Wechselwirkungen von Gott – Riese – Energie – Materie –, der Wechselwirkungen parallel verlaufender, psychologischer und anderer unbestimmbarer Einflüsse entsprechen, wie denen, die uns im menschlichen Bereich vertraut sind.
Im Einklang mit dieser Ansicht, hat die astrophysikalische Wissenschaft seit einiger Zeit die relative Wahrscheinlichkeit eines „geschlossenen“ gegen ein „offenes“ Universum diskutiert. Die Antwort hängt davon ab, wie viel Materie im Raum existiert, unsichtbar und scheinbar unwahrnehmbar durch die gegenwärtig verfügbaren Mittel. Was auch immer das Ergebnis dieser Diskussion ist, für unsere Zwecke genügt es, daß der unsichtbaren, unhörbaren, unberührbaren, mit physikalischen Mitteln scheinbar unwahrnehmbaren Materie die wissenschaftliche Achtung eingeräumt worden ist. Dieses nähert sich der mythischen Wissenschaft, die immer die Existenz nichtphysischer Substanzen angedeutet hat. Nicht daß die Mythen eine Bestätigung oder eine Ablehnung benötigen; ihre Botschaft kann auf ihren eigenen Verdiensten beruhen.
Wenn das gewaltige Übergewicht der Materie unsichtbar ist, wird es logisch einfach, die Kugeln am Himmel als Teile größerer Weltensysteme zu betrachten, die wir nicht sehen, aber die analog zu den unsichtbaren Teilen unserer eigenen Natur sind und vielleicht auf sie einwirken. In der theosophischen Tradition werden die sichtbaren Sphären unseres Sonnensystems als die gröbsten Bestandteile ihrer jeweiligen planetarischen Wesen betrachtet. Sie sind ihre Körper; wir können ihre Seelen vermuten oder fühlen, aber nicht sehen. Um die Idee eine Stufe weiterzuführen, sie wirken aufeinander ein, so sehr wie Menschen ohne physischen Kontakt aufeinander einwirken. Gewiß teilen wir unsere Gedanken und Gefühle, gelegentlich inspirieren wir uns gegenseitig. Auf diese Weise können auch die unsichtbaren Bestandteile des Sonnensystems dabei helfen, andere sichtbare und unsichtbare Bestandteile aufzubauen und zu beeinflussen. Dieses würde gut mit der Vorstellung übereinstimmen, daß die Lebensflüsse, die alle Arten von Eigenschaften (und entsprechende Substanzen) enthalten, durch den enormen Sonnenkörper entlang den magnetischen Wegen der Anziehung fließen. Dabei ist jedes Leben selbst eine Wesenheit ebensogut wie ein kleinster Teil des Ganzen. Einige dieser Leben verkörpern sich in Mineralformen – jene, die den massiven, erdigen Charakter besitzen, können wir uns schwerlich als „Leben“ vorstellen; andere sind zur pflanzlichen Stufe mit ihrer größeren Vielfalt an Möglichkeiten fortgeschritten; andere wiederum zum Tierstadium und noch größerer Verschiedenartigkeit; und wir repräsentieren die menschliche Stufe. Das ganze System des Miteinanderverbundensein kann demonstriert werden, wenn wir unsere Plätze in der biologischen Naturkette einnehmen, in der wir die Materie des Globus umgestalten und verwandeln; wichtiger noch, wir entwickeln Eigenschaften des Bewußtseins der verschiedensten Art. Alle Wesen, die die Existenzstadien zu der Grenze, die wir erreicht haben, durchqueren, bewohnen ihre geeigneten Lebenssphären innerhalb des größeren Wesens, das wir alle zusammensetzen helfen. Es ist daher nicht so eigenartig anzunehmen, daß wir, einer der Lebensflüsse, eine Heimstatt für jeden Aspekt unserer Natur in irgendeiner Domäne des Sonnenuniversums haben. Dieses scheint das zu sein, was die Mythen in ihrer rätselhaften Weise andeuten.
Die faszinierenden Beschreibungen im Grimnismál der zwölf Häuser der Götter, jedes auf seinem „Schelf“ (Ebene), deuten sehr auf die Lehre hin, das in der Geheimlehre gebracht und später von Gottfried de Purucker in Fountain Source of Occultism (Quelle des Okkultismus) ngeführt worden ist. Darin wird voll beabsichtigt, jede Gottheit und ihre entsprechenden Planeten mit einem unsichtbaren Teil des inneren Wesens unseres eigenen Planeten zu verknüpfen, wobei eine Beziehung von jedem zu jedem gezeigt wird, die alle Teile jeder individuellen Komponente des Sonnensystems miteinander verbindet. Interessante Übereinstimmungen verbinden jeden Charakter der himmlischen Szenerie mit jeder einzelnen der anderen, und diese erklären die komplexen Beziehungen der altnordischen Gottheiten, wie es nicht anders sein kann. Das gleiche ist auf den griechischen und andere Pantheons anwendbar. Wenn die Mythen versichern, daß es ein Kontinuum gibt, in dem Welten außerhalb unseres Wahrnehmungsvermögens existieren, und zwar sowohl „oberhalb“ als auch „unterhalb“, die bekannten Frequenzbereiche, die die Materie kennzeichnen und noch Teil unseres Universums bilden; wenn sie andeuten, daß sich unsere bekannten Verhältnisse endlos oberhalb und unterhalb unserer „Sichtlinie“ fortsetzen und daß scheinbar leerer Raum eine Fülle aus von uns nicht wahrgenommener Leben ist, so haben wir keine Mittel, um diese Information entweder zu beweisen oder zu widerlegen, bis wir in der Lage sind, die „Schelfe“ und „Häuser“ zu verstehen, von denen sie sprechen. Eine Interpretation ist daher zum größten Teil eine individuelle Angelegenheit. Eine Mythe, die sich auf Freya bezieht, gibt nicht immer an, ob der sichtbare Planet Venus gemeint ist oder die unsichtbare charakteristische Kraft, die unsere Menschheit unterstützt und eine besondere Bedeutung für sie hat; oder es kann auch der durch die Venus inspirierte Teil unseres Planeten sein, der gemeint ist. Jedenfalls können wir der Vielseitigkeit der Natur keine Grenzen setzen; die Begrenzungen sind in uns.
Eine interessante Möglichkeit, die sich von selbst ergibt, wenn wir das astrophysische Universum betrachten, betrifft die außerordentliche Häufigkeit im Raum von Doppelsternen und Doppelgalaxien. Sie sind den Einzelnen zahlenmäßig weit überlegen und in vielen Fällen auf eine Weise paarweise angeordnet, daß, während eine Komponente ihre physische Sphäre aufbaut, die andere ätherhafter wird – ihre Substanz abstrahlt. In gewissen Fällen „kannibalisiert“ die erstere die letztere. Wenn wir das theosophische Beispiel der Sonnen- und Planeten-Gottheiten betrachten, die sich verkörpern, Substanzen aufnehmen und ihre Wohnstätten bilden, während andere Götter desselben Systems absterben, scheint es, daß dort, wo Sphären zu substantielleren Verkörperungen fortschreiten und andere desselben Systems sich zurückziehen, ein solches Paar von Zwillingsgloben sehr wohl als ein Doppelsystem gesehen werden kann, wenn das „Schelf“ unsere Beobachtung durchquert.
Ehe wir den Anspruch erheben, vollständiges Wissen zu besitzen – was keine intelligente Person für sich beanspruchen kann – müssen wir zugeben, daß es sehr wohl uns unbekannte Lebensbedingungen gibt. Die Mythen deuten an, obwohl sie es nicht beschreiben können, daß es ein Universum gibt, das mit sich entwickelnden Bewußtheiten angefüllt ist, die Lebensformen benutzen, von denen die meisten für unsere Sinne unbekannt sind. Für die Mythenschöpfer war die Natur ein lebendiges Ganzes, worin größere und kleinere Systeme lebten und aufeinander einwirkten. Jede Einheit war dabei hauptsächlich eine Bewußtheit, die einen geeigneten Körper aktivierte und mit Leben erfüllte. Es wurde als selbstverständlich betrachtet, daß Welten aus anderen Materiearten unsere eigene Welt durchdrangen und manchmal gegenseitig aufeinander einwirkten, obwohl meistens außerhalb unseres Bewußtseins. Ihre Methode, solche vertrauten Phänomene wie Elektromagnetismus zu beschreiben, liefert uns einen Schlüssel zu der Art und Weise, in der Mythen eine sachliche Information enthalten können. Es wäre interessant, darüber zu spekulieren, wie wir unsere Kenntnis von einer größeren Katastrophe den Überlebenden erklären würden, und wie viel erkennbare Wissenschaft nach ein paar Erzählungen übrigbleiben würde. Angenommen, zum Beispiel, wir würden die Art und Weise erklären, wie Elektrizität wirkt – etwas, das sehr leicht durch ein elektrisches Gewitter illustriert werden kann – und wie die Information nach einigen wenigen Generationen umgewandelt worden wäre. Unvermeidlich würde dies Anlaß zu einem neuen Indra, Jehova oder Thor geben, der Donnerschläge quer durch den Himmel schleudert, und bald würde ein neuer Olymp oder Asgárd von mächtigen und launischen Gottheiten einmal mehr die Himmel besetzen.
Skalden und Lehrer
In jener fernen Morgendämmerung, als die Menschheit zum ersten Mal sich bewußt wurde, daß sie über Denkfähigkeit, Wissen und Unterscheidungsvermögen verfügt, stimmen die ältesten Überlieferungen darin überein, daß dieses Erwachen geschah, weil höhere Intelligenzen, erfahrenere Seelen der Menschheit der Vergangenheit, ihre Wesen mit den frühen Menschen vermischten. Dieser Akt ihres Mitleids liefert uns die unsterbliche Vision der Realität, die unser Bindeglied mit dem göttlichen Lebensgrund ist.
Die Mythen, falls sie überhaupt irgendeinen Sinn für uns enthalten, sind ein Führer zu jenem inneren Licht, das entzündet wurde, als unsere Art Gut und Böse noch nicht kannte, als die Wahl noch nicht existierte – ein Licht, das in unserem tiefsten Bewußtsein unausgelöscht bleibt. Sie erzählen uns von Welten und Menschen, die die Lebenserfahrung durchmachen, um unsere Vervollkommnungsfähigkeit zu vollziehen, und von dem heiligen Zweck, für den wir existieren. Ihre Geschichten sind manchmal obskur, häufig ergreifend, manchmal komisch. Sie fesseln unsere Aufmerksamkeit, sogar wenn wir sie nicht verstehen. Sie deuten an, sie locken unsere schlafende Erkenntnis, sie drängen uns, unsere intuitive Intelligenz wachzurufen und den Kern der Wahrheit, den sie verbergen, zu finden.
Die Barden, die die mythischen Sagen sangen, waren frühere Meister im Anregen majestätischer Gedankenwege, ohne ausdrücklich irgendeine Lehre vorzutragen, die sich in starre und spröde Meinungen verfestigen konnte. Die Schönheit ihrer Geschichten liegt in den Höhenflügen des Sichwunderns, zu denen sie das Gemüt anregen, und in den sich stets erweiternden Perspektiven, die hinter jedem größeren Verständnis flüchtig erhascht werden. Wahrscheinlich dreht keine Mythologie die Schlüssel für die Geheimnisse der Natur so vollständig um, wie die Relikte der Vorfahren der Wikinger. Einige der reinsten Darstellungen der universalen Weisheit können wohl jene sein, die in den Eddas enthalten sind, denn, da sie etwas weniger bekannt sind als die griechischen und römischen Mythen, sind sie weniger verfälscht worden. Die Mythen des Mittelmeergebietes sind seit dem Schließen der Mysterienschulen derart entstellt und verunglimpft worden, daß die öffentliche Meinung der späteren Jahrhunderte in ihren Göttern wenig mehr als Widerspiegelungen menschlicher Eigenschaften gesehen hat. Exoterisch und unerklärt, dieses sei zuvor bemerkt, sind ihr Sinn und ihre Bedeutung durch das europäische finstere Mittelalter weiter mißverstanden und falsch interpretiert worden. Infolge dieser Unwissenheit sind die Menschen dazu verleitet worden, alle Mythen als kindische Phantasien jener anzusehen, die alles verehren, was sie kaum verstehen. Wenn wir einen größeren Einblick in die edlen Wahrheiten hätten, die zu vermitteln diese Geschichten ursprünglich erfunden wurden, dann könnten wir unsere spirituelle Atmosphäre bereichern. Das mythische Erbe der fernen nördlichen Länder scheint eine sicherere Zuflucht für die Weisheit der Zeitalter geboten zu haben als den meisten anderen Mythen.
Niemand weiß, wie lange die altnordischen Geschichten mündlich überliefert wurden, bevor man sie aufzeichnete. Es mag in der Tat eine sehr lange Zeit vergangen sein, seit die letzte Zivilisation blühte, die noch die Kenntnis von dem Geist des Menschen, dem Ursprung und der Bestimmung des Universums und dem Evolutionsverlauf besaß. Die Schöpfer der Mythen waren zweifellos die weisesten unter der Menschheit. Die altnordischen Barden, gleich jenen des alten Indiens und anderer Länder, formulierten ihr Wissen in rhythmischen Versen, die man sich leicht einprägen konnte und auf diese Weise durch Jahrtausende, selbst wenn nur als eine Unterhaltung, in Umlauf gehalten werden konnten. Jemand, der die altnordischen Gesänge lernte und sang, war ein Skalde, ein Wort, das in Schweden noch verwendet wird und „Poet“ bedeutet. Jedoch, die in den Eddas gegebene Gedankenverbindung ist die von einem Menschen, der Weisheit besitzt, spirituelles Wissen, und sie ist eng verbunden mit der Vorstellung von Met, der Nahrung der Götter. Der skaldemjöd (poetischer Met) bezeichnet die Mysterien, die Weisheit, die von Odin, dem Haupt der schöpferischen Götter, bei seiner Suche in den materiellen Sphären – der „Riesenwelt“ – erstrebt wurde.
In der Mythologie verborgen sind spirituelle Wahrheit, logische Philosophie und auch wissenschaftliche Fakten. Tatsächlich erweisen sich die neuesten Entdeckungen in der Wissenschaft häufig als unbedingt notwendig für ein Verständnis der Wissenschaft in den Mythen. Wir mögen niemals erfahren, wie die unbekannten Völker der fernen Vergangenheit zu diesem Wissen kamen, bis wir erkennen, daß die Wahrheit dem Intelligenzniveau des Lebens innewohnt, das auf Erden durch die menschliche Rasse repräsentiert wird. Die alten Legenden erzählen, daß die Götter die Menschen aus ihrer eigenen Substanz erschufen, „nach ihrem eigenen Bild“, wie die Bibel es darstellt, und daß seit Zeitaltern göttliche Lehrer auf Erden unter uns wanderten, die neugeborenen Intelligenzen schulten, die Wege der Natur zu verstehen und mit ihr zu arbeiten. Im Laufe der Zeit, als die menschliche Rasse nach Wissen strebte und Erfahrung von Gut und Böse durch die Anwendung des freien Willens gewann, ging die Unschuld jener Tage verloren. Bei dem überstürzten Vorrücken materieller Interessen trieb die Menschheit von ihren göttlichen Interessen hinweg. Danach muß unsere Rasse ihre Befreiung verdienen: Unser menschliches Bewußtsein muß Wahrheit von Irrtum unterscheiden lernen und sich selbst bewußt von den Verlockungen der Materie befreien, um ihren rechtmäßigen Platz unter den Göttern einzunehmen.
In jener frühen Zeit, als Götter und Menschen sich vermischten, tauchten viele der mythischen Erzählungen auf. Wenn sie häufig unverständlich für uns sind, so überrascht das nicht, denn sie gingen zweifellos durch viele Phasen der menschlichen fehlbaren Erinnerung; und unser Verständnis, wie auch unser Unglaube, folgt aus unserer inneren Einstellung. Mit unserem heutigen Wissen und unserer Aufgeschlossenheit, die sich gegen die dogmatischen Meinungen der Vergangenheit allmählich durchsetzen, erkennen wir auf einmal in jeder Mythe eine Widerspiegelung einer Wahrheit, die selbständig von der Wissenschaft oder den neuen wissenschaftlichen Philosophien und dem religiösen, unsektiererischen Denken entdeckt worden sind. Es wird leichter, dieselbe natürliche Wahrheit in anderen Systemen zu erkennen.
Edda bedeutet „Urgroßmutter“ und, durch Erweiterung der Bedeutung, „Matrix“, was an „Weltmutter“ denken läßt. Das Wort ist anscheinend von veda, den Hindu-Schriften oder der heiligen vidyā (Wissen, von vid, wissen, erkennen) abgeleitet, von dem das deutsche Wort wissen, das schwedische veta und das alte englische wit herrühren – alles Wörter, die „wissen“ bedeuten. Die Skalden bekleideten eine in Ehren gehaltene Stellung , denn sie besaßen Wissen, und sogar in den Wikingerzeiten wurde der drott (Druide) noch als jemand verehrt, der das göttliche Wissen besaß (später wurde das Wort verwendet, um ein mutiges und edles Oberhaupt, einen Krieger-König zu bezeichnen, was für die kriegsliebende Rasse, die die Wikinger bis dahin gewesen sind, geeigneter war). Diese Weisheit oder Edda wurde durch die Skalden übermittelt, die von Gemeinwesen zu Gemeinwesen der Bauern wanderten, die entlang der Buchten und Flußmündungen der skandinavischen Länder lebten. Eine solche Bucht wird vik genannt und ein Bewohner an ihren Küsten wurde als ein Wikinger bekannt.
Bei aller Gerechtigkeit sollte erwähnt werden, daß die Wikinger ausgeprägte Vorstellungen von Ehre und Moral besaßen, obwohl sie allgemein in dem Ruf standen, Europa terrorisiert zu haben, und einige von ihnen Amerika offensichtlich besucht hatten, lange bevor Kolumbus seine berühmte Reise antrat, und sie ein rohes und einfaches Volk waren. Von vielen von ihnen wurde angenommen, daß sie nach einem disziplinarischen Kodex lebten, den wenige Anhänger der Moderne aufrechtzuerhalten sich bemühen würden. Unter den plündernden Piraten auf der hohen See setzten sich Handelsleute mit ihren Gütern und Waren einer gewagten Sache aus, und es waren die Wikinger, die sie zum Schutz anwarben. Diese Wikinger mit ihrem Ruf für Stärke und Tapferkeit lieferten bewaffnete Eskorten und wurden so die Versicherungsvertreter des Kontinents. (Die Leibwächter aller Kaiser von Byzanz vom neunten bis zum zwölften Jahrhundert waren Wikinger.) Zweifelsohne gab es einige unter ihnen, die sich der Versuchung, ihr eigenes „Schutzgeschäft“ zu betreiben, beugten, aber dies sollte nicht allen Wikingern entgegengehalten werden, die im Ganzen ein zivilisierender Einfluß für Jahrhunderte waren. Sie führten, wo immer sie sich niederließen, Recht und Ordnung – das berühmte Dänische Recht – ein, und Island war vor tausend Jahren die ursprüngliche Heimat der demokratischen parlamentarischen Regel und besaß das älteste bekannte Justizsystem des Gerichtsverfahrens durch eine Jury von Gleichgestellten. Aber das nur beiläufig.
Im Laufe der Zeit wurde es zweifelhaft, ob die in den Gesängen und Sagen enthaltene Weisheit sogar von den Skalden vollständig verstanden wurde. Sie können auch die Substanz mit einigen Ausschmückungen überladen haben, um ihrem Publikum zu gefallen, oder sie ließen weniger populäre Geschichten aus ihrem Repertoire weg. Die menschliche Fehlbarkeit in der mündlichen Übermittlung muß auch berücksichtigt werden, da wir in keiner Weise wissen, wie weit zurück in der verschwommenen Vergangenheit diese Relikte der Weisheit zuerst formuliert worden sind. Wir wissen sicher, daß Saemund der Weise (1057–1133 n. Chr.), nachdem er in Frankreich studiert hatte, eine Schule bei Oddi auf Island gründete, wo er, so heißt es, die Ältere oder Poetische Edda niedergeschrieben hat. Die jüngere Edda wird Snorri Sturlusson (1178–1241) zugeschrieben, der die Schule zu Oddi als ein Schüler von Saemunds Enkel besuchte, so daß er während dieser Zeit mit den Liedern bekannt geworden sein müßte. Die meisten von ihnen, einschließlich einzelner, die nicht länger in der poetischen Form vorhanden sind, formte er in Prosa um. Viele Gelehrte finden seine Nacherzählung leichter zu verstehen als die eher etwas obskuren Gedichte der Älteren Edda.
In ihrer Einleitung zu dem Corpus Poeticum Boreale, die Poesie der Alten Nordischen Sprache (1883), wiesen G. Vigfusson und F. York Powell darauf hin, daß vieles von dem in den Prosakommentaren über frühe poetische Mythen erwähnten Material entweder in den Versen nicht gefunden wird oder sehr bruchstückhaft und unvollständig ist. Sie schließen daraus, daß die Prosafassungen, ob von Snorri Sturlusson oder anderen Kommentatoren, klareren, aber nicht länger vorhandenen Originalen entnommen worden sein mußten. Tatsächlich erwähnen die zwei Gelehrten Teile der in einer Prosafassung angeführten Völuspá als „ein konfuses heilloses Durcheinander gebrochener, verdrehter Verse, als ob die Reihen des Gedichtes in einer Flasche durcheinandergeschüttelt worden wären“ (p. XCVIII); und sie nehmen wahrscheinlich richtig an, daß nach der ersten Formulierung der Weisheit in Mythen durch irgendeinen großen Seher oder große Seher die „Produktionsära beendet ist und das Zeitalter der Kommentatoren, Kopierer, Glossatoren beginnt. Wir sind glücklich, wenn wir das Buch so gestalten können, wie es damals vorlag, ehe das Zeitalter der Nachlässigkeit und des Verfalls hereinbrach und das Werk teilweise zugrundeging“ (p. XCVII).
Um 1890 veröffentlichte der schwedische Gelehrte Fredrik Sander seine Rigveda-Edda, worin er die germanische Überlieferung bis zu den alten Indogermanen zurückverfolgte. Sein Studium überzeugte ihn, daß die altnordische Mythologie aus Indien kam und die Hindu-Mythen getreuer bewahrt als die klassischen Griechischen und Römischen, die stark entstellt sind. Max Müller betrachtete die Edda-Überlieferung als älter als die Weden; andere, einschließlich Sven Grundtvig, nehmen an, daß die Eddas ihren Ursprung in der früheren Eisenzeit haben; noch andere postulieren einen frühen christlichen Ursprung. Was auch immer ihr Alter sein mag, der Inhalt der Mythen stimmt mit den ältesten Aufzeichnungen in vielen Teilen der Welt überein. Dies stärkt die Schlußfolgerung, daß sie entweder alle aus einer einzigen Quelle stammten, einer prähistorischen Formulierung der Wissenschaft, Philosophie und Mystik, die einst der gesamten Menschheit geläufig war, oder aber, daß jede einzelne unabhängig und zufällig entstand – eine Vorstellung, die zu grotesk ist, als daß sie ernsthaft erwogen werden kann. Jedenfalls, das Beweismaterial weist auf ein einziges Sagengut hin, das die Überlieferungen inspiriert hat, deren Relikte überall auf dem Antlitz unseres Globus gefunden werden.
Die gegenwärtige Untersuchung ist fast ganz auf einen Teil der Saemundar Edda aus zwei Gründen begrenzt: erstens, wegen des so umfangreichen Stoffes, der selbst in den relativ wenigen Balladen hier enthalten ist, verbunden mit der Überzeugung, daß, obwohl sie vermindert und unvollständig sein mögen, das, was ausgewählt worden ist, wenigstens unverfälscht ist. Während diese Verse wahrscheinlich weniger als die einst bekannte Wahrheit enthalten, fühlen wir uns hinreichend sicher, daß sie nicht mit weiterem Material angefüllt worden sind, d. h., daß sehr wenig, wenn überhaupt, nicht echtes Material durch spätere Autoren hinzugefügt wurde. Der andere Grund für unsere Auswahl liegt in diesen Wahrheiten selbst, die gegenwärtig in der modernen theosophischen Literatur vollständiger erforscht werden. Außerdem werden viele von diesen Wahrheiten, nachdem sie seit Jahrhunderten in den volkstümlichen Religionen übersehen worden sind, jetzt fast täglich durch die neue wissenschaftliche Forschung entdeckt, die mit den theosophischen Lehren in vielerlei und überraschender Weise übereinstimmt.
Unser Zeitalter ist ein weit liberaleres als jedes in der Geschichte. Als das Christentum sich über Europa verbreitete, zerstörten die Fanatiker der neuen Religion systematisch die Tempel und Heiligtümer der früheren Götter und metzelten jene nieder, die auf den heidnischen Riten beharrten. Die Heiden der nordischen Länder, deren Sitte einer unbegrenzten Gastfreundschaft und absoluten Toleranz in religiösen Angelegenheiten sie einer hohen Ausnutzung überließ, stellten fest, daß sie selbst bekehrt oder vernichtet wurden, ehe sie Schritte unternehmen konnten, um eine solche unerwartete und eigenmächtige Annexion zu verhindern. Sie fielen unter die Herrschaft römischer Päpste, die die Anwendung der lateinischen Sprache und orthodoxen Lehren anstelle der Muttersprachen und einheimischen Schriften einführten. Die altnordische Religion wurde bald eine Mischform aus einem nur teilweise verstandenen Christentum, das auf eine bis dahin degenerierte heidnische Wurzel aufgepfropft wurde. Nur das entfernte Island, dessen Bevölkerung und Priesterschaft für die Kirche relativ unzugänglich und zur Überwachung unmöglich waren, entkam der methodischen Zerstörung seiner Heiligtümer und Überlieferungen. Sogar die christlichen Priester ignorierten dort die neuen Regeln – des Zölibats zum Beispiel – und fuhren in den Gebräuchen ihrer Vorfahren fort, wobei sie die Sprache ihrer Väter benutzten und das alte Sagengut ihren Kindern weitergaben. Dort lebte Saemund der Weise und schrieb die poetische Ältere Edda nieder, wobei er den Stil bewahrte, dessen rhythmisches Versmaß im Hörer eine Intuition wachrief. Snorri vervollkommnete später die knappen Verse und brachte die Erzählungen, die sich vor allem mit den menschlichen Rassen und ihrer Entwicklung beschäftigen, in einen Zusammenhang. Die Mythen gaben den Anlaß für zahllose Volksmärchen, die an unterschiedliche Ausdrucksmittel, von Kinderreimen bis zur großen Oper durch verschiedene Vermittler, wie Mutter Goose und Wagner, angepaßt wurden. Und sie schließen Sammlungen ein, die durch die Erforscher der Folklore, wie die Brüder Grimm im neunzehnten Jahrhundert, zusammengestellt wurden.
Von den zahlreichen Verkündungen der universalen Weisheit in Lehren, Geschichten und Evangelien brennt jedes neue angezündete Licht nur solange weiter, wie die Wahrheit von höchster Wichtigkeit für seine Anhänger bleibt. Früher oder später setzt Verflachung ein: Menschliche Institutionen, die zum Schutz der Botschaft gegründet wurden, nehmen ihr gegenüber eine Vorrangstellung ein und verdecken sie; danach wird die Aufmerksamkeit auf die Maske – Methode und Ritual – konzentriert, während die Realität nicht bemerkt wird. Fehldeutungen, Meinungsverschiedenheiten und Aberglauben herrschen schnell vor, sobald die Inspiration verlorengeht und das heilige Wissen einmal mehr vergessen wird. Die mythischen Gottheiten, die einmal majestätische Gesetze der universalen Natur gewesen waren, werden als Götter und Heroen personifiziert, deren Handlungen aus Mangel an Weisheit, die einst in den jetzt leeren Riten enthalten war, unberechenbar sind – das alles bleibt von einem einst vertrauten Umgang der Menschen mit den göttlichen, das Universum beherrschenden Mächten übrig.
Die Mythen leben weiter. Dies ist das ewige Mysterium: Der unzerstörbare Kern der Wahrheit, in hundert Gestalten gekleidet, der die Menschheit durch alle Zeitalter hindurch inspiriert hat. In jedem Land haben einige Wenige gelebt, die, indem sie sich mutig in die Sphären, wo der Geist unbeschadet wohnt, wagten und einen Becher aus der unvergänglichen Quelle der Wahrheit zurückgebracht haben. Diese Nachkommen der frühen Mythenschöpfer sind die Skalden, die Dichter und Seher, die die Glieder der Kommunikation zwischen der Menschheit und den Göttern ungebrochen erhalten. Sie bringen die ewige Weisheit durch Jahrhunderte wieder, während der Rest von uns fortfährt, sich an den „göttlichen Zaubersprüchen“ zu erfreuen, die in den Tiefen von uns eine schwache Erinnerung an eine geheiligte Wahrheit wecken. Die Stimmen der Barden können niemals sterben, denn sie singen den Plan der Ewigkeit. Ihr Aufruf richtet sich an den unsterblichen Teil von uns, sogar während das sterbliche Selbst wie Loki spotten mag, als er, ungebeten und unvorbereitet, den Festsaal der Götter betrat. (Vgl. Lokis Zankrede)
Fußnoten
1. Umschreibende poetische Bezeichnung, bildhafter Ausdruck in der altgermanischen, bes. nordischen Literatur [d.Übers.] [back]
2. die dritte Wurzelrasse [d. Übers.] [back]
3. Schwedisch: vingvagn, fjäderblad; Sanskrit: vimāna [back]
4. Quasi-stellare Objekte, allgemein Quasare genannt [back]
5. Der erste sichtbare Aufgang eines Sterns in der Morgendämmerung (d. Ü.) [back]
6. Michael Zeilik, Astronomie: Das Evolvierende Universum, 1979, S. 501 engl. Ausgabe [back]
7. Lida leiden oder hlid Seite, Stand oder Ausrichtung. Durch Implikation kann dieses „Schelf“ die Götter anregen, die an unserer Seite angeordnet sind oder, wahrscheinlicher, „leiden“ oder „fühlen mit“ – wie im Lateinischen compassion (Mitgefühl) und im Griechischen Sympathie von pathein leiden, ertragen und bei Erweiterung der Bedeutung, die Last tragen von. [back]