„Zusammenfassung“, Die Geheimlehre, Band 1, S. 280-5
So wollen wir denn rekapitulieren und zeigen, wie schwer, wenn nicht unmöglich es bei dem gewaltigen Umfang der erläuterten Themen ist, ihnen vollständig gerecht zu werden.
(1) Die Geheimlehre ist die angesammelte Weisheit der Zeitalter, und ihre Kosmogonie allein ist das erstaunlichste und am besten ausgearbeitete System, z. B. selbst in der Exoterik der Puranas. Die mysteriöse Macht okkulter Symbolik ermöglicht es, dass die Tatsachen einer verwirrenden Reihe evolutionärer Fortschritte, mit welchen sich tatsächlich zahllose Generationen initiierter Seher und Propheten beschäftigten, sie ordneten, aufzeichneten und erläuterten, allesamt auf einige wenige Blätter mit geometrischen Symbolen und Bildzeichen aufgezeichnet wurden. Wo ein gewöhnlicher, wenn auch noch so gelehrter Unwissender, lediglich die äußere Tätigkeit einer Form bemerken würde, drang die blitzartige Schau jener Seher zum innersten Kern der Materie vor und zeichnete die Seele der Dinge dort auf. Aber die moderne Wissenschaft glaubt nicht an die „Seele der Dinge“ und wird daher das ganze System der alten Kosmogonie zurückweisen. Es ist nutzlos zu sagen, dass das in Frage stehende System nicht das Fantasiegebilde eines oder mehrerer einzelner Individuen ist. Dass es eine ununterbrochene Aufzeichnung ist, welche sich über Tausende von Generationen von Sehern erstreckt, deren jeweilige Erfahrungen dazu dienten, die von einer frühen Rasse
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mündlich der nächsten weitergegebenen Überlieferungen zu prüfen und zu belegen, Lehren von über die Kindheit der Menschheit wachenden höheren und erhabeneren Wesen. Dass die „weisen Menschen“ der fünften Rasse von dem vor dem letzten Kataklysmus und der Kontinentalverschiebung bewahrten und erretteten Stamm während langer Zeitalter ihr Leben mit Lernen zubrachten und nicht mit Lehren. Wie taten sie das ? Es wird geantwortet: Auf jedem Gebiet der Natur wurden die alten Überlieferungen durch unabhängige Schau großer Adepten kontrolliert, geprüft und belegt; z. B. von Menschen, die ihren körperlichen, mentalen, psychischen und spirituellen Aufbau bis zum höchstmöglichen Grad entwickelt und vervollkommnet hatten. Keine Schau eines einzelnen Adepten wurde akzeptiert, bevor sie nicht durch die Vision – in solcher Weise empfangen, dass sie als unabhängiger Beweis dienen konnte – anderer Adepten geprüft und bestätigt waren, und durch Jahrhunderte an Erfahrungen.
(2) Das Grundgesetz jenes Systems, der Mittelpunkt, aus dem alles auftauchte und um welchen und wohin alles gravitiert, und auf dem die Philosophie des Übrigen aufgebaut ist, ist das eine homogene göttliche Substanz-Prinzip, die eine Grundursache.
. . . „ Nur Wen’ge, deren Lampe heller schien,
Die führt von Grund zu Grund ein sich’rer Schluss,
Zu der Natur geheimem Haupte hin;
Sie fanden, dass ein Urprinzip sein muss. . . .”
Es wird „Substanz-Prinzip“ genannt, weil es auf der Ebene des manifestierten Universums zur „Substanz“ wird, zu einer Illusion, während es in dem anfanglosen und endlosen abstrakten, sichtbaren und unsichtbaren Raum ein „Prinzip“ bleibt. Es ist die allgegenwärtige Wirklichkeit: unpersönlich, weil sie alles und jedes enthält. Ihre Unpersönlichkeit ist die Grundvorstellungdes Systems. Es ist in jedem Atom im Universum latent vorhanden und ist das Universum selbst (siehe auch die Kapitel über Symbolik, „Ursubstanz und Göttlicher Gedanke“).
(3) Das Universum ist die periodische Manifestation dieser unbekannten, absoluten Essenz. Es „Essenz“ zu nennen ist jedoch eine Sünde gegen den eigentlichen Geist der Philosophie. Denn obwohl das Substantiv in diesem Fall von dem Verb esse, „sein“, abgeleitet werden kann, kann Es dennoch mit keinem Wesen irgendeiner Art identifiziert werden, das sich der menschliche Intellekt vorstellen kann. Am besten wird Es weder als Geist noch als Materie bezeichnet, sondern als beides. In Wirklichkeit sind
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„Parabrahman und Mulaprakriti“ eins, jedoch zwei in der universalen Vorstellung des Manifestierten, selbst in der Vorstellung des Einen Logos, in dessen erster Manifestation, dem Es, wie der fähige Vortragende in den „Anmerkungen zu Bhagavadgita“ zeigt, vom objektiven Standpunkt des Einen Logos aus als Mulaprakriti und nicht als Parabrahman erscheint, als sein Schleier, und nicht als die eine, dahinter verborgene Wirklichkeit, die unbedingt und absolut ist.
(4) Das Universum mit allem, was es enthält, wird Maya genannt, weil alles darin vergänglich ist, vom flüchtigen Leben eines Glühwürmchens bis zu dem der Sonne. Verglichen mit der ewigen Unveränderlichkeit des Einen und der Wandellosigkeit dieses Prinzips muss das Universum mit seinen vergänglichen, ewig wechselnden Formen im Gedanken eines Philosophen notwendigerweise nichts Besseres sein als ein Irrlicht. Und doch bietet das Universum den darin existierenden bewussten Wesen, die genauso unwirklich sind wie es selbst, eine ausreichende Wirklichkeit.
(5) Alles im Universum, in allen seinen Reichen, ist bewusst: d. h. mit einem Bewusstsein seiner eigenen Art und auf seiner eigenen Wahrnehmungsebene begabt. Wir Menschen müssen uns daran erinnern, dass wir nur deshalb, weil wir, sagen wir einmal in den Steinen, keine für uns wahrnehmbaren Zeichen von Bewusstsein erkennen können, noch lange kein Recht dazu haben zu behaupten, dass darin kein Bewusstsein existiert. So etwas wie „tote“ oder „blinde“ Materie existiert genauso wenig wie ein „blindes“ oder „unbewusstes“ Gesetz. In den Vorstellungen der okkulten Philosophie gibt es für so etwas keinen Platz. Letztere bleibt niemals bei oberflächlichen Erscheinungen stehen, und für sie haben die noumenalen Essenzen mehr Wirklichkeit als ihre objektiven Abbilder; darin ähnelt sie dem System der mittelalterlichen Nominalisten, für welche die Universalien die Wirklichkeiten waren und die Partikularien lediglich dem Namen nach und in der menschlichen Einbildung existierten.
(6) Das Universum wird von innen nach außen gestaltet und geleitet. Wie oben so ist es unten, wie im Himmel so auf der Erde; und der Mensch – der Mikrokosmos und die Miniaturkopie des Makrokosmos – ist der lebendige Zeuge dieses universalen Gesetzes und für die Art seines Wirkens. Wir sehen, dass jede äußere Bewegung, Handlung, Gebärde, ob willentlich oder mechanisch, organisch oder intellektuell, durch inneres Empfinden oder Emotion, Willen oder Wunsch und Gedanken oder Verstand hervorgerufen wird und darauf folgt. Im äußeren Körper des Menschen kann in seiner normalen Funktion keine äußere Bewegung oder Veränderung zustande gebracht werden, es sei denn durch inneren Antrieb, ausgelöst durch eine der drei genannten Funktionen, und dasselbe gilt gleichermaßen für das äußere oder manifestierte Universum. Der ganze Kosmos wird von einer nahezu endlosen Reihe von Hierarchien fühlender Wesen geleitet, kontrolliert und belebt, von denen jedes eine Aufgabe zu erfüllen hat, und die – einerlei, ob wir ihnen den einen oder anderen Namen geben und sie Dhyan Chohans oder Engel nennen – nur in dem Sinne „Sendboten“ sind, dass sie die Werkzeuge der karmischen und kosmischen Gesetze sind. In ihren jeweiligen
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Bewusstseinsstufen und ihrer Intelligenz unterscheiden sie sich grenzenlos voneinander; und sie alle reine Geister zu nennen, ohne die Beimischung jeglicher irdischer Qualitäten, „an welchen der Zahn der Zeit zu nagen pflegt“, bedeutet nur, einer poetischen Floskel zu huldigen. Denn jedes dieser Wesen war einst ein Mensch oder bereitet sich darauf vor, zu einem Menschen zu werden, wenn nicht im gegenwärtigen, so in einem vergangenen oder zukünftigen Zyklus (Manvantara). Wenn nicht beginnende, sind sie ausgereifte Menschen; und auf ihren höheren (weniger materiellen) Ebenen unterscheiden sie sich moralisch von irdischen Menschen lediglich darin, dass sie von der Empfindung einer Persönlichkeit und der menschlichen emotionalen Natur frei sind – beides rein irdische Qualitäten. Die Ersteren oder „Ausgereiften“ sind von jenen Gefühlen frei; (a) weil sie keine fleischlichen Körper mehr besitzen – eine stets betäubende Last auf der Seele; und (b) weil das rein spirituelle Element ungebundener und freier gelassen wird, sind sie weniger von Maya beeinflusst als dies der Mensch jemals erreichen kann, wenn er nicht ein Adept ist, der seine beiden Persönlichkeiten – die spirituelle und die körperliche – vollständig voneinander getrennt hält. Die beginnenden Monaden, die noch niemals irdische Körper besaßen, können weder Persönlichkeit noch Ego-ismus empfinden. Da das, was unter „Persönlichkeit“ verstanden wird, eine Beschränkung und Beziehung darstellt oder – wie Coleridge definiert – „Individualität, die in sich selbst existiert, jedoch eine Natur als Grundlage hat“, kann der Ausdruck natürlich nicht auf nichtmenschliche Wesen angewendet werden; wie jedoch schon Generationen von Sehern nachdrücklich betonten ist es eine Tatsache, dass keines dieser Wesen, ob hoch oder niedrig, als eigenständiges Wesen über Individualität oder Persönlichkeit verfügt, d. h. sie haben keine Individualität in dem Sinn, was der Mensch mit folgenden Worten zum Ausdruck bringt: „Ich bin ich und niemand anderes“; mit anderen Worten, sie sind sich keiner solchen ausgeprägten Getrenntheit bewusst, wie sie Menschen und Dinge auf der Erde haben. Individualität ist das Charakteristikum ihrer entsprechenden Hierarchien, nicht ihrer Einheiten. Und diese Charakteristika ändern sich ausschließlich mit der Stufe der Ebene, zu welcher die jeweilige Hierarchie gehört: Je näher sie sich an der Region der Homogenität und des Einen Göttlichen befindet, desto reiner und weniger betont ist jene Individualität in der Hierarchie. Sie sind endlich in jeder Hinsicht, mit Ausnahme ihrer höheren Prinzipien – der unsterblichen Funken, welche die universale göttliche Flamme reflektieren – in den Sphären der Illusion lediglich durch eine Differenzierung individualisiert und getrennt, welche ebenso illusorisch ist wie alles Übrige. Sie sind „Lebendige“, weil sie auf den kosmischen Schirm der Illusion projizierte Ströme des absoluten Lebens sind; das Leben kann in diesen Wesen nicht ausgelöscht werden, bevor nicht das Feuer der Unwissenheit in jenen erloschen ist, die diese „Leben“
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empfinden. Unter dem belebenden Einfluss des unerschaffenen Strahles ins Dasein getreten, der Reflexion der großen, an den Ufern des Lebensstromes strahlenden Zentralsonne, gehört das innere Prinzip in ihnen den Wassern der Unsterblichkeit an, während sein differenziertes Gewand so vergänglich ist wie der Körper des Menschen. Daher hatte Young Recht zu sagen,
„Engel sind Menschen einer höheren Art”
und nicht mehr. Sie sind weder „dienende“ noch „schützende“ Engel; noch weniger sind sie „Vorboten des Höchsten“ oder „Sendboten des Zorns“ irgendeines Gottes, den sich die Fantasie des Menschen erschaffen hat. Ihren Schutz anzurufen ist ebenso töricht wie zu glauben, dass ihre Sympathie durch irgendeine Art von Sühneopfer erlangt werden könne; denn sie sind, ebenso sehr wie der Mensch selbst, Sklaven und Geschöpfe des unveränderlichen karmischen und kosmischen Gesetzes. Der Grund dafür ist einleuchtend. Da sie keine Persönlichkeitselemente in ihrer Essenz haben, können sie keine persönlichen Eigenschaften besitzen wie die Menschen sie in ihren exoterischen Religionen ihrem anthropomorphen Gott zuschreiben – einem eifersüchtigen und exklusiven Gott, der sich erfreut und der zürnt, der Wohlgefallen hat an Opfern und in seiner Eitelkeit despotischer ist als sämtliche endlichen, närrischen Menschen. Dem Menschen, wie in Band II gezeigt wird, der aus den Essenzen all dieser himmlischen Hierarchien zusammengesetzt ist, mag es gelingen, sich selbst als solchen in einem Sinn erhaben zu machen über irgendeine Hierarchie oder Klasse oder selbst über eine Kombination von ihnen. „Der Mensch kann die Devas weder günstig stimmen, noch ihnen befehlen“, wird gesagt. Aber durch Lähmung seiner niederen Persönlichkeit, wodurch er zur vollen Erkenntnis der Nichtgetrenntheit seines höheren Selbst von dem einen absoluten Selbst gelangt, kann der Mensch selbst während seines irdischen Lebens „Einer von uns“ werden. So kann der Mensch durch den Genuss der die Unwissenheit ausmerzenden Frucht der Erkenntnis einem der Elohim oder der Dhyanis gleich werden; und wenn er ihre Ebene erst erreicht hat, muss sich der Geist der Solidarität und vollkommenen Harmonie, der in jeder Hierarchie herrscht, über ihn ausbreiten und ihn in vollem Umfang beschützen.
Was die Wissenschaftler hauptsächlich daran hindert, sowohl an göttliche als auch an die Geister der Natur zu glauben, ist ihr Materialismus. Was die Spiritisten daran hindert, an sie zu glauben, während sie sich doch ein blindes Vertrauen in die „Geister“ der Verstorbenen bewahren, ist die allgemeine Unwissenheit aller – mit Ausnahme einiger Okkultisten und Kabbalisten – über die wahre Essenz und die Natur der Materie. Der Glaube oder Unglaube an die Existenz uns umgebender anderer bewusster Wesen
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abgesehen von den Geistern der Toten, beruht auf der Annahme oder Ablehnung der Theorie von der Einheit von allem in der Natur in ihrer ultimativen Essenz. Bei der weiteren Erhellung seiner Ansichten über die okkulte Kosmogonie hängt der Schüler vom richtigen Verständnis der ursprünglichen Evolution der Geist-Materie und ihrer wahren Essenz ab; und dieses Verständnis liefert auch den einzigen sicheren Hinweis, der seine weiteren Studien leiten kann.
Wie soeben gezeigt wurde, ist es nüchterne Wahrheit, dass jeder sogenannte „Geist“ entweder ein entkörperter oder ein zukünftiger Mensch ist. Vom höchsten Erzengel (Dhyan Chohan) hinab bis zum letzten bewussten „Erbauer“ (der niederen Klasse spiritueller Wesenheiten) sind sie alle Menschen, die vor Äonen in früheren Manvantaras in dieser oder anderen Sphären lebten; so sind die niederen, halbintelligenten und nichtintelligenten Elementale – alle zukünftige Menschen. Die Tatsache allein – dass ein Geist mit Intelligenz begabt ist – genügt dem Okkultisten als Beweis, dass dieses Wesen einst Mensch gewesen sein und seine Erkenntnis und Intelligenz im menschlichen Zyklus erlangt haben muss. Im Universum existiert lediglich eine unteilbare und absolute Allwissenheit und Intelligenz, und diese durchdringt jedes Atom und jeden kleinsten Punkt des ganzen endlichen Kosmos, der grenzenlos ist und den die Menschen Raum nennen und als unabhängig von allem betrachten, was er enthält. Aber die erste Differenzierung seiner Reflexion in der manifestierten Welt ist rein geistig, und die in ihm hervorgebrachten Wesen sind nicht mit einer Art von Bewusstsein ausgestattet, das in irgendeiner Beziehung zu dem steht, die wir uns ausdenken könnten. Bevor sie es nicht persönlich und individuell erlangen, können sie weder menschliches Bewusstsein noch Intelligenz besitzen. Dies mag ein Mysterium sein, ist in der Esoterischen Philosophie aber dennoch eine Tatsache, und eine ziemlich offensichtliche obendrein.