H. P. Blavatsky an die Amerikanischen Konvente 1888–1891
Helena Petrovna Blavatsky
Historischer Überblick
Kirby van Mater
Alle zitierten Bücher und Zeitschriften und alle Briefe und Dokumente, bei denen nichts Besonderes vermerkt ist, befinden sich im Archiv der Theosophischen Gesellschaft Pasadena, Kalifornien.
Fast ein Jahrhundert ist vergangen, seit H. P. Blavatsky ihre Briefe an die Amerikanischen Konvente gesandt hat. Sie sind auch heute für uns wichtig geblieben, obwohl sich die Welt und die Struktur der theosophischen Bemühungen beträchtlich verändert haben. Während jeder von uns ihre Aussagen auf seine individuelle Situation anwenden kann, mag es aber hilfreich sein, kurz die allgemeine Situation zu betrachten, die ihre Feststellungen veranlassten, wobei an mehrere wichtige Ereignisse gedacht werden muss, die sich nach Beginn ihrer öffentlichen Arbeit entwickelten.
Die theosophischen Bemühungen von Mme. Blavatsky scheinen sich in drei Perioden zu gliedern: Amerika, 1873 bis 1878; Indien, 1879 bis 1885; und Europa, 1885 bis zu ihrem Tod im Jahr 1891. Die erste Periode begann im Juli 1873, als sie auf Anordnung ihres Lehrers von Paris in die Vereinigten Staaten kam. Anfangs versuchte sie, die Mitglieder der spiritistischen Bewegung für die Philosophie und Bedeutung hinter deren Phänomenen zu interessieren. Als dieser Versuch aber fehlschlug, wurde sie im Juli 1975 beauftragt, „eine philosophisch-religiöse Gesellschaft zu gründen und einen Namen dafür zu wählen – ebenso Oberst Olcott [als Vorstand] zu wählen“. 1 Infolgedessen gründeten H. P. Blavatsky und Henry S. Olcott, William Q. Judge und dreizehn weitere Personen in New York City die Theosophische Gesellschaft, mit Olcott als Präsident, der auf ihrem ersten offiziellen Treffen am 17. November 1975 die Gründungsansprache hielt.
Die in der Präambel und in den Statuten der Gesellschaft festgelegten Zielen und Zwecke waren noch nicht so definiert wie später. Grundsätzlich wollten die Mitglieder „Kenntnisse über die Gesetze, die das Universum regieren, sammeln und verbreiten“, und alle Philosophien, Religionen und Wissenschaften erforschen. Sie befürworteten selbstlose Hingabe, Mut, Reinheit, im Leben und Denken bei der Suche nach Wahrheit. Bei der Prüfung der Eignung von Bewerbern um Mitgliedschaft machte die Gesellschaft keinen Unterschied in Bezug auf Rasse, Geschlecht, Hautfarbe, Staatsangehörigkeit oder Glaubensbekenntnis. 2
Im September 1875 begann Mme. Blavatsky Isis Unveiled zu schreiben, als sie in Ithaca, New York, als Gast bei Professor Hiram Corson weilte. Sie schrieb fast ununterbrochen und hatte das umfangreiche, zweibändige Werk 1877 vollendet. Da sie nich fließend Englisch konnte, wurde sie bei der Herausgabe von Oberst Olcott und Dr. Alexander Wilder unterstützt. Neben dem Angriff auf Dogmatismus und Materialismus in Wissenschaft und Religion waren ihre Hauptziele, dem Menschen die verloren gegangenen Erkenntnis wiederzugeben, dass er essenziell ein spirituelles Wesen ist, und auf das Bestehen einer uralten Weisheit hinzuweisen, die allen Völkern in allen Zeitaltern bekannt war. Als der Vertrag mit ihrem New York Verleger unterschrieben war, sagte sie zu William Q. Judge: „Jetzt muss ich nach Indien gehen.“ Sie hatte schon immer erklärt, dass sie nach Indien gehen würde, sobald Isis fertig wäre und die Gesellschaft in Fahrt sei. Das geschah jedoch erst am Ende des nächsten Jahres.
Während dieser Zeit wurden die Ziele der Theosophischen Gesellschaft geklärt, wie die eine Seite umfassende, von Präsident Olcott im Mai 1887 herausgegebene Erklärung zeigt. Sie lautet auszugsweise:
Die Gesellschaft lehrt ihre Mitglieder und erwartet von ihnen, persönlich höchste Moral und religiöses Streben vorzuleben;dem wissenschaftlichen Materialismus und jeder Form dogmatischer Theologie entgegenzutreten …, die westlichen Nationen mit den lange unterdrückten Tatsachen über die religiösen Philosophien des Osten, ihre Ethik, Chronologie, Esoterik und Symbolik bekanntzumachen …; ein Wissen über die erhabenen Lehren jedes reinen esoterischen Systems der archaischen Periode zu verbreiten …; schließlich und hauptsächlich, bei der Errichtung einer Bruderschaft der Menschheit mitzuhelfen, in der sich alle guten und reinen Menschen jeder Rasse gegenseitig als die gleichen Wirkungen (auf diesem Planeten) einer Unerschaffenen, Universalen, Unendlichen und immerwährenden Ursache anerkennen sollen. 3
Im Dezember 1887 reisten H. P. Blavatsky und Oberst Olcott über England nach Indien und hinterließen eine relativ kleine Mitgliederschaft, die das Werk der Theosophischen Gesellschaft weiterführen sollte. General Abner Doubleday wurde zum Interims-Präsidenten ernannt und William Q. Judge zum Protokollführer. Während der nächsten Jahre wuchs die Gesellschaft in Amerika jedoch nicht sehr. Die Korrespondenz wurde mit Indien viele Monate geführt und General Doubleday fühlte sich für seine Aufgabe unvorbereitet und wenig über sie informiert. Wie er später an Dr. Elliot Coues schrieb:
Ich will Ihnen nun kurz meine eigene Darlegung über den N. Y. Zweig geben. Als H. P. Blavatsky abreiste, bat sie mich als Präsident des N. Y. Zweiges tätig zu sein. Ich war über das Ersuchen sehr erstaunt, denn ich war nur ein Interessent. Ich war erst vor kurzem in die Gesellschaft eingetreten und sehr unvollständig mit der Angelegenheit vertraut. In jener Zeit war ich zu keiner Aufgabe verpflichtet. Alle anderen waren zu sehr damit beschäftigt, ihren Lebensunterhalt zu erwerben, um der Theos. die gebührende Aufmerksamkeit zu schenken. Judge, der mit HPB und Olcott von Anfang an verbunden war, war die geeignete Person für die Aufgabe. Aber er war zu der Zeit in großer Not und wusste nicht, wie er seine Familie ernähren sollte. Wilder und Weisse waren Vize-Präsidenten. Es wurde vereinbart, dass im Augenblick auf Versammlungen der Gesellschaft verzichtet würde und alle Geschäfte von einem Rat getätigt werden sollen, bestehend aus Doubleday, Wilder, Weisse und Curtis (dem Zeitungsreporter). Judge war Schriftführer und Maynard Schatzmeister.
Ich nahm die Position auf das ernsthafte Ersuchen von HPB hin an und beabsichtigte, mich prinzipiell auf den Rat und die Unterstützung von Judge zu verlassen. Aber Judge glaubte, einen Bergwerksort in Venezuela gefunden zu haben, wo viel wertvolles Blei leicht abgebaut werden könnte. Er gind nach Campana in Venezuela und ließ mich, unwissend und unerfahren wie ich war, zurück, um die Gesellschaft zu leiten, ohne dass ich irgendetwas über die Menschen wusste, von denen sie gebildet wurde …
Ich konnte nie mehr als ein halbes Dutzend Mitglieder zu einer Versammlung zusammenbringen. Judge war stets abwesend. Sein Bruder ließ uns im Stich. Maynard fühlte sich beleidigt und ging. Wilder trat aus Armut zurück, Weisse trat zurück. Die Mitglieder aus Brooklyn wollten ohne eine genaue Erklärung über das, was ich auf den Versammlungen zu tun beabsichtigte, nicht nach New York kommen. Dann wurden wir zwei Jahre lang aufgehalten und warteten auf ein Ritual, von dem Olcott meinte, dass wir es haben müssten …
Ich nehme an, dass diese ganze Verzögerung zum Besten ist und diese Hindernisse absichtlich in unseren Weg gelegt worden sind … 4
In Indien fand die Theosophie einen beachtungswerten Widerhall, und es gab viel zu tun. Mme. Blavatsky und Oberst Olcott reisten kreuz und quer durch Indien und empfingen oft bis spät in die Nacht Besucher – Gelehrte, Leiter religiöser und verschiedener anderer Gesellschaften und auch Fragesteller. Sie führten eine umfangreiche Korrespondenz, die bald nicht mehr persönlich erledigt werden konnte. Als Folge gründeten sie im Oktober 1879 die Zeitschrift The Theosophist, nicht nur um der Forderung nach einer verständlichen Darstellung der alten Weisheit zu entsprechen, sondern auch als Forum für Gelehrte der philosophischen und religiösen Anschauungen in aller Welt. Die Zeitschrift wurde von Mme. Blavatsky geführt. Ihre Verbreitung in der ganzen Welt erreichte bald solche Ausmaße, dass sie sich selbst zu tragen begann.
Es sollte erwähnt werden, dass sich die Theosophische Gesellschaft, wenige Monate bevor Mme. Blavatsky und Oberst Olcott die Vereinigten Staaten verließen, mit der „Arya-Samaj von Arya-wart“ verbunden hatte. Das war eine neue und schnell wachsende Bewegung in Indien, deren Prinzipien und Ziele denen der Theosophischen Gesellschaft nahestanden. Olcott und , als sie bekannt wurde, auch HPB, arbeiteten innerhalb dieser Verbindung bis 1882, als sie sich wegen der immer engstirniger werdenden Ansichten ihres Leiters Swami Dya Nand Saraswati über jene Philosophien und Religionen, die nicht auf den Veden basierten, aus eigenem Antrieb zu einer Trennung gezwungen sahen. Da sich die Theosophen aus Amerika mit allen Völkern verbrüderten, wurden sie von der einheimischen Bevölkerung akzeptiert; und mehrere indische philosophische und literarische Körperschaften schlossen sich der Theosophischen Gesellschaft an. 5 Andererseits wurden sie von der anglo-indischen Gemeinde, besonders von Seiten der Mission, mit Misstrauen betrachtet.
Es ist nicht unsere Absicht, hier einen vollständigen Überblick über die vielen Tätigkeiten in Asien zu geben oder alle Auswirkungen von HPBs und Olcotts Bemühungen zu verfolgen. Aber es ist bemerkenswert, dass vom Februar 1879 bis Januar 1883 in Indien und Ceylon (Sri Lanka) 39 Zweige gegründet wurden, während in der übrigen Welt nur sechs bestanden. 46 neue Urkunden wurden allein 1883 in Indien und Ceylon ausgestellt, bei nur einem halben Dutzend neu beurkundeter Zweige in der übrigen Welt. Für die Wiederbelebung der Sanskrit-Gelehrsamkeit und die allgemeine Bildung wurden Schulen und Sanskrit-Klassen für Jungen, Mädchen und auch Erwachsene eingerichtet. 27 dieser Schulen waren in Indien Ende 1883 tätig, die Eröffnung von drei weiteren Schulen und eines College für Sanskritunterricht war in jenem Jahr geplant. Die Arbeit in Ceylon ist vielleicht das dramatischste Symbol für die Kraft des theosophischen Einflusses in Asien. Mit Hilfe der Theosophischen Gesellschaft, in erster Linie den Anstrengungen von Henry S. Olcott, erlangten die singhalesischen Buddhisten religiöse und kulturelle Freiheit, und ihr Glaube bekam in ihren eigenen Augen und in den Augen der Welt eine neue Gestalt und Bedeutung.
Die Statuten und Ziele der TG wurden in Indien verschiedentlich abgeändert und gewannen allmählich eine einfache und umfassende Ausdrucksweise, die das wachsende Verständnis der Mitgliederschaft widerspiegelte. Schon 1879 lautete die Überschrift der gedruckte Regeln „DieTheosophische Gesellschaft und Universale Bruderschaft“, und seit 1882 gab es drei erklärte Ziele: „Erstens – die Bildung des Kerns einer Universalen Bruderschaft der Menschheit, ohne Unterschied von Rasse, Glaube, oder Hautfarbe; Zweitens – das Studium von indoiranischer und anderer östlicher Literatur, von Religionen und Wissenschaften zu fördern und ihre Bedeutung zu bestätigen: Drittens – die verborgenen Geheimnisse der Natur und die im Menschen ruhenden psychischen Kräfte zu erforschen“. 6
Eines der vielleicht bedeutsamtsten Ereignisse jener Zeit war die Verbindung mit A. P. Sinnett, dem Herausgeber von The Pioneer, einer einflussreichen Zeitung in Allahabad. Nachdem er von Isis Unveiled gehört hatte und den Verfasser kennenlernen wollte, begann er mit Mme Blavatsky und Oberst Olcott kurz nach deren Ankunft in Indien im Februar 1879 einen Briefwechsel. Im Dezember luden Mr. und Mrs. Sinnett die Reisenden ein, sie in ihrem Heim in Allahabad zu besuchen, wo sie während dieser Zeit die Bekanntschaft mehrerer angesehener Persönlichkeiten machten, unter ihnen A. O. Hume, der im britischen Regierungsdienst tätig war. Während eines Besuches in deren Sommerhaus in Simla im Herbst 1880 begann der bekannte Briefwechsel zwischen Sinnett und Hume und den Meistern KH und M. 7 Weil Hume und Sinnett für psychische Dinge großes Interesse zeigten, erzeugte H. P. Blavatsky ihretwegen ziemlich viele Phänomene. Mit diesen Erfahrungen und den von den Meistern empfangenen Briefen verfasste Sinnett sein erstes Buch, The Occult World, das 1881 veröffentlicht wurde. Ein zweites Werk, Esoteric Buddhism, erschien 1883 und basierte auf dem weiteren Schriftwechsel mit den Meistern. In diesem Band schilderte er seine Ansicht über die Theosophie hinsichtlich der Geschichte und in Bezug auf den Menschen und das Universum. Beide Bücher erregten sofort großes Aufsehen in der westlichen Welt. So dankbar die Adepten für diese Veröffentlichungen waren, so gefielen ihnen doch Sinnetts Hervorhebung der „Brüder“ und die Phänomene in The Occult World und bestimmte irrtümliche Feststellungen über die Philosophie in Esoteric Buddhism nicht ganz. 8 Darüber hinaus verstärkten die Popularität dieser Werke und die okkulte Philosophie, die sie erläuterten, zusammen mit dem offentsichtlichen Erfolg der Theosophischen Gesellschaft in ganz Indien die wachsende Feindschaft der Missionare, die ein Klima schuf, das schließlich zu dem Angriff auf H. P. Blavatsky in The Christian College Magazine führte.
Das Jahr 1884 brachte für die Theosophische Gesellschaft Schwierigkeiten und Veränderungen. Es wurde beschlossen, dass Oberst Olcott nach England reisen sollte, um die Differenzen in der Londoner Loge zwischen ihrer Präsidentin Dr. Anna Kingsford und Mr. Sinnett zu lösen. Gleichzeitig wollte er im Auftrag der Buddhisten in Ceylon gewisse wichtige religiöse und schulische Angelegenheiten mit der Britischen Regierung regeln. Im letzten Augenblick wurde beschlossen, dass HPB mit ihm nach Europa reisen sollte. Sie verließen Bombay in Richtung Marseille am 20. Februar und kehrten erst zum Jahresende zurück. Während ihrer Abwesenheit von Adyar konspirierten Mr. und Mme. Coulomb, Angehörige des Haushaltstabes, um Mme. Blavatsky in Misskredit zu bringen. Da es ihnen nicht gelang, mit theosophischen Angelegenheiten beauftragte Mitglieder an der Hauptstelle durch die Drohung zu erpressen, sie würden gewisse Aussagen veröffentlichen, die geeignet schienen, die Existenz von HPBs Lehrern und die Echtheit der von ihr erzeugten Phänomene zu bestreiten, wandten sich die Coulombs an die christlichen Missionare. Später, am 11. September 1884, druckte The Christian College Magazine eine bösartige Geschichte ab, die auf Aussagen und gefälschten Dokumenten der Coulombs beruhte, die behaupteten, dass H. P. Blavatsky nicht nur auf betrügerische Weise Phänomene erzeugte, sondern auch Briefe im Namen der Meister schrieb.
Es ist interessant zu beachten, dass Judge zur Zeit der Veröffentlichung dieser Beschuldigungen in Indien weilte. Der Beginn seiner Reise war mit HPBs und Olcotts Reise nach Europa zusammengefallen, so dass sich die drei Mitbegründer Ende März in Paris trafen. Judge weilte drei Monate bei ihnen und nahm einen engen Anteil an allen Vorgängen; er schrieb auf HPBs Ersuchen ein Kapitel über Elementale für die geplante Secret Doctrine (obwohl es, wie er später erzählte, nicht verwendet wurde). Gegen Ende Juni setzte er seine Reise nach Indien fort, ausgerüstet mit Dokumenten von Olcott, um im Namen des Präsidenten in allen der Hauptstelle betreffenden Angelegenheiten zu handeln und, wenn er es für ratsam hielt, das Board of Control in Adyar aufzulösen.9 Aber Judge blieb nur wenige Monate dort. Kaum lange genug, um eine wahrnehmbare Veränderung in der grundlegenden Situation in Adyar zu bewirken. Nach seiner Rückkehr aus Indien widmete er seine ganze Energie dem Aufbau des Werkes in Amerika.
Inzwischen war Mme. Blavatsky im Dezember nach Madras zurückgekehrt. Sie erklärte sofort ihre Absicht, gegen ihre Ankläger gerichtlich vorzugehen, wurde daran aber trotz ihrer leidenschaftlichen Aussprüche von Oberst Olcott gehindert. Olcott schrieb zur Verteidigung von H. P. Blavatsky mehrere Jahre später folgende Erklärung:
Man hat viel aus der Tatsache gemacht, dass sie nicht vor Gericht ging, um sich wegen der eindeutigen Verleumdungen der Missionare und der mit ihnen verbundenen Kreise zu rechtfertigen. Aber daran ist sie nicht schuld: ganz im Gegenteil. Wären nicht meine lebhaften Protesten erfolgt, würde sie gleich ihre Gegner vor den Gerichtshof von Madras geschleppt haben, als sie 1884 von London via Kairo zurückkam. Ein Freund hatte ihr 10 000 Rupien zur Deckung der Kosten angeboten. Es war dies knapp vierzehn Tage vor dem Jahreskonvent unserer Gesellschaft – am 27. Dezember 1884 –, als ich darauf bestand, dass sie warte, bis ein unparteiisches Sonderkomitee des Konvents ihr zu einem geeigneten Schritt raten würde. Wir wären, sagte ich ihr, das Eigentum der Gesellschaft und verpflichtet, unsere privaten Vorlieben und Ichs für das öffentliche Wohl zurückzudrängen. Sie war in einem solchen Maß hartnäckig, dass ich mit der Zurverfügungstellung meines Amtes drohen musste, bevor sie Vernunft annahm. Der Konvent fand statt und der Fall wurde einem Komitte vorgetragen, das sich aus Hindu-Richtern und anderen juristischen Herren von hohem Amt und privatem Stand zusammensetzte. Sie stimmten einmütig dagegen, dass HPB vor Gericht ginge; … 10
Zur gleichen Zeit traf ein junger Mann, Richard Hodgson, in Adyar ein, den die Society for Psychical Research (SPR) zur Untersuchung der Beschuldigungen gegen H. P. Blavatsky von London aus gesandt hatte. Ein Jahr später bezeichnete das Komitee, das berufen worden war, seinen Befund zu studieren, sie als „eine der vollendetsten erfinderischten und interessantesten Betrügerinnen der Geschichte.“ 11 Olcott fährt fort:
An dem Tag, an dem die Beschuldigung gegen sie erstmals in der Times veröffentlicht wurde, schrieb sie – damals in London – an jene Zeitung eine empörte Zurückweisung. Ich habe seitdem keinen Beweis gesehen, der das Gegenteil aufrechthielt. Die angeblichen Briefe an Mme. Coulomb wurden ihr oder mir nie gezeigt;die Coulombs stehen unter der Selbstanklage eines unerhrenhaften Charakters. Mr. Hodgsons Bericht spricht für seine damalige völlige Unkenntnis über psychische und mediumistische Gesetze und über die unumgänglichen Regeln für die spiritualistische Untersuchung, selbst von den allgemeinsten Regeln einer legalen Beweisführung: … 12
Der Coulomb-Missionars-Angriff gegen HPB und der zusätzlich auf ihr lastende Druck, weil es ihr nicht erlaubt war, die Ehre ihrer Lehrer zu verteidigen, zerbrach ihre stets labile Gesundheit. Gefährten und Freunde bangten um ihr Leben, und ihr Arzt drängte darauf, dass sie Indien sofort verlasse, denn ein gemäßigteres Klima sei die einzig mögliche Chance, sie am Leben zu erhalten. Im September, nachdem die Anschuldigungen in der Zeitung von Madras erschienen waren, reichte Mme. Blavatsky, die sich damals in Elberfeld in Deutschland aufhielt, ihren Rücktritt als Korrespondierende Sekretärin ein. Sie wurde aber „auf dringendes Ersuchen und Bitten von Freunden der Gesellschaft“ überredet, ihn zurückzunehmen. Nichtsdestoweniger bot sie ihn im nächsten Frühjahr, am 21. März, erneut an, und diesmal wurde er angenommen. Zehn Tage später verließ sie Indien, um niemals mehr in dieses Land zurückzukehren. 13 Sie reiste, alleingelassen, ab, nur mit dem Ziel, wenn möglich, ihre Gesundheit in Europa wiederherzustellen. In den Augen der Welt verließ sie das Feld ihrer Ankläger, ohne sich gegen deren Beschuldigungen zu verteidigen.
HPBs eigene Gefühle werden in ihrem Brief vom 11. April 1885 wiedergegeben, den sie an Bord der S. S. Pehio [Pei Ho], in der Nähe von Aden, an Olcott geschrieben hatte:
Wozu und weshalb ich weggehe, weiß ich bis zu diesem Tag nicht. Natürlich werden wir irgendwo in der Nähe von Neapel stoppen – und was dann? Was soll ich mit H. [Franz Hartmann] tun? Wie werden wir leben? Wenn ich die Kraft habe, werde ich für die russischen Zeitungen schreiben – und was, wenn ich keine mehr habe? Hast du mich weggeschickt, um weit weg zu sterben oder um zu … [Wort unleserlich] und zurückzukommen. Wenn das erstere, dann sage es und ich werde wissen, was zu tun ist; wenn das letztere, was muss dann geschehen, wie und unter welchen Umständen, dass ich heimkommen sollte. Denn wohlgemerkt, ich nehme an, du würdest es zulassen, dass die Leute glauben, die Gesellschaft habe mich weggeschickt, entlassen wie einen durchtriebenen Diener, wie die Coulombs. Denn genau das wünschten die Coulombs und die Patres. Sie haben laut danach geschrien, haben es gedruckt und diesen Wunsch veröffentlicht, in dem sie öffentlich erklärten, das die Gesellschaft „verpflichtet sei, mich hinauszuwerfen“ usw. Wolltest du diesem Wunsch nachkommen? Ich hoffe für dein Wohl und das der Gesellschaft, dass es nicht so ist. Denn der Meister sagte mir ausdrücklich, dass SIE jede Verbindung mit der Gesellschaft lösen würden, wenn diese mich nicht vor 1886 zurückrufe. Das gilt auch für die L. L. [Londoner Lodge] und andere europäische und amerikanische Gesellschaften. Es bedeutet auch, dass SIE jede Verbindung mit jedem Mitglied abbrechen würden, SIE wollen keine Undankbarkeit unterstützen, Olcott, so schuldig ich auch in den Augen von Dummköpfen erscheinen mag oder, was das betrifft, sogar klugen Menschen. ES GIBT SIE – mit oder ohne Phänomene; aber wie „Benjamin“ [Djual Kul] bemerkte – ich bin zur Zeit der einzige Mensch, der im vollen Besitz ihrer Lehren und bereit ist, soviel davon mitzuteilen, wie ich kann. Nach mir kommt Subba Row, der mehr weiß als ich, aber nicht für ein Königreich ein Tüpfelchen davon im richtigen Licht bekanntgeben würde. Die Gesellschaft braucht mich, während ich völlig ohne sie auskommen kann. Aber, es ist keine Frage des Interesses, sondern der GERECHTIGKEIT und des Stolzes. Es ist nicht Selbstsucht oder persönlicher Stolz. Aber ich wurde von IHNEN gesandt, und was auch immer mein Versagen sei, ich bin IHR Beauftragter: Wenn man mich beleidigt, beleidigt die Gesellschaft SIE – das ist alles. Gut, lass das traurige Experiment geschehen … 14
H. P. Blavatskys Übersiedlung nach Europa im Jahr 1885 bezeichnet den Anfang des letzten Stadiums ihrer Aufgabe. In den folgenden Jahre sollte sie den größten Teil ihrer literarischen Arbeiten schreiben und eine starke Gesellschaft im Westen begründen – sie in Europa und Judge in Amerika. Aber es gibt in allen Zyklen Überschneidungen: Während die Vitalität in der alten Periode schwindet, erfolgt eine fortdauernde Hauptaktivität unter einem frischen Impuls in die neue Zeit hinein. Um dem Bedürfnis nach einer verständlicheren Darstellung der theosophischen Lehren nachzukommen, die man verstreut in den Seiten von Isis Unveiled und The Theosophist fand, war im Januar 1884 im Supplement dieser Zeitschrift eine Anzeige erschienen, die erklärte, dass Isis Unveiled neu geschrieben und unter dem Titel The Secret Doctrine in Fortsetzungen herausgegeben werden würde. H. P. Blavatsky hatte mit der Arbeit am Manuskript schon in Adyar begonnen und sie fortgesetzt, nachdem sie im Frühjahr 1884 nach Europa ging. Als sie im folgenden Januar wieder in Indien war, erhielt sie von ihrem Lehrer „den Plan“ für The Secret Doctrine, und obwohl sie ständig daran arbeitete, konnten die Bände erst 1888 veröffentlicht werden. Erst nachdem Gräfing Wachtmeister im Dezember 1885 in Würzburg zu Mme. Blavatsky zog, ihre Gesellschafterin wurde und sich aller Haushaltsangelegenheiten annahm, konnte HPB echte Fortschritte in ihrer Arbeit machen. Sie konnte nun vom frühen Morgen bis zum Abend schreiben. Die Gräfin betreute ihre Freundin in jeder nur möglichen Weise und schrieb für sie die korrigierten Manuskripte in lesbarer Handschrift ab. Sie zogen im Mai 1886, mit einigen Unterbrechungen auf der Reise, von Würzburg nach Ostende und setzten dort die Arbeiten am Manuskript fort.
Anfang 1887 reisten Bertram Keightley und später sein Neffe Archibald nach Ostende, um HPB zu besuchen. Sie repräsentierten eine kleine Gruppe von Mitgliedern der Londoner Loge, die empfanden, dass die öffentliche Arbeit dort einen neuen Impuls benötige und drängten HPB, nach England zu kommen. Sie war damit einverstanden, wenn eine geeignete Unterkunft zur Verfügung gestellt werden könnte. Bald erkrankte sie jedoch schwer und es bestand Lebensgefahr. Zum Erstaunen ihres Arztes und ihrer Freune erholte sie sich wieder, und die Keightleys kamen wieder, um die letzten Vorbereitungen für den Umzug über den Kanal zu treffen. Im Mai führte ihr Weg per Schiff und Zug in das Haus von Mrs. Mabel Cook, vielen als Mabel Collins 15 bekannt, in Maycott, London. Hier wurde mit Hilfe mehrerer junger Mitglieder mit den letzten Vorbereitungen zu The Secret Doctrine begonnen. Am 28. desselben Monats schrieb Bertram Keightley an Judge:
HPB geht es ziemlich gut und sie arbeitet recht hart an The Secret Doctrine, die unheimlich gut ist, und ich bin sicher, dass sie dir ungemein gefallen wird. Obwohl ich dies von Linden Gardens aus schreibe, wohne ich mit HPB in Maycot, Crown Hill, Upper Norwood, S. E., wo sie, wie ich annehme, die nächsten zwei oder drei Monate bleiben wird. Wir haben einen Plan in Angriff genommen, HPB in einem Winterquartier in der Nähe von London unterzubringen, wo sie in Frieden leben und die wahren Arbeiter in der Gesellschaft um sich sammeln kann. Ob es aber klappt oder je richtig anfangen wird, kann ich nicht sagen. Ich weiß nur, dass wir unser möglichstes tun werden, um es zu verwirklichen. Doch erwähne nichts darüber, denn „man soll nicht über ungelegte Eier sprechen“, und man sagt am besten über diese Dinge nichts, bevor sie erledigt sind. Wie dem auch sei, wir beabsichtigen, dieser stumpfen L. L. neues Leben einzuhauchen, und die neue Zeitschrift ist der erste Schritt. Der zur Zeit favorisierte Titel ist Lucifer: the Lightbearer, aber es ist noch keine endgültige Entscheidung gefällt worden. Auf jeden Fall beabsichtigen wir zwei Dinge: Es HPB so angenehm zu machen, wie wir können, und ihr zu beweisen, dass es wenigstens einige gibt, die ihre unaufhörliche Aufopferung und unermüdliche Arbeit für die Sache wirklich zu schätzen wissen.
Der vorgeschlagene Umzug von Maycot nach Landsdowne Road Nr. 17 und die erste Ausgabe von Lucifer wurden im September verwirklicht. Ein Jahr später, am 1. Noverber 1888, wurde The Secret Doctrine in Englang und Amerika veröffentlicht.
In den frühen Jahren gab es Mitglieder in der Theosophischen Gesellschaft, die für die Förderung der Ziele der TG das Beste ihres Lebens hingaben und von deren hingebungsvoller Arbeit das Leben der Gesellschaft abhing. Einige Wenigen handelten zuweilen aus Motiven, die eine konfuse Vorstellung über die Ziele und Zwecke der TG widerspiegelten, und speziell diese Tätigkeiten führten gelegentlich zu ernsten Spannungen in der Gesellschaft. Als feinfühliges Herz des „Werkes“ war H. P. Blavatsky dazu gezwungen, zum Schutze der TG zu handeln, so wie sie auch dankbar jenen gegenüber reagierte, die deren wirkliche Aufgabe verstanden.
Während dieser Jahre (1885–1887), in denen sich Mme. Blavatsky von der direkten Teilnahme an den theosophischen Angelegenheiten zurückgezogen hatte, war die Gesellschaft aus dem Einflussbereich der Adepten weggetriftet. Das zeigt ein Gespräch, das sie mit einem ihrer Lehrer hatte, in dem dieser bemerkte, dass es Oberst Olcott, trotz seiner großen Anstrengungen während dieser Zeit, zugelassen hätte, dass sich die TG von ihrem Einfluss gelöst hatt, und dass die Gesellschaft seinen Tod nicht lange überleben würde. 16 Obwohl das Datum dieser Unterredung nicht angegeben wird, kann sie ungefähr auf die letzten Monaten von 1887 oder auf Anfang 1888 festgesetzt werden. Von dieser Zeit an bis zu ihrem Tod im Jahr 1891 spielte H. P. Blavatsky eine zunehmend wichtige Rolle in der Verwaltung der Gesellschaft, um das Werk im ursprünglichen Sinn wieder herzustellen und zu erhalten. Dadurch entstanden zwischen ihr und Oberst Olcott einige unglückliche Differenzen und Missverständnisse. Schließlich erklärte er 1890, von den Verhältnissen sehr erschöpft, er würde auf dem nächsten Konvent im Dezember sein Amt als Präsident aufgeben. Im letzten Augenblick kündigte er jedoch an, dass er seine Absicht geändert habe, und er hielt sein Amt in der Gesellschaft bei, obwohl seine Ansichten und sein fehlendes Vertrauen in HPBs Arbeitsmethoden unverändert blieben.
Die ernste Situation, die durch die Vernachlässigung des inneren Geistes des Werkes entstanden war, stellte nun HPB vor die Aufgabe, die Haltung der Mitglieder neu zu orientieren. Die nächsten vier Jahre, von Mai 1887 bis Mai 1891, waren eine Periode der Erneuerung für die theosophische Sache. Als sie Indien 1885 verließ, gab es nur wenige starke Zentren außerhalb Asiens. In den letzten Monaten von 1890 war der Westen unter ihrer Anregung jedoch erwacht und der aktivste Teil der Gesellschaft geworden.
Die Reorganisation und Ausdehnung der theosophischen Arbeit im United Kingdom und auf dem Kontinent waren in mancher Hinsicht in Amerika unter der Leitung von William Q. Judge vorgezeichnet worden und entsprachen der Arbeit in Amerika. Am 13. Mai 1884 war durch eine besondere Anweisung von Präsident Olcott ein American Board of Control (Aufsichtsrat) gegründet worden, als Judge auf seinem Weg nach Indien mit Mme. Blavatsky und Oberst Olcott in Paris zusammen war. Der Aufsichtsrat wurde gebildet, um die Arbeit zu leiten und örtliche Probleme für die Mitglieder in den Vereinigten Staaten zu behandeln und auch, um neue Mitglieder aufzunehmen und vorläufige Urkunden für neue Zweige zu verleihen ohne Bezug auf die zentrale Hauptstelle. Der Aufsichtsrat wirkte in dieser Eigenschaft zwei Jahre lang bis zum 6. Juni 1886, als Präsident Olcott auf Drängen von Judge und HPB um Auflösung des American Board of Control ersuchte. Statt dessen wurde eine Abteilung der Gesellschaft gebildet, die als American Section of the General Council of the Theosophical Society bekannt geworden ist. Die neue Organisation wurde auf einem Konvent aller Logen am 30./31. Oktober in Cincinati, Ohio, ins Leben gerufen, mit Judge als Generalsekretär und Schatzmeister. Am 24. April 1887 fand der erste Konvent der Amerikanischen Abteilung in New York statt, bei dem eine Verfassung und Statuten angenommen und die Verbindung zum Generalrat bestätigt wurden. Judge war wieder zum Generalsekretär für das folgende Jahr gewählt worden.
Von Judge in New York und dem Stab in Adyar wurden alle Versuche unternommen, eine arbeitsfähige Abteilung der Theosophischen Gesellschaft tausende Meilen von der Hauptstelle entfernt zu begründen. Die Probleme vervielfachten sich noch, weil Olcott während langer Zeiträume in theosophischen Angelegenheiten abwesend war und für letzte Entscheidungen nicht immer zur Verfügung stand. Judges Eifer, die Arbeit in Amerika voranzutreiben, verbunden mit den ständigen Verzögerungen an der Hauptstelle, erzeugte zwischen ihm und Olcott Spannungen, die die Zeit nicht milderte. Judges Brief an Oberst Olcott vom 24. Juli 1888 enthüllt die Enttäuschung, die viele westliche Theosophen und besonders Amtsinhaber gegenüber der Hauptstelle in Indien empfanden:
Es ist bedeutsam, dass die TG hier [in der USA] gestartet wurde. Indien ist für sie notwendig, wie ich in The Path sagte, und sie für Indien. Aber Indien kann nicht beanspruchen, alles zu sein. Ich glaube, es ist in der Tat im Begriff, zweitrangig zu sein, selbst wenn die Adepten noch dort wohnen. Ich stimme völlig mit dir über die Bedeutung der Bücherei und allem übrigen überein. Aber ich möchte daran erinnern, dass die TG, wenn sie ist, was sie zu sein beansprucht, eine Sache der ∴ Gründung, nicht da bleiben kann, wo sie anfangs war und wohin sie 1884 gelangte. Sie muss weitereilen und sie muss sich verändern oder – sie muss sterben. Daher wird in ihrem 14. Jahr eine Veränderung erwartet, die zu Beginn ihres 13. Jahres angekündigt und empfunden wurde. Dieses ist das 13. Jahr und es wird eine Veränderung erleben. Ich weiß nicht, ob du bereit bist, ihr zu entsprechen. Ich habe den Eindruck, dass du neuerdings eine Vorliebe für Formalien angenommen hast, und ich habe immer gemeint, dass du deine Kräfte zu sehr für Boards und Komitees verschwendet hast. Deine Vorstellung, dass die TG in eine solche Form gebracht werden muss, dass sie nach deinem Tod weiterleben kann, basiert auf der Annahme, dass du der einzige Mensch wärest, der sie weiterführen könnte, und dass sie nach deinem Tod eingehen würde, wenn ihre Regeln und ihre Verfassung nicht fixiert wären. Hiermit stimme ich nicht überein. Wenn du stirbst, werden andere bereit sein. Die TG ist dabei steckengeblieben und muss aus dem alten Trott herausgeholt werden. Das sind natürlich nur meine Ansichten. 17
Mit der Ausweitung der Arbeit in Europa wurden die Schwierigkeiten zwischen der Adyar-Hauptstelle und dem Westen beigelegt. Im nächsten Monat, am 16. August, schrieb Judge an Archibald Keightley, dass Olcott für Europa eine Organisation möchte, wie die in Amerika, und Keightley einen Konvent einberufen und HPB zum Präsidenten der neuen Abteilung machen sollte. 18 Die Europäsiche Abteilung wurde jedoch erst 1890 gebildet. Dafür wurde bereits im Dezember 1888 eine Britische Abteilung gegründet mit Hilfe von Präsident Olcott, der in jenem Herbst London besuchte.
Der wirkungvollste Schritt, den Mme. Blavatsky in jener Zeit unternahm, um die Arbeit der Gesellschaft mit den ursprünglichen Zielen in Einklang zu bringen, war die Organisation einer formellen Esoterischen Abteilung, obwohl die Esoterische Schule – eine Verbindung von Schülern zu Adepten – seit alten Zeiten bestanden hatte und ihr Einfluss in der TG von Anfang an offensichtlich war. Seitens der ernsthaften Schüler hatte seit jeher der Wunsch bestanden, den Meistern näherzukommen, und 1883 schrieb H. P. Blavatsky einen informativen Artikel mit der Überschrift „Chelas und Laienchelas“, der diesen Kommentar enthielt:
Seit Jahrhunderten wurde die Auswahl von Chelas – außerhalb der bestehenden Gruppe im Gon-pa [Tempel] – von den himalajischen Meistern aus der Gruppe der natürlichen Mystiker – in Tibet eine zahlenmäßig beträchtliche Gruppe – selbst vorgenommen. Die einzigen Ausnahmen bei den westlichenMenschen waren solche wie Fludd, Thomas Vaughan, Paracelsus, Pico de la Mirandola, Graf St. Germain usw. gewesen, deren veranlagungsmäßige Affinität zu dieser himmlischen Wissenschaft die weit entfernten Adepten mehr oder weniger zwang, persönlich Kontakt mit ihnen aufzunehmen, wodurch sie einen kleinen (oder großen) Teil der ganzen Wahrheit erlangen konnten, soweit es unter ihren gesellschaftlichen Umständen möglich war …
Aber seit dem Erscheinen der Theosophischen Gesellschaft, die neben anderen Aufgaben die mühevolle Aufgabe hatte, die schlafende Erinnerung an die Existenz dieser Wissenschaft und der transzendenten menschlichen Fähigkeiten im indogermanischen Denken wieder zu erwecken, sind die Regeln für die Auswahl von Chelas in einer Hinsicht etwas gelockert worden. Viele Mitglieder der Gesellschaft gelangten durch praktische Beweise in obigen Angelegenheiten zu der Überzeugung, und zwar berechtigterweise, dass auch sie – mit natürlicher Befähigung – durch Beschreiten des gleichen Pfades das Ziel erreichen könnten, da andere Menschen bisher das Ziel ebenfalls erreicht hatten, und daher drängten sie darauf, als Kandidat angenommen zu werden. Da es eine Einmischung zu Karma bedeutet hätte, ihnen die Chance, wenigstens zu beginnen, zu verweigern – wurde sie ihnen gegeben, weil sie so drängten. Die Ergebnisse waren bis heute wenig ermutigend gewesen, und weil diesen Unglücklichen die Ursache ihres Versagens ebenso gezeigt werden soll, wie andere davor gewarnt werden sollen, unbekümmert in ein ähnliches Schicksal zu rennen, wurde angeordnet, den gegenwärtigen Artikel zu schreiben. Die betreffenden Kandidaten, obgleich sie im Voraus deutlich davor gewarnt worden waren, fingen in falscher Weise an, indem sie selbstsüchtig auf die Zukunft schauten und den Blick auf die Vergangenheit verloren. Sie vergaßen, dass sie nichts getan haten, um die seltene Ehre einer Wahl zu verdienen, nichts, was ihre Erwartung eines solchen Privilegs rechtfertigte … 19
Im nächsten Jahr, 1884, baten Mitglieder der Londoner Loge die Meister, eine „Innere Gruppe“ zu bilden. Sie erhielten dazu die Erlaubnis, aber sie hielt nicht lange. 20 1887 schrieb Judge wieder an H. P. Blavatsky und fragte, ob esoterische Studien eingeführt werden dürften, um Wünschen, die er erhalten hatte, zu entsprechen. Er fügte Vorschläge für Richtlinien und Formalitäten zur Verwendung für sie bei, wenn sie sie für angebracht hielte. Sie antwortete, dass er ohne Dokument beginnen könne und dass sie bald weiteres unternehmen würde. 1888 lud sie ihn nach London ein, um ihr zu helfen, die Grundlagen für dieses Werk zu legen.
Mme. Blavatsky schrieb im gleichen Jahr an Olcott über den Plan zur Bildung der Esoterischen Abteilung. Da es einige Schwierigkeiten mit dem Isis-Zweig in Paris gab, ging er am 7. August an Bord der S. S. Shannon, um nach London zu reisen und mit ihr diese und andere Angelegenheiten zu besprechen. Später schrieb er an Judge, dass er an Bord des Schiffes einen Brief von KH erhalten habe und zwar einen Tag, bevor sie Brindisi erreichten, Dieser Brief ist hinsichtlich der Beziehungen der Meister zu HPB und zu Olcott informativ:
Wieder, da du dich London näherst, habe ich dir ein oder zwei Worte zu sagen. Deine Empfänglichkeit ist so veränderlich, dass ich mich in dieser kritischen Zeit nicht ganz darauf verlassen darf. Natürlich weißt du, dass die Dinge so in den Brennpunkt gerückt sind, dass die gegenwärtige Reise notwendig ist und dass die Inspiration, sie zu unternehmen, zu dir von außen kam, ebenso wie zu den Mitgliedern des Rates, sie zu gestatten. Gebiete deinen Gefühlen alle notwendige Zurückhaltung, damit du in diesem westlichen Wirrwarr die richtigen Dinge tun kannst. Beachte deine ersten Eindrücke. Die Fehler, die du machst, kommen daher, dass du das nicht tust. Lasse deine Handlungen weder von persönlichen Voreingenommenheiten, Zuneigungen und Argwohn noch durch Antipathien beeinflussen.
Zwischen Gefährten in London und Paris sind Missverständnisse entstanden, welche die Interessen der Bewegung gefährden. Man wird dir erzählen, dass der Haupturheber der meisten, wenn nicht aller dieser Unruhen HPB sei. Das ist nicht so, obwohl ihre Anwesenheit in England natürlich einen Anteil daran hat. Aber der Teil beruht auf anderen, deren gelassene Unkenntnis ihrer eigenen Mängel sehr eingeprägt und sehr zu tadeln ist. Einer der wertvollsten Wirkungen von Upāsikas 21 Mission ist, dass sie die Menschen zum Selbststudium drängt und ihre blinde Unterwürfigkeit Personen gegenüber zerstört. Betrachte zum Beispiel deinen eigenen Fall. Nur ist deine Revolte, guter Freund, gegen ihre Unfehlbarkeit – wie du sie einst angenommen hattest – zu weit gegangen, und du bist ungerecht zu ihr gewesen, wofür du künftig, wie ich leider sagen muss, zusammen mit anderen wirst leiden müssen. Gerade jetzt an Deck waren deine Gedanken über sie finster und sündhaft, und so fand ich, es sei der passende Augenblick dich zur Wachsamkeit zu ermahnen. Versuche, die Missverständnisse, die du vorfinden wirst, durch freundliche Überzeugung und einen Appell an die Gefühle der Loyalität zur Sache der Wahrheit, wenn nicht gegenüber uns, aus dem Weg zu räumen. Lasse alle diese Menschen verstehen, dass wir keine Lieblinge haben, noch Zuneigungen zu Personen, sondern nur zu ihren guten Taten und zur Menschheit als Ganzes. Aber wir benutzen Vermittler – die besten verfügbaren. Von diesen ist in den letzten dreißig Jahren die der Welt (aber uns in anderer Weise) als HPB bekannte Person das Haupt gewesen. Unvollkommen und sehr schwierig, ohne Zweifel, wie sie einigen bewies, besteht dennoch keine Wahrscheinlichkeit, dass wir in den kommenden Jahren ein besseres finden können – und deine Theosophen sollten lernen, das zu begreifen. Seit 1885 habe ich keinen Brief und keine Zeile an irgendjemand in Europa oder Amerika geschrieben noch zu schreiben veranlasst, außer durch ihre direkte oder indirekte Vermittlung, noch habe ich mich mündlich mit oder durch einen Dritten mitgeteilt. Theosophen sollten das lernen. Du wirst später die Bedeutung dieser Erklärung verstehen, behalte sie deshalb im Gedächtnis. Da ihre Treue zu unserem Werk beständig ist, und ihre Leiden von daher rühren, werden weder ich noch einer meiner Brudergefährten sie verlassen oder ersetzen. Wie schon früher einmal bemerkte, gehört Undankbarkeit nicht zu unseren Fehlern.
Mit dir haben wir direkte Verbindungen und zwar – abgesehen von den dir bekannten seltenen Ausnahmen wie der gegenwärtigen – auf der psychischen Ebene, und wir werden der Macht der Umstände entsprechend so fortfahren. Dass sie so selten sind – ist dein eigener Fehler, wie ich dir in meinem letzten Brief sagte.
Um dir in deiner gegenwärtigen Verwirrung zu helfen: HPB hat praktisch nichts mit administrativen Einzelheiten zu tun und sollte davon freigehalten werden, soweit ihre starke Natur davon abgehalten werden kann. Aber allen musst du sagen: – Mit den okkulten Angelegenheiten hat sie alles zu tun. Wir haben sie nicht aufgegeben; sie wird nicht „den Chelas übergeben“. Sie ist unser direkter Vermittler. Ich warne dich davor, durch deinen Argwohn und dein Ressentiment wegen „ihren vielen Torheiten“, deine Loyalität zu ihr beeinträchtigen zu lassen. Bei der Regulierung dieser europäischen Angelegenheiten wirst du zwei Dinge beachten müssen – die äußeren, administrativen, und die inneren, psychischen. Behalte erstere unter deiner Aufsicht und der deiner verständigsten Mitarbeiter, und überlasse letztere ihr. Du solltest die praktischen Details mit deiner gewohnten Begabung festlegen. Nur sei sehr achtsam, wenn man sich an dich wendet, weil sie sich in irgendwelche praktische Angelegenheiten einmischt, und unterscheide dann zwischen dem, was in Ursprung und Wirkung bloß exoterisch ist, und dem, was zwar im Praktischen beginnt, aber die Neigung zu Konsequenzen auf spiritueller Ebene in sich trägt. Für ersteres bist du der beste Richter, für letzteres sie.
Ich habe auch deine Gedanken über The Secret Doctrine bemerkt. Sei versichert, dass das, was sie nicht mit einem Hinweis auf wissenschaftliche oder andere Werke versehen hat, ihr von uns gegeben oder eingegeben wurde. Alle Fehler oder irrtümlichen Feststellungen aus den Werken anderer Theosophen, die sie korrigierte oder erklärte, wurden von mir oder nach meiner Unterweisung korrigiert. Es ist ein wertvolleres Werk als sein Vorgänger, ein Auszug okkulter Wahrheiten, die es für ernste Schüler vieler kommender Jahr zu einer Quelle der Information und Instruktion machen werden …
Du solltest besser diesen Brief einstweilen keinem gegenüber erwähnen – nicht einmal gegenüber HPB, es sei denn, sie spricht selbst zu dir darüber. Es reicht noch, wenn du die Gelegenheit kommen siehst. Er ist lediglich für dich als Warnung und Richtschnur geschrieben; für andere nur als Warnung, denn du kannst ihn diskret verwenden, wenn nötig. 22 – KH
Olcott kam Ende August 1888 in London an und fand H. P. Blavatsky in keinem guten Zustand und mit viel Arbeit vor. Einige Wochen später schrieb er am 3. Oktober an Judge, dass er ihr bei The Secret Doctrine und Lucifer helfe und die Angelegenheiten in Paris regle – dass er „im Sinne“ des Briefes handle, den er von KH an Bord der Shannon erhalten habe.
Die Gründung der Esoterischen Abteilung wurde von H. S. Olcott, Präiedent des Rates, und von H. P. Blavatsky bestätigt, in der Oktober- und November-Ausgabe des Lucifer angezeigt. Der einleitende Abschnitt enthielt den bedeutungsvollen Satz „organisiert nach den URSPRÜNGLICHEN, von den wahren Gründern der TG gegebene RICHTLINIEN“ – ein Hinweis auf HPBs fortgesetzte Bemühung, die Gesellschaft wieder unter den Einfluss der Adepten zu bringen. 23 Auf dem 1888 in Adyar abgehaltenen Konvent sagte Olcott, dass er als Präsident nun alle Verantwortlichkeiten wieder übernehmen würde, die er mehrere Jahre lang gemeinsam mit dem Executive Council (Verwaltungsausschuss) für die „praktische Verwaltung zur ständigen Förderung der Gesellschaft in Richtung der von ihr gewählten Zweckerfüllung“ ausgeübt hatte. Er sagte, es sei seine Aufgabe, „den Körper lebendig zu erhalten, der den innewohnenden Geist, genannt Theosophie, enthält“. Er habe niemals von sich behauptet, „ein kompetenter Lehrer zu sein. Das ist Frau Blavatskys Eigenschaft“. Deshalb hätter er „seine Anweisung herausgegeben …, eine Esoterische Abteilung unter ihrer alleinigen Leitung zu bilden, als eine von der eigentlichen Gesellschaft völlig getrennte und unterschiedene Körperschaft oder Gruppe …“ 24 Dennoch machte die Gründung der Esoterischen Abteilung mit der Zeit die Schwierigkeiten Olcotts sichtbar, HPBs Verbindung zur theosophischen Bemühung zu verstehen. Das Unvermögen, ihre wirkliche Position zu erkennen, erweckte seine Zweifel hinsichtlich ihrer Motive. Er befürchtete, die esoterische Arbeit würde die Gesellschaft spalten und ihr die Kraft nehmen.
In Amerika beantragten so viele Mitglieder die Aufnahme in die Esoterische Abteilung, dass Judge, darüber beunruhigt, sie verständen die altruistischen Ziele nicht, seine Sorge Mme. Blavatsky vortrug. Dr. A. Keightley gab ihre Antwort in seinem Brief von 11. September 1889 wieder:
Sie sagte, du habest völlig recht und doch auch nicht. Die zur Zeit geleistete Arbeit, wie sie verstand, ist für die Zukunft des nächsten Jahrhunderts. Sie ist sich dessen so gut bewusst wie du, dass ein wahlloses Ansammeln der E. S. nicht gut ist. Aber sie sagt, dass es absolut notwendig ist, eine große Menge zu haben, aus der die Leute sich selbst auswählen würden, und so müssen beide die TG und die E. S. weit geöffnet sei, um allen die Chance zu geben zu prüfen, woraus er oder sie gemacht ist …
Er schließt seinen Brief mit folgendem Kommentar:
HPB sagt, der Meister wird deinen Brief an sie beantworten.
Nach der Veröffentlichung von The Secret Doctrine und dem Tätigsein der Esoterischen Abteilung in Europa und den Vereinigten Staaten ließ Mme. Blavatsky ihre beträchtlichen Energien in das Werk im Westen einfließen, das besonders in Amerika mit fast unkontrollierbarer Geschwindigkeit wuchs. Sie schrieb auch The Key to Theosophy (1889), eine Einführung in die grundlegenden Begriffe, die zur Korrektur falscher Vorstellungen über die Gesellschaft und den Ursprung ihrer Lehren dringend benötigt wurde. Kurz darauf folgte The Voice of the Silence, ein den ernsthaft Studierenden gewidmetes Buch. Sie bereitete Studienmaterial für die esoterischen Schüler vor, führte eine ausgedehnte Korrespondenz, gab Lucifer heraus, schrieb regelmäßig dafür, und steuerte für eine Anzahl anderer theosophischer Zeitschriften Artikel bei, während die weitgehend von Gräfin Wachtmeister geführte Theosophical Publishing Society, unterstützt von Judge in Amerika, ihre Tätigkeiten erheblich ausweitete. Es gab auch private und öffentliche Interviews und Treffen mit H. P. Blavatsky, bei denen sie Fragen beantwortete. In den ersten Monaten des Jahres 1889 wurde eine Reihe von Studienzusammenkünften über die Stanzen des Dzyan aus dem ersten Band von The Secret Doctrine veranstaltet, die später als Transactions of the Blavatsky Lodge herausgegeben und veröffentlicht wurde.
Im August des gleichen Jahres besuchte Olcott wieder Europa in der Hoffnung, der wachsenden Forderung der westlichen Abteilungen nach mehr Selbstständigkeit in ihrer Arbeit nachzukommen. Seit mehreren Monaten war in The Theosophist, in Lucifer und auch im Schriftwechsel viel über die Notwendigkeit diskutiert worden, ob es eine dominierende zentrale Hauptstelle geben sollte, das alle Angelegenheiten gesetzgebend regeln würde und an die sich alle Mitglieder als „Zentrum“ des Werkes wenden könnten, oder ob die verschiedenen Abteilungen der Gesellschaft einen größeren Handlungsspielraum haben sollten. Der Bericht des Britisch Section General Council vom 18. Dezember 1889 sagt aus, dass folgende Empfehlung vorgeschlagen wurde und dass der in der Versammlung anwesende Präsident Olcott seine Bereitschaft bekundete, „die verlangte Vollmacht an Mme. Blavatsky und an den Rat, den er zu ihrer Unterstützung ernennen würde“, zu geben.
Infolge der großen Entfernung der britischen Abteilung von der Hauptstelle wird es als ratsam erachtet, dass H. P. Blavatsky, unterstützt durch einen von Oberst Olcott ernannten Rat, ermächtigt werden soll, in dringenden Fällen alle auftauchenden Fragen zu behandeln, die eigentlich dem Präsidenten vorgelegt werden müssten, wenn eine durch die Länge der Zeit verzögerte Antwort aus Indien zu ernsten und sogar verhängnisvollen Folgen für die Abteilung führen könnte … 25
Im Laufe der Monate blieb jedoch die Beziehung zwischen dem Gründerpräsidenten zu den Logen und Mitgliedern in Britannien und auf dem Kontinent schwach. Deshalb gab Mme. Blavatsky auf Ersuchen „der aktiven Logen in Europa und … einer großen Mehrheit von Einzelmitgliedern“ ihre Zurückhaltung bezüglich der administrative Angelegenheiten der TG zögernd auf und übernahm die direkte Verantwortung für die europäische Arbeit. In der Juli-Ausgabe 1890 des Lucifer erschien folgende Ankündigung:
MITTEILUNG
DEM FAST EINMÜTIGEN RUF DER GEFÄHRTEN DER THESOPHISCHEN GESELLSCHAFT IN EUROPA FOLGEND, NEHME ICH H. P. BLAVATSKY, URHEBER UND MITGRÜNDER DER THEOSOPHISCHEN GESELLSCHAFT, DIE PFLICHTEN DER PRÄSIDENTSCHAFT FÜR GANZ EUROPA AUF MICH; KRAFT DIESER AUTORITÄT ERKLÄRE ICH, DASS DIE HAUPTSTELLE DER THEOSOPHISCHEN GESELLSCHAFT IN LONDON, WO ICH RESIDIERE, KÜNFTIG DIE HAUPTSTELLE FÜR DIE ABWICKLUNG ALLER OFFIZIELLEN TÄTIGKEITEN DER THEOSOPHISCHEN GESELLSCHAFT IN EUROPA SEIN WIRD.
H. P. BLAVATSKY
___________
Niemand möge glauben, diese Reform deute in irgendeinem Sinn auf eine Trennung von meinem Mitarbeiter in Adyar oder sogar auf eine Loslösung von dessen Amtsgewalt hin. Oberst H. S. Olcott bleibt, wie bisher der Gründerpräsident der Theosophischen Gesellschaft für die ganze Welt. Aber es hat sich für ihn als unmöglich erwiesen, auf eine so große Entfernung exakte Entscheidungen in den laufenden Führungsangelegenheiten der Theosophischen Gesellschaft zu treffen …
Olcott glaubte, dass die Europäische Abteilung „irregulär gebildet“ worden war, wie er später an Judge schrieb. Deshalb gab er zur Legalisierung der Angelegenheit am 9. Juli 1890 eine offizielle Anweisung heraus, mit der Bitte, dass eine Europäische Abteilung gegründet und H. P. Blavatsky die „volle Leitung“ derselben übertragen werde. Die neue Abteilung erhielt die gleiche Selbstständigkeit wie die Amerikanische Abteilung. 26
Inzwischen waren Judge und seine wenigen Helfer in Amerika in der Hauptstelle der Abteilung lange Zeit mit der TG- und ES-Korrespondenz, der Herausgabe von Büchern, Druckschriften und Abhandlungen und auch mit der Herausgabe seiner Monatszeitschrift The Path beschäftigt. 1889 wurde von Theosophen in New York und Chicago und mit Unterstützung der amerikanischen Mitglieder eine Druckmaschine gekauft. Mit dieser Hilfe wurde das Verlagsprogramm wesentlich erweitert. Mehrere kleine Zeitschriften wurden zur Unterstützung der Zweige und Einzelmitglieder verteilt: The Theosophical Forum, in dem Judge und verschiedene Schüler Fragen beantworteten; Department of Branch Work, das bei Zweigversammlungen verlesene Schriftstücke im Land bekannt machte; und später die Reihen der Oriental Department-Schriften mit Übersetzungen aus der Sanskrit-Literatur. Es erschienen auch die Yoga-Aphorisms von Patañjali, mit einer Einführung von W. Q. Judge, denen 1890 die Echoes From the Orient, die Bhagavad-Gītā und Letters That Have Helped Me folgten. Wegen des Erfolges ihrer Verlagstätigkeit wurde eine größere Druckmaschine gekauft und mit einem New Yorker Mitglied, James M. Pryse nach London geschickt, der sie bedienen sollte.
Es gab viele ergebene Theosophen, die HPB in ihren letzten Jahren unterstützten, aber keiner ging mehr auf die innere Richtung ihrer Bemühungen ein als William Q. Judge. Er schien die dringende Notwendigkeit der Arbeit, die sie so verzweifelt erfüllen wollte, vorauszusehen und stellte auf vielerlei Art die Mittel und Wege zur Ausführung für sie bereit. Angesichts ihrer Briefe, die sie während dieser Jahre an ihn richtete und von denen wir die folgende Auswahl wiedergeben wollen, sollten uns seine Einsicht und Hingabe nicht überraschen. Am 3. Oktober 1886 hatte sie ihm geschrieben:
Die Schwierigkeit bei dir ist, dass du die große Veränderung, die vor einigen Jahren in dir geschah, nicht erkennst. Andere haben gelegentlich ihre Astralkörper getauscht und mit solchen von Adepten (oder auch Elementarwesen) ersetzt, und diese beeinflussen den äußeren und den höheren Menschen. Bei dir verband sich der Nirmāṇakāya und nicht der „astrale“ mit deinem Astralen. Daher die duale Natur und der Kampf.
Im folgenden Jahr erhielt Judge ein Telegramm von HPB aus London, datiert 12. August 1887, mit folgendem Inhalt: „MEISTER SCHLÄGT DICH ALS SEKRETÄR AUF LEBENSZEIT VOR, WAS ICH BIN, WENN ZUM OPFER BEREIT, WIRD ER HELFEN. [gezeichnet] UPĀSIKA. Judge hat auf das Telegramm geschrieben: „Antwort – Bereit. Welcher Art ist das Opfer, Sekretär hier oder wo, wann“.
Über ein Jahr nach der Bildung der Esoterischen Abteilung schrieb HPB am 23. Oktober 1889 an Judge:
Die Esoterische Abteilung und ihr Leben in den USA hängen von WQ J ab, der ihr Bevollmächtigter bleibt und das, was er jetzt ist. An dem Tag, an dem WQ J zurücktritt, wird HPB für die Amerikaner faktisch tot sein. WQ J ist das Antaskaraṇa [Brücke] zwischen den zwei Manas (en), dem amerikanischen Denken und dem indischen – oder besser dem transhimalajanischen Esoterischen Wissen. DIXI
HPB ∴
PS: WQ J sollte lieber das alles denen zeigen und deren Gemüt einprägen, die es betrifft, HPB
In diesen letzten Lebensjahren von H. P. Blavatsky kam die Flut der Lehre, die für die Welt so wichtig ist. Theosophie war weder orientalisch noch westlich, sondern vielmehr eine Erneuerung der ewigen Tradition, der Urquelle der Weisheit. Diese Begriffe waren dem östlichen Denken nicht neu. Aber es bestand die Hoffnung, das schlafende Asien zu individueller religiöser Freiheit für alle seine Völker zu wecken, unabhängig von Kaste oder Geschlecht. Für den Westen, ein Land, in dem in Wissenschaft und Theologie Materialismus herrschte und keine gültigen Erklärungen für die psychischen Erscheinungen geboten wurden, war sie jedoch eine Offenbarung.
Die Zeitspanne gewährt eine bessere Übersicht, und wir können heute, nach über einem Jahrhundert, bis zu einen gewissen Grad H. P. Blavatskys Beziehung zur Theosophischen Gesellschaft erkennen und ihre Bemühung, sie davor zu bewahren, nur eine weitere Organisation außerhalb des Einflusses ihrer Lehrer zu werden. Wir können auch verstehen, warum sie so an die amerikanischen Mitglieder schrieb und William Q. Judge als einen ehrte, der ihre wahre Position und die tiefere Bedeutung der theosophischen Aufgabe richtig einzuschätzen vermochte, nämlich: Die Errichtung einer Körperschaft, durch welche die nötigen spirituellen Lebenskräfte und Ideen fließen würden, um die Menschheit zu erheben, nicht nur in ihrer Zeit und in dem kommenden Jahrhundert, sondern während des ganzen vor uns liegenden messianischen Zyklus. Dafür gab sie ihr Leben.
Fußnoten
1. H. P. Blavatskys „Scrap-Books“ zitiert in The Golden Book of the Theosophical Society, S. 19. [back]
2. Präambel und Statuten der Theosophischen Gesellschaft, 30. Oktober 1875. An diesem Tag wurde Henry S. Olcott zum Präsidenten gewählt, H. P. Blavatsky zum korrespondierenden Sekretär und William Q. Judge zum Berater der Gesellschaft. [back]
3. Die Theosophische Gesellschaft: Ihr Ursprung, ihr Plan und ihre Ziele. [back]
4. Von Abner Doubleday an Elliot Coues gesandter Bericht. Er ist ohne Datum, aber wahrscheinlich 1885 geschrieben, als Professor Coues im Juli jenes Jahres Präsident des Amerikanischen Kontrollauschusses der TG wurde.
General Doubleday trat der Theosophischen Gesellschaft bald nach ihrer Gründung bei und unterstützte ihre Arbeit unentwegt bis zu seinem Tod im Jahr 1893.
Alexander Wilder, M. D., Platon-Gelehrter und Schriftsteller, wurde von Verlegern J. W. Bouton beauftragt, Isis Unveiled herauszugeben. Als Folge davon wurde er persönlicher Freund von H. P. Blavatsky und trat der Gesellschaft 1876 bei. Der von General Doubleday erwähnte „Rücktritt“ betraf nur seine Ernennung zum Vize-Präsidenten der Gesellschaft im Jahr 1897. Er meinte, dass die Gesellschaft einen wirkungsvolleren Beauftragten zur Förderung ihrer Sache benötigte. Er blieb bis zur Jahrhundertwende aktives Mitglied. [back]
5. H. P. Blavatsky an A. B. Griggs, 16. Februar 1881, Kopie in Doubledays Notizbuch Nr. 8, S. 104; siehe auch A Report of the Sixth Aniversary of the Theosophical Society, Bombay, 12. Januar 1882; S. 6.
Am 7. März 1879, drei Wochen nach ihrer Ankunft in Indien, mieteten Mme. Blavatsky und Oberst Olcott ein kleines Haus im Zentrum von Bombay in der Girgaum Back Road 108. Bis Dezember 1880 diente es als Hauptstelle für ihre theosophischen und redaktionellen Tätigkeiten. Dann bezogen sie einen geräumigeren Bungalow, „TheCrow’s Nest“ in Breach Candy in den Außenbezirken von Bombay. Hier blieben sie bis Dezember 1882, als eine formelle Hauptstelle für die Theosophische Gesellschaft in Adyar, Madras, errichtet wurde. [back]
6. Ebenda, S. 11. [back]
7. 1923 unter dem Titel The Mahatma Letters to A. P. Sinnett veröffentlicht, zusammengestellt und herausgegeben von A. Trevor Barker. [back]
8. Siehe The Mahatma Letters to A. P. Sinnett, S. 227, 292, 323, 356, 364. [back]
9. Das Board of Control war ein Exekutiv-Komitee an der Hauptstelle, das Oberst Olcott durch besondere Anordnung ernannt hatte und das für Finanzen, Verwaltung und Aufsicht der Gesellschaft zuständig war, während er in Europa weilte (siehe Supplement to the Theosophist, Februar und März 1884). [back]
10. „HPBs Abreise“ Lucifer, August 1891, S. 447. [back]
11. Proceedings of the Society for Psychical Research, Dezember 1885, S. 207; siehe auch Charles Ryans H. P. Blavatsky and the Theosophical Movement, Kapitel 13; und Obituary: The „Hodgson Report“ on Madame Blavatsky von Adlai E. Waterman. [back]
12. Lucifer, August 1891, S. 447. Es sollte daran gedacht werden, dass Oberst Olcott von Beruf Rechtsanwalt war und dass er während des Bürgerkrieges zum Sonderbeauftragten des Kriegsministeriums (USA), ernannt worden war und dafür verantwortlich war, Betrügereien seitens Vertragspartnern gegen die Regierung aufzudecken. [back]
13. Supplement to The Theosophist, Mai 1885, S. 195. [back]
14. The Theosophist, März 1925, S. 784-785. [back]
15. Verfasserin von Light on the Path, Through the Gates of Gold und weiteren Werken. [back]
16. Letters from the Masters of the Wisdom, Erste Serie, Brief 47, 5. Auflage. [back]
17. Siehe: Practical Occultism From the Private Letters of William Q. Judge, S. 109-110. [back]
18. Ebenda. S. 112. [back]
19. Supplement in The Theosophist, Juli 1883, S. 10. [back]
20. Siehe: H. P. Blavatsky: Colleted Writings, Band 6, S. 250-254. [back]
21. Upasika bedeutet „Schülerin“. Die Bezeichnung wurde von den Meistern oft für H. P. Blavatsky gebraucht. [back]
22. Letters from the Masters of theWisdom, First Series, Brief 19, 5. Auflage. [back]
23. Damals entstanden unvermeidlich „pseudo-esoterische und pseudo-okkulte Gesellschaften“ auf die sich HPB in ihrem Brief von 1889 als „unsere heimtückischsten Feinde“ bezieht. Gegen diese Pseudo-Theosophie protestierte sie heftig; siehe Lucifer, März 1889, S. 1-12. [back]
24. General Report of the Thirteenth Convention and Anniversary of the Theosophical Society, Adyar, Madras, 27. bis 29. Dezember 1888, S. 3-4. [back]
25. Supplement to the Theosophist, März 1890, S. CVII. [back]
26. Supplement to the The Theosophist, August 1890, S. 9. [back]