H. P. Blavatsky an die Amerikanischen Konvente 1888–1891
Helena Petrovna Blavatsky
III – 1890
Vierter Jahreskonvent – 27./28. April
Amerikanische Abteilung der Theosophischen Gesellschaft
Palmer House, Chicago, Illinois.
In Namem von H. P. Blavatsky von Bertram Keightley auf der Nachmittagsversammlung des 27. April vorgetragenene Botschaft.
Wörtlich wiedergegeben aus dem gedruckten Report of Proceedings, S. 27–30.
Das folgende Telegramm erhielt William Q. Judge kurz nach der Vertagung:
LONDON, 26. APRIL 1890
JUDGE, GENERALSEKRETÄR
GRÜSSE ZUM KONVENT, ZU KRANK UM PERSÖNLICH ZU SCHREIBEN
H. P. BLAVATSKY
IM NAMEN VON MADAME H. P. BLAVATSKY VON BERTRAM KEIGHTLEY MITGETEILTE BOTSCHAFT
H. P. Blavatsky hat mich angewiesen, Ihnen zu verlesen, was ich auf ihren Wunsch hin für sie zum Konvent sagen soll, da sie zu krank gewesen ist, um Ihnen ihre übliche Grußbotschaft zu schreiben.
Theosophische Brüder und Mitarbeiter!
Der neue Zyklus, der für die Theosophie angefangen hat, beginnt schon Früchte zu tragen. Der Fortschritt der Bewegung im letzten Jahr ist deutlicher als je zuvor. Aber während uns das ermutigt, ist es auch eine Mahnung, dass die Erntezeit schnell herannaht und bald der Winter mit Stürmen und Unwettern folgen wird. Obwohl ich Ihnen allen, meine ernsthaften und aktiven Mitglieder, für unsere edle Sache, und besonders Ihnen, mein lieber Mitarbeiter Mr. William Q. Judge, gratuliere, muss ich Sie doch drängen, Ihre Bemühungen eher zu verstärken als nachzulassen.
Wenn wir auf das vergangene Jahr zurückblicken, sehen wir, wieviel durch die Kraft der Eintracht und durch selbstlose, ergebene Arbeit errecht worden ist. 1888/89 waren nur sechs neue Zweige in Amerika gebildet worden; dagegen sind im vergangenen Jahr fünfzehn zusätzliche Zweige organisiert worden, und die Zahl der Mitglieder ist proportional noch schneller gewachsen. Aber noch wichtiger ist die bemerkenswerte geistige Veränderung unter den Mitgliedern bezüglich der Gesellschaft und ihrer Arbeit und der Bemühung, anderen zu helfen, als irgendein vorangegangenes Jahr in der Geschichte der Gesellschaft im Westen. Es gibt sichtbare Zeichen, obwohl sie nur allmählich erkennbar werden, dass ihre Mitglieder endlich aus ihrer Gleichgültigkeit erwachen und sich ernsthaft an die Arbeit machen, das erste Prinzip echter Theosophie – UNIVERSALE BRUDERSCHAFT – auszuüben. Allmählich regt sich in ihnen das Pflichtgefühl, anderen zu helfen, wie ihnen geholfen worden ist, indem sie die Kenntnis der lebenspendenden Wahrheiten der Theosophie allen erreichbar machen. Das ‘Tract Mailing Scheme’ [der Werbeschriften Postversand-Plan, Anm. d. Ü.] wird in zunehmendem Maß unterstützt; mehr Mitarbeiter bieten ihre Unterstützung an und mehr Geldmittel stehen zur Verfügung, um die Arbeit noch wirksamer und eifriger fortsetzen zu können. Die Zweige an der Pazifik-Küste haben ein Beispiel dafür gegeben, diese Aufgabe als Zweigarbeit in systematischer und organisierter Weise auszuführen;Würde und Eifer der dortigen Mitarbeiter verdienen viel Lob. Allen Dank verdienen auch die vielen treuen und ernsthaften Mitglieder in Amerika, die meinen Hilfe-Appell für die weitere Veröffentlichung des Luzifer so edel und großzügig beantworteten. Meinen herzlichsten Dank entbiete ich jedem einzelnen persönlich. Die Früchte ihrer Bemühungen werden in der zukünftigen Entwicklung der Zeitschrift erkennbar sein.
In England war das vergangene Jahr Zeuge eines schnellen Wachstums. Die Gesellschaft und ihre Arbeit haben sich stark ausgeweitet. Unsere Sache hat zwei edle und ergebene Anhänger gewonnen, deren Namen seit vielen Jahren im Zusammenhang mit allen Bemühungen, der leidenden Menschheit echte Hilfe zu bringen, wohlbekannt sind – Annie Besant and Herbert Burrows. Mit ihnen hat unsere Gesellschaft im Westen wort- und schriftbegabte Vertreter gewonnen. Sie füllen bis zu einem gewissen Grad die lang und schwer empfundene Lücke der Redner, die einer großen Zuhörerschaft die Theosophie in ihrem wahren Licht darstellen können, und ich bin besonders Annie Besant für ihre unschätzbare Unterstützung und Mitarbeit an der Leitung des Luzifer tief verpflichtet.
In den vergangenen zwölf Monaten sind hier neue Zweige gegründet worden. Eine große Anzahl von Mitgliedern ist zu uns gestoßen, während die Zunahme des allgemeinen Interesses an Theosophie im veränderten Ton der Presse und in den häufigen Briefen und Artikeln über das Thema Theosophie sichtbar wird. Das Interesse in London ist so stark gewachsen, dass wir eine große Versammlungshalle in der neuen Hauptstelle bauen müssen, wohin wir im August unsere wöchentlichen Versammlungen der Blavatsky-Loge verlegen werden,weil unser altes Heim viel zu klein ist, um die Zahl der Fragesteller unterbringen zu können, die die Versammlungen besuchen.
Oberst Olcotts verlängerter Aufenthalt in England war eine große Hilfe für unsere Arbeit. Seine Vorträge in England und Irland waren der Anlass zur Gründung mehrerer neuer Zweige. Sein Beispiel und sein Einfluss haben nach allen Seiten hin viel Gutes bewirkt. Für mich war seine Anwesenheit eine große Freude und Befriedigung. Die vermehrte Kraft machte sich in allen Teilen unserer Arbeit bemerkbar, als die „beiden Gründer“ wieder einmal Seite an Seite standen. Ich bedauerte es sehr, ihn nach Indien abreisen zu sehen, ohne seinen versprochenen Besuch in Amerika wahrnehmen zu können. Aber die Gesellschaft im Osten benötigt seine Anwesenheit am meisten, und der Tod von Mr. Powell machte seine direkte Rückkehr unumgänglich. Obwohl ich Mr. Powell nicht persönlich kannte, kann ich nicht umhin, mit tiefempfundener Dankbarkeit für die ausgezeichnete Arbeit, die er für die Gesellschaft leistete, und für die Vornehmheit seiner völligen Aufopferung im Dienste der Menschheit seiner herzlich zu gedenken. Auf der Rückreise nach Indien wurde Oberst Olcott von zwei Mitarbeitern unseres hiesigen Stabes begleitet, Mr. Bowles Daly and Mr. E. D. Fawcett, deren Anwesenheit in Adyar, wie ich glaube, für meinen geliebten Mitarbeiter, unseren Gründer-Präsidenten von großem Wert sein wird.
Ein großer Teil dieser Ergebnisse ist der zusätzlichen Kraft und vor allem dem verstärkten Geist der Solidarität zuzuschreiben, den die Tätigkeit der Esoterischen Abteilung der Theosophischen Gesellschaft zugeführt hat. Den Mitgliedern dieser Abteilung sage ich: Seht und erkennt die bedeutenden Ergebnisse, die durch jene erzielt werden können, die es wirklich ernst meinen und sich selbstlos zusammentun, um für die Menschheit zu arbeiten. Das Ergebnis dieses Jahres sollte Ihnen mit unverkennbaren Zeichen die gewichtige Verantwortung zeigen, die auf Ihnen nicht nur gebenüber der Gesellschaft, sondern gegenüber der ganzen Menschheit ruht. Lassen Sie deshalb nicht einen Augenblick in Ihren Bemühungen nach; rücken Sie jeden Tag Schulter an Schulter enger zusammen; stehen Sie alle wie ein Mann, was auch kommen mag, schönes Wetter oder Sturm, und der Sieg der Sache, der Sie sich verpflichtet haben, ist sicher. Wenn Sie sich so im Gleichklang mit Ihrem Höheren Selbst bemühen, müssen und werden Ihre Anstrengungen für die Gesellschaft für Sie selbst und für die Menschheit Gutes erbringen. Die kommenden Jahre werden ein stetiges, gesundes Wachstum, eine starke, geeinte Organisation, ein dauerhaftes, zuverlässiges und wirksames Instrument hervorbringen, bereit für die Hände der Meister. Wenn Sie erst einmal in echter Solidarität, im wahren Geist Universaler Bruderschaft vereint sind, kann keine Macht Sie besiegen, kein Hindernis Ihren Fortschritt aufhalten, keine Schranke den Vormarsch der Theosophie im kommenden Jahrhundert hemmen.
Doch genug von der Vergangenheit. Möge uns die Ermutigung aus dem Rundblick über die Ergebnisse des vergangenen Jahres als Ansporn zu größeren Leistungen und eifrigeren Anstrengungen dienen. Macht allen fühlbar, dass hinter der Gesellschaft eine Macht steht, die uns die nötige Stärke gibt und uns befähigt, die Welt zu bewegen, wenn wir nur einig sind und als ein Herz und eine Seele arbeiten. Die Meister verlangen nur, dass jeder sein Bestes tut, und vor allem, dass jeder sich tatsächlich bemüht, mit seinen Mitarbeitern einig zu sein. Stupide Übereinstimmungen in intellektuellen Fragen oder unmögliche Einstimmigkeit in allen Arbeitsdetails sind nicht notwendig, sondern eine echte, herzliche, ensthafte Hingabe an unsere Sache, die jeden veranlasst, seinen Bruder nach besten Kräften in der Arbeit für diese Sache zu unterstützen, ob wir mit der Arbeitsmethode genau übereinstimmen oder nicht. Der einzige Mensch dessen Methode absolut falsch ist, ist derjenige, der nichts tut. Jeder kann und sollte mit allen und alle mit jedem bei der Förderung der Aufgabe, Theosophie jedem Mann und jeder Frau im Land nahezubringen, in einem großherzigen Geist der Kameradschaft zusammenarbeiten.
Lassen Sie uns vorwärtsschauen und nicht zurück. Was bringt das kommende Jahr? Zuerst ein warnendes Wort. Mit dem Voranschreiten der Vorbereitung für den neuen Zyklus und mit dem Erscheinen der Vorläufer der neuen Unterrasse auf dem amerikanischen Kontinent beginnen die latenten psychischen und okkulten Kräfte im Menschen zu keimen und zu wachsen. Daher das schnelle Anwachsen solcher Bewegungen wie Christian Science, Mentalheilung, Metaphysische Heilung und Geistheilung usw. Alle diese Bewegungen sind lediglich verschiedene Phasen der Anwendung dieser heranwachsenden Kräfte – die nur zu oft unwissentlich missbraucht werden, weil sie noch nicht verstanden werden. Begreifen Sie ein für allemal, dass in keiner dieser Bewegungen irgendetwas Spirituelles oder Göttliches ist. Die durch sie bewirkten Heilungen sind einfach ein Ergebnis der unbewussten Anwendungen okkulter Kräfte auf den niedrigeren Ebenen der Natur – gewöhnlich von Prāṇa oder Lebensströmen. Die widersprechenden Theorien all dieser Schulen beruhen auf missverstandener und falsch angewandter Metaphysik und oft auf grotesken, absurden, logisch falschen Schlüssen. Den meisten von ihnen ist jedoch ein Merkmal gemeinsam, das die größte Gefahr für die nahe Zukunft darstellt! Sie besteht darin, dass der Grundton der Lehren dieser Schulen die Leute dazu führt, den Heilungsprozess als etwas anzusehen, das auf das Denkvermögen angewendet wird. Hierin liegt die Gefahr, denn jeder solcher Vorgang – wie schlau er auch immer in Worte verkleidet und hinter Masken verborgen wird – bedeutet einfach eine psychologische Beeinflussung des Patienten. Mit anderen Worten, immer wenn der Heiler – bewusst oder unbewusst – in die freie mentale Tätigkeit seines Patienten eingreift, ist das – Schwarze Magie. Schon werden die sogenannten Wissenschaften des „Heilens“ zum Erwerb des Lebensunterhalts verwendet. Bald wird irgendeine gerissene Person herausfinden, dass mit der gleichen Methode das Bewusstsein anderer in viele Richtungen beeinflusst werden kann. Und wenn dem selbstsüchtigen Motiv persönlichen Gewinns und Gelderwerbs erst einmal erlaubt wurde Fuß zu fassen, kann der ehemalige „Heiler“ unmerklich dazu verlockt werden, seine Fähigkeiten zur Erlangung von Reichtum oder eines anderen Wunschziels einzusetzen.
Das ist eine der Gefahren des neuen Zyklus, die durch den Wettbewerbsdruck und den Existenzkampf enorm verstärkt werden. Zum Glück entstehen auch neue Bestrebungen, die darauf abzielen, die Grundlage des täglichen Lebens der Menschen von der Selbstsucht zum Altruismus hin zu verändern. Das Nationalist Movement ist eine Anwendung von Theosophie. 1 Aber denken Sie allen daran, wenn Nationalismus eine Anwendung der Theosophie ist, dass Theosophie von Ihnen stets an erster Stelle gesehen werden muss. Theosophie ist in der Tat das Leben, der innewohnende Geist, der jede echte Reform zu einer vitalen Realität macht, denn Theosophie ist Universale Bruderschaft und sowohl das wahre Fundament als auch die Hauptstütze einer jeden Bewegung zur Verbesserung unserer Lage.
Was ich letztes Jahr sagte, bleibt auch heute wahr: Die Ethik der Theosophie ist wichtiger als jede Enthüllung psychischer Gesetze und Fakten. Letztere beziehen sich ganz auf den materiellen und vergänglichen Teil des siebenfältigen Menschen. Aber die Ethik senkt sich in den wirklichen Menschen – das reinkarnierende Ego – und ergreift ihn. Äußerlich sind wir nur ein Eintagsgeschöpf; innerlich sind wir ewig. Lernen Sie also gut die Lehren von Karma und Reinkarnation und lehren, praktizieren und verkünden Sie das System des Lebens und Denkens, das allein die künftigen Rassen retten kann. Arbeiten Sie nicht bloß für die Theosophische Gesellschaft, sonder durch sie für die Menschheit.
Möge die Theosophie mehr und mehr zu einer lebendigen Kraft im Leben eines jeden unserer Mitglieder heranwachsen und möge das kommende Jahr noch mehr gute Arbeit und gesunden Fortschritt zeitigen als das gerade zu Ende gehende. Das ist der Wunsch Ihrer bescheidenen Mitarbeiterin und Gefährtin.
Fußnoten
1. [Im Januar 1888 veröffentliche Edward Bellamy Looking Backward, 2000–1887, indem eine neue Ordnung vorhergesehen wurde, die sich auf menschliche Bruderschaft und wirtschaftliche und soziale Gleichheit aller Menschen gründete. Als Folge wurden Nationalisten-Klubs zuerst in Boston, Mass., dann im ganzen Land organisiert. Diese Klubs fanden die Unterstützung der Theosophie, die in der Nationalistenbewegung ein praktisches Mittel sahen, ihr Ideal der Universalen Bruderschaft zu fördern. Als sich die Bewegung jedoch 1890 mit Politik verband, verlor sie die Unterstützung der Theosophen, und in wenigen Jahren war ihr Impuls verschwunden. Siehe Edward Bellamy von Arthur E. Morgan, 1948, S. 260–275; siehe auch The Key to Theosophy von H. P. Blavatsky, S. 44–45 der engl. Ausgabe. – K. V. M.] [back]
Die Stimme der Stille
Helena Petrovna Blavatsky
FRAGMENT I.
Wenn Sie mit der Maus über die hervorgehobenen Begriffe hovern, öffnet ein Tooltip mit dem entsprechenden Glossareintrag.
Diese Unterweisungen sind für jene, die noch nicht wissen, wie gefährlich die niederen IDDHI sind.
Wer die Stimme des Nāda, »den tonlosen Ton« hören und verstehen will, muß zunächst die Natur von Dhāraņā begreifen lernen.
Nachdem der Schüler gegenüber Objekten der Wahrnehmung gleichgültig geworden ist, muß er den Raja der Sinne, der die Gedanken schafft und die Illusion hervorbringt, ausfindig machen.
Der niedere Gehirnverstand ist der Schlächter des Wirklichen.
Der Schüler muß daher den Schlächter erschlagen.
Denn:
Wenn ihm seine eigene Erscheinungsform so unwirklich vorkommt wie im Wachzustand alle Formen, die er im Traume sieht;
Wenn er aufgehört hat, die vielen (Töne)1 zu hören, vermag er den EINEN wahrzunehmen - den inneren Ton, der die äußeren zum Schweigen bringt.
Dann erst, nicht früher, wird er Asat, der falschen Region entsagen, um in das Reich von Sat, zum Wahren, zu gelangen.
Bevor die Seele sehen kann, muß die innere Harmonie erlangt und müssen die irdischen Augen für jede Illusion blind gemacht worden sein.
Bevor die Seele hören kann, muß das Ebenbild (der Mensch) taub sein gegen Getöse und Flüsterstimmen, gegen das Trompeten wilder Elefanten ebenso wie gegen das feine Sirren der goldenen Feuerfliege.
Bevor die Seele begreifen und sich rückerinnern kann, muß sie eins sein mit dem stillen Sprecher, so wie die Form, nach der der Ton modelliert wurde, zunächst mit der Vorstellung des Töpfers eine Einheit bildete.
Dann wird die Seele hören und sich erinnern.
Zum inneren Ohr wird dann DIE STIMME DER STILLE sprechen und sagen:
Wenn deine Seele lächelt, während sie im Sonnenlicht deines Lebens badet; wenn deine Seele inmitten ihrer Puppe aus Fleisch und Materie singt; wenn deine Seele in ihrem Schloß der Illusion weint und wenn deine Seele sich bemüht, den Silberfaden zu zerreißen, der sie an den MEISTER bindet, dann wisse, o Schüler, daß deine Seele irdisch ist.
Wenn deine knospende Seele ihr Ohr dem Weltgetümmel leiht, wenn sie Antwort gibt dem Stimmengebraus der großen Illusion, wenn sie beim Anblick heißer Schmerzenstränen zurückschreckt, wenn sie sich, von den Verzweiflungsschreien betäubt, der scheuen Schildkröte gleich, in den Panzer der SELBSTHEIT zurückzieht, dann lerne, Schüler, daß deine Seele ihrem schweigenden »Gott« kein würdiger Schrein ist.
Wenn deine Seele mit zunehmender Kraft ihrem sicheren Zufluchtsort entschlüpft, sich losreißt aus dem schützenden Licht, ihren Silberfaden ausdehnt und vorwärtsstürmt; wenn sie ihr Bild auf den Wogen des Raums wahrnimmt und flüstert: »Dies bin ich«, – dann, Schüler, mache dir klar, daß deine Seele in den Netzen der Täuschung gefangen ist.
Diese Erde, Schüler, ist die Halle des Leides. In ihr befinden sich, entlang des Pfades Fallen schrecklicher Prüfungen, um dein EGO durch die Selbsttäuschung, »die Große Ketzerei« genannt, zu fangen.
Diese Erde, o unwissender Schüler, ist nur der düstere Eingang, der zum Dämmerlicht führt, das vor dem Tal des wahren Lichts schimmert – jenem Licht, das kein Wind zu löschen vermag und das ohne Docht und Brennstoff brennt.
Das Große Gesetz besagt: – »Um zum KENNER des ALLSELBST zu werden, mußt du zuerst Kenner des SELBST sein.« Um die Kenntnis jenes SELBST zu erlangen, mußt du das Selbst dem Nichtselbst, das Sein dem Nichtsein opfern. Dann kannst du zwischen den Schwingen des GROSSEN VOGELS ausruhen. Fürwahr, süß ist die Ruhe zwischen den Schwingen dessen, das weder geboren wurde noch stirbt, sondern das AUM ist durch ewige Zeitalter.
Besteige den Vogel des Lebens, wenn du wissen willst.
Gib dein Leben auf, wenn du leben möchtest.
Drei Hallen, o müder Pilger, führen zum Ende der Mühen. Drei Hallen, o Besieger von Māra, werden dich durch drei Zustände in den vierten und von da in die sieben Welten, in die Welten ewiger Ruhe bringen.
Wenn du ihre Namen lernen willst, dann höre zu und merke dir:
Der Name der ersten Halle ist UNWISSENHEIT – Avidyā.
Es ist die Halle, in der du das Licht erblicktest, in der du lebst und sterben wirst.
Der Name der zweiten Halle ist Halle des Lernens2. In ihr wird deine Seele die Blüten des Lebens finden, unter jeder Blume ringelt sich jedoch eine Schlange.
Der dritten Halle Name ist Weisheit. Hinter ihr erstrecken sich die uferlosen Wasser von AKSHARA, der unzerstörbaren Quelle der Allwissenheit.
Wenn du die erste Halle heil durchqueren willst, dann lasse dein Bewußtsein die dort brennenden Feuer der Sinneslust nicht fälschlich für das Sonnenlicht des Lebens halten.
Wenn du die zweite Halle sicher durchschreiten willst, dann bleibe nicht stehen, um den Duft ihrer betäubenden Blüten einzuatmen. Wenn du von den karmischen Ketten frei werden willst, dann darfst du in diesen māyāvischen Reichen nicht deinen Guru suchen.
Die WEISEN halten sich nicht in den Lustgärten der Sinne auf.
Die Weisen beachten nicht die verlockenden Stimmen der Illusion.
Suche den, der dir zur Geburt verhelfen kann, in der Halle der Weisheit, in der Halle, die dahinter liegt, in der man keine Schatten kennt und wo das Licht der Wahrheit mit unvergänglicher Herrlichkeit strahlt.
Das Unerschaffene wohnt in dir, o Schüler, wie es in jener Halle wohnt. Wenn du zu ihm gelangen und die zwei vereinigen willst, dann mußt du dich deiner dunklen Gewänder der Illusion entledigen. Unterdrücke die Stimme des Fleisches, erlaube keinem Bild der Sinne, sich zwischen sein und dein Licht zu drängen, damit sich die zwei in eins vermengen können. Nachdem du dein eigenes Ajñāna erkannt hast, fliehe aus der Halle des Lernens. Diese Halle ist in ihrer trügerischen Schönheit gefährlich. Sie ist nur zu deiner Prüfung nötig. Sieh’ dich vor, Lanu, daß deine Seele, vom Glanz der Illusion geblendet, nicht aufgehalten und in ihrem irreführenden Licht gefangen wird.
Dieses Licht strahlt vom Juwel des Großen Schlingenlegers (Māra) aus. Es bezaubert die Sinne, verblendet den Verstand und läßt den Achtlosen als preisgegebenes Wrack zurück.
Es ist der Motte Schicksal, die von der blendenden Flamme deines Nachtlichts angezogen wird, im zähen Öl umzukommen. Die unbedachte Seele, die es versäumt, sich mit dem höhnenden Dämon der Illusion auseinanderzusetzen, wird als der Sklave Māras zur Erde zurückkehren.
Sieh’ dir die Seelenscharen an. Beobachte, wie sie über dem sturmbewegten Meer des menschlichen Lebens schweben und wie sie erschöpft, blutend und mit gebrochenen Schwingen, eine nach der anderen, in die wogenden Wellen stürzen. Geschüttelt von grimmigen Winden, sturmgejagt, treiben sie in den Wirbeln und verschwinden im ersten großen Strudel.
Wenn du durch die Halle der Weisheit zum Tal der Glückseligkeit gelangen willst, Schüler, dann verschließe deine Sinne fest gegen die große, schreckliche Ketzerei des Sonderseins, die dich von den anderen fernhält.
Lasse nicht dein »Himmelgeborenes«, versunken im Meer von Māyā, sich von seinem universalen Ursprung [der (Welt-) SEELE] trennen, lasse vielmehr die feurige Kraft sich in die innerste Kammer, die Herzenskammer und die Wohnstatt der Welten-Mutter zurückziehen.
Dann wird sich aus dem Herzen jene Kraft in die sechste mittlere Region, die zwischen deinen Augen liegt, erheben; und dann wird sie zum Atem der EINEN SEELE, zur alles erfüllenden Stimme, zur Stimme deines Meisters.
Erst dann kannst du ein »Himmelswanderer« werden, der die Winde über den Wogen durchmißt und dessen Tritt die Wellen nicht berührt.
Bevor du deinen Fuß auf die oberste Sprosse der Leiter setzen kannst, der Leiter der mystischen Töne, mußt du die Stimme deines inneren GOTTES3 in sieben Arten vernehmen.
Die erste gleicht der süßen Stimme der Nachtigall, die für ihre Gefährtin einen Abschiedsgesang anstimmt.
Die zweite kommt gleich dem Ton einer Silberzimbel der Dhyānis, um die funkelnden Sterne wachzurufen.
Die nächste ist wie die melodische Klage des in seiner Muschel eingekerkerten Meergeistes.
Auf diese folgt sodann der Gesang der Vīņā.
Die fünfte schrillt gleich dem Schall der Bambusflöte dir ins Ohr.
Dann wandelt sie sich zum schmetternden Trompetenstoß.
Die folgende dröhnt gleich dem dumpfen Rollen der Gewitterwolke.
Der siebente Ton nimmt all die anderen auf. Sie vergehen und werden hinfort nicht mehr gehört.
Wenn die sechs erschlagen und vor des Meisters Füße gelegt sind, ist der Schüler in das EINE eingegangen. Er wird das EINE und lebt in ihm.
Bevor jener Pfad betreten wird, mußt du deinen lunaren Körper vernichten, deinen Gedankenkörper säubern und dein Herz rein machen.
Des ewigen Lebens reine Wasser, klar und durchsichtig, können sich nicht mit den schlammigen Strömen der Monsunstürme mischen.
Des Himmels Tautropfen, der im ersten Sonnenstrahl des Morgens im Kelch des Lotus glitzert, wird zum Lehmklümpchen, wenn er zur Erde fällt. Sieh’, nur ein Schlammfleck ist die Perle jetzt.
Ringe daher deine unreinen Gedanken nieder, bevor sie dich überwältigen. Mache mit ihnen, was sie mit dir tun würden, denn, wenn du sie schonst, und sie Wurzel fassen und wachsen läßt, dann wisse, daß diese Gedanken dich überwältigen und töten werden. Hüte dich, Schüler, gestatte nicht einmal ihrem Schatten, sich dir zu nähern. Denn er wird wachsen, zunehmen an Größe und Macht, und dann wird dieses finstere Ding von deinem Wesen Besitz ergreifen, ehe du noch des schwarzen, widerwärtigen Scheusals Gegenwart richtig begriffen hast.
Bevor die »mystische Kraft«4 aus dir, Lanu, einen Gott machen kann, mußt du erst die Fähigkeit erworben haben, deine lunare Form nach Belieben zu vernichten.
Das materielle Selbst und das geistige SELBST können nie zusammenkommen. Eines der beiden muß verschwinden. Für beide gibt es keinen Platz.
Ehe deiner Seele Geist verstehen kann, muß die Knospe der Persönlichkeit ausgerissen und der Wurm der Sinne endgültig zertreten sein.
Du kannst nicht auf dem Pfad vorwärts schreiten, ehe du nicht selbst dieser Pfad bist.
Lasse deine Seele jedem Schmerzensschrei ihr Ohr leihen, so wie der Lotos sein Inneres enthüllt, um die Morgensonne aufzunehmen.
Lasse die sengende Sonne keine einzige Schmerzensträne trocknen, die du nicht selbst vorher vom Auge des Leidenden weggewischt hast.
Lasse vielmehr jede heiße Menschenträne auf dein Herz tropfen und dort verweilen. Wische sie erst weg, wenn der Schmerz, der sie gebar, beseitigt ist.
O du, dessen Herz erfüllt von Mitleid ist, diese Tränen sind Ströme, welche die Gefilde der unsterblichen Barmherzigkeit tränken. Auf solchem Boden wächst die mitternächtige Blüte Buddhas, die schwieriger zu finden und seltener zu sehen ist als des Vogay-Baumes Blüte. Sie ist der Same zum Befreitsein von künftiger Wiedergeburt. Sie löst den Arhat von Streit und Lust, sie führt ihn durch die Gefilde des Seins zu einem Frieden und zu einer Glückseligkeit, wie sie nur im Land der Stille und des Nichtseins wahrzunehmen sind.
Besiege die Begierde, aber wenn du das tust, dann hab’ acht, daß sie nicht wieder neu ersteht.
Gib die Liebe zum Leben auf, falls du aber tanhā niederringst, dann tu’ dies nicht aus Durst nach ewigem Leben, sondern um das Flüchtige durch das Immerwährende zu ersetzen.
Begehre nichts. Lehne dich weder gegen Karma noch gegen die unabänderlichen Gesetze der Natur auf. Kämpfe allein mit dem Persönlichen, dem Vorübergehenden, Flüchtigen und Vergänglichen.
Hilf der Natur und arbeite mit ihr zusammen. Dann wird die Natur dich als einen ihrer Schöpfer betrachten und dir gehorsam sein.
Sie wird vor dir die Pforten ihrer geheimen Gemächer weit öffnen und vor deinem Blick die Schätze offenbaren, die in den innersten Tiefen ihres reinen, jungfräulichen Herzens verborgen sind. Von materieller Hand unberührt, zeigt sie ihre Schätze nur dem geistigen Auge – dem Auge, das sich niemals schließt, dem Auge, dem in allen ihren Reichen nichts verschleiert bleibt.
Dann wird sie dir die Mittel und Wege zeigen, das erste, das zweite, das dritte Tor, bis hin zum siebenten und schließlich das Ziel, hinter dem, gebadet im Sonnenlicht des Geistes, die unaussprechliche Herrlichkeit liegt, die nur vom Auge der Seele gesehen werden kann.
Es gibt nur einen Weg zum Pfad. Nur an seinem Ende kann die »Stimme der Stille« vernommen werden. Die Sprossen der Leiter, auf der der Kandidat emporsteigt, bestehen aus Leiden und Schmerzen. Sie können nur durch die Ausübung von Tugend getilgt werden. Darum wehe dir, Schüler, wenn auch nur ein Laster verbleibt, das du noch nicht überwunden hast; dann wird die Leiter nachgeben und dich zu Fall bringen. Ihr unteres Ende steckt im tiefen Schmutz deiner Sünden und Fehler, und ehe du versuchen kannst, diesen weiten Abgrund der Materie zu überschreiten, mußt du deine Füße in den Wassern der Entsagung waschen. Hüte dich daher, einen noch beschmutzten Fuß auf die unterste Sprosse der Leiter zu setzen. Wehe dem, der es wagt, auch nur eine Sprosse mit schmutzigen Füßen zu entweihen. Der garstige, zähe Schlamm wird trocken und hart werden und die Füße an ihrem Platz festhalten. Wie ein Vogel, der vom Leim des schlauen Vogelfängers festgehalten wird, wird er an weiterem Fortschritt gehindert. Seine Laster werden Form annehmen und ihn hinabziehen. Seine Sünden werden ihre Stimmen gleich dem Gelächter und Geheul des Schakals nach Sonnenuntergang erheben, seine Gedanken werden sich zusammenrotten und ihn wie einen gefesselten Sklaven wegschleppen.
Bringe deine Begierden zum Verlöschen, Lanu, entmachte deine Laster, bevor du den ersten Schritt zur erhabenen Reise unternimmst.
Beseitige deine Sünden und mache sie für immer stumm, ehe du auch nur einen Fuß zum Besteigen der Leiter hebst.
Bringe deine Gedanken zum Schweigen und konzentriere deine ganze Aufmerksamkeit auf deinen Meister, den du zwar fühlst, doch noch nicht siehst.
Verschmelze deine Sinne in einen Sinn, wenn du vor dem Feind sicher sein willst. Durch diesen Sinn allein, der in der Höhlung deines Gehirns verborgen liegt, kann der steile Pfad, der dich zu deinem Meister führt, dem verschwommenen Blick deiner Seele offenbar werden.
Lang und beschwerlich, o Jünger, ist der Weg, der vor dir liegt. Ein einziger Gedanke an deine zurückliegende Vergangenheit wird dich niederziehen und du mußt den Aufstieg neu beginnen.
Lösche in dir alle Erinnerungen an frühere Erfahrungen. Blick’ nicht zurück, es wär’ dein Untergang! Glaube nicht, die Lust könnte jemals ausgelöscht werden, wenn sie befriedigt oder gesättigt wird. Dies ist eine von Māra inspirierte Abscheulichkeit. Gerade wenn dem Laster Nahrung gegeben wird, weitet es sich aus und erstarkt gleich dem Wurm, der sich im Inneren der Blüte mästet.
Bevor sich der Parasit durch ihr Inneres gefressen und ihren Lebenssaft getrunken hat, muß die aus ihrem elterlichen Stamm geborene Rose wieder zur Knospe werden.
Der goldene Baum treibt seine Juwelenknospen hervor, ehe sein Stamm vom Sturm gefällt wird.
Der Schüler muß seinen verlorenen Kindheitszustand wiederfinden, bevor der erste Ton in sein Ohr dringen kann.
Das Licht des EINEN Meisters, das eine, unvergängliche, goldene Licht des Geistes ergießt seine schimmernden Strahlen vom ersten Beginn an auf den Schüler. Seine Strahlen durchdringen die dichten, dunklen Wolken der Stofflichkeit.
Jetzt hier, jetzt da, erhellen diese Strahlen sie, wie Sonnenfunken durch das dichte Blätterwerk des wuchernden Dschungels auf die Erde fallen. Aber erst, wenn das Fleisch passiv, der Kopf kühl und die Seele stark und rein wie ein flammender Diamant geworden sind, o Schüler, werden die Strahlen die Kammererreichen. Sein Sonnenlicht könnte sonst das Herz nicht wärmen. Die mystischen Töne aus Ākāśas Höhen könnten, wie groß der Eifer zunächst auch sein mag, das Ohr nicht erreichen.
Wenn du nicht hörst, kannst du nicht sehen.
Wenn du nicht siehst, kannst du nicht hören. Hören und sehen ist die zweite Stufe.
Wenn der Schüler sieht und hört, wenn er riecht und schmeckt mit geschlossenen Augen, versperrten Ohren, ohne Mund und Nase zu gebrauchen, wenn sich die vier Sinne mischen und bereit sind, im fünften zu verschmelzen, dem Sinn der inneren Wahrnehmung – dann ist er in die vierte Stufe eingetreten.
Und in der fünften, o Vernichter deiner Gedanken, sind alle diese erneut so auszulöschen, daß sie nie wieder aufleben können.
Halte dein Denken von allen äußeren Objekten fern, von allen äußeren Ansichten. Enthalte dich innerer Bilder, damit sie keinen dunklen Schatten auf dein Seelenlicht fallen lassen.
Du bist nun in DHĀRANĀ, der sechsten Stufe.
Wenn du, o Glücklicher, in die siebente eingetreten bist, wirst du die heilige Drei nicht mehr wahrnehmen, denn du wirst jene Drei selbst geworden sein. Du selbst und dein Denken wie Zwillinge auf einer Linie, und oben flammt der Stern, dein Ziel. Die drei, in Herrlichkeit und unaussprechlicher Erhabenheit verweilend, haben jetzt in Māyās Welt ihren Namen verloren. Zum einen Stern sind sie geworden, zum Feuer, das zwar brennt, aber nicht versengt, zu jenem Feuer, das das Upādhi der Flamme ist.
Dies, o erfolgreicher Yogi, nennen die Menschen Dhyāna, den unmittelbaren Vorboten von Samādhi.
Jetzt ist dein Selbst im SELBST aufgegangen, du in DIR, verschmolzen mit JENEM SELBST, von dem du als Strahl einst deinen Anfang nahmst.
Wo, Lanu, ist nun deine Individualität, wo der sogenannte Lanu? Sie ist ein im Feuer aufgegangener Funke, der Tropfen im Meer, der immergegenwärtige Strahl, der zum Ganzen wurde, verschmolzen mit dem ewigen Glanz.
Und nun, Lanu, bist du der Handelnde und auch der Zeuge, der Strahlen Aussendende und auch der Strahl, das Licht im Ton und auch der Ton im Licht.
Du kennst die fünf Hindernisse, Gesegneter. Du bist ihr Überwinder, der sechsten Stufe Meister, der Verkünder der vier Wahrheiten. Das Licht, das auf sie fällt, geht von dir selber aus. Der du einst Schüler warst, bist nun zum Lehrer geworden.
Und was diese Wahrheiten betrifft: –
Hast du nicht Kenntnis allen Leids erfahren
– die erste Wahrheit?
Hast du nicht die zweite Wahrheit begriffen, den König der Māras bei Tsi, der Pforte des Zusammenbringens, besiegt?
Hast du nicht am dritten Tor zu sündigen aufgehört und die dritte Wahrheit verstanden?
Hast du nicht Tau, »den Pfad«, betreten, der zum Wissen führt – dir die vierte Wahrheit zu eigen gemacht?
So raste nun unter dem Bodhi-Baum, der die Vollendung allen Wissens bedeutet, denn wisse, du hast Meisterschaft im SAMĀDHI erlangt, in fehlerloser Vision.
Sieh’! Du bist das Licht geworden, du bist der Ton, dein Meister und dein Gott. Du bist DU SELBST, deiner Suche Ziel: die ununterbrochene STIMME, die widerhallt durch alle Ewigkeiten, von Wechsel frei, frei auch von Sünde, die sieben Töne in dem einen, die
DIE STIMME DER STILLE
Om Tat Sat
Die Geheimlehre Band 2
Helena Petrovna Blavatsky
῾Η ἐμὴ διδαχὴ οὐκ ἔστιν ἐμή, ἀλλὰ τοῦ πέμφαντός με.
„Meine Lehre ist nicht mein, sondern dessen, der mich gesandt hat.“
– Johannes 7,16
Die moderne Wissenschaft besteht auf die Evolutionslehre; dasselbe tun die menschliche Vernunft und die „Geheimlehre“. Die Idee wird von den alten Legenden und Mythen bekräftigt, selbst von der Bibel, wenn sie zwischen den Zeilen gelesen wird. Wir sehen eine Blume sich langsam aus einer Knospe entwickeln und die Knospe aus ihrem Samen. Aber woher kommt Letzterer mit all seinen vorherbestimmten physischen Transformationsprogrammen und mit seinen unsichtbaren und somit spirituellen Kräften, die allmählich Form, Farbe und Geruch der Pflanze entwickeln? Das Wort Evolution spricht für sich selbst. Der Keim der gegenwärtigen menschlichen Rasse muss schon vorher im Elter dieser Rasse existiert haben, so wie der Same, in dem die Blume des nächsten Sommers verborgen liegt, in der die Kapsel seiner elterlichen Blume entwickelt wurde; das Elter mag zwar nur geringfügig anders sein, unterscheidet sich aber dennoch von seiner zukünftigen Nachkommenschaft. Die vorsintflutlichen Vorfahren des heutigen Elefanten und der Eidechse waren vielleicht das Mammut und der Plesiosaurier; warum sollen nicht die „Riesen“ der Veden, der Völuspa und des Buches der Genesis die Vorfahren unseres Menschengeschlechts gewesen sein? Es ist geradezu absurd zu glauben, die „Transformation der Arten“ habe entsprechend der materialistischeren Anschauungen der Evolutionisten stattgefunden; die Überzeugung, von den Muscheln bis zum Menschen hätten die Gattungen ihre eigenen ursprünglichen und unverwechselbaren Formen verändert, ist natürlicher.
– „Isis Unveiled“, Band I, S. 153
[SD # 1]
VORBEMERKUNGEN
ÜBER DIE ARCHAISCHEN STANZEN
UND DIE VIER PRÄHISTORISCHEN KONTINENTE
„Facies totius Universi, quamvis infinitis modis variet,
Manet tamen semper eadem.”
– Spinoza
Die Stanzen mit den Kommentaren in diesem zweiten Band sind denselben archaischen Aufzeichnungen entnommen wie die Stanzen über die Kosmogonie im ersten Band; soweit wie möglich wurde die Übersetzung wortgetreu vorgenommen, doch sind einige dieser Stanzen zu dunkel, als dass sie ohne Erklärung verständlich sein könnten. Daher werden sie, ebenso wie im ersten Band, zuerst vollkommen unverändert gegeben, aber wenn sie Vers für Vers mit den zugehörigen Kommentaren versehen werden, wird der Versuch unternommen, sie im Vorgriff auf die ausführlicheren Erläuterungen des Kommentars durch in Klammern hinzugefügte Worte besser verständlich zu machen.
Was die Evolution der Menschheit anbelangt, stellt die Geheimlehre drei neue Lehrsätze auf, die in unmittelbarem Gegensatz zur modernen Wissenschaft und zu gängigen religiösen Dogmen stehen. Sie lehrt (a) die gleichzeitige Evolution von sieben Menschengruppen auf sieben verschiedenen Teilen unseres Globus, (b) die Geburt des astralen vor dem physischen Körper, indem Ersterer als Modell für Letzteren dient, und (c) dass der Mensch, in dieser Runde, allen Säugetieren – einschließlich den Anthropoiden – im Tierreich vorausging.1
[SD # 2] Nicht nur die Geheimlehre spricht von ursprünglichen Menschen, die gleichzeitig auf den sieben Teilen unseres Globus geboren wurden; im Göttlichen „Pymander“ des Hermes finden wir dieselben aus der Natur und dem „Himmlischen Menschen“ evolvierenden sieben ursprünglichen Menschen2, im kollektiven Sinn des Wortes, nämlich aus den schöpferischen Geistern; und auf den Fragmenten der chaldäischen Tontafeln (gesammelt von George Smith), in welche die babylonische Schöpfungslegende eingeritzt ist, werden in der ersten Spalte der Kutha-Tafel sieben menschliche Wesen mit Rabengesichtern (mit schwarzen, dunkelhäutigen Gesichtszügen) erwähnt, die von „den (sieben) großen Göttern erschaffen“ wurden. Oder, wie in den Zeilen 16 und 18 erklärt wird – „Inmitten der Erde wuchsen sie auf und wurden groß . . . . Sieben Könige, Brüder aus derselben Familie.“ Dies sind die sieben Könige von Edom, auf welche die Kabbala Bezug nimmt, die erste Rasse, die unvollkommen war, d. h. geboren wurde, bevor das „Gleichgewicht“ (Geschlechter) existierte, und die daher zerstört wurde („Zohar“, „Siphrah Dzeniouta“, „Idrah Suta“, 292b, „La Kabbalah“, S. 205). „Sieben Könige, Brüder, erschienen und zeugten Kinder, 6.000 war die Anzahl ihrer Völker („Hibbert Lectures“, S. 372). Der Gott Nergas (Tod) zerstörte sie.“ „Wie zerstörte er sie?“ „Indem er jene ins Gleichgewicht (oder in die Balance) brachte, die noch nicht existierten.“ (Siphrah Dzeniouta) Sie wurden als Rasse „zerstört“, indem sie in ihre eigenen Nachkommen (durch Ausschwitzen) aufgingen: d. h. die geschlechtslose Rasse reinkarnierte in der [SD # 3] (potenziell) zweigeschlechtlichen; Letztere in den Androgynen; diese wiederum in der geschlechtlichen, der späteren dritten Rasse (für weitere Erklärung, vide infra). Wären die Tontafeln weniger verstümmelt, würde man finden, dass sie Wort für Wort denselben Bericht enthalten wie er in den archaischen Aufzeichnungen und im Hermes überliefert ist, zumindest was die Grundtatsachen betrifft, wenn nicht sogar die kleinsten Einzelheiten; denn Hermes wurde durch schlechte Übersetzungen sehr entstellt.
Es ist ziemlich sicher, dass die scheinbare Übernatürlichkeit dieser Lehren, obwohl sie allegorisch sind, den buchstäblich aufgefassten Behauptungen der Bibel3 und den letzten Hypothesen der Wissenschaft derartig diametral entgegengesetzt ist, dass sie leidenschaftlichen Widerspruch hervorrufen wird. Die Okkultisten wissen aber, dass die Traditionen der Esoterischen Philosophie richtig sein müssen, einfach aus dem Grund, weil sie am logischsten sind und weil sie jede Schwierigkeit überwinden. Außerdem haben wir das ägyptische „Buch Thoth“ und das „Totenbuch“ sowie die Hindu-Puranas mit den sieben Manus, wie auch die chaldäisch-assyrischen Berichte, deren Tontafeln sieben ursprüngliche Menschen oder Adame erwähnen. Die wirkliche Bedeutung dieses Namens kann mit Hilfe der Kabbala festgestellt werden. Wer schon von den Samothrakischen Mysterien gehört hat, wird sich auch daran erinnern, dass der Geschlechtsname der Kabiren die „Heiligen Feuer“ war, die an sieben Stellen der Insel Elektria (oder Samothraki) den „auf der heiligen Lemnos geborenen Kabir“ (der Vulkan geweihten Insel) schufen.
Nach Pindar (siehe „Philosophumena“, Millers Ausgabe, S. 96) war dieser Kabir namens Adamas in den Traditionen von Lemnos der Typus der aus dem Schoß der Erde geborenen ursprünglichen Menschen. Er war der Archetypus der ersten männlichen Wesen in der Schöpfungsreihe und einer der sieben autochthonen Vorfahren oder Stammväter der Menschheit (ibid., S. 108). Wenn man die Tatsache damit in Verbindung bringt, dass Samothraki von den Phöniziern und vor ihnen von den aus dem Osten gekommenen mysteriösen Pelasgern kolonisiert war, erinnert man sich auch an die Identität der Mysterien-Götter der Phönizier, Chaldäer und Israeliten, und dann wird es leicht herauszufinden, woher der verworrene Bericht über die Noachische Flut stammt. In jüngster Zeit ist es unleugbar geworden, dass die Juden, die ihre ursprünglichen Ideen über die Schöpfung von Moses erhielten, der sie von [SD # 4] den Ägyptern bekommen hatte, ihre Genesis und ihre ersten kosmogonischen Traditionen – als sie von Esra und anderen umgeschrieben wurden – aus der chaldäisch-akkadischen Erzählung zusammentrugen. Es genügt daher, die babylonischen und assyrischen Keilschriften und andere Inschriften zu untersuchen, um auch darin hier und da verstreut nicht nur die ursprüngliche Bedeutung des Namens Adam, Admi oder Adami4 zu finden, sondern auch die Erschaffung der sieben Adame oder Wurzeln der Menschen, physisch geboren von Mutter Erde und spirituell oder astral vom göttlichen Feuer der Vorfahren. Von den nicht mit den esoterischen Lehren vertrauten Assyriologen kann schwerlich erwartet werden, dass sie der mysteriösen und immer wiederkehrenden Zahl sieben auf den babylonischen Zylindern mehr Aufmerksamkeit schenken würden als derselben Zahl in der Genesis und in der Bibel. Doch die Anzahl der Geister der Vorfahren und ihre sieben Gruppen menschlicher Nachkommenschaft sind vorhanden und trotz des maroden Zustandes der Bruchstücke ebenso deutlich im „Pymander“ und im „Buch der verborgenen Mysterien“, der Kabbala, zu finden. Im Letzteren ist Adam Kadmon der sephirothische Baum, oder auch der „Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen“. Um diesen „Baum“ herum, sagt Vers 32, „stehen sieben Säulen“ oder Paläste der sieben schöpferischen Engel, die in den Sphären der sieben Planeten auf unserem Globus wirken. Wie Adam Kadmon ist auch der Name des Menschen Adam ein kollektiver Name. George Smith sagt in seinem „Chaldean Account of Genesis“:
„Das Wort Adam, das in diesen Legenden auf das erste menschliche Wesen angewendet wird, ist offensichtlich kein Eigenname, sondern wird lediglich als eine Bezeichnung für die Menschheit benutzt. Adam erscheint als Eigenname in der Genesis, steht an einigen Stellen aber sicher nur in derselben Bedeutung wie das assyrische Wort.“ (S. 86)
Außerdem beruhen weder die chaldäische noch die biblische Sintflut (die Erzählungen über Ziusudra und Noah) auf der universalen oder sogar auf der atlantischen Sintflut, die in der indischen Allegorie von Vaivasvata Manu festgehalten ist. Sie sind auf den esoterischen Mysterien von Samothraki basierende exoterische Allegorien. Wenn die älteren Chaldäer die in den puranischen Legenden verborgene esoterische Wahrheit kannten, wussten die anderen Nationen doch nur vom Samothrakischen Mysterium und allegorisierten es. Sie passten es ihren astronomischen und anthropologischen oder vielmehr phallischen Begriffen an. Von Samothraki ist historisch bekannt, dass sie im Altertum berühmt war wegen einer Sintflut, die das Land überschwemmte und die Gipfel der höchsten Berge erreichte; ein Ereignis, das vor der Zeit der Argonauten stattfand. Sie wurde ganz [SD # 5] plötzlich von den Wassern des Schwarzen Meeres überflutet, das bis dahin als ein See betrachtet worden war.5 Die Israeliten hatten aber darüber hinaus noch eine weitere Legende, auf die sie ihre Allegorie begründeten: Die „Sintflut“, welche die gegenwärtige Wüste Gobi zum letzten Mal vor etwa 10.000-12.000 Jahren in einen See verwandelte und viele Noahs mit ihren Familien in die umliegenden Berge trieb. Da die babylonischen Berichte erst jetzt aus hunderttausenden von Bruchstücken wiederhergestellt wurden (der Hügel von Kuyunjik allein hat durch Layards Ausgrabungen mehr als zwanzigtausend Inschriftfragmente ergeben), sind die hier angeführten Beweise verhältnismäßig dürftig. Aber so wie sie sind, bestätigen sie nahezu jede unserer Lehren, drei zumindest bestimmt. Diese sind:
(1) Dass die Rasse, die als erste in die Zeugung fallen sollte, eine dunkle Rasse (Zalmat Gaguadi) war, die sie die Adami oder dunkle Rasse nennen, und dass Sarku oder die helle Rasse für lange Zeit danach rein blieb.
(2) Dass die Babylonier zwei Hauptrassen zum Zeitpunkt des Falles anerkannten, denen die Rasse der Götter (die etherischen Doppel der Pitris) diesen beiden vorausgegangen war. Das ist Sir H. Rawlinsons Meinung. Diese „Rassen“ sind unsere zweite und dritte Wurzelrasse.
(3) Dass diese sieben Götter, von denen jeder einen Menschen oder eine Gruppe von Menschen schuf, die „eingekerkerten oder inkarnierten Götter“ waren. Diese Götter waren: der Gott Zi; der Gott Ziku (edles Leben, Leiter der Reinheit); der Gott Mirku (edle Krone), „Erlöser vom Tod der (später) eingekerkerten Götter“ und der Schöpfer der „dunklen Rasse, die seine Hände erschufen“; der Gott Libzu, „weise unter den Göttern“, der Gott Nissi . . . . und der Gott Suhhab; und Hea oder Sa, ihre Synthese, der Gott der Weisheit und der Tiefe, identifiziert mit Oannes-Dagon, zur Zeit des Falles und (kollektiv) der Demiurg oder Schöpfer genannt (siehe „Chaldean Account Genesis“, S. 82-4).
In den babylonischen Fragmenten gibt es zwei sogenannte „Schöpfungen“, und da die Genesis sich daran hielt, finden wir ihre ersten beiden Kapitel als die elohistische und die jehovistische Schöpfung gekennzeichnet. Ihre korrekte Reihenfolge ist jedoch weder in diesen noch in irgendwelchen anderen exoterischen Berichten erhalten. Nach den okkulten Lehren beziehen sich diese „Schöpfungen“ vielmehr auf die Bildung der ursprünglichen sieben Menschen durch die Vorfahren (die Pitris oder Elohim): und auf die der menschlichen Gruppen nach dem Fall.
[SD # 6] All das wird im weiteren Verlauf im Licht der Wissenschaft und anhand von Vergleichen der Schriften aller alten Nationen, einschließlich der Bibel, untersucht werden. Bevor wir uns unterdessen der Anthropogenesis der prähistorischen Rassen zuwenden, mag es nützlich sein, sich über die Namen zu einigen, die den Kontinenten gegeben werden sollen, auf denen die großen, unserer adamischen vorangegangenen Rassen geboren wurden, lebten und starben. Ihre archaischen und esoterischen Namen waren zahlreich und variierten mit der Sprache der Nation, die sie in ihren Annalen und Schriften erwähnten. Was im „Vendidad“ z. B. als Airyanem Vaejah (siehe Bund 79, 12) bezeichnet wird, auf welcher der ursprüngliche Zoroaster6 geboren wurde, wird in der puranischen Literatur „Sveta-Dvipa“, „Berg Meru“, der Aufenthaltsort Vishnus etc. etc. genannt; und in der Geheimlehre heißt es unter ihren Führern, den „Geistern dieses Planeten“, einfach das Land der „Götter“.
Daher wird es in Anbetracht der möglichen und sogar sehr wahrscheinlichen Verwirrung, die entstehen kann, für zweckdienlicher gehalten, für jeden der vier ständig erwähnten Kontinente einen dem gebildeten Leser vertrauteren Namen zu wählen. Es wird daher vorgeschlagen, den ersten Kontinent oder vielmehr das erste terra firma, worauf die erste Rasse von den göttlichen Vorfahren evolviert wurde, wie folgt zu bezeichnen:
I. „Das unvergängliche Heilige Land“.
Die Wahl dieses Namens wird wie folgt begründet: Dieses „Heilige Land“, – später mehr darüber – teilte, wie gesagt wird, niemals das Schicksal der anderen Kontinente, weil es als einziges die Bestimmung hat, vom Anbeginn bis zum Ende des Manvantaras während aller Runden zu bestehen. Es ist die Wiege des ersten Menschen und die Wohnstätte des letzten göttlichen Sterblichen, der als Sishta zum zukünftigen Samen der Menschheit auserwählt ist. Über dieses mysteriöse und heilige Land kann sehr wenig gesagt werden, ausgenommen vielleicht, dass einem poetischen Ausdruck in einem der Kommentare zufolge „das wachsame Auge des Polarsterns von der Morgendämmerung bis zum Ende des Abenddämmerung ‘eines Tages’ des Grossen Atems7 auf ihm ruht“.
[SD # 7] II. „Hyperborea“ wird als Namen des zweiten Kontinents gewählt, das Land, das seine Vorgebirge süd- und westwärts vom Nordpol erstreckte, um die zweite Rasse zu empfangen und das alles umfasste, was heute als Nordasien bekannt ist. Das war der Name, den die ältesten Griechen der weit entfernten und mysteriösen Gegend gaben, wohin nach ihrer Tradition Apollo, der „Hyperboreer“, jedes Jahr reiste. Astronomisch ist Apollo natürlich die Sonne, die es liebte, ihre hellenischen Heiligtümer zu verlassen und jedes Jahr dieses weit entfernte Land zu besuchen, wo die Sonne während der einen Hälfte des Jahres niemals unterging, wie man sagte. Εγγὺς γὰρ νυκτός τε καὶ ἤματός εἰσι κέλευθοι, lautet ein Vers in der Odyssee (x 86).
Aber historisch oder besser vielleicht ethnologisch und geologisch ist die Bedeutung eine andere. Das Land der Hyperboreer, der sich jenseits des Boreas erstreckende Bereich des kaltherzigen Gottes des Schnees und der Orkane, der es liebte, auf dem Riphäengebirge tief zu schlafen, war weder ein eingebildetes Land, wie die Mythologen vermuten, noch ein Land in der Nähe von Skythien und der Donau.8 Es war ein wirklicher Kontinent, ein bona-fide-Land, das in jenen frühen Tagen keinen Winter kannte und dessen traurige Überreste selbst heute während des ganzen Jahres lediglich eine Nacht und einen Tag erleben. Die nächtlichen Schatten fallen niemals auf dieses Land, sagten die Griechen, denn es ist das Land der Götter, der Lieblingsaufenthalt Apollos, des Gottes des Lichts, und seine Einwohner sind seine geliebten Priester und Diener. Das mag jetzt als poetische Erdichtung betrachtet werden; aber damals war es dichterische Wahrheit.
III. Für den dritten Kontinent schlagen wir den Namen „Lemurien“ vor. Der Name ist eine Erfindung oder eine Idee von P. L. Sclater, der zwischen 1850 und 1860 aus zoologischen Gründen die tatsächliche Existenz eines Kontinentes in prähistorischen Zeiten behauptete, der sich von Madagaskar bis Ceylon und Sumatra erstreckte, wie er zeigte. Er umfasste auch einige Teile des heutigen Afrikas; aber im Übrigen ist dieser ungeheure Kontinent, der sich vom Indischen Ozean bis Australien erstreckte, jetzt gänzlich unter den Wassern des Pazifischen Ozeans verschwunden und lediglich hier und da sind einige seiner Hochlandspitzen als Inseln übriggeblieben. Laut dem Naturforscher A. R. Wallace „erstreckt sich das Australien des Tertiärs bis nach Neuguinea und zu den Salomon-Inseln und vielleicht bis Fidschi“, und auf der Grundlage seiner Beuteltier-Typen schließt er auf „eine Verbindung mit dem nördlichen Kontinent während der [SD # 8] sekundären Periode“, schreibt C. Gould in „Mythical Monsters“, S. 47. Der Gegenstand wird an anderer Stelle ausführlicher behandelt werden.9
IV. „Atlantis“ ist der vierte Kontinent. Er sollte das erste historische Land sein, wo die Traditionen der Alten größere Aufmerksamkeit erfahren würden, als es bis dahin der Fall war. Die berühmte Insel Platons mit diesem Namen war lediglich ein Bruchteil dieses großen Festlandes (siehe „Esoteric Buddhism“).
V. Der fünfte Kontinent war Amerika; da Amerika aber bei den Antipoden liegt, wird das annähernd gleichaltrige Europa und Kleinasien von den indoarischen Okkultisten allgemein als fünfter Kontinent genannt. Würde ihre Lehre dem Erscheinen der Kontinente in ihrer geologischen und geografischen Ordnung folgen, müsste diese Klassifikation geändert werden. Aber da die Reihenfolge der Kontinente der Evolutionsfolge der Rassen angepasst ist, von der ersten bis zur fünften, unserer arischen Wurzelrasse, muss Europa der fünfte große Kontinent genannt werden. Die Geheimlehre rechnet Inseln und Halbinseln nicht mit, und sie folgt auch nicht der heutigen geografischen Verteilung der Land- und Meeresmassen. Seit dem Tag ihrer frühesten Lehren und der Zerstörung des großen Atlantis hat sich das Antlitz der Erde mehr als einmal verändert. Es gab eine Zeit, da das Delta von Ägypten und Nordafrika zu Europa gehörten, bevor die Bildung der Straße von Gibraltar und eine weitere Hebung des Kontinents das Aussehen der Landkarte von Europa gänzlich veränderte. Die letzte größere Veränderung geschah vor etwa 12.000 Jahren,10 [SD # 9] und danach versank Platons kleine atlantische Insel, die er nach ihrem Elterkontinent Atlantis benennt. Geografie war in den Tagen des Altertums ein Teil der Mysterien. Der Zohar sagt (iii. fol. 10a): „Diese Geheimnisse (von Land und Meer) wurden den Männern der Geheimwissenschaft enthüllt, aber nicht den Geografen.“
Die Behauptung, der physische Mensch sei ursprünglich ein vortertiärer, kolossaler Riese gewesen und hätte vor 18.000.000 Jahren existiert, muss den Bewunderern und Gläubigen der modernen Gelehrsamkeit natürlich unsinnig erscheinen. Der gesamte Posse Comitatus der Biologen wird sich von der Vorstellung dieses Titanen der dritten Rasse aus dem Sekundärzeitalter abwenden, einem Wesen, das fähig war, gegen die damals riesenhaften Monster der Luft, des Meeres und des Landes erfolgreich zu kämpfen, gleich seinen Vorvätern, den ätherischen Prototypen der Atlantier, die sich kaum vor dem fürchten mussten, was sie nicht verletzen konnte. Der moderne Anthropologe darf ruhig über unsere Titanen lachen, so wie er über den biblischen Adam lacht und wie der Theologe über seinen affenartigen Vorfahren lacht. Die Okkultisten und ihre strengen Kritiker mögen zu dem Schluss kommen, dass sie derzeit kaum offene Rechnungen miteinander haben. Die okkulten Wissenschaften behaupten auf jeden Fall weniger und geben mehr als die darwinistische Anthropologie oder die biblische Theologie.
Die esoterische Chronologie sollte auch niemanden erschrecken; denn in Bezug auf Zahlen sind die größten Autoritäten heutzutage so unberechenbar und ungewiss wie die Wellen des Mittelmeeres. Allein in Bezug auf die Dauer der geologischen Perioden sind die Gelehrten der Royal Society alle hoffnungslos überfordert und springen mit größter Leichtigkeit von einer Million zu fünfhundert Millionen Jahren, wie sich im Lauf dieses Vergleiches mehrfach zeigen wird.
Man nehme für unseren gegenwärtigen Zweck ein Beispiel – die von Croll angestellten Berechnungen. Ob nach dieser Autorität vor 2.500.000 Jahren der Tertiär begann oder aber, wie ihn ein amerikanischer Geologe sagen lässt,11 das Eozän, oder ob wiederum Croll nach dem Zitat eines englischen Geologen12 „seit dem Beginn des Eozäns fünfzehn Millionen Jahre veranschlagt“ – beide Angaben decken [SD # 10] die von der Geheimlehre aufgestellten Behauptungen.13 Letztere gibt den Zeitraum zwischen der beginnenden und der schließlichen Evolution der vierten Wurzelrasse auf den lemuro-atlantischen Kontinenten mit fünf Millionen Jahren an; eine Million Jahre für die fünfte oder arische Rasse bis heute und ungefähr 850.000 Jahre seit dem Untergang der letzten mächtigen Halbinsel des großen Atlantis – so kann all das leicht innerhalb der von Croll für die Tertiärzeit eingeräumten 15.000.000 Jahre stattgefunden haben. Aber chronologisch gesprochen ist die Dauer der Periode von sekundärer Bedeutung, da wir letztendlich noch auf gewisse amerikanische Wissenschaftler zurückgreifen können. Unbeeindruckt von der Tatsache, dass ihre Behauptungen nicht nur zweifelhaft, sondern auch absurd genannt werden, halten diese Herren dennoch daran fest, dass der Mensch bereits in der sekundären Epoche existierte. Sie fanden im Gestein dieser Formation menschliche Fußstapfen, und des Weiteren findet M. de Quatrefages keinen stichhaltigen wissenschaftlichen Grund dafür, dass der Mensch während des Sekundärzeitalters nicht existiert haben sollte.
Nüchtern betrachtet sind die „Zeitalter“ und Perioden in der Geologie lediglich konventionelle Begriffe, da sie bis jetzt kaum abgegrenzt sind und außerdem [SD # 11] keine zwei Geologen oder Naturforscher in Bezug auf die Zahlen übereinstimmen. So verbleibt dem Okkultisten von der gelehrten Bruderschaft ein weiter Spielraum zur Auswahl. Sollten wir zu unserer Unterstützung T. Mellard Reade heranziehen? Dieser behauptet in einer von ihm im Jahr 1878 vor der Royal Society verlesenen Schrift über „Kalkstein als Maßstab geologischer Zeit“, dass der zur Bildung der Sedimentschichten und zur Ausscheidung von Kalkstoffen notwendige Zeitraum mindestens rund 600 Millionen Jahre betrage (siehe „Proceedings of Royal Society“, London, Vol. XXVIII, S. 281); oder sollten wir in Darwins Werken Unterstützung für unsere Chronologie finden, worin er entsprechend seiner Theorie für die organischen Umformungen zwischen 300 und 500 Millionen Jahre verlangt? Sir C. Lyell und Prof. Haughton begnügten sich damit, den Beginn der kambrischen Periode um 200, respektive um 240 Millionen Jahre zurückzuversetzen. Geologen und Zoologen beanspruchen die längste Zeitperiode, obwohl Huxley einstmals den Beginn der Verkrustung der Erde um 1.000 Millionen Jahre zurückversetzte und kein einziges Millenium davon aufgeben wollte.
Der Schwerpunkt liegt für uns nicht in der Frage, ob die Naturforscher in Bezug auf die Dauer der geologischen Perioden übereinstimmen oder nicht, sondern vielmehr auf ihrer vollkommenen Übereinstimmung, wunderbarerweise, in einem Punkt, und zwar in einem sehr wichtigen. Sie alle stimmen darin überein, dass im „Miozän“ – einerlei ob vor 1 oder 10 Millionen Jahren – Grönland und sogar Spitzbergen, die Überreste unseres zweiten oder hyperboreischen Kontinents, „ein nahezu tropisches Klima aufwiesen“. Nun hatten die vorhomerischen Griechen eine lebendige Tradition über dieses „Land der ewigen Sonne“ bewahrt, in das ihr Apollo jedes Jahr reiste. Die Wissenschaft sagt: „Im Miozän entwickelte Grönland (70 ° nördlicher Breite) eine Fülle von Bäumen wie die Eibe, das Rotholz, den Mammutbaum, der der kalifornischen Art verwandt ist, Buchen, Platanen, Weiden, Eichen, Pappeln und Walnussbäume sowie eine Magnolie und einen Zapfenfarn; kurz gesagt, in Grönland kamen südliche Pflanzen vor, die in den nördlichen Gegenden unbekannt sind.
Und jetzt kommt natürlich eine Frage auf. Wenn die Griechen in den Tagen Homers Kenntnis von einem hyperboreischen Land hatten, d. h. von einem gesegneten Land jenseits des Bereichs Boreas, des Gottes des Winters und der Orkane, einer idealen Region, welche die späteren Griechen und ihre klassischen Schreiber vergeblich jenseits von Skythien zu versetzen suchten, einem Land, wo die Nächte kurz waren und die Tage lang und jenseits davon einem Land, wo die Sonne niemals unterging und Palmen im Freien wuchsen – wenn sie von alledem Kenntnis hatten, wer hat ihnen dann davon erzählt? Zu [SD # 12] ihrer Zeit, und Zeitalter vorher, muss Grönland sicherlich bereits mit ewigem Schnee, mit niemals tauendem Eis bedeckt gewesen sein, geradeso wie heute. Alles deutet darauf hin, dass das Land mit den kurzen Nächten und den langen Tagen Norwegen oder Skandinavien war, jenseits dessen das gesegnete Land des ewigen Lichts und des Sommers lag. Damit die Griechen das alles wissen konnten, müssen sie ihre Tradition von einem Volk überliefert bekommen haben, das älter war als sie selbst, das vertraut war mit jenen klimatischen Einzelheiten, von denen die Griechen selbst nichts wissen konnten. Selbst in unseren Tagen vermutet die Wissenschaft, dass jenseits der Polarmeere am Rande des arktischen Pols ein Meer existiert, das niemals gefriert und ein Festland, das immer grün ist. Die archaischen Lehren und auch die Puranas – für jemanden, der ihre Allegorien versteht – enthalten dieselben Behauptungen. Für uns genüge somit die starke Wahrscheinlichkeit, dass während des Miozäns der modernen Wissenschaft, zu einer Zeit, da Grönland ein nahezu tropisches Land war, dort ein der heutigen Geschichte unbekanntes Volk lebte.
Anmerkung: Der Leser wird ersucht, im Gedächtnis zu behalten, dass das erste und die darauffolgenden Kapitel nicht genau der zeitlichen Abfolge entsprechen. Im ersten Kapitel werden die Stanzen, die das Gerüst der Darlegung bilden, gegeben und gewisse wichtige Punkte kommentiert und erklärt. In den folgenden Kapiteln werden verschiedene zusätzliche Einzelheiten zusammengetragen und eine vollständigere Erklärung des Gegenstandes versucht.
Fußnoten
1 Siehe Genesis 2,19. Adam wird im siebten Vers geformt, und im neunzehnten Vers wird gesagt: „Und Jehova Gott bildete aus dem Erdboden alles Getier des Feldes und alles Gevögel des Himmels, und er brachte sie zu dem Menschen, um zu sehen, wie er sie nennen würde.“ Somit wurde der Mensch vor den Tieren erschaffen; denn die im ersten Kapitel erwähnten Tiere sind die Tierkreiszeichen, wohingegen der Mensch, „Mann und Frau“, nicht der Mensch ist, sondern die Schar der Sephiroth; Kräfte oder Engel, „erschaffen ihm (Gott) zum Bilde, zum Bilde Gottes“. Adam, der Mensch, wurde nicht nach diesem Ebenbild erschaffen, noch wird das in der Bibel behauptet. Obendrein ist der zweite Adam esoterisch eine Siebenheit, die sieben Menschen oder vielmehr Menschengruppen darstellt. Denn der erste Adam – Kadmon – ist die Synthese der zehn Sephiroth. Von diesen verbleibt die obere Triade als zukünftige „Dreieinigkeit“ in der archetypischen Welt, während die sieben niederen Sephiroth die manifestierte materielle Welt erschaffen, und diese Siebenheit ist der zweite Adam. Die Genesis und die Mysterien, auf deren Grundlage sie erschaffen wurde, kamen aus Ägypten, der „Gott“ des ersten Kapitels der Genesis ist der Logos, und der Gott, der Herr“ des zweiten Kapitels stellt die schöpferischen Elohim dar, die niederen Mächte.
2 So sagt Pymander: „Dieses ist das Mysterium, das bis zum heutigen Tag verborgen war. Da die Natur mit dem Himmlischen Menschen (den Elohim oder Dhyanis) vermischt wurde, brachte sie ein Wunder hervor . . . . sieben Menschen, alle männlich und weiblich (hermaphroditisch) . . . der Natur der sieben Regenten entsprechend“ – (2. Buch, 29) – oder der sieben Scharen der Pitris oder Elohim, die ihn projizierten und erschufen. Das ist sehr klar, aber dennoch, schaut man sich nur die Erklärung selbst unserer modernen Theologen an, Männer, die angeblich gescheit und gelehrt sein sollen ! In den „Theologischen und philosophischen Werken des Hermes Trismegistos, des christlichen ( ?) Neoplatonikers“, einem Werk, das von John David Chambers vom Oriel College in Oxford zusammengestellt wurde, fragt sich der Übersetzer, „für wen die sieben Menschen bestimmt sind“. Er löst das Problem mithilfe der Schlussfolgerung, dass „der ursprüngliche Modellmensch (der Adam Kadmon der Genesis, Kap. I) männlich-weiblich war, die Sieben bedeuten vielleicht die darauffolgenden in der Genesis genannten Patriarchen“ (S. 9) . . . Eine wahre theologische Art, den Gordischen Knoten durchzuschlagen.
3 Da jetzt behauptet wird, dass die chaldäischen Tontafeln mit der allegorischen Beschreibung der Schöpfung, des Falles und der Flut, selbst bis hin zur Legende des Turms von Babylon „vor der Zeit von Moses“ (siehe G. Smith, „The Chaldean Account of Genesis“, S. 300) geschrieben wurden, wie kann da der Pentateuch eine Offenbarung genannt werden ? Er ist lediglich eine andere Lesart derselben Geschichte.
4 Siehe § „Adam-Adami“ in Teil II dieses Bandes.
5 Siehe Plinius, 4, Kap. 12; Strabo, 10; Herodot, 7, Kap. 108; Pausanias, 7. Kap. 4. etc.
6 Unter „ursprünglich“ meinen wir den „Amschaspand“, genannt „Zarathustra, der Herr und Lenker des von Yima in diesem Land gemachten Vara“. Es gab verschiedene Zarathustras oder Zertusts, der Dabistan allein zählt dreizehn; aber diese waren alle Reinkarnationen des ersten. Der letzte Zoroaster war der Begründer des Feuertempels von Azareksh und der Verfasser der Werke über die ursprüngliche heilige magische Religion, die Alexander zerstörte.
7 In Indien ein „Tag Brahmâs“ genannt.
8 Siehe Volcker, „Mythological Geography“, S. 145 bis 170.
9 Es ist jedoch zu bemerken, dass Wallace die Idee Sclaters nicht akzeptiert und ihr sogar entgegentritt. Sclater vermutet ein Land oder einen Kontinent, der früher Afrika, Madagaskar und Ceylon vereinte (jedoch ohne Australien und Indien). Und A. R. Wallace zeigt in seiner „Geographical Distribution of Animals“ und im „Island Life“, dass die Hypothese eines solchen Landes auf der Basis der angeführten zoologischen Gründe keinesfalls gerechtfertigt sei. Aber er gesteht zu, dass Indien und Australien sicherlich viel näher beieinander lagen und zwar vor derartig langer Zeit, dass sie „bestimmt prätertiär“ war und fügt in einem Privatbrief hinzu, dass „diesem angenommenen Land noch kein Name gegeben worden ist“. Doch das Land existierte und war natürlich prätertiär, weil „Lemurien“ (wenn wir diesen Namen für den dritten Kontinent akzeptieren) zugrunde gegangen war bevor sich Atlantis vollständig entwickelt hatte; und Letzteres war vor dem Ende des Miozäns versunken und seine Hauptteile verschwunden.
10 Ein weiterer „Zufall“:
„Nun ist es erwiesen, dass in jüngerer geologischer Zeit dieser Bereich von Nordafrika in der Tat eine Halbinsel von Spanien war und dass ihre Vereinigung mit (dem eigentlichen) Afrika im Norden durch den Durchbruch der Straße von Gibraltar bewirkt wurde, und im Süden durch eine Hebung, welcher die Sahara ihre Existenz verdankt. Die Küste des einstigen Saharameeres wird durch Schalen von derselben Gastropoda gekennzeichnet, die an den Küsten des Mittelmeers leben.“ (Prof. Oscar Schmidt, „Doctrine of Descent and Darwinism“, S. 244).
11 A. Winchell, Professor der Geologie, „World-Life“, S. 369.
12 Charles Gould, verstorbener geologischer Sachverständiger Tasmaniens, in den „Mythical Monsters“, S. 84.
13 Sir Charles Lyell, dem die „glückliche Erfindung der Ausdrücke Eozän, Miozän und Pliozän“ zur Bezeichnung der drei Unterteilungen der Tertiärzeit zugeschrieben wird, hätte sich eigentlich auf irgendein annäherndes Alter für seine „Geisteskinder“ festlegen sollen. Da er jedoch die Dauer dieser Perioden den Spekulationen der Spezialisten überlassen hat, ist das Resultat seiner glücklichen Gedanken die größte Verwirrung und Ratlosigkeit. Es scheint ein hoffnungsloses Unterfangen, eine einzige Zahlenreihe aus einem Werk anzuführen, ohne Gefahr zu laufen, derselben vom gleichen Verfasser in einem früheren oder nachfolgenden Buch widersprochen zu finden. Sir William Thomson, eine der hervorragendsten modernen Autoritäten, hat seine Meinung über das Alter der Sonne und die Zeit der Bildung der Erdkruste ungefähr ein halbes Dutzend Mal geändert. In Thomson und Taits „Natural Philosophy“ finden wir lediglich einen Zeitraum von zehn Millionen Jahre zugestanden, seit die Temperatur auf der Erde den Beginn pflanzlichen Lebens gestattete (App. D et seq., ebenso §§ 832; „Trans. Roy. Soc. Edin.“, xxiii Pt, I 157, 1862, wo 847 in der Glasgower Ansprache widerrufen wird). Darwin gibt Sir William Thomsons Schätzung mit „minimal 98 und maximal 200 Millionen Jahren seit der Bildung der Erdkruste an“ (siehe Ch. Gould). In demselben Werk („Nat. Phil.“) werden 80 Millionen Jahre für den Zeitraum von der beginnenden Verkrustung bis zum gegenwärtigen Zustand der Erde angegeben. Und in seiner letzten Vorlesung, wie an anderer Stelle gezeigt, erklärt Sir William Thomson (1887), die Sonne sei nicht älter als 15 Millionen Jahre ! Croll, dessen Argumente über die Grenzen des Alters der Sonnenwärme auf zuvor von Sir William Thomson aufgestellten Zahlen basieren, gibt unterdessen an, dass seit dem Beginn der kambrischen Periode 60 Millionen Jahre vergangen seien. Das macht den Liebhabern exakten Wissens Hoffnung. Welche Zahlen die okkulte Wissenschaft auch immer angeben wird, sie werden sicherlich durch irgendeine moderne wissenschaftliche Autorität bestätigt.
Die Geheimlehre Band 1
Helena Petrovna Blavatsky
[SD # xvii]
Einleitung
„Gently to hear, kindly to judge.”
– Shakespeare
Seitdem in England theosophische Literatur erscheint, ist es zur Gewohnheit geworden, ihre Lehren als „Esoterischen Buddhismus“ zu bezeichnen. Und einmal eine Gewohnheit – wie ein altes, auf täglicher Erfahrung beruhendes Sprichwort sagt – „eilt der Irrtum den Berg hinab, während die Wahrheit ihren Weg mühselig bergauf erklimmen muss.“
Alte Binsenwahrheiten sind oft die weisesten. Das menschliche Denken kann von Vorurteilen kaum vollständig frei bleiben, und maßgebliche Ansichten werden oftmals vor einer gründlichen Prüfung aller Aspekte eines Gegenstandes festgelegt. Das wird auch gesagt im Hinblick auf das vorherrschende doppelte Missverständnis (a) die Theosophie auf den Buddhismus zu beschränken und (b) die Lehrsätze der von Gautama dem Buddha gepredigten Religionsphilosophie mit den im „Esoteric Buddhism“ grob umrissenen Lehren durcheinanderzubringen. Etwas Irrigeres als das lässt sich kaum vorstellen. Es hat unsere Feinde in die Lage versetzt, eine wirksame Waffe gegen die Theosophie zu finden; und zwar, wie ein angesehener Pali-Gelehrter es sehr treffend formulierte, weil das erwähnte Buch „weder Esoterik noch Buddhismus“ enthielt. Die in Sinnetts Buch dargestellten esoterischen Wahrheiten haben mit dem Augenblick der Veröffentlichung aufgehört, esoterisch zu sein. Es enthielt auch nicht die Religion Buddhas, sondern lediglich einige Lehrsätze einer bisher verborgenen Lehre, die nun in den vorliegenden Bänden durch viele weitere ergänzt, erweitert und erklärt wird. Aber selbst diese Bände – obwohl sie viele fundamentale Lehrsätze aus der Geheimlehre des Ostens bekannt geben – lüften doch nur einen kleinen Teil des dunklen Schleiers. Denn niemand, nicht einmal der größte lebende Adept, hätte die Erlaubnis dazu oder könnte – selbst wenn er es wollte – einer spottenden, ungläubigen Welt wahllos das herausgeben, was viele Äonen und Epochen lang so wirksam vor ihr verborgen wurde.
„Esoteric Buddhism“ war ein hervorragendes Werk mit einem sehr unglücklichen [SD # xviii] Titel, obwohl er nichts weiter bedeutete als der Titel dieses Werkes „Die Geheimlehre“. Er erwies sich als verhängnisvoll, weil die Menschen immer die Gewohnheit haben, Dinge lieber nach ihrem Äußeren als nach ihrer Bedeutung zu beurteilen. Mittlerweile ist der Irrtum so weit verbreitet, dass selbst die meisten Mitglieder der Theosophischen Gesellschaft Opfer desselben Missverständnisses geworden sind. Von Anfang an jedoch wurden von Brahmanen und anderen Einsprüche gegen den Titel erhoben. Und zu meiner Rechtfertigung muss ich hinzufügen, dass mir „Esoteric Buddhism“ als fertiggestellter Band vorgelegt wurde und dass ich gänzlich unaufmerksam war in Bezug auf die vom Autor geplante Schreibweise des Wortes „Budh-ism“.
Das muss direkt jenen zur Last gelegt werden, die den Gegenstand der Öffentlichkeit als Erste zur Kenntnis brachten, denn sie versäumten es, den Unterschied hervorzuheben zwischen „Buddhismus“ – dem religiösen Ethiksystem, das von Gautama dem Herrn gepredigt und entsprechend seinem Titel Buddha, „der Erleuchtete“, benannt wurde – und Budha, „Weisheit“ oder Wissen (Vidya), die Fähigkeit des Erkennens, von der Sanskritwurzel „Budh“, wissen. Wir, die Theosophen aus Indien, sind selbst die wahren Schuldigen, obwohl wir damals unser Bestes taten, den Fehler zu korrigieren (siehe „Theosophist“, Juni 1883). Diese bedauerliche Fehlbezeichnung wäre leicht zu vermeiden gewesen. Es hätte lediglich die Schreibweise des Wortes geändert werden müssen, und nach allgemeinem Übereinkommen wäre die korrekte Aussprache und Schreibweise „Budhismus“ anstelle von „Buddhismus“ gewesen. Auch ist der letztere Ausdruck weder richtig geschrieben noch ausgesprochen, korrekt müsste es im Englischen „Buddhaïsm“ lauten und seine Anhänger „Buddhaïsts“.
Diese Erklärung ist zu Beginn eines Werkes wie diesem absolut notwendig. Die „Weisheitsreligion“ ist das Erbe aller Nationen der ganzen Welt, obwohl in „Esoteric Buddhism“ (Vorwort der Originalausgabe) die Behauptung aufgestellt wurde, dass „vor zwei Jahren (d. i. 1883) weder ich noch irgendein anderer lebender Europäer das Alphabet der Wissenschaft kannte, welches hier zum ersten Mal in eine wissenschaftliche Form gebracht wurde“ etc. Dieser Irrtum muss sich aus Versehen eingeschlichen haben. Denn die gegenwärtige Schreiberin wusste alles, was in „Esoteric Buddhism“ „preisgegeben“ wurde – und viel mehr – viele Jahre bevor es ihre Pflicht wurde (1880), zwei europäischen Herren einen kleinen Teil der Geheimlehre zu vermitteln. Einer von ihnen war der Autor von „Esoteric Buddhism“; und ganz bestimmt hat die gegenwärtige Schreiberin das unbestrittene, wenn auch für sie ziemlich fragwürdige Privileg, von Geburt an und der Erziehung nach Europäerin zu sein. Außerdem wurde ein beträchtlicher Teil der von Sinnett dargelegten Philosophie [SD # xix] in Amerika – sogar bevor „Isis Unveiled“ veröffentlicht war – zwei Europäern und meinem Kollegen, Oberst H. S. Olcott, gelehrt. Von den drei Lehrern des letzteren Herrn war der erste ein ungarischer Initiierter, der zweite Ägypter und der dritte Hindu. Weil es Oberst Olcott gestattet wurde, gab er Teile dieser Lehren auf unterschiedliche Arten weiter; wenn die beiden anderen nicht dasselbe taten, lag das einfach daran, dass es ihnen nicht erlaubt war: Ihre Zeit für öffentliche Arbeit war noch nicht gekommen. Für andere war das jedoch der Fall, und das Erscheinen von Sinnetts verschiedenen interessanten Büchern ist ein sichtbarer Beweis dieser Tatsache. Es ist vor allem wichtig nicht zu vergessen, dass der Wert eines theosophischen Buchs von keiner Autorität auch nur im Geringsten gesteigert wird.
Etymologisch ist Adi – und Adhi Budha – das Eine (oder das Erste) und „Höchste Weisheit“, ein von Aryasangha in seinen geheimen Abhandlungen und heute von allen Mystikern der nördlichen Buddhisten benutzter Ausdruck. Es ist ein Sanskritausdruck, und die frühesten Arier verwendeten ihn als Bezeichnung für die unbekannte Gottheit; das Wort „Brahmâ“ taucht in den Veden und den frühen Werken nicht auf. Es bedeutet Absolute Weisheit, und „Adi-Bhuta“ wird von Fitzedward Hall mit „die uranfängliche, unerschaffene Ursache von allem“ übersetzt. Äonen von unermesslicher Dauer müssen verstrichen sein, ehe der Beiname Buddha sozusagen derart vermenschlicht war, dass der Ausdruck auf Sterbliche angewendet werden konnte und schließlich jemandem zugeeignet wurde, dessen unvergleichliche Tugenden und Wissen ihn den Titel des „Buddhas der unverrückbaren Weisheit“ erlangen ließen. Bodha bedeutet den angeborenen Besitz göttlichen Intellekts oder „Verständnisses“; „Buddha“ dessen Erwerb durch persönliche Bemühungen und Verdienst; während Buddhi die Fähigkeit ist zu erkennen, der Kanal, durch welchen göttliche Erkenntnis das „Ego“ erreicht, das Unterscheidungsvermögen von Gut und Böse, auch das „göttliche Gewissen“; und die „spirituelle Seele“, die der Träger von Atman ist. „Wenn Buddhi unsere Ichbezogenheit mit allen ihren Vikaras absorbiert (sie zerstört), so wird Avalokitesvara für uns offenbar, und Nirvana oder Mukti ist erreicht.“ „Mukti“ ist dasselbe wie Nirvana – d. h. Freiheit von den Fesseln der „Maya“ oder Illusion. „Bodhi“ ist gleichermaßen der Name eines besonderen Trancezustandes, Samadhi genannt, in welchem der Betreffende den Höhepunkt spiritueller Erkenntnis erreicht.
Unweise sind diejenigen, die in ihrem blinden und für unser Zeitalter unpassenden Hass gegen den Buddhismus und als Reaktion darauf dem „Budhismus“ esoterische Lehren absprechen (die auch die der Brahmanen sind), nur weil der Name auf etwas [SD # xx] hindeutet, was sie als Monotheisten für schädliche Lehren halten. Unweise ist in ihrem Fall der korrekte Ausdruck. Denn in diesem Zeitalter des krassen und unlogischen Materialismus ist die Esoterische Philosophie allein geeignet, den wiederholten Angriffen auf alles und jedes Widerstand zu leisten, was der Mensch in seinem inneren spirituellen Leben für das Teuerste und Heiligste erachtet. Der wahre Philosoph, der Schüler der Esoterischen Weisheit, verliert Persönlichkeiten, dogmatischen Glauben und besondere Religionen vollkommen aus den Augen. Außerdem versöhnt die Esoterische Philosophie alle Religionen, streift alle ihre äußeren, menschlichen Gewänder ab und zeigt auf, dass die Wurzel jeder Religion mit der aller anderen großen Religionen übereinstimmt. Sie beweist die Notwendigkeit eines absoluten Göttlichen Prinzips in der Natur. Sie leugnet das Göttliche so wenig wie die Sonne. Die Esoterische Philosophie hat Gott in der Natur niemals verworfen, noch das Göttliche als das absolute und abstrakte Ens. Sie weigert sich lediglich, die Götter der sogenannten monotheistischen Religionen anzuerkennen, Götter, die der Mensch nach seinem eigenen Ebenbild erschaffen hat – blasphemische und traurige Karikaturen des ewig Unerkennbaren. Außerdem umfassen die Aufzeichnungen, die wir dem Leser vorzulegen beabsichtigen, die esoterischen Lehren der ganzen Welt seit dem Anbeginn unserer Menschheit, und der buddhistische Okkultismus nimmt darin nur seinen legitimen Platz ein – und nicht mehr. In der Tat sind die geheimen Teile des „Dan“ oder „Jan-na“5 („Dhyan“) von Gautamas Metaphysik – so großartig sie auch dem mit den Lehren der Weisheitsreligion des Altertums nicht vertrauten Leser erscheinen mögen – nur ein sehr kleiner Teil des Ganzen. Der Hindu-Reformator begrenzte seine öffentlichen Lehren auf die rein moralischen und physiologischen Aspekte der Weisheitsreligion, auf Ethik und den Menschen allein. „Unsichtbare und unkörperliche“ Dinge, das Mysterium des Seins außerhalb unserer irdischen Sphäre, ließ der große Lehrer in seinen öffentlichen Vorträgen gänzlich unberührt und hielt die verborgenen Wahrheiten für einen auserwählten Kreis seiner Arhats zurück. Letztere wurden in der berühmten Saptaparna-Höhle (der Sattapanni des Mahavansa) nahe dem Berg Baibhâr (dem Webhâra der Pali-Manuskripte) initiiert. Diese Höhle befindet sich in Rajagriha, der alten Hauptstadt von Mogadha; sie war die Cheta-Höhle des Fa-hian, wie von einigen Archäologen richtig vermutet wird.6
Die Zeit und die menschliche Einbildungskraft machten kurzen Prozess mit der Reinheit und [SD # xxi] Philosophie dieser Lehren, nachdem sie aus dem geheimen und geheiligten Kreis der Arhats im Verlauf ihres Bekehrungswerkes in einen für metaphysische Vorstellungen in geringerem Maß als Indien vorbereiteten Boden verpflanzt wurden: d. h. als sie nach China, Japan, Siam und Burma übertragen worden waren. Wie mit der ursprünglichen Reinheit dieser großen Offenbarungen umgegangen wurde, bringt das Studium einiger der sogenannten „esoterischen“ buddhistischen Schulen des Altertums in ihrem modernen Gewand zutage – nicht nur in China und anderen buddhistischen Ländern im Allgemeinen, sondern selbst in nicht wenigen der Obhut nicht initiierter Lamas und mongolischer Neuerer überlassener Schulen Tibets.
Der Leser wird also gebeten, sich den sehr bedeutenden Unterschied zwischen dem orthodoxen Buddhismus – d. h. den öffentlichen Lehren von Gautama dem Buddha – und seinem esoterischen Budhismus zu vergegenwärtigen. Seine Geheimlehre jedoch unterschied sich in keiner Weise von jener der initiierten Brahmanen seiner Zeit. Der Buddha war ein Kind arischen Bodens, ein geborener Hindu, ein Kshatriya und ein Schüler der „Zweimal-Geborenen“ (der initiierten Brahmanen) oder Dvijas. Seine Lehren konnten sich daher von ihren nicht unterscheiden, denn die ganze buddhistische Reform bestand lediglich in der Veröffentlichung eines Teils von dem, was vor den Menschen außerhalb des „Zauber“-Kreises der Tempel-Initiierten und Asketen geheimgehalten worden war. Infolge seiner Gelübde außerstande, alles zu lehren, was ihm vermittelt worden war, gab der Buddha, obwohl er eine auf der Grundlage der wahren esoterischen Wissenschaft aufgebaute Philosophie lehrte, der Welt nur den äußeren, materiellen Körper der Lehre und bewahrte ihre Seele nur für seine Auserwählten (siehe auch Band II). Viele chinesische Gelehrte unter den Orientalisten haben von der „Seelenlehre“ gehört. Keiner von ihnen scheint ihre wirkliche Bedeutung und Wichtigkeit verstanden zu haben.
Diese Lehre wurde geheim – vielleicht zu geheim – im Heiligtum aufbewahrt. Das Mysterium, welches ihre Hauptlehre und ihr Streben – Nirvana – verschleierte, hat die Wissbegierde jener Gelehrten, die es studierten, derart auf die Probe gestellt und irritiert, dass sie – unfähig, es logisch und befriedigend durch Aufknüpfen des gordischen Knotens zu lösen – ihn mittels der Erklärung durchtrennten, Nirvana bedeute die absolute Vernichtung.
Gegen Ende des ersten Viertels dieses Jahrhunderts tauchte eine eigene Art von Literatur in der Welt auf, deren Tendenz mit jedem Jahr klarer umrissen wurde. Soi-disant auf den Forschungen der Sanskritgelehrten und Orientalisten im Allgemeinen basierend, wurde sie als wissenschaftlich angesehen. Die Symbologen ließen hinduistische, ägyptische und andere alte Religionen, Mythen und Embleme ganz nach ihren Wünschen beliebige Bedeutungen annehmen; [SD # xxii] so verkündeten sie oft die grobe äußere Form anstelle der inneren Bedeutung. In rascher Reihenfolge erschienen Werke, die wegen genialer Schlussfolgerungen und Spekulationen höchst bemerkenswert waren, in denen allgemein, in einem circulo vicioso, vorgefasste Schlussfolgerungen an die Stelle von Prämissen traten – wie mit den Syllogismen mehr als eines Sanskrit- oder Pali-Gelehrten, und sie überfluteten die Bibliotheken mit einer größeren Anzahl von Dissertationen über Phallus- und Geschlechtsverehrung als über wirkliche Symbologie; und alle standen miteinander im Widerspruch.
Das ist vielleicht der wahre Grund, warum jetzt nach langen Jahrtausenden des tiefsten Schweigens und der Geheimhaltung die Erlaubnis dazu gegeben wurde, den Umriss einiger weniger Grundwahrheiten der Geheimlehre der archaischen Zeiten ans Licht zu bringen. Ich sage absichtlich „einige wenige Wahrheiten“, weil auch hundert solcher Bände das nicht fassen könnten, was ungesagt bleiben muss, noch könnte es der gegenwärtigen Generation von Sadduzäern mitgeteilt werden. Aber selbst das Wenige, das jetzt gegeben wird, ist besser als ein vollständiges Schweigen über diese lebendigen Wahrheiten. In ihrer verrückten Jagd nach dem Unbekannten, das sie nur zu gern mit dem Unerkennbaren verwechselt, wann immer ein Problem das Verständnis des Physikers übersteigt, schreitet die heutige Welt auf der der Spiritualität entgegengesetzten materiellen Ebene rasch voran. Sie ist heute eine riesige Kampfarena – wahrlich ein Tal der Zwietracht und des ewigen Streits – eine Totenstadt, in der die höchsten und heiligsten Bestrebungen unserer Geist-Seele begraben liegen. Mit jeder neuen Generation erstarrt und verkümmert diese Seele weiter. Die „liebenswerten Ungläubigen und die vollkommenen Verschwender“ der Gesellschaft, von denen Greely spricht, kümmern sich wenig um die Wiederbelebung der toten Wissenschaften der Vergangenheit. Aber es existiert eine ansehnliche Minderheit ernsthafter Schüler, die dazu berechtigt sind, die wenigen Wahrheiten zu erfahren, die ihnen jetzt gegeben werden können; und jetzt viel mehr als vor zehn Jahren, als „Isis Unveiled“ und selbst die späteren Versuche, die Geheimnisse der esoterischen Wissenschaft zu erklären, veröffentlicht wurden.
Die größten und obendrein ernsthaftesten Vorbehalte gegen die Korrektheit und Vertrauenswürdigkeit des ganzen Werkes werden die einleitenden Stanzen sein: „Wie können die in ihnen enthaltenen Behauptungen nachgeprüft werden?“ Und wahrlich, wenn auch ein großer Teil der in den vorliegenden Bänden zitierten Werke in Sanskrit, Chinesisch und Mongolisch einigen Orientalisten bekannt sind, so befindet sich doch das Hauptwerk – das, aus dem die Stanzen entnommen sind – nicht im Besitz europäischer Bibliotheken. Das Buch Dzyan (oder „Dzan“) ist unseren Philologen gänzlich unbekannt, oder sie haben zumindest unter seinem gegenwärtigen Namen noch nie etwas davon gehört. Das ist natürlich ein großer Nachteil [SD # xxiii] für jene, die die von der offiziellen Wissenschaft vorgeschriebenen Forschungsmethoden befolgen. Für die Schüler des Okkultismus und für jeden wahren Okkultisten wird das jedoch von geringer Bedeutung sein. Der Hauptteil der veröffentlichten Lehren findet sich in Hunderten und Tausenden von Sanskritmanuskripten verstreut, von denen einige bereits übersetzt sind – in ihren Auslegungen wie üblich entstellt – andere warten noch, bis sie an der Reihe sind. Jeder Gelehrte hat daher eine Gelegenheit, die hier aufgestellten Behauptungen zu verifizieren und die meisten der Zitate zu überprüfen. Einige wenige neue Tatsachen (neu lediglich für den profanen Orientalisten) und aus den Kommentaren zitierte Stellen werden schwer zurückzuverfolgen sein. Einige der Lehren wurden bislang auch lediglich mündlich übermittelt. Doch selbst auf diese wird in jedem einzelnen Fall in den fast zahllosen Bänden brahmanischer, chinesischer und tibetanischer Tempel-Literatur hingewiesen.
Wie es auch immer sein mag, und was auch immer der Schreiberin in Form böswilliger Kritik bevorsteht, eine Tatsache bleibt ganz sicher bestehen. Die Mitglieder verschiedener esoterischer Schulen – deren Sitze sich jenseits des Himalaya befinden und deren Abzweige in China, Japan, Indien, Tibet, und neben Südamerika selbst in Syrien gefunden werden können – behaupten, die Gesamtheit aller heiligen und philosophischen Werke als Manuskripte und in gedruckter Form in ihrem Besitz zu haben: alle Werke in der Tat, die jemals geschrieben wurden, gleich in welcher Sprache oder Schrift, seit die Kunst des Schreibens begann; von den ideografischen Hieroglyphen bis hin zum Alphabet des Kadmos und zu Devanagari.
In allen Zeitaltern wurde behauptet, dass seit der Zerstörung der Alexandrinischen Bibliothek (siehe „Isis Unveiled“, Bd. II, S. 27) mithilfe der gemeinsamen Anstrengungen der Mitglieder der Bruderschaften unablässig alle Werke gesucht wurden, die den Profanen zur schließlichen Entdeckung und zum Verständnis einiger der Mysterien der Geheimwissenschaft hätte führen können. Von denen, die wissen, wird ferner hinzugefügt, dass diese Werke – einmal aufgefunden – bis auf drei sicher verwahrte Exemplare alle vernichtet wurden. Die letzten dieser kostbaren Manuskripte wurden in Indien während der Regierung des Kaisers Akbar in Sicherheit gebracht und verborgen.7
Es wird ferner behauptet, dass jedes heilige Buch dieser Art, dessen Text nicht ausreichend durch Symbolik verschleiert war oder das irgendwelche [SD # xxiv] direkten Bezugnahmen auf die alten Mysterien enthielt, bis auf das letzte Exemplar zerstört wurde, nachdem es sorgfältig derart in kryptografischen Zeichen kopiert worden war, dass es der Kunst der besten und intelligentesten Paläografen trotzen konnte. Während Akbars Regierungszeit halfen einige fanatische Höflinge – ungehalten über des Kaisers sündhaftes Ausspionieren der Religionen der Ungläubigen – den Brahmanen eigenhändig, ihre Manuskripte zu verbergen. Ein solcher war Badáonì, der eine unverhüllte Abscheu gegenüber Akbars Manie für Götzenreligionen pflegte.8
Überdies gibt es in allen großen und reichen Lamaklöstern unterirdische Krypten und Höhlen-Bibliotheken – in Felsen gehauen – wann immer die Gonpa und Lhakhang in den Bergen liegen. Hinter dem westlichen Tsaydam, in den abgelegenen Pässen des Kuen-lun9, gibt es einige solcher Verstecke. Entlang des Kamms des Altyn-Toga, dessen Boden bisher kein europäischer Fuß je betreten hat, liegt in einer tiefen Schlucht ein gewisses vergessenes Dörfchen. Es ist eine kleine Gruppe von Häusern, eher ein Dörfchen als ein Kloster, mit einem armselig aussehenden Tempel darin und einem alten Lama, einem Einsiedler, der in der Nähe wohnt, um ihn zu bewachen. Pilger sagen, dass die unter ihm liegenden unterirdischen Gänge und Hallen eine Sammlung von Büchern enthalten, deren Anzahl den Erzählungen nach zu groß ist, um selbst im Britischen Museum Platz zu finden.10
All das wird höchstwahrscheinlich ein zweifelndes Lächeln hervorrufen. Bevor [SD # xxv] der Leser jedoch die Wahrhaftigkeit der Berichte zurückweist, sollte er innehalten und die folgenden wohlbekannten Tatsachen überdenken. Die gemeinsamen Nachforschungen der Orientalisten und insbesondere die Arbeiten der letzten Jahre von Studenten der vergleichenden Philologie und Religionswissenschaft haben diese dazu geführt, Folgendes festzustellen: Eine ungeheure, nicht kalkulierbare Anzahl von Manuskripten und selbst von gedruckten Werken, von denen bekannt ist, dass sie existierten, ist jetzt nicht mehr aufzufinden. Sie verschwanden, ohne die geringste Spur zu hinterlassen. Wären sie bedeutungslos, wären sie im natürlichen Lauf der Zeit dem Untergang anheim gefallen; und selbst ihre Namen wären aus dem menschlichen Gedächtnis gelöscht worden. Aber das ist nicht so; denn die meisten enthielten – wie jetzt versichert wird – die wahren Schlüssel zu noch vorhandenen Werken, die für den größeren Teil ihrer Leser ohne diese ergänzenden Bände mit Kommentaren und Erklärungen vollständig unverständlich sind. Das betrifft zum Beispiel die Werke Laotses, des Vorgängers des Konfuzius.11
Man sagt, er habe 930 Bücher über Ethik und Religionen geschrieben, und siebzig über Magie, eintausend alles in allem. Sein Hauptwerk jedoch, das Herz seiner Lehre, das „Tao-Te-King“ oder die heiligen Schriften des Taosse, enthält – wie Stanislaus Julien zeigt – lediglich „ungefähr 5.000 Worte“ („Tao-Te-King“, S. XXVII), kaum ein Dutzend Seiten; und dennoch findet Professor Max Müller, dass „der Text ohne Kommentare unverständlich ist, so dass Herr Julien für die Übersetzung mehr als sechzig Kommentatoren zu Rate ziehen musste“, von denen der früheste bis auf das Jahr 163 v. Chr. zurückgeht, nicht früher, wie wir sehen. Während der viereinhalb Jahrhunderte, die diesem frühesten Kommentator vorangingen, stand reichlich Zeit zur Verfügung, die wahre Lehre Lao-tses für alle zu verschleiern, seine initiierten Priester ausgenommen. Die Japaner, unter denen heute die gelehrtesten Priester und Anhänger Lao-tses zu finden sind, lachen nur über die groben Fehler und Hypothesen der europäischen China-Kenner. Und die Überlieferung bestätigt, dass die unseren westlichen Sinologen zugänglichen Kommentare nicht die wirklich okkulten Aufzeichnungen sind, sondern absichtliche Verschleierungen, und dass die wahren Kommentare, wie auch fast sämtliche Texte, für die Augen der Profanen seit Langem verschwunden sind.
[SD # xxvi] Wenn man sich der alten Literatur der semitischen Religionen zuwendet, den heiligen Schriften der Chaldäer, welche die ältere Schwester und Lehrerin, wenn nicht gar den Ursprung der Mosaischen Bibel darstellt, die Grundlage und den Ausgangspunkt des Christentums – was finden die Gelehrten? Was bleibt nun übrig, um die Erinnerung an die alten Religionen Babylons zu verewigen, den großen Zyklus astronomischer Beobachtungen der chaldäischen Magier aufzuzeichnen, die Überlieferung ihrer hervorragenden und in hohem Maße okkulten Literatur zu rechtfertigen? Nur einige wenige Fragmente, angeblich von Berossos.
Diese sind jedoch fast wertlos, selbst als Anhaltspunkt für den Charakter dessen, was verschwunden ist. Denn sie gingen durch die Hände seiner Hochwürden, des Bischofs von Cäsarea – dieses selbsternannten Zensors und Herausgebers der heiligen Aufzeichnungen von Religionen anderer Menschen – und sie weisen bis heute zweifellos die Spuren seiner ausgesprochen wahrhaften und vertrauenswürdigen Hand auf. Denn was ist die Geschichte dieser Abhandlung über die einst so großartige Religion Babylons?
Die von Berossos, einem Priester des Tempels von Belus, für Alexander den Großen in Griechisch verfasste Abhandlung, welche die von den Priestern dieses Tempels aufbewahrten eine Periode von 200.000 Jahren umfassenden astronomischen und chronologischen Aufzeichnungen enthielt – sie ging verloren. Im ersten Jahrhundert v. Chr. fertigte Alexander Polyhistor eine Reihe von Auszügen daraus an – ebenfalls verloren. Eusebius verwendete diese Auszüge beim Verfassen seines Chronicon (270-340 n. Chr.). Die Ähnlichkeiten – fast die Übereinstimmung – der heiligen Schriften12 der Juden und Chaldäer machte die Letzteren für Eusebius in seiner Rolle als Verteidiger und Verfechter des neuen Glaubens, der die jüdischen heiligen Schriften und mit ihnen eine absurde Chronologie adoptiert hatte, höchst gefährlich. Es ist ziemlich sicher, dass Eusebius die ägyptischen synchronistischen Tafeln des Manetho nicht verschonte – so sehr, dass Bunsen13 ihn der höchst skrupellosen Verstümmelung der Geschichte beschuldigte. Und Sokrates, Historiker des fünften Jahrhunderts, sowie Syncellus, Vizepatriarch von Konstantinopel (achtes Jahrhundert), prangern ihn beide als den unverschämtesten und zu allem fähigen Fälscher an.
Ist es also wahrscheinlich, dass er mit den chaldäischen Aufzeichnungen, die bereits die neue, so rasch angenommene Religion bedrohten, liebevoller umging?
[SD # xxvii] Damit ist, mit Ausnahme dieser mehr als zweifelhaften Fragmente, die gesamte heilige Literatur der Chaldäer ebenso vollständig aus den Augen der Profanen verschwunden wie das untergegangene Atlantis. Einige wenige Tatsachen, die in der Geschichte des Berossos enthalten waren, werden in Teil II des II. Bandes mitgeteilt und können viel Licht auf den wahren Ursprung der gefallenen Engel werfen, personifiziert durch Bel und den Drachen.
Wenn sich der Schüler nun der ältesten arischen Literatur, dem „Rigveda“, zuwendet und den darin enthaltenen Daten genau folgt, welche die erwähnten Orientalisten liefern, wird er finden, dass – obwohl der „Rigveda“ nur „etwa 10.580 Verse oder 1.028 Hymnen“ enthält – er doch trotz der Brahmanas und der Vielzahl von Erläuterungen und Kommentaren bis zum heutigen Tag nicht richtig verstanden wird. Warum ist das so? Offenbar deshalb, weil die Brahmanas, „die scholastischen und ältesten Abhandlungen über die ursprünglichen Hymnen“, selbst einen Schlüssel benötigen, den die Orientalisten nicht sicherstellen konnten.
Was sagen die Gelehrten über die buddhistische Literatur? Befindet sie sich vollständig in deren Besitz? Mit Sicherheit nicht. Trotz der 325 Bände des Kanjur und des Tanjur der nördlichen Buddhisten, von denen jeder Band, so berichtet man uns, „vier bis fünf Pfund wiegt,“ ist in Wahrheit nichts über den Lamaismus bekannt. Auch der heilige Kanon der südlichen Kirche soll im Saddharma Alankâra14 29.368.000 Buchstaben enthalten oder – abgesehen von Abhandlungen und Kommentaren – „fünf- oder sechsmal soviel Material wie die Bibel“. Letztere erfreut sich, mit den Worten von Professor Max Müller, nur 3.567.180 Buchstaben. Also ungeachtet dieser „325 Bände“ (in Wirklichkeit sind es 333, „Kanjur“ umfasst 108 und „Tanjur“ 225 Bände), „haben die Übersetzer – anstatt uns korrekte Fassungen zu liefern – diese mit ihren eigenen Kommentaren vermengt, um die Dogmen ihrer verschiedenen Schulen zu rechtfertigen.“15 Außerdem erzählt der Professor seinen Hörern: „Nach einer von den buddhistischen Schulen des Nordens und des Südens erhaltenen Überlieferung enthielt der heilige buddhistische Kanon ursprünglich 80.000 oder 84.000 Abhandlungen; die meisten von ihnen gingen jedoch verloren, so dass nur 6.000 übrig blieben.“ „Verloren“ – wie gewöhnlich für die Europäer. Aber wer kann ganz sicher sein, dass sie auch für die Buddhisten und Brahmanen verloren sind?
Wenn man bedenkt, wie heilig den Buddhisten jede Zeile ist, die [SD # xxviii] über Buddha oder sein „Gutes Gesetz“ geschrieben ist, so erscheint der Verlust von nahezu 76.000 Traktaten wundersam. Wäre es vice versa gewesen, so würde jeder mit dem natürlichen Lauf der Ereignisse Vertraute die Behauptung unterschreiben, dass fünf- oder sechstausend dieser 76.000 Abhandlungen während der Verfolgungen in Indien und der Emigration von dort hätten zerstört werden können. Aber wie klar festgestellt wird, begannen buddhistische Arhats ihren religiösen Exodus zum Zwecke der Verbreitung des neuen Glaubens über Kaschmir und den Himalaya hinaus bereits im Jahr 300 vor unserer Ära16 und erreichten China im Jahr 61 n. Chr.17 – als Kashyapa auf Einladung des Kaisers Ming-ti dorthin ging, um den „Sohn des Himmels“ mit den Glaubenssätzen des Buddhismus vertraut zu machen. Es erscheint seltsam, die Orientalisten über einen derartigen Verlust so sprechen zu hören, als sei er tatsächlich möglich. Sie scheinen auch nicht einen einzigen Moment lang die Möglichkeit einzuräumen, dass die Texte nur für den Westen und für sie selbst verloren sein könnten; oder dass die Asiaten die beispiellose Frechheit besitzen könnten, ihre heiligsten Aufzeichnungen für die Fremden unerreichbar zu halten und sich somit zu weigern, sie der Entweihung und dem Missbrauch durch ihnen derartig „weit überlegene“ Rassen zu überantworten.
Infolge des zum Ausdruck gebrachten Bedauerns und zahlreicher Geständnisse fast sämtlicher Orientalisten (siehe zum Beispiel Max Müllers „Lectures“) kann die Öffentlichkeit hinreichend sicher sein, (a) dass die Schüler der alten Religionen tatsächlich über sehr wenige Daten verfügen, auf welche sie ihre üblicherweise getroffenen Schlussfolgerungen in Bezug auf die alten Religionen stützen können, und (b) dass ein solcher Mangel an Daten sie nicht im Geringsten davon abhält zu dogmatisieren. Man sollte annehmen, dass – dank der zahlreichen in den Klassikern und bei einer Anzahl alter Schriftsteller erhaltenen Aufzeichnungen über ägyptische Theogonie und Mysterien – wenigstens die Riten und Dogmen des pharaonischen Ägyptens gut verstanden werden müssten; besser jedenfalls als die allzu abstrusen Philosophien und der Pantheismus Indiens, von dessen Religion und Sprache Europa vor dem Beginn des gegenwärtigen Jahrhunderts kaum eine Ahnung hatte. Entlang des Nils und auf der gesamten Landesfläche stehen bis zu dieser Stunde Relikte – jährlich und täglich neu ausgegraben –, die mit beredten Worten ihre eigene Geschichte erzählen. Doch das ist nicht der Fall. Selbst der gelehrte Oxforder Philologe gesteht die Wahrheit ein, indem er sagt: „Dabei . . . sehen wir, dass die Pyramiden und die Ruinen von Tempeln und Labyrinthen immer noch stehen, ihre Wände [SD # xxix] mit Hieroglyphen und seltsamen Abbildungen von Göttern und Göttinnen bedeckt. . . . Auf Papyrusrollen, die dem Zahn der Zeit zu trotzen scheinen, haben wir sogar Fragmente von dem, was man die heiligen Bücher der Ägypter nennen könnte; und doch – obwohl vieles in den alten Aufzeichnungen dieser geheimnisvollen Rasse entziffert wurde – sind uns die Hauptquelle der ägyptischen Religion und die ursprüngliche Absicht ihres Zeremoniendienstes noch lange nicht voll erschlossen.“18 Auch hier bleiben die mysteriösen Hieroglyphen-Dokumente erhalten; die Schlüssel jedoch, durch die allein sie verständlich werden, sind verschwunden.
Gleichwohl der Professor gefunden hatte, dass „zwischen Sprache und Religion ein natürlicher Zusammenhang besteht“; und zweitens, dass vor der Trennung der arischen Rasse eine gemeinsame arische Religion existierte; und vor der Trennung der semitischen Rasse eine gemeinsame semitische Religion; und vor der Teilung der chinesischen und anderer zur turanischen Gruppe gehörenden Stämme eine gemeinsame turanische Religion; und weiter, nachdem er lediglich „drei historische Religionszentren“ und „drei Sprachzentren“ entdeckt hatte, und obwohl er sowohl über diese ursprünglichen Religionen und Sprachen als auch deren Ursprung vollständig unwissend war, zögert er nicht zu erklären, „dass eine wahrhaft historische Basis für eine wissenschaftliche Behandlung dieser Hauptreligionen der Welt gewonnen worden war“!
Eine „wissenschaftliche Behandlung“ eines Gegenstandes ist keine Garantie für seine „historische Basis“; und mit solch spärlichen Daten in der Hand ist kein Philologe, nicht einmal der bedeutendste, dazu berechtigt, seine eigenen Schlussfolgerungen als historische Tatsachen auszugeben. Zweifelsohne hat der bedeutende Orientalist durchaus zur Zufriedenheit der ganzen Welt bewiesen, dass nach dem Grimmschen Gesetz der phonetischen Regeln Odin und Buddha zwei unterschiedliche Persönlichkeiten sind, ganz verschieden voneinander, und er hat dies wissenschaftlich aufgezeigt. Wenn er jedoch im selben Atemzug die Gelegenheit dazu ergreift zu behaupten, dass Odin „in einer dem Zeitalter der Veda und des Homer weit vorangehenden Periode als die höchste Gottheit verehrt wurde“ („Compar. Theol.“, S. 318), hat er dafür nicht die geringste „historische Basis“. Er macht Geschichte und Fakten seinen [SD # xxx] eigenen Schlussfolgerungen untertan, was aus der Sicht gelehrter Orientalisten „wissenschaftlich“ sein mag, aber von der tatsächlichen Wahrheit sehr weit entfernt ist. Die einander widersprechenden Ansichten über die Chronologie der Veden seitens der verschiedenen bedeutenden Philologen und Orientalisten – von Martin Haug bis zu Max Müller selbst – sind ein offensichtlicher Beweis dafür, dass die Behauptung auf keiner historischen Basis beruht, weil sich „interne Evidenz“ als Wegweiser sehr häufig als Irrlicht erweist und nicht als wahres Leuchtfeuer. Auch hat die Wissenschaft der modernen vergleichenden Mythologie keinen besseren Beweis, mit dem sie zeigen könnte, dass jene gelehrten Schreiber sich gänzlich im Irrtum befanden, als sie etwa während des letzten Jahrhunderts nachdrücklich darauf bestanden, dass es „Fragmente einer ursprünglichen Offenbarung gegeben haben müsse, den Vorfahren der gesamten Rasse der Menschheit überlassen . . . , aufbewahrt in den Tempeln Griechenlands und Italiens“. Denn das ist es auch, was alle östlichen Initiierten und Pandits von Zeit zu Zeit der Welt verkündeten. Während ein prominenter singhalesischer Priester der Schreiberin versicherte, es sei wohlbekannt, dass die bedeutendsten der zum heiligen Kanon gehörenden buddhistischen Schriften in für europäische Pandits unerreichbaren Ländern und Orten aufbewahrt würden, überzeugte der verstorbene Swami Dayanand Sarasvati, der größte Sanskritgelehrte seiner Zeit in Indien, einige Mitglieder der Theosophischen Gesellschaft in Bezug auf alte brahmanische Werke von derselben Tatsache. Der heilige, gelehrte Mann lachte, als man ihm erzählte, Professor Max Müller erkläre den Zuhörern in seinen „Vorlesungen“, dass die Theorie . . . „den Vätern der menschlichen Rasse wäre eine ursprüngliche, übernatürliche Offenbarung übermittelt worden, gegenwärtig nur wenige Befürworter finde“. Seine Antwort regte zum Nachdenken an. „Wäre Mr. Moksch Mooller“, wie er den Namen aussprach, „ein Brahmane und käme mit mir, würde ich ihn zu einer Gupta-Höhle (einer geheimen Krypta) nahe Okhee Math im Himalaya führen, wo er bald herausfände, dass das, was die Kalapani (die schwarzen Wasser des Ozeans) von Indien nach Europa überquerte, lediglich Bruchstücke wertloser Kopien einiger Passagen aus unseren heiligen Büchern sind. Es gab eine ‘ursprüngliche Offenbarung’, und sie existiert noch immer; auch wird sie nie für die Welt verloren sein, sondern sie wird wieder auftauchen; obwohl die Mlechchhas natürlich werden warten müssen.“
Weiter über diesen Punkt befragt, wollte er nichts mehr sagen. Das geschah in Meerut, im Jahre 1880.
Ohne Zweifel war die Irreführung grausam, mit der die Brahmanen in Kalkutta im letzten Jahrhundert Colonel Wilford und Sir William Jones übel mitspielten. Aber sie war wohl verdient, und niemand war [SD # xxxi] in der Angelegenheit mehr zu tadeln als die Missionare und Colonel Wilford selbst. Erstere waren nach Sir William Jones’ eigenem Zeugnis (siehe „Asiat. Res.“, Bd. I, S. 272) albern genug zu behaupten, dass „die Hindus jetzt schon fast Christen wären, weil ihr Brahmâ, Vishnu und Mahesha nichts anderes wären als die christliche Dreieinigkeit.“19 Das war eine gute Lektion. Sie machte die Orientalisten doppelt vorsichtig; vielleicht aber hat sie einige von ihnen auch zu scheu gemacht und als Gegenreaktion darauf das Pendel vorgefasster Schlussfolgerungen zu weit in die entgegengesetzte Richtung schwingen lassen. Denn „dieses erste Angebot auf dem brahmanischen Markt“, für Oberst Wilford erschaffen, weckte einen offenkundigen Bedarf und das Verlangen der Orientalisten, nahezu jedes archaische Sanskrit-Manuskript für so modern zu erklären, dass es den Missionaren die volle Rechtfertigung für die Ergreifung der Gelegenheit verschaffe. Dass sie das tun, und das bei vollem Verstand, wird in letzter Zeit durch die absurden Versuche gezeigt zu beweisen, dass die gesamte puranische Erzählung über Krishna ein von den Brahmanen erstelltes Plagiat der Bibel sei! Aber die Tatsachen, die der Oxforder Professor in seinen Vorlesungen über die „Wissenschaft der Religion“ betreffs der jetzt berühmten Einfügungen zum Nutzen und später zur Sorge von Oberst Wilford anführt, laufen den Schlussfolgerungen überhaupt nicht zuwider, zu denen ein Studierender der Geheimlehre unweigerlich kommen muss. Denn selbst wenn die Ergebnisse zeigen sollten, dass weder das Neue noch selbst das Alte Testament irgendetwas von den älteren Religionen der Brahmanen und Buddhisten übernommen haben, lässt sich daraus nicht schlussfolgern, dass die Juden nicht alles, was sie wussten, den chaldäischen Aufzeichnungen entlehnten, welche ja später von Eusebius verstümmelt wurden. Was die Chaldäer anbelangt, so erhielten sie ihr ursprüngliches Wissen sicherlich von den Brahmanen, denn Rawlinson zeigt einen unleugbaren vedischen Einfluss auf die frühe Mythologie Babylons; und Oberst Vans Kennedy hat vor langer Zeit mit Recht erklärt, dass Babylonien seinem Ursprung nach der Sitz sanskritistischer und brahmanischer Gelehrsamkeit war. Doch alle diese Beweise sind angesichts der neuesten von Prof. Max Müller ausgearbeiteten Theorie belanglos. Worin sie besteht, ist jedermann bekannt. Der Code der phonetischen Gesetze ist jetzt ein universales Lösemittel für jede Identifizierung und „Verbindung“ zwischen [SD # xxxii] den Göttern vieler Nationen geworden. Obwohl die Mutter von Merkur (Budha, Thot-Hermes etc.) Maïa war, die Mutter von Buddha (Gautama) ebenfalls Mâyâ und die Mutter von Jesus ebenso Maya (Illusion, denn Maria ist Mare, das Meer, symbolisch die große Täuschung) – so besteht zwischen diesen drei Figuren dennoch kein Zusammenhang, noch könnte irgendeiner bestehen, seit Bopp „seine Regeln der phonetischen Gesetze aufgestellt hat“.
In ihren Bemühungen, die Stränge ungeschriebener Geschichte zu sammeln, ist es ein kühner Schritt für unsere Orientalisten, a priori alles zu bestreiten, was sich nicht nahtlos in ihre besonderen Schlussfolgerungen einfügt. Während von großen Künsten und Wissenschaften täglich neue Entdeckungen gemacht werden, die lange zuvor in der Nacht der Zeit existierten, wird einigen der ältesten Nationen selbst die Kenntnis der Schrift abgesprochen und ihnen Barbarei statt Kultur zugeschrieben. Und doch sind, selbst in Zentralasien, noch die Spuren einer gewaltigen Zivilisation zu finden. Diese Zivilisation ist unleugbar prähistorisch. Und wie ist Zivilisation ohne eine gewisse Form von Literatur möglich, ohne Annalen oder Chroniken? Der gesunde Menschenverstand allein sollte die unterbrochenen Bindeglieder in der Geschichte der vergangenen Nationen wieder zusammenfügen. Die gigantische, lückenlose Gebirgsmauer, die das ganze Tafelland von Tibet säumt – vom Oberlauf des Flusses Khuan-Khé bis hinunter zu den Bergen des Karakorum – war Zeuge einer Jahrtausende währenden Zivilisation und könnte der Menschheit seltsame Geheimnisse erzählen. Die östlichen und zentralen Teile dieser Regionen – der Nan Shan und der Altun Tagh – waren einst mit Städten bedeckt, die sehr wohl mit Babylon wetteifern konnten. Eine ganze geologische Periode ist über das Land hinweg gerollt, seit jene Städte ihren letzten Atem aushauchten, wie die Wellen von Wanderdünen und der sterile und jetzt tote Boden der riesigen Zentralebene des Beckens von Tarim bezeugen. Nur die Grenzgebiete sind dem Reisenden oberflächlich bekannt. Innerhalb dieser sandigen Tafelländer gibt es Wasser, und frische, blühende Oasen finden sich hier, wohin kein europäischer Fuß sich bisher je gewagt oder den jetzt gefährlichen Boden betreten hat. Unter diesen grünenden Oasen gibt es einige, die selbst dem eingeborenen gewöhnlichen Reisenden vollkommen unzugänglich sind. Orkane mögen „den Sand aufwirbeln und ganze Ebenen hinwegfegen“, aber das zu zerstören, was außerhalb ihrer Reichweite liegt, vermögen sie nicht. In den Tiefen der Erde erbaut sind die unterirdischen Lager sicher; und da ihre Eingänge in solchen Oasen verborgen liegen, gibt es wenig zu befürchten, dass irgendjemand sie entdecken sollte, selbst wenn verschiedene Armeen in die sandigen Wüsten einfallen sollten, wo –
„Nicht ein Teich, nicht ein Busch, und kein Haus zu seh’n;
Und des Bergzugs steinerne Wälle steh’n
Um verdorrter Eb’nen trock’ner, trock’ner Wüste. . . . .“
[SD # xxxiii] Es ist aber nicht notwendig, den Leser in die Wüste zu schicken, wenn dieselben Beweise einer alten Zivilisation in verhältnismäßig bevölkerten Regionen desselben Landes zu finden sind. Die Oase von Cherchen zum Beispiel, ungefähr 4.000 Fuß über dem Niveau des Flusses Cherchen-Darya gelegen, ist in allen Richtungen von den Ruinen archaischer Städte umgeben. Dort repräsentieren ungefähr 3.000 Menschen die Überbleibsel von etwa einhundert ausgestorbenen Nationen und Rassen, von denen unseren heutigen Ethnologen nicht einmal die Namen bekannt sind. Ein Anthropologe wäre in größter Verlegenheit, müsste er sie klassifizieren, ein- und unterteilen, umso mehr als die jeweiligen Abkömmlinge aller dieser vorsintflutlichen Rassen und Stämme selbst so wenig über ihre eigenen Vorfahren wissen, als wären sie vom Mond gefallen. Befragt über ihre Herkunft, antworten sie, dass sie nicht wüssten, woher ihre Väter gekommen wären, aber sie hätten gehört, dass ihre ersten (oder frühesten) Menschen von den großen Schutzgeistern dieser Wüsten regiert wurden. Das mag als Unkenntnis und Aberglauben abgetan werden, aber aus der Sicht der Lehren der Geheimlehre kann ihre Antwort auf der uranfänglichen Überlieferung beruhen. Nur der Stamm von Khorasan behauptet, lange vor den Tagen Alexanders aus dem Land gekommen zu sein, das heute als Afghanistan bekannt ist; und er erzählt legendäre Überlieferungen zur Bekräftigung dieser Behauptung. Der russische Reisende Oberst (jetzt General) Prjevalsky fand ganz in der Nähe der Oase Cherchan die Ruinen zweier gewaltiger Städte, von denen die älteste nach lokaler Überlieferung vor 3.000 Jahren von einem Helden und Riesen zerstört wurde; und die andere von den Mongolen im zehnten Jahrhundert unserer Ära. „Der Ort der beiden Städte ist jetzt infolge des Flugsandes und des Wüstenwindes mit seltsamen und verschiedenartigen Relikten bedeckt: mit zerbrochenem Porzellan, Küchenutensilien und Menschenknochen. Die Eingeborenen finden häufig Kupfer- und Goldmünzen, geschmolzenes Silber, Gußformen, Diamanten und Türkise und, was das Merkwürdigste ist – zerbrochenes Glas. . . . .“ „Särge aus einem nicht verfaulenden Holz oder Material, mit wunderbar erhaltenen, einbalsamierten Körpern darin werden gefunden. . . . . Die männlichen Mumien sind alle extrem große, kräftig gebaute Menschen mit langem, wallendem Haar. . . . . Eine Gruft mit zwölf darin sitzenden toten Männern wurde gefunden. Ein anderes Mal entdeckten wir in einem einzelnen Sarg ein junges Mädchen. Ihre Augen waren mit goldenen Scheiben verschlossen, und der Kiefer wurde von einem goldenen Reifen gehalten, der unter dem Kinn beginnend über den Scheitel des Kopfes lief. Sie war in ein enges, [SD # xxxiv] wollenes Gewand gekleidet. Ihr Busen war mit goldenen Sternen bedeckt, die Füße bloß gelassen.“ (Aus einem Vortrag von N. M. Prjevalsky) Der berühmte Reisende fügte hinzu, dass sie während ihrer Wanderung entlang des Flusses Cherchan Sagen von dreiundzwanzig Städten hörten, die vor Zeitaltern unter den Wanderdünen der Wüsten begraben wurden. Dieselbe Überlieferung existiert am Lob Nur und in der Oase von Keriya.
Die Spuren solcher Zivilisation und diese und ähnliche Überlieferungen geben uns das Recht, anderen, von wohl gebildeten und gelehrten einheimischen Indern und Mongolen verbürgten legendären Überlieferungen Glauben zu schenken, wenn sie von riesigen Bibliotheken sprechen, die gemeinsam mit verschiedenen Überresten alter magischer Überlieferungen vor dem Sande bewahrt und alle sicher verstaut wurden.
Ich fasse kurz zusammen. Die Geheimlehre war die universal verbreitete Religion der alten und prähistorischen Welt. Beweise für ihre Ausbreitung, authentische Aufzeichnungen ihrer Geschichte, eine vollständige Reihe von Dokumenten, welche ihren Charakter und ihre Verbreitung in jedem Land zeigen, gemeinsam mit den Lehren aller ihrer großen Adepten, existieren bis zum heutigen Tage in den geheimen Krypten der im Besitz der Okkulten Bruderschaft befindlichen Bibliotheken.
Diese Feststellung wird durch die Betrachtung folgender Tatsachen glaubhafter: die Überlieferung Tausender alter Pergamente, die gerettet wurden, als die Alexandrinische Bibliothek zerstört wurde; Tausender Sanskritwerke, die in Indien unter der Regierung von Akbar verschwanden; die universale Überlieferung in China und Japan, dass die echten alten Texte mit den Kommentaren, die allein sie verständlich machen – viele Tausende von Bänden umfassend – seit Langem für profane Hände unerreichbar geworden sind; das Verschwinden der umfangreichen heiligen und okkulten Literatur Babylons; der Verlust jener Schlüssel, die allein die tausend Rätsel der ägyptischen Hieroglyphen lösen könnten; die Überlieferung in Indien, dass die echten geheimen Kommentare, die allein die Veden verständlich machen, zwar den profanen Augen nicht länger sichtbar, doch für den Initiierten noch erhalten sind, verborgen in geheimen Höhlen und Krypten; und ein identischer Glaube bei den Buddhisten in Bezug auf ihre geheimen Bücher.
Die Okkultisten versichern, dass sie alle immer noch existieren, vor den plündernden Händen des Westens geschützt, um in einem erleuchteteren Zeitalter wieder zu erscheinen, auf das, wie es der verstorbene Swami Dayanand Sarasvati ausdrückt, „die Mlechchhas (die Ausgestoßenen, Wilden, jene außerhalb der Grenzen der arischen Zivilisation) werden warten müssen.“
Denn es ist nicht die Schuld der Initiierten, dass diese Dokumente heute für den Profanen „verloren“ sind; auch wurde ihr Verhalten weder von Selbstsucht noch von [SD # xxxv] irgendeinem Verlangen beeinflusst, die lebenspendenden heiligen Überlieferungen zu monopolisieren. Einige Teile der Geheimwissenschaft mussten für unzählige Zeitalter dem profanen Blick verborgen bleiben. Dies wurde so gehandhabt, weil die Weitergabe von Geheimnissen von solch gewaltiger Bedeutung an die unvorbereitete Menge gleichbedeutend damit wäre, einem Kind in einem Pulvermagazin eine brennende Kerze in die Hand zu geben.
Mit Behauptungen dieser Art konfrontiert, taucht in den Gemütern von Schülern häufig eine Frage auf, deren Beantwortung hier umrissen sei.
„Wir können die Notwendigkeit verstehen“, sagen sie, „solche Geheimnisse wie das von J. W. Keely aus Philadelphia entdeckte Vril oder die Kraft, die Felsen zerstören kann, vor der breiten Masse verbergen zu müssen. Wir können aber nicht verstehen, wie sich irgendeine Gefahr aus der Enthüllung rein philosophischer Lehren ergeben könnte, wie z. B. der Evolution der Planetenketten.
Es bestand folgende Gefahr: Lehren wie die über die Planetenkette oder über die sieben Rassen liefern sofort einen Schlüssel zu der siebenfältigen Natur des Menschen, denn jedes Prinzip steht in Wechselbeziehung zu einer Ebene, einem Planeten und einer Rasse; und die menschlichen Prinzipien stehen auf jeder Ebene in Wechselbeziehung zu den siebenfältigen okkulten Kräften – wobei die der höheren Ebenen gewaltige Energien besitzen. Somit liefert jede siebenfältige Einteilung sofort einen Schlüssel zu enormen okkulten Kräften, deren Missbrauch unermessliches Unglück über die Menschheit bringen würde. Einen Schlüssel, der vielleicht der gegenwärtigen Generation nicht als solcher erscheinen mag – besonders nicht den Menschen des Westens –, so wie sie gegenwärtig durch ihre Blindheit und ihren ignoranten, materialistischen Unglauben vor dem Okkulten geschützt sind; einen Schlüssel jedoch, der für die Menschen der ersten Jahrhunderte der christlichen Ära nichtsdestotrotz sehr real gewesen wäre, die von der Wirklichkeit des Okkultismus vollständig überzeugt waren und in einen Zyklus der Entartung eintraten, der sie für den Missbrauch okkulter Kräfte und für Zauberei der schlimmsten Art heranreifen ließ.
Die Dokumente waren verborgen, es ist wahr. Aber aus dem Wissen selbst und seiner tatsächlichen Existenz wurde von den Tempel-Hierophanten niemals ein Geheimnis gemacht, die Mysterien wurden im Tempel immer zu einer Disziplin und einem Ansporn für die Tugend gemacht. Das ist lange bekannt und wurde von den großen Adepten wiederholt verbreitet – von Pythagoras und Platon bis hin zu den Neuplatonikern. Es war die neue Religion der Nazarener, die eine Änderung zum Schlechten bewirkte – in der Politik von Jahrhunderten.
Des Weiteren existiert eine wohlbekannte, sehr sonderbare Tatsache, die der Schreiberin von einem ehrwürdigen Ehrenmann bestätigt wurde, der jahrelang einer russischen Botschaft angehörte – nämlich dass sich in den kaiserlichen Bibliotheken von St. Petersburg [SD # xxxvi] verschiedene Dokumente befinden, aus denen hervorgeht, dass selbst noch in den Tagen, als Freimaurerei und geheime Gesellschaften von Mystikern ungehindert in Russland blühten, d. h. Ende des letzten und Anfang des gegenwärtigen Jahrhunderts, mehr als ein russischer Mystiker durch das Uralgebirge nach Tibet reiste, um in den unbekannten Krypten Zentralasiens Wissen und Initiation zu suchen. Und mehr als einer kehrte Jahre später mit einem reichen Schatz an Kenntnissen zurück, wie sie ihm niemals irgendwo in Europa hätten mitgeteilt werden können. Verschiedene Fälle könnten angeführt und wohlbekannte Namen vorgebracht werden, würde eine solche Publizität nicht die noch lebenden Verwandten der genannten ehemaligen Initiierten beeinträchtigen können. Jeder kann die Annalen und die Geschichte der Freimaurerei in den Archiven der russischen Hauptstadt durchforschen, und er wird sich über die behauptete Tatsache selbst Gewissheit verschaffen.
Das ist eine Bekräftigung dessen, was vorher schon viele Male und unglücklicherweise zu indiskret behauptet wurde. Die auf absichtlichen Erfindungen und Schwindel beruhenden bösartigen Beschuldigungen, jenen entgegen geschleudert, die lediglich eine wahrhaftige, wenn auch wenig bekannte Tatsache behaupteten, haben lediglich den Verleumdern schlechtes Karma verursacht und der Menschheit nichts genützt. Nun ist das Unheil aber geschehen, und die Wahrheit sollte nicht länger abgestritten werden, was auch immer die Folgen sein werden. Ist sie eine neue Religion, fragt man uns? Keineswegs, sie ist weder eine Religion noch ist ihre Philosophie neu; denn, wie bereits festgestellt, sie ist so alt wie der denkende Mensch selbst. Ihre Lehrsätze werden jetzt nicht zum ersten Mal veröffentlicht, sondern sie wurden von mehr als einem europäischen Initiierten vorsichtig übermittelt und von ihm gelehrt – insbesondere von dem verstorbenen Ragon.
Mehr als ein großer Gelehrter hat festgestellt, dass nicht ein einziger Religionsgründer existierte, ob Arier, Semit oder Turanier, der eine neue Religion erfunden oder eine neue Wahrheit offenbart hätte. Alle diese Gründer waren Übermittler, keine ursprünglichen Lehrer. Sie waren die Urheber neuer Formen und Interpretationen, während die Wahrheiten, auf denen Letztere beruhten, so alt wie die Menschheit selbst waren. Sie wählten sich eine oder mehrere der vielen großen Wahrheiten aus, welche dem Menschen am Anfang nur mündlich offenbart worden waren und die in den Adytis der Tempel durch Initiation, während der Mysterien und durch persönliche Übermittlung bewahrt und erhalten wurden und lediglich dem Auge des wahren Weisen und Sehers als Wirklichkeiten offenbar waren –, und sie offenbarten diese Wahrheiten der Menge. So erhielten alle Nationen der Reihe nach einige der genannten Wahrheiten unter dem Schleier ihrer eigenen und speziellen Symbolik; das entwickelte sich im Laufe der Zeit zu einem mehr oder weniger philosophischen Kult, zu einem mythisch verhüllten Pantheon. Entsprechend der historischen Chronologie ist Konfuzius daher ein sehr alter [SD # xxxvii]Gesetzgeber, auch wenn er in der Geschichte der Welt ein sehr moderner Weiser ist, und wurde von Dr. Legge20 „nachdrücklich als Überlieferer, nicht als Schöpfer“ bezeichnet – da er sagt: „Ich gebe nur weiter: Ich kann keine neuen Dinge hervorbringen. Ich glaube an die Alten und daher liebe ich sie.“21 (Zitiert in „Introduction to the Science of Religion“ von Max Müller)
Die Schreiberin liebt sie ebenfalls, und daher glaubt sie an die Alten und an die modernen Erben ihrer Weisheit. Und da sie an beide glaubt, überliefert sie jetzt das, was sie selbst empfangen und erlernt hat, all jenen, die es annehmen wollen. Was jene anbelangt, die ihr Zeugnis zurückweisen mögen – d. h. die große Mehrheit –, wird sie keinen Groll gegen sie hegen, denn sie besitzen auf gleiche Weise das Recht zu bestreiten, was sie behauptet, da beide von zwei vollständig verschiedenen Standpunkten aus auf die Wahrheit blicken. In Übereinstimmung mit den Regeln kritischer Forschung muss der Orientalist jeglichen Beweis a priori verwerfen, den er nicht vollständig selbst überprüfen kann. Und wie kann ein westlicher Gelehrter auf Hörensagen hin etwas akzeptieren, über das er nichts weiß? In der Tat ist das in diesen Bänden Gegebene gleichermaßen mündlichen wie auch schriftlichen Unterweisungen entnommen. Dieser erste Teil der esoterischen Lehren beruht auf Stanzen, den Aufzeichnungen eines den Ethnologen unbekannten Volkes. Es wird behauptet, sie seien in einer Sprache verfasst, die in der Nomenklatur der den Philologen vertrauten Sprachen und Dialekte fehlt; es wird behauptet, dass sie aus einer Quelle (Okkultismus) stammen, die von der Wissenschaft nicht anerkannt wird; und schließlich werden sie durch eine Vermittlung angeboten, die vor dem Angesicht der Welt von allen jenen unaufhörlich in Misskredit gebracht wird, die unwillkommene Wahrheiten hassen oder irgendein eigenes spezielles Steckenpferd zu verteidigen haben. Daher war die Zurückweisung dieser Lehren zu erwarten, und sie musste von vornherein in Kauf genommen werden. Keinem, der sich selbst als „Gelehrter“ versteht – auf welchem Gebiet der exakten Wissenschaft auch immer –, wird es erlaubt sein, sich diese Lehren ernsthaft anzusehen. Sie werden in diesem Jahrhundert a priori verspottet und abgelehnt, aber nur in diesem. Denn im zwanzigsten Jahrhundert unserer Ära werden die Gelehrten anfangen zu erkennen, dass die Geheimlehre weder erfunden noch übertrieben, sondern im Gegenteil lediglich skizziert worden ist; und schließlich, dass ihre Lehren älter sind als die Veden.22 Wurden Letztere nicht noch vor fünfzig Jahren verlacht, zurückgewiesen und als [SD # xxxviii] „neuzeitliche Fälschung“ bezeichnet? Wurde Sanskrit nicht früher einmal von Lemprière und anderen Gelehrten zu einer Abspaltung vom Griechischen und zu einem vom Griechischen abstammenden Dialekt erklärt? Um 1820, erzählt uns Prof. Max Müller, waren sämtliche heiligen Bücher der Brahmanen, der Magier und der Buddhisten „nahezu unbekannt, selbst ihre Existenz wurde angezweifelt, und es gab nicht einen einzigen Gelehrten, der auch nur eine Zeile des Veda . . . des Zend Avesta oder . . . der buddhistischen Tripitaka hätte übersetzen können; und jetzt erweisen sich die Veden als ein Werk aus dem frühesten Altertum, dessen ‘Erhaltung fast einem Wunder gleichkommt’“ (Vortrag über die Veden).
Das Gleiche wird über die geheime archaische Lehre gesagt, sobald Beweise für ihre unabstreitbare Existenz und ihre ebensolchen Aufzeichnungen gegeben werden. Aber es wird Jahrhunderte dauern, bevor wesentlich mehr von ihr herausgegeben werden wird. Als die Schreiberin über die für die Welt nahezu verlorenen Schlüssel zu den Geheimnissen des Tierkreises sprach, bemerkte sie vor ungefähr zehn Jahren in „Isis Unveiled“: „Der erwähnte Schlüssel muss siebenmal gedreht werden, bevor das gesamte System enthüllt ist. Wir wollen ihn lediglich einmal drehen und damit dem Profanen einen flüchtigen Blick auf das Geheimnis erlauben. Glücklich der, der das Ganze versteht!“
Dasselbe kann über das gesamte esoterische System gesagt werden. Eine Drehung des Schlüssels – und nicht mehr – wurde in „Isis“ gegeben. Viel mehr wird in diesen Bänden erklärt. Die Schreiberin kannte damals die Sprache kaum, in der das Werk verfasst wurde; und die Bekanntgabe vieler Dinge, von denen jetzt offen gesprochen wird, war verboten. Im zwanzigsten Jahrhundert mag ein besser unterrichteter und wesentlich tauglicherer Schüler von den Meistern der Weisheit gesendet werden, um endgültige und unwiderrufliche Beweise zu geben, dass eine Gupta Vidya genannte Wissenschaft existiert; und dass – wie die einst rätselhaften Quellen des Nils – die Quelle der jetzt der Welt bekannten Religionen und Philosophien viele Zeitalter lang für die Menschen vergessen und verloren war, aber schließlich gefunden wurde.
Ein Werk wie dieses sollte nicht durch ein einfaches Vorwort, sondern eher durch einen Band eingeleitet werden; einen, der Tatsachen und nicht bloß Erörterungen wiedergibt, denn die Geheimlehre ist keine Abhandlung oder Reihe vager Theorien, sondern sie enthält alles, was der Welt in diesem Jahrhundert mitgeteilt werden kann.
Es wäre mehr als nutzlos, auf diesen Seiten selbst nur jene [SD # xxxix] Teile der esoterischen Lehren zu veröffentlichen, die jetzt der Einschränkung entkommen sind, ohne zuerst die Echtheit und Authentizität – auf jeden Fall die Wahrscheinlichkeit – der Existenz solcher Lehren nachgewiesen zu haben. Die hier aufgestellten Behauptungen müssen von verschiedenen Autoritäten für echt erklärt werden: von denen der alten Philosophen, der klassischen Werke und sogar gewisser gelehrter Kirchenväter, von welchen einige diese Lehren kannten, weil sie sie studiert und über sie verfasste Werke gesehen und gelesen hatten; und einige von ihnen waren sogar persönlich in die alten Mysterien initiiert, in deren Verlauf die geheimen Lehren allegorisch dargestellt wurden. Die Schreiberin wird historische und vertrauenswürdige Namen angeben und wohlbekannte Autoren zitieren müssen, alte und moderne mit anerkannten Fähigkeiten, guter Urteilskraft und Wahrheitsliebe, und sie wird auch einige der weithin bekannten Fachleute der geheimen Künste und Wissenschaften benennen müssen nebst ihren Mysterien, da diese der Öffentlichkeit in ihrer seltsamen archaischen Form preisgegeben oder vielmehr teilweise vorgelegt werden.
Wie muss das geschehen? Was ist der beste Weg, solch ein Ziel zu erreichen? Das war die immer wiederkehrende Frage. Um unseren Plan klarer zu machen, soll eine Veranschaulichung helfen. Ein Reisender, der aus einem wohl erforschten Lande kommend plötzlich das Grenzgebiet einer terra incognita erreicht, die von einer enormen Barriere unüberwindbarer Felsen umrahmt und allen Blicken verschlossen ist, könnte sich noch weigern, das Scheitern seiner Forschungspläne einzugestehen. Weiteres Vordringen ist verboten. Wenn er auch die geheimnisvolle Gegend nicht persönlich besuchen kann, mag er dennoch Mittel finden, sie aus der kürzest möglichen Entfernung zu untersuchen. Auf seine Kenntnisse der hinter ihm liegenden Landschaften aufbauend, kann er eine allgemeine und ziemlich korrekte Vorstellung von dem Anblick hinter der Mauer entwickeln, wenn er den am höchsten aufragenden Hügel der vor ihm liegenden Höhen erklimmt. Einmal dort, kann er in Ruhe einen Blick darauf werfen, und das, was er nur vage erkennt, mit dem vergleichen, was er gerade hinter sich liegen ließ, da er sich nun dank seiner Anstrengungen über dem Nebel und den wolkenverhangenen Felsen befindet.
Ein derartig vorbereitender Beobachtungsposten kann denjenigen, die zu einem genaueren Verständnis der in den Texten gegebenen Geheimnisse über die prähistorischen Perioden gelangen möchte, in diesen beiden Bänden nicht angeboten werden. Aber wenn der Leser Geduld hat und auf den gegenwärtigen Zustand von Glauben und Glaubensbekenntnissen in Europa blickt, wenn er ihn mit dem vergleicht und überprüft, was aus der Geschichte der unmittelbar vor und nach [SD # xl] der christlichen Ära liegenden Zeitalter bekannt ist, wird er all das in Band III dieses Werkes finden.
In diesem Band wird eine kurze Zusammenfassung der wichtigsten, geschichtlich bekannten Adepten gegeben, und der Niedergang der Mysterien wird beschrieben; danach begann das Verschwinden und die schließliche und systematische Eliminierung der wahren Natur der Initiation und der Heiligen Wissenschaft aus dem Gedächtnis der Menschen. Von dieser Zeit an wurden ihre Lehren okkult; und Magie segelte nur zu oft unter dem ehrwürdigen, aber häufig irreführenden Namen der Hermetischen Philosophie. Während wahrer Okkultismus unter den Mystikern der unserer Ära vorangegangenen Jahrhunderte weit verbreitet war, folgte die Magie oder vielmehr Zauberei mit ihren okkulten Künsten auf den Beginn des Christentums.
Wie umfassend und enthusiastisch die fanatischen Anstrengungen während dieser frühen Jahrhunderte auch immer gewesen sein mögen, jede Spur der geistigen und intellektuellen Arbeit der Heiden zu verwischen, sie schlugen doch fehl; doch derselbe Geist des dunklen Dämons der Bigotterie und Intoleranz hat seither jede in vorchristlichen Perioden geschriebene, helle Seite systematisch entstellt. Selbst in ihren vagen Aufzeichnungen hat die Geschichte genug von dem erhalten, was überlebt hat, um ein unparteiisches Licht auf das Ganze zu werfen. So möge denn der Leser eine kleine Weile mit der Schreiberin auf dem erwählten Beobachtungsposten verweilen. Er wird gebeten, all seine Aufmerksamkeit dem Jahrtausend zu schenken, das die vor- und nachchristlichen Perioden durch das Jahr Eins der Geburt Christi teilte. Dieses Ereignis – ob historisch korrekt oder nicht – wurde dennoch dazu verwendet, um als erstes Signal zur Errichtung mannigfaltiger Bollwerke gegen jegliche mögliche Rückkehr zu den verhassten Religionen der Vergangenheit zu dienen oder auch nur einen Einblick in sie zu erhaschen; verhasst und gefürchtet – da sie solch ein helles Licht auf die neue und absichtlich verhüllte Interpretation dessen werfen, was jetzt als der „Neue Erlass“ bekannt ist.
Mit welch übermenschlichen Anstrengungen die frühen christlichen Väter auch versuchten, die Geheimlehre aus dem Gedächtnis des Menschen zu tilgen, sie schlugen dennoch alle fehl. Die Wahrheit kann nicht getötet werden, daher der Misserfolg, alle Spuren dieser alten Weisheit vollständig vom Antlitz der Erde zu tilgen, jeden für sie eintretenden Zeugen in Ketten zu legen und mundtot zu machen. Man denke nur an die Tausenden und vielleicht Millionen verbrannter Manuskripte; an Denkmäler, die mit ihren allzu indiskreten Inschriften und bildlichen Symbolen zu Staub zerschlagen wurden; an die Horden früher Eremiten und Asketen, die auf ihrer Suche nach sämtlichen Obelisken und Säulen, Rollen und Pergamenten die Ruinenstädte von Ober- und Unterägypten, Wüsten und [SD # xli] Gebirge, Täler und Hochländer durchstreiften und nur darauf aus waren, alles zu zerstören, was sie in ihre Hände bekommen konnten, wenn es auch nur das Symbol des Tau oder irgendein anderes Zeichen trug, das der neue Glaube sich entlehnt und angeeignet hatte. So wird klar erkenntlich wie es dazu kam, dass von den Aufzeichnungen der Vergangenheit nur so wenig erhalten ist. Wahrlich, die teuflischen Geister des Fanatismus im frühen und mittelalterlichen Christentum und im Islam liebten es von Anbeginn, in Dunkel- und Unwissenheit zu verweilen; und beide machten
„–––––––––– die Sonne wie Blut, die Welt zum Grab,
Das Grab eine Hölle, und die Hölle düst‘re Finsternis!“
Beide Glaubensbekenntnisse bekehrten mit der Spitze ihres Schwerts; beide errichteten ihre Kirchen auf den bis zum Himmel reichenden Hekatomben menschlicher Opfer. Über dem Torweg zum ersten Jahrhundert unserer Ära leuchteten schicksalsschwer die verhängnisvollen Worte „Das Karma Israels“. Über den Portalen unserer eigenen mag der zukünftige Seher andere Worte wahrnehmen, die auf das Karma hindeuten, welches aus listig erfundener Geschichte entsteht, aus absichtlich verdrehten Ereignissen und daraus, dass große Charaktere von der Nachwelt verleumdet und zwischen den beiden Passionswagen des Jagannâtha – Bigotterie und Materialismus – bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt wurden. Der eine akzeptiert zu viel, der andere streitet alles ab. Weise ist derjenige, der den goldenen Mittelweg einhält und an die ewige Gerechtigkeit der Dinge glaubt. Im Diwan des Faizi, dem „Zeugen der wundervollen Reden eines tausend Sekten angehörenden Freidenkers“, heißt es: „In der Versammlung am Tage der Auferstehung, wenn vergangene Dinge vergeben werden, werden die Sünden der Ka’bah um des Staubes der christlichen Kirchen willen vergeben werden.“ Darauf erwidert Professor Max Müller: „Die Sünden des Islam sind so wertlos wie der Staub der Christenheit. Am Tag der Auferstehung werden Mohammedaner und Christen die Eitelkeit ihrer religiösen Lehren erkennen. Menschen kämpfen auf der Erde um der Religion willen; im Himmel werden sie herausfinden, dass es nur eine wahre Religion gibt – die Verehrung des Geistes Gottes.“23
In anderen Worten – „Keine Religion (oder Gesetz) ist höher als die Wahrheit“ – „SATYAT NASTI PARO DHARMAH“ – das Motto des Maharaja von Benares, von der Theosophischen Gesellschaft übernommen.
Wie bereits im Vorwort gesagt, ist die Geheimlehre nicht – wie ursprünglich beabsichtigt – eine Variante von „Isis Unveiled“. Sie ist [SD # xlii] vielmehr ein erklärender Band dazu, und – obwohl vollständig unabhängig von dem früheren Werk – eine unentbehrliche logische Folgerung. Vieles von dem, was in Isis enthalten war, konnte von den Theosophen jener Tage kaum verstanden werden. Die Geheimlehre nun wird Licht auf so manches Problem werfen, das in dem ersten Werk ungelöst blieb, insbesondere in den einleitenden Seiten, die niemals verstanden worden sind.
In den beiden Bänden der Isis, die sich lediglich mit den Philosophien innerhalb unserer historischen Zeiten und mit der jeweiligen Symbolik der untergegangenen Nationen beschäftigten, konnte nur ein flüchtiger Blick auf das Panorama des Okkultismus geworfen werden. In dem jetzt vorliegenden Werk wird eine detaillierte Kosmogonie und die Evolution der vier Rassen gegeben, die unserer Menschheit – der fünften Rasse – vorangingen. Jetzt erklären zwei umfangreiche Bände das, was allein auf der ersten Seite von Isis Unveiled und in einigen wenigen hier und da in dem Werk verstreuten Andeutungen gesagt wurde. Auch konnte das gewaltige Spektrum der archaischen Wissenschaften in den vorliegenden Bänden nicht in Angriff genommen werden, bevor wir so gewaltige Probleme wie die kosmische und planetarische Evolution und die stufenweise Entwicklung der mysteriösen Menschheiten und Rassen nicht bewältigt haben, die unserer „adamischen“ Menschheit vorangingen. Daher hat der gegenwärtige Versuch, einige Mysterien der Esoterischen Philosophie aufzuhellen, in Wahrheit nichts mit dem früheren Werk zu tun. Es möge der Schreiberin erlaubt sein, das Gesagte durch ein Beispiel zu erläutern.
Band I der „Isis“ beginnt mit einem Verweis auf „ein altes Buch“:
„So uralt, dass unsere modernen Altertumsforscher beliebig lange über seine Seiten nachsinnen könnten und trotzdem noch nicht einmal über die Natur des Stoffes, auf dem sie geschrieben sind, einer Meinung wären. Es ist das einzige jetzt existierende Originalexemplar. Das älteste hebräische Dokument über okkulte Lehre – die Siphrah Dzeniouta – wurde daraus zusammengestellt: und zwar zu einer Zeit, als das Erstere bereits im Licht einer literarischen Reliquie betrachtet wurde. Eine seiner Illustrationen stellt die aus Adam24 emanierende göttliche Essenz dar, die sich wie ein leuchtender Bogen ausbreitet und einen Kreis formt. Und dann, nachdem sie den höchsten Punkt ihres Umkreises erreicht hat, wendet sich die unaussprechliche Herrlichkeit wieder abwärts und kehrt zur Erde zurück, einen höheren Typus der Menschheit in ihrem Wirbel mit sich bringend. Je mehr sie sich unserem Planeten nähert, um so schattenhafter wird die Emanation, bis sie bei Berührung des Bodens so schwarz ist wie die Nacht.“
[SD # xliii] Das „uralte Buch“ ist das Originalwerk, aus dem die vielen Bände des Kiu-ti zusammengestellt wurden. Nicht nur dieses Letztere und die Siphrah Dzeniouta, sondern selbst das Sefer Jezirah,25 das Werk, das von hebräischen Kabbalisten ihrem Patriarchen Abraham (!) zugeschrieben wird, das Buch von Shu-King, Chinas ursprüngliche Bibel, die heiligen Bände des ägyptischen Thoth-Hermes, die Puranas in Indien und das chaldäische Buch der Zahlen und der Pentateuch selbst – sie alle stammen von diesem einen kleinen Ausgangswerk ab. Die Überlieferung berichtet, es sei in Senzar, der geheimen Priestersprache, nach den Worten der göttlichen Wesen niedergeschrieben worden, die es den Söhnen des Lichts in Zentralasien diktierten, gerade zu Beginn der fünften (unserer) Rasse; denn es gab eine Zeit, da seine Sprache (das Sen-zar) den Initiierten aller Nationen bekannt war, als die Vorväter der Tolteken sie ebenso leicht verstanden wie die Bewohner des verlorenen Atlantis, die sie ihrerseits von den Weisen der dritten Rasse, den Manushis ererbt hatten. Diese erlernten sie direkt von den Devas der zweiten und ersten Rasse. Die „Illustration“, von der in „Isis“ die Rede ist, bezieht sich auf die Evolution dieser Rassen und unserer Menschheit der vierten und fünften Rasse im Vaivasvata-Manvantara oder der „Runde“. Jede Runde setzt sich aus den Yugas der sieben Perioden der Menschheit zusammen. Vier von diesen sind jetzt in unserem Lebenszyklus durchlaufen, der Mittelpunkt der fünften ist nahezu erreicht. Die Illustration ist symbolisch, wie jedermann leicht verstehen kann, und deckt das Thema von Anbeginn ab. Das alte Buch beschreibt die kosmische Evolution und erklärt den Ursprung von allem auf der Erde, einschließlich des physischen Menschen, es gibt die wahre Geschichte der Rassen von der ersten herab bis zur fünften (unserer) Rasse, und geht nicht weiter. Es schließt mit dem Beginn des Kali-Yuga gerade vor 4.989 Jahren mit dem Tod Krishnas, des leuchtenden „Sonnen-Gottes“, des einstmals lebenden Helden und Reformators.
Aber es existiert noch ein anderes Buch. Keiner seiner Besitzer betrachtet es als sehr alt, da es mit dem dunklen Zeitalter geboren wurde und ebenso alt ist wie dieses, [SD # xliv] nämlich ungefähr 5.000 Jahre. Von heute an gerechnet in ungefähr neun Jahren endet der erste Zyklus der ersten fünf Jahrtausende, der mit dem großen Zyklus des Kali-Yuga begann. Und dann wird die letzte Prophezeiung in Erfüllung gehen, die dieses Buch enthält (der erste Band der prophetischen Aufzeichnungen für das dunkle Zeitalter). Wir müssen nicht lange warten. Viele von uns werden Zeuge des Heraufdämmerns des neuen Zyklus sein, mit dessen Ende nicht wenige Rechnungen zwischen den Rassen geregelt und beglichen sein werden. Band II der Prophezeiungen ist beinahe fertig, nachdem er seit der Zeit von Buddhas großem Nachfolger Shankaracharya in Vorbereitung war.
Ein weiterer wichtiger Punkt muss zur Kenntnis genommen werden, einer, der in der Reihe der für die Existenz einer ursprünglichen, universalen Weisheit gegebenen Beweise an erster Stelle steht – auf jeden Fall in den Augen der christlichen Kabbalisten und Schüler. Die Lehren waren, zumindest teilweise, einigen Kirchenvätern bekannt. Es wird auf rein historischen Grundlagen behauptet, dass Origenes, Synesius und sogar Clemens Alexandrinus selbst in die Mysterien initiiert waren, bevor sie dem Neuplatonismus der Alexandrinischen Schule die Lehren der Gnostiker unter christlichem Schleier hinzufügten. Darüber hinaus wurden einige der Lehren der Geheimschulen – obwohl keineswegs alle – im Vatikan aufbewahrt und sind seither in Gestalt entstellter Einfügungen der lateinischen Kirche in das ursprünglich christliche Programm zu einem festen Bestandteil der Mysterien geworden. Von solcher Art ist auch das heute materialisierte Dogma der unbefleckten Empfängnis. Das erklärt die großen, von der römisch-katholischen Kirche angeordneten Verfolgungen des Okkultismus, der Freimaurerei und des heterodoxen Mystizismus im Allgemeinen.
Die Tage Konstantins waren der letzte Wendepunkt in der Geschichte, die Phase äußerster Auseinandersetzungen, welche in der westlichen Welt damit endeten, dass die alten Religionen erdrosselt und auf ihren toten Körpern die neuen errichtet wurden. Von diesem Zeitpunkt an wurde die Aussicht in die weit entfernte Vergangenheit, jenseits der „Sintflut“ und des Gartens Eden, gewaltsam und unerbittlich mit allen erlaubten und unerlaubten Mitteln vor dem indiskreten Blick der Nachwelt verschlossen. Jede strittige Frage wurde blockiert, jede erreichbare Aufzeichnung wurde vernichtet. Aber selbst in den derartig verstümmelten Aufzeichnungen bleibt immer noch genug übrig, um uns zu rechtfertigen, wenn wir behaupten, dass in ihnen jeder erdenkliche Beweis für die tatsächliche Existenz einer Mutterlehre enthalten ist. Bruchstücke haben geologische und politische Umwälzungen überlebt, um die Geschichte zu erzählen. Und jedes überlebende Bruchstück beweist, dass die jetzt geheime Weisheit einstmals der [SD # xlv] eine Ursprung, die ewig fließende, immerwährende Quelle war, aus der alle ihre kleineren Bäche – die späteren Religionen aller Nationen – vom ersten bis zum letzten gespeist wurden. Diese Periode, mit Buddha und Pythagoras an dem einen und den Neuplatonikern und Gnostikern am anderen Ende, ist der einzige in der Geschichte übrig gebliebene Brennpunkt, in dem zum letzten Mal die hellen Strahlen des vergangenen Äonen entströmenden Lichts zusammenlaufen, ohne von den Händen der Bigotterie und des Fanatismus verdunkelt zu werden.
Das erforderte von der Schreiberin, die aus der grauesten Vorzeit übermittelten Tatsachen stets mühsam mithilfe von Zeugnissen aus der historischen Periode zu erklären. Keine anderen Mittel waren zur Hand, selbst auf die Gefahr hin, einmal mehr des Mangels an Methode und System beschuldigt zu werden. Die Öffentlichkeit muss mit den Anstrengungen vieler Welt-Adepten, initiierter Dichter, Schreiber und Klassiker aller Zeitalter vertraut gemacht werden, um in den Aufzeichnungen der Menschheit zumindest die Kenntnis von der Existenz einer solchen Philosophie zu bewahren, wenn nicht sogar ihre Lehrsätze. Die Initiierten von 1888 blieben in der Tat unverständlich und ein anscheinend gar nicht möglicher Mythos, würde nicht aufgezeigt, dass ähnliche Initiierte auch in allen anderen Zeitaltern der Geschichte lebten. Das könnte nur durch Nennung von Kapitel und Vers geschehen, in denen diese großen Charaktere erwähnt werden, denen eine lange und endlose Reihe weiterer berühmter vor- und nachsintflutlicher Meister der Künste voranging und folgte. Allein auf diese Weise könnte halb auf traditioneller und halb auf historischer Autorität beruhend aufgezeigt werden, dass die Kenntnis des Okkulten und die Kräfte, die sie dem Menschen verleiht, nicht allesamt freie Erfindungen sind, sondern dass sie so alt sind wie die Welt selbst.
Meinen Richtern, vergangenen und zukünftigen, habe ich deshalb nichts zu sagen – seien sie ernsthafte literarische Kritiker oder jene heulenden Derwische der Literatur, die ein Buch nach der Popularität oder Unpopularität des Namens seines Autors beurteilen und die sich, dem Inhalt kaum einen Blick gewährend, tödlichen Bazillen gleich der schwächsten Punkte des Körpers bemächtigen. Noch werde ich mich herablassen, jene – glücklicherweise sehr wenige an Zahl – hirnverbrannten Verleumder zu beachten, die in der Hoffnung, die öffentliche Aufmerksamkeit dadurch auf sich zu ziehen, dass sie jeden Schreiber verunglimpfen, dessen Name bekannter ist als ihr eigener, schäumen und ihre bloßen Schatten ankläffen. Nachdem diese zuerst jahrelang behauptet hatten, dass die im Theosophist gebrachten Lehren, welche im „Esoteric Buddhism“ gipfelten, alle von der gegenwärtigen Schreiberin erfunden worden seien, kehrten sie um und denunzierten „Isis Unveiled“ und den Rest als von Éliphas Lévi (!), Paracelsus (!!) und, mirabile dictu, [SD # xlvi] von Buddhismus und Brahmanismus (!!!) plagiiert. Ebenso gut könnte man Renan beschuldigen, sein Buch „Vie de Jésus“ aus den Evangelien und Max Müller seine „Sacred Books of the East“ oder seine „Chips“ aus den Philosophien der Brahmanen und Gautama Buddhas gestohlen zu haben. Aber für die Öffentlichkeit im Allgemeinen und für die Leser der „Geheimlehre“ möchte ich wiederholen, was ich schon immer betont habe, und was ich jetzt in die Worte von Montaigne kleide: Meine Herren, „ich habe hier lediglich ein Gebinde aus gepflückten Blumen angefertigt und nichts Eigenes hinzugefügt als den Faden, der sie verbindet“.
Zerreißt den „Faden“ und schneidet ihn in Stücke, wenn ihr wollt. Was den Strauß von Tatsachen betrifft – ihn zu beseitigen werdet ihr niemals imstande sein. Ihr könnt sie lediglich ignorieren, und nichts weiter.
Wir wollen mit einem Abschiedswort hinsichtlich dieses ersten Bandes schließen. In einer Einleitung, die einem hauptsächlich die Kosmogonie behandelnden Teil vorangestellt ist, mögen manche der vorgebrachten Gegenstände nicht am rechten Platz erscheinen, aber eine weitere Überlegung, die den bereits mitgeteilten hinzugefügt wurde, hat mich dazu geführt, sie zu berühren. Jeder Leser wird die vorgebrachten Behauptungen unvermeidlich vom Standpunkt seiner eigenen Kenntnis, Erfahrung und seines Bewusstseins beurteilen, auf das gründend, was er bereits gelernt hat. Diese Tatsache muss die Schreiberin beständig im Auge behalten: daher auch in diesem ersten Buch die häufigen Bezugnahmen auf Gegenstände, die eigentlich zu einem späteren Teil des Werkes gehören, aber dennoch nicht stillschweigend übergangen werden konnten, ohne dass der Leser auf das Werk tatsächlich wie auf ein Märchen herabsehen würde – eine Fiktion irgendeines modernen Gehirns.
So soll die Vergangenheit helfen, die Gegenwart zu begreifen, und Letztere die Vergangenheit besser zu würdigen. Die Irrtümer des Tages müssen erklärt und hinweggefegt werden, doch ist es mehr als wahrscheinlich – und im gegenwärtigen Fall wird es fast zur Gewissheit –, dass das Zeugnis langer Zeitalter und der Geschichte wieder einmal lediglich die sehr Intuitiven beeindrucken wird – was soviel heißt wie die sehr Wenigen. Aber in diesem wie in allen ähnlichen Fällen mögen sich die Wahrhaftigen und Treuen damit trösten, dass sie den skeptischen modernen Sadduzäer mit dem mathematischen Beweis und Mahnmal seiner hartnäckigen Halsstarrigkeit und Bigotterie beschenken. Irgendwo in den Archiven der Französischen Akademie liegt noch das berühmte Gesetz der Wahrscheinlichkeiten, von gewissen Mathematikern zum Nutzen der Skeptiker nach einem algebraischen Prozess ausgearbeitet. Es lautet folgendermaßen: Wenn zwei Personen [SD # xlvii] eine Tatsache bezeugen und ihr so jeder von ihnen 5/6 Gewissheit verleiht, besitzt die Tatsache 35/36 an Gewissheit; d. h. das Verhältnis ihrer Wahrscheinlichkeit zu ihrer Unwahrscheinlichkeit beträgt 35 zu 1. Wenn drei solcher Zeugnisse zusammengefügt werden, beträgt die Gewissheit 215/216. Die Übereinstimmung von zehn Personen, von denen jede eine Gewissheit von 1/2 beiträgt, schafft eine Gewissheit von 1.023/1.024 etc. etc. Der Okkultist mag zufriedengestellt und nicht weiter besorgt sein.
Fußnoten
5 Dan, jetzt in moderner chinesischer und tibetanischer Phonetik zu Ch’an geworden, ist die allgemeine Bezeichnung für die esoterischen Schulen und ihre Literatur. In den alten Büchern wird das Wort Janna wie folgt definiert: „Sein Selbst durch Meditation und Erkenntnis läutern“ – eine zweite, innere Geburt. Daher Dzan, phonetisch Djan, das „Buch Dzyan“.
6 Beglor, Chefingenieur in Buddhagaya und hervorragender Archäologe, entdeckte sie als Erster, wie wir glauben.
7 Prof. Max Müller zeigt, dass weder Bestechungen noch Drohungen Akbars den Originaltext der Veden von den Brahmanen erpressen konnten; er prahlte aber damit, dass europäische Orientalisten ihn besäßen (Vortrag über „Science of Religion“, S. 23). Es ist sehr zweifelhaft, dass Europa den vollständigen Text besitzt; und die Zukunft könnte sehr unangenehme Überraschungen für die Orientalisten bereithalten.
8 Badáonì schrieb in seinem „Muntakhab at Tawarikh“: „Seine Majestät fand Geschmack an den Nachforschungen über die Sekten dieser Ungläubigen (die nicht zu zählen sind, so zahlreich sind sie, und die eine endlose Anzahl von Offenbarungsbüchern besitzen) . . . Da sie (die Sramanas und Brahmanen) andere gelehrte Männer in ihren Abhandlungen über Moral, Physik und Religionswissenschaften übertreffen und in ihrem Wissen über die Zukunft, über spirituelle Kraft und menschliche Vollkommenheit einen hohen Grad erreichen, erbrachten sie auf Vernunft und Zeugnis gegründete Beweise und prägten Sr. Majestät ihre Lehren so fest ein, dass jetzt niemand mehr einen Zweifel in ihm erregen könnte, selbst wenn Berge zu Staub zerfallen oder die Himmel in Stücke zerreißen würden.“ Dieses Werk „wurde geheim gehalten und erst unter der Herrschaft Jahângirs veröffentlicht“. („Ain i Akbari“, übersetzt von Dr. Blochmann, S. 104, Anmerkung.)
9 Karakorum-Gebirge, Westtibet.
10 Nach derselben Überlieferung waren die jetzt öden Gebiete des wasserlosen Landes von Tarim – einer echten Wildnis im Herzen von Turkestan – in alter Zeit mit blühenden und reichen Städten bedeckt. Gegenwärtig mildern kaum ein paar grünende Oasen ihre tödliche Einsamkeit. Eine davon, die auf der Grabstätte einer großen, vom Sandboden der Wüste verschlungenen und unter ihm begrabenen Stadt entstand, gehört niemandem, wird aber häufig von Mongolen und Buddhisten besucht. Dieselbe Überlieferung spricht von ungeheuren unterirdischen Behausungen, von großen Korridoren, angefüllt mit Ziegeln und Zylindern. Vielleicht ist es ein müßiges Gerücht, vielleicht aber auch wirklich eine Tatsache.
11 Wenn wir uns China zuwenden, finden wir, dass sich die Religion des Konfuzius auf die fünf King- und die vier Shu-Bücher begründet, die an sich von beträchtlichem Umfang und von zahlreichen Kommentaren umgeben sind, ohne die selbst die größten Gelehrten es nicht wagen würden, die Tiefe ihres heiligen Kanons zu ergründen“ (Vortrag über „Science of Religion“, S. 185, Max Müller). Aber sie haben sie nicht ergründet – und das zum Leidwesen der Konfuzianer, wie sich ein sehr gelehrtes Mitglied dieser Gruppe in Paris im Jahre 1881 beklagte.
12 Aufgefunden und bewiesen erst jetzt durch die Entdeckungen von George Smith (siehe sein „Chaldean Account of Genesis“), und was dank dieses armenischen Fälschers alle zivilisierten Nationen mehr als 1.500 Jahre lang dazu verleitete, die jüdischen Bücher für eine direkte göttliche Offenbarung zu halten!
13 Bunsens „Egypt’s Place in History“, Bd. I, S. 200.
14 Robert Spence Hardy, „The Legends and Theories of the Buddhists“, S. 66.
15 „Buddhism in Tibet“, S. 78.
16 Lassen („Ind. Alterthumskunde“, Bd. II, S. 1.072) zeigt ein buddhistisches, in der Kailash-Kette um 137 v. Chr. errichtetes Kloster; und General Cunningham ein noch älteres.
17 Reverend J. Edkins, „Chinese Buddhism“.
18 Unsere größten Ägyptologen sind mit den Beerdigungsriten der Ägypter und den äußeren Zeichen der Geschlechtsunterschiede der Mumien derartig schlecht vertraut, dass das zu den haarsträubendsten Irrtümern geführt hat. Erst vor einem oder zwei Jahren wurde eine solche Mumie in Bolaq, Kairo, entdeckt. Die Mumie, die für die Frau eines unbedeutenden Pharaos gehalten wurde, erwies sich dank einer auf einem um den Hals hängenden Amulett gefundenen Inschrift als die Frau von Sesostris – des größten Königs Ägyptens!
19 Siehe Max Müllers „Einleitung in die vergleichende Religionswissenschaft“, Vorlesung „On False Analogies in Comparative Theology“, S. 288 und 296 ff. Dies bezieht sich auf die geschickte Fälschung (auf Blätter, die in alte puranische Manuskripte eingefügt wurden) in korrektem, archaischem Sanskrit, von allem, was die Pandits von Oberst Wilford über Adam und Abraham, Noah und seine drei Söhne etc. etc. gehört hatten.
20 Lün-Yü (§ 1 a) Schott., „Chinesische Literatur“, S. 7.
21 „Life of Confucius“, S. 96.
22 Das ist nicht die Anmaßung einer Prophezeiung, sondern lediglich eine auf der Kenntnis von Tatsachen beruhende Feststellung. In jedem Jahrhundert wird ein Versuch unternommen der Welt zu zeigen, dass Okkultismus kein leerer Aberglaube ist. Sobald erlaubt wird, das Tor ein wenig zu öffnen, wird es mit jedem neuen Jahrhundert weiter geöffnet werden. Die Zeiten sind reif für ein ernsthafteres, jedoch immer noch sehr begrenztes Wissen als bisher erlaubt.
23 „Lectures on the Science of Religion“ von F. Max Müller, S. 257.
24 Der Name ist im Sinne des griechischen Wortes ἄνθρωπος verwendet.
25 Rabbi Jehoshua Ben Chananea, der ungefähr 72 n. Chr. starb, erklärte offen, dass er mithilfe des Buches „Sefer Jezirah“ „Wunder“ vollbracht habe, und forderte jeden Skeptiker heraus. Aus dem babylonischen Talmud zitierend, nennt Franck zwei weitere Thaumaturgen, nämlich die Rabbiner Chanina und Oshoi (siehe „Jerusalem Talmud, Sanhedrin“ Kap. 7 etc.; und „Franck“, S. 55-6). Viele der mittelalterlichen Okkultisten, Alchemisten und Kabbalisten behaupten dasselbe; und selbst der verstorbene moderne Magus, Éliphas Lévi, behauptet es öffentlich in gedruckter Form in seinen Büchern über Magie.
Eine Einladung zur Geheimlehre
Helena Petrovna Blavatsky
Einleitende Worte
Kurz nach dem Erscheinen der Geheimlehre im November 1888 traf sich H. P. Blavatsky mit Londoner Studenten, um Fragen zu den Stanzen des Dzyan zu beantworten – jene esoterischen Verse, zu denen Die Geheimlehre (GL) einen inspirierenden Kommentar darstellt. Während Aufzeichnungen über diese Treffen im Jahr 1889 unter dem Titel Transactions of the Blavatsky Lodge1 noch zu ihren Lebzeiten veröffentlicht wurden, blieben von späteren Treffen (ab 1890 bis zu ihrem Tod 1891) keine Niederschriften erhalten. Glücklicherweise hatte Robert Bowen seine Eindrücke und HPBs Anmerkungen aufgezeichnet, soweit er sie sich merken konnte. Seine Notizen waren 40 Jahre lang vergraben, bis sein Sohn, Captain P. G. B. Bowen aus Dublin in Irland, sie bei der Durchsicht der Papiere seines Vaters entdeckte. Auszüge daraus wurden in Theosophy in Ireland unter dem Titel „The ‘Secret Doctrine’ and its Study“ veröffentlicht.2
Eine Einladung zur Geheimlehre ist eine prägnante und ansprechende Darlegung der fundamentalen Wahrheiten der GL in H. P. Blavatskys eigenen Worten. Anstatt dieses Werk Seite für Seite durchzulesen, hielt sie es für wichtiger, dass Studierende zunächst die „drei fundamentalen Lehrsätze“ erfassen, auf welchen die gesamte Philosophie beruht; danach sollten sie ihre „Zusammenfassung“ in Band I und in Band II ihre „Einleitenden Bemerkungen“ mit drei weiteren darin enthaltenen Lehrsätzen sowie ihre „Schlussfolgerung“ studieren. Diese Auswahl ist hier wiedergegeben, hinzugefügt haben wir HPBs „Vorwort“ sowie die „Stanzen des Dzyan“, da sie den Grundton des gesamten Werks anschlagen. Ebenfalls enthalten sind die letzten Seiten der GL, Captain Bowens Notizen und, aus historischen Gründen, der überarbeitete Vortrag „Wie Die Geheimlehre geschrieben wurde“ von Kirby Van Mater, erschienen in Sunrise (November 1975, engl. Ausgabe).
Jeder von uns nähert sich der GL entsprechend seiner eigenen Wesensart und seines Hintergrunds: Viele blättern gerne zwanglos darin und folgen der eigenen intuitiven Führung; andere lesen das Werk vom Anfang bis zum Ende, bevor sie spezifischen Themen nachgehen; wieder andere fühlen sich von der inhaltlichen Vielfalt überwältigt und wünschen sich eine Starthilfe. Richtlinien sind jedoch zweischneidig: Sie können Hilfe oder Hindernis sein, Studierende er- oder entmutigen. Richtlinien müssen wohlüberlegt, gleichzeitig aber auch offen sein, denn basieren sie zu stark auf der Logik, lassen sie die Intuition erstarren – genau die Fähigkeit, die zur Erfassung der großen abstrakten Wahrheiten am meisten benötigt wird.
HPB äußerte sich gegenüber ihrer Londoner Gruppe wie folgt: „Jede Form, so unfertig sie auch sein mag, enthält im Inneren verborgen das Bild ihres ‘Schöpfers’. Genauso enthält das Werk eines Schriftstellers, ganz gleich wie unverständlich es auch sein mag, das verborgene Bild des Wissens des Schriftstellers.“ Bowen war zutiefst von dem Gedanken bewegt, dass das in der GL enthaltene Wissen selbst HPBs Kenntnisse übersteige – was der Fall sein muss, wenn „vieles darin von Menschen stammt, deren Wissen wesentlich weitreichender ist als ihr eigenes“; und dass jedermann, selbst er (P. G. B. Bowen) in HPBs Worten ein „Wissen darin finden kann, dessen er sich selbst nicht bewusst ist“. Dieser Gedanke ist elektrisierend. Heute, nachdem die GL 100 Jahre in Umlauf ist, nehmen wir ihre Größe umfassender wahr. Anstatt mit der Zeit immer mehr zu verblassen, hat ihre Dynamik zugenommen und die Aussage der Mahatmas bekräftigt, dass Die Geheimlehre das „dreifache Produkt“ ihrer Lehrer und ihrer selbst war.
Wer sich von der Theosophie angezogen fühlt und die GL erforschen möchte, wird Die Einladung willkommen heißen. Langjährige Studierende mögen das Buch als Auffrischungskurs empfinden über die Genesis, die evolutionäre Bestimmung unseres Sonnensystems und seiner Planetenfamilie und über die menschliche und andere Lebenswogen von Monaden, die unsere Erde zusammensetzen und bevölkern. Für einige wird Die Einladung zu einem vertrauten Begleiter werden – auf dem Nachttisch, auf Reisen und in solchen Momenten, in denen die Kraft und die Schönheit der Stanzen ihren eigenen Segen hervorbringen.
– Grace F. Knoche
Die Theosophische Gesellschaft, Pasadena, Kalifornien, 24. August 1988
Fußnoten
1. Im Jahr 1994 erneut veröffentlicht als Secret Doctrine Commentary: Stanzen I-IV. [back]
2. Ein Nachdruck erschien in The Theosophical Forum (15. August 1932) und in Sunrise (August/September 1985). Es stellt die Grundlage von Ianthe Hoskins Broschüre Foundations of Esoteric Philosophy aus den Schriften H. P. Blavatskys (1980) dar. [back]